Begegnungen mit verletzter Elternschaft

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 Präsentation transkript:

Begegnungen mit verletzter Elternschaft Dazwischen Eltern, Kind, Fachpersonen Gelingende Interaktion und Zusammenarbeit Begegnungen mit verletzter Elternschaft ZFF, Basel 17.11.2011 Lic. phil. Maria Mögel KJPD St. Gallen Mögel, 17.11.2011

Herausfordernde Aspekte der Elternarbeit in der Frühförderung Man könnte gut mit dem Kind arbeiten, wenn die Eltern es nur losliessen ! Die Eltern wollen die Behinderung nicht wahrhaben.... Solche Schwierigkeiten sind meist nicht die Ursache, sondern das Ergebnis der Belastungen der Eltern-Kind-Beziehung durch die Beeinträchtigung. Auch die Konflikte, die wir in der Zusammenarbeit mit Eltern erfahren können, spiegeln die Belastungen dieser Beziehung wieder. Mögel, 17.11.2011

Übersicht Anders als erhofft... Psychologie der frühen Elternschaft Warum die Beeinträchtigung des Kindes die Elternschaftsentwicklung so empfindlich verunsichern kann Verlängerung der „Mutterschaftskonstellation“ als Herausforderung in der Zusammenarbeit mit den Eltern Netzwerke Zuversicht durch Partizipation und Selbstwirksamkeit Mögel, 17.11.2011

Anders als erhofft...Schock oder chronische Verunsicherung Prä-, postnatale Diagnostik und unklare Diagnosen Säuglinge nach Frühgeburt, mit Regulationsstörungen oder Behinderungen Kleinkinder mit verzögerten, auffälligen, behinderten Entwicklungsverläufen Die Mitteilung im 7. Monat, dass der Fötus einen erweiterten Hirnventrikel zeigt, ähnlich, wie bei einem Tumor oder einer Hirnblutung- nach der Geburt lässt sich der Befund nicht mehr feststellen. Noch anderhalb Jahre später fragen sich die Eltern, ob die Entwicklungsverzögerung und die Unruhe doch Hinweise auf eine hirnorgan. Störung sind. Anfang 9. Monat notfallmässige Entbindung wegen einer Eklampsie, während der Geburt kommt es zu einer lebensbedrohlichen Situation für Mutter und Kind das Kind ist sehr klein, sehr leicht, man spricht von Mangelgeburt. Mit zwei Monaten wird das Kind für eine Woche wegen exzessivem Schreien hospitalisiert. Ein Baby mit Trisomie 21 und einem Herzfehler gedeiht prächtig und entwickelt sich erstaunlich. Das Geschwisterkind wird immer deprimierter, der Vater beginnt zu trinken. Ein Kleinkind ist sehr empfindlich bei Veränderungen in seiner Umwelt; als es mit anderen Kindern zu spielen beginnt, schlägt es häufig, wie ausser sich, hat aber auch Angst vor anderen Kindern. Die Mutter wagts ich kaum mehr auf den Spielplatz. Heilpädagogische Früherziehung bringt Linderung; beim Eintritt in den Kindergarten tauchen die gleichen Schwierigkeiten wieder auf. Mögel, 17.11.2011

Psychologie der frühen Elternschaft Biologische Bereitschaft Intuitive elterliche Kompetenz Co-Regulation (Papousek) Sensible Phasen rund um die Geburt Psychosoziale Faktoren Bindungsgeschichte Elterliche Kooperation (Triadische Kapazität und Co-parenting) Individuelle Faktoren Imaginäres Kind Eltern-Ideal In welcher Phase treffen Eltern diese Schwierigeiten ? Wie sind sie für den Umgang mit Krankheit, Herausforderung ausgestattet? Mögel, 17.11.2011

Verunsicherung der elterlichen Zuversicht durch das in seiner Entwicklung blockierte Kind Die Quelle und Grenzen intuitiver elterlicher Kompetenz: Das Gedeihen des Kindes bestätigt oder erschöpft Empathie, Selbstwertgefühl und Selbstverständnis der Eltern (Ornstein, Laucht, Trevarthen, Papousek u.a.) Exkurs Frühgeburt: zeitliche Verzögerung Mögel, 17.11.2011

Bindungsforschung und Behinderung Trost, aber als Erwartung möglicherweise auch eine Belastung: Eine empathische Eltern-Kind-Interaktion und daraus folgend eine sichere Bindung scheinen die Entwicklungspotentiale behinderter Kinder positiv zu beeinflussen (H. Rauh, C. Calvet 2004, L. Capps et al. 1994) Mögel, 17.11.2011

Das reale - gesunde - Kind erlaubt die Integration von Ambivalenz und Ideal Mögel, 17.11.2011

Die -gesunde- elterliche Ambivalenz kann durch das kranke/behinderte Kind schuldhaft erlebt werden Mögel, 17.11.2011

Unterschiede in der Verarbeitung von eindeutiger Behinderung und subtileren Entwicklungsdefiziten „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie jedoch ist auf ihre besondere Weise unglücklich.“ Leo Tolstoj, Anna Karenina Behinderung / Erkrankung: herausforderndes Schicksal diffusere, diskrete Einschränkungen wie Lernbehinderungen und emotionale oder Verhaltensstörungen: chronische Schuld- und Schamgefühle Mögel, 17.11.2011

Befindlichkeit der verletzten Elternschaft und ihre Folgen für die Beziehung Angst, Stress, Hyperarousal widersprüchliches Verhalten Schamgefühle Rückzug, Unterinvolviertheit Schuldgefühle Ärger, Überengagement, Flucht nach vorn Fallbeispiel: das ist nicht mein Kind Ein bei Frühgeburten, aber auch nach traumatischen Geburten bekanntes Phänomen, ist der plötzliche Besetzungsabzug der Eltern vom Kind oder von den Mitteilungen der Umwelt. Dieser Rückzug dient meist der Stabilisierung des eigenen psychischen Gleichgewichts und führt häufig mit der Umgebung zu erheblichen Konflikten. M. Lenzlin Wagner: Beratungswunsch sei durch multiple Belastung der Eltern komplex- dagegen Ambivalenz G. Zeller Steinbrich: „zwischen ergebnisloser Beratung und überfordernder Psychotherapie der Begleitperson“ Mögel, 17.11.2011

Diese Befindlichkeit ergreift auch die Helfer Hindernisse in der Zusammenarbeit mit den Eltern Besetzungsabzug/ Abspaltung/Verleugnung: Schutz vor Desintegration Kämpfe auf Nebenschauplätzen Schuld- und Schamgefühle Abwehr von Trauer und Ohnmacht Kindesschutz Mögel, 17.11.2011

Verlängerung der „Mutterschaftskonstellation“ (D. Stern 1995) Das (Über)leben und Gedeihen des Kindes Die primäre Bezogenheit (Dialog) Eine unterstützende Matrix: bemutterndes Netzwerk Die Integration der alten und neuen Identität Diese, für die peripartale Zeit typischen, Ängste und Hoffnungen der Eltern, bleiben bei belasteten Kinder anhaltend reaktiviert. Mögel, 17.11.2011

Wie beantwortet die Behandlung die Sorge um das Überleben/Gedeihen des Kindes ? Kann der Blick auf das Entwicklungsbedürfnis des Kindes gelenkt werden? Wird in der Behandlung der Beitrag der Eltern zum Gedeihen des Kindes sichtbar? Eine Allianz zwischen TherapeutIn und Eltern in der Sorge um das Kind (v. Klitzing) ist das Ziel, nicht der Anfang Die Schwierigkeit der begleitenden Elternarbeit liegt darin, dass wir uns nicht soweit in den Strudel der Depression und Schuldgefühle der Eltern ziehen lassen sollten, dass wir uns mit ihnen in Kämpfe verwickeln, wo es darum ginge mit den Eltern zusammen den Blick auf das reale Kind zu richten. Das kann bei entwicklungsbehinderten Kindern immer wieder schmerzlich sein. Mögel, 17.11.2011

Wie unterstützt die Behandlung die primäre Bezogenheit/ den Dialog? Durch den Fokus auf Momente bedeutungsvollen Austauschs zwischen dem kleinen Kind und seinen Eltern Psychotherapie: Behandlung der Verunsicherung der elterlichen Empathie Frühförderung: Beteiligung der Eltern am Therapieprozess Durch das Interesse am Wohlergehen der Elternkind-Beziehung (Gute Grossmutter-Übertragung, D. Stern) Mögel, 17.11.2011

Ziele in der Zusammenarbeit mit den Eltern Wiedergewinnung des Kompetenzgefühls/der Selbstwirksamkeit als Eltern - die eigene Bedeutung für das Kind erleben Das Kind als getrennt/ eigenständig wahrnehmen Von Schuldgefühlen zu nützlicher Besorgnis Novick & Novick 2001 Mögel, 17.11.2011

Bemutterndes Netzwerk 1/Familie Netzwerke fördern die soziale Integration junger Eltern und entlasten die therapeutische Beziehung Wie sind das Kind, seine Eltern und wie ist die Beeinträchtigung des Kindes in die erweiterte Familienstruktur integriert? Mögel, 17.11.2011

Bemutterndes Netzwerk 2/Gesellschaft Welche gesellschaftliche Zugehörigkeit wird Eltern und Kind zuteil? Mögel, 17.11.2011

Bemutterndes Netzwerk 3/Helfer Begleitet, ersetzt, verhindert das Helfernetz des behinderten, besonderen Kindes die Integration in die „peer-Gruppen“ des Kindes und der Eltern ? Wieviele Helfer muss die Familie „bewirtschaften“? Mögel, 17.11.2011

und beim Übergang ins Schulsystem? Der Übergang von der Kleinkindheit in den Kindergarten und damit in das Schulsystem ist für alle Familien mit Hoffnungen und Ängsten verbunden. Wie sind die Eltern des besonderen Kindes auf den Wechsel in die weniger anpassungsfähige schulische Umwelt vorbereitet? Wer begleitet Eltern und Kind? Mögel, 17.11.2011

Zusammenfassung Behinderungen und Beeinträchtigungen des Kindes stören und verlängern psychologische Prozesse der frühen Elternschaft Die besonders geforderte Feinfühligkeit setzt Zuversicht in die Entwicklung des Kindes und der eigenen Elternschaft voraus Trägt die Behandlung zur Selbstwirksamkeit der Eltern bei? Mögel, 17.11.2011

Literatur Keren M., Tyano S. et al. (2010): Parenthood and Mental Health, Wiley and Sons, New York Novick, J. und Novick , K.K. (2001): Parent work in analysis: children, adolescent and adults. Part I: The evaluation phase. In: Journal of Infant, Child, Adolescent Psychotherapy 1, 55-77 Ornstein A., Ornstein P. (1994): Elternschaft als Funktion des Erwachsenen-Selbst: Eine psychoanalytische Betrachtung der Entwicklung. In: Kinderanalyse, 3, 351-376 Pelchat D. et al (1999): Adaptation of parents in relation to their 6-month-old infant’s type of disability, In: Child: Care, Health and Development, Volume 25, Issue 5, 377–398 Ritzmann I. (2008): Sorgenkinder. Kranke und behinderte Mädchen und Jungen im 18. Jahrhundert, Böhlau, Wien Stern D: Mutterschaftskonstellation, Klett-Cotta Stuttgart Rauh, H., Calvet C.(2004) Ist Bindungssicherheit entwicklungsfördernd für Kinder mit Down-Syndrom?, In: Kindheit und Entwicklung, Vol. 13,4,217-225 Rauh H. (2004): Kindliche Behinderung und Bindungsentwicklung in: Ahnert L. (2004): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. Reinhardt, 321 ff von Klitzing K. (2005): Rivalen oder Bündnispartner? Die Rolle der Eltern bei der analytischen Arbeit mit Kindern Kinderanalyse, Zeitschrift, Heft 2, 113-121 Soulé M. (1982): L’enfant dans la tete – l’enfant imaginaire. In: Brazelton T.B. (Hg.): La dynamique du nourrisson. Les Editions ESF, Paris (S. 135-175) Mögel, 17.11.2011

Bildquellen Nese Erdok, * 1940: Sick Child (1993) H. Van Rijn Rembrandt (1606-1669): Heilige Familie (1666) Andrea Mantegna (1431-1506): Madonna col bambino (1465/70) Edvard Munch (1863-1944): Das kranke Kind, 1896 Giovanni Bellini (1430-1516): Jesu im Tempel (1470/80) Gabriel Metsui (1629-1667): Das kranke Kind (1660/65) George de la Tour (1593-1652): Le nouveau-né (1645) Peter Paul Rubens (1577-1640), Heilige Familie, Madrid Prado Antiveduto Gramatica (1571-1626): Sacra Famiglia con Sant‘Anna Berthe Morisot Auguste Renoir (1841-1919): Mary Cassatt (1844-1926): Die Bootsfahrt (1893) Mögel, 17.11.2011