Günther Fleck Universität Wien

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 Präsentation transkript:

Günther Fleck Universität Wien Paranormale Menschenkenntnis? Kritische Reflexion eines verblüffenden Phänomens Günther Fleck Universität Wien

Wie lässt sich ein derartiges Wissen erklären? Hypothese I: Das Wissen wurde mit Hilfe paranormaler Fähigkeiten erworben (Gedankenlesen, Gedankenanzapfen). Hypothese II: Das Wissen wurde mittels psychologischer Methoden gewonnen und hat nichts mit PSI zu tun.

ÜBERSICHT I. Persönlichkeitspsychologie und Menschenkenntnis II. Aspekte der Wissenserzeugung III. Erkenntnishaltungen zur Parapsychologie und ihre affektive Seite (Frame of Reference) IV. Psychologische Methoden paranormaler

I. Persönlichkeitspsychologie und Menschenkenntnis Eigenschaftszentrierte Situationszentrierte Interaktionale Systemische Betrachtungsweise

II. Aspekte der Wissenserzeugung Erkenntnisinteressen Erkenntnisformen Problematik objektiver Erkenntnis Formen der Wissensgewinnung Realistische versus konstruktivistische Wissenstheorie

Forschungsleitende Erkenntnisinteressen (n. Kurt Eberhard, 1987) Phänomenales Erkenntnisinteresse „Was ist los?“ Kausales Erkenntnisinteresse „Warum ist das so?“ Aktionales Erkenntnisinteresse „Was ist zu tun?“

3 Formen der Erkenntnis (Peter Janich, 2000) Individuelles Privatwissen Vor- und außerwissenschaftliches öffentliches Wissen Wissenschaftliches Wissen

Was ist Wissenschaft? Nach der realistischen Alltagsauffassung strebt die Wissenschaft danach, die Welt, in der wir leben, zu beschreiben und zu erklären (vgl. Alan Musgrave, 1979). Objektive Erkenntnis wird angestrebt.

Erkenntnistheorie (mod. n. Helmut Spinner, 1974) Es soll die echte, objektive Erkenntnis von illegitimen Konkurrenzprodukten unterschieden werden. Wie lassen sich echte, rational akzeptable Erkenntnisse von Mythen, Märchen, haltlosen Spekulationen und irrationalen Dogmen – kurz: objektive Erkenntnis von subjektivem Vorurteil – abgrenzen?

Problem objektiven Wissens Es gibt nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Repräsentationen der Wirklichkeit (vgl. Ian Hacking, 1983). Da der Mensch nicht in der Lage ist, den Gottesgesichtspunkt einzunehmen, bleibt ihm der Zugang zur „wahren“ Beschaffenheit der Wirklichkeit verwehrt (vgl. Hilary Putnam, 1981).

2 Arten von Objektivität (n. Ernst von Glasersfeld, 1997) Wissen, das beansprucht, die Welt zu beschreiben wie sie ist. Wissen, das beansprucht, intersubjektiv zu sein.

Objektivität Heinz von Foerster Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden.

Suche nach Ordnung Die Suche nach Ordnung, Regelmäßigkeit und Sinn ist eine allgemeine Eigenschaft menschlicher Denkprozesse. Es ist eine unserer wichtigsten Formen der Anpassung in unserer ewig wechselnden Welt. Gustav Jahoda (1969)

Problem der Ungewissheit Der Mensch gibt der Natur eine Ordnung, wird aber nie erfahren, ob diese Ordnung, die er der Natur gibt, auch die Ordnung der Natur ist. Immanuel Kant (Prolegomena § 38)

Formen der Wissensgewinnung Wissen durch Beschreibung (= Wissen über etwas ) Wissen durch unmittelbare Bekanntmachung (= Vertraut sein mit etwas) Wissen durch Identifikation (= Wissen durch Einfühlung und Einswerdung)

Erkenntnistheoretische Grundpositionen (n. Hans Rudi Fischer, 2000) Realismus Konstruktivismus

Realismus I. Es gibt eine wohlstrukturierte Welt, die unabhängig von unseren Vorstellungen, Beschreibungen bzw. Repräsentationen von ihr existiert (ontologische Prämisse). II.Die in I. postulierte Welt ist prinzipiell erkennbar, wir können objektives Wissen in Form zutreffender, wahrer Darstellungen erlangen (epistemologische Prämisse).

Konstruktivismus I. Wir können eine von uns als unabhängig gedachte Welt prinzipiell nicht erkennen. II.Wir erzeugen die uns bekannte Welt mit Hilfe mentaler Operationen (inferentieller Prozesse), mit Hilfe unsere Begriffe – d.h., die Idee von einer gegenüber unseren Vorstellungen unabhängigen Welt (Ontologie bzw. Metaphysik) ist obsolet.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) Da Wissen nur in der Erfahrungswelt geprüft werden kann, läßt sich seine Brauchbarkeit („Viabilität“) ermitteln, nicht aber seine Wahrheit im ontologischen Sinn, der den meisten Philosophen vorschwebt.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) II. Wenn sich eine Handlungs- oder Denkweise unter bestimmten Umständen als brauchbar erweist, so heißt das nicht, daß sie die einzig mögliche ist.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) III. Aus der konstruktivistischen Perspektive ist es eine Illusion, daß Sprache an und für sich die Fähigkeit habe, Begriffe und somit Wissen von einer Person zu einer anderen zu übermitteln.

III. Erkenntnishaltungen zur Parapsychologie und ihre affektive Seite Skeptische Haltung Romantische Haltung Kritische Haltung

Skeptische Haltung Rationale Ebene (explizit) Es gibt bislang keinen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz von PSI. PSI – Phänomene würden im Fall ihrer Existenz wissenschaftlich bewiesene Gesetze verletzen. Alle sog. PSI – Phänomene lassen sich auf natürliche Weise erklären. Wissenschaftsgläubigkeit im traditionellen Sinn.

Skeptische Haltung Emotionale Ebene (implizit) Die grundsätzliche Möglichkeit der Existenz von PSI erzeugt Angst und wird abgewehrt (Gefahr der Unkontrollierbarkeit, Bodenlosigkeit, Autonomieverlust). Conclusio PSI darf nicht sein  PSI kann nicht sein  PSI existiert nicht

Romantische Haltung Rationale Ebene (explizit) PSI wird als existent angenommen. Die Möglichkeit der Nichtexistenz von PSI wird kategorisch ausgeschlossen. Jeder Mensch hat Zugang zu PSI, wenn er nur die richtige Einstellung hat. Ablehnung des Szientismus bzw. ausgesprochene Wissenschaftsfeindlichkeit.

Romantische Haltung Emotionale Ebene (implizit) Die grundsätzliche Möglichkeit der Nichtexistenz von PSI erzeugt Angst und wird abgewehrt (Gefahr der Entwurzelung und Isolation, Harmonieverlust). Conclusio Die Nichtexistenz von PSI darf nicht sein  die Nichtexistenz von PSI kann nicht sein  PSI existiert

Kritische Haltung Die Möglichkeit der Existenz paranormaler Phänomene wird von vornherein weder strikt abgelehnt noch leichtgläubig als gegeben angenommen.

Wissenschaft und Glaubwürdigkeit Ein Sozialpraktiker wird wie jeder andere Mensch an Glaubwürdigkeit gewinnen, - wenn er Auskunft geben kann über seine Denkvoraussetzungen; - wenn er sie nicht dogmatisch, sondern hypothetisch vertritt; - wenn er berücksichtigt, daß sein Denken durch bewußte und unbewußte Bedürfnisse beeinflußt wird;

Wissenschaft und Glaubwürdigkeit - wenn er gegnerische Auffassungen ernst nimmt; - wenn er nach hypothesenwidrigen Fakten sucht; - wenn er die Wahrscheinlichkeit der Selbstwiderlegung durch geeignete Kommunikationsformen steigert; - wenn er die Aufdeckung eigener Irrtümer als Lernchance begrüßt;

Wissenschaft und Glaubwürdigkeit - wenn er sich als lernfähig erweist; - wenn er das Gelernte in Verhalten umsetzt; - wenn er sich also intensiv um Wahrhaftigkeit bemüht. Kurt Eberhard

IV. Psychologische Methoden vermeintlich paranormaler Menschenkenntnis Cold Reading Barnum-Effekt Suggestionen

Erik Jan Hanussen Was ist Magie? Die Menschen in dem geliebten Glauben an das Wunderbare nicht zu stören, sondern zu bestärken.

Harry Houdini Magier und fanatischer Spiritistenjäger Der Kampf gegen betrügerische Geisterbeschwörer wurde von Houdini zum Lebensinhalt auserkoren.

Cold Reading Ray Hyman (1977) Cold Reading (Kaltes Lesen) ist eine Methode, mit deren Hilfe der Leser imstande ist einen Klienten, dem er zuvor noch niemals begegnet war, davon zu überzeugen, alles über dessen Persönlichkeit und Probleme zu wissen. Die Methode basiert im wesentlichen auf ausgeklügelter Menschenkenntnis, sozialer Fertigkeit und feiner Wahrnehmungsgabe.

Barnum-Effekt Der Barnum-Effekt bezieht sich auf die Vorliebe des Menschen, sich mit Persönlichkeitsbeschreibungen allgemeiner und vager Beschaffenheit zu identifizieren. Dieser Effekt wird von Mentalmagiern gezielt zur „Überzeugung“ der Betroffenen eingesetzt.

Suggestion Unter Suggestion wird in Anlehnung an O. W. Haseloff (1973) die Einbringung von Überzeugungen unter Umgehung rationaler Kontrollen des Kommunikanten verstanden. Direkte versus indirekte Suggestionen.

Probleme Echtheit der Phänomene (Täuschung, Betrug) Widerspruch zu bekannten Naturgesetzen Wiederholbarkeit Spontane Phänomene Absichtlich erzeugte Phänomene (Trainierbarkeit?)

Conclusio Paranormale Menschenkenntnis stellte sich bislang in den meisten Fällen, die kritisch untersucht wurden, als Fiktion dar. Sie beruht auf feinen psychologischen Methoden, die den meisten Menschen unbekannt sind und von Wahrsagern, Hellsehern etc. äußerst raffiniert eingesetzt werden. Die dabei erzielten Wirkungen vermögen mitunter auch kritisch denkende Menschen emotional zu erschüttern.

Conclusio Im Hinblick auf die Psychohygiene der Bevölkerung ist sachliche Aufklärung und Beratung angebracht, will man nicht Scharlatanen unterschiedlichster Provenienz mit sehr fragwürdigen geschäftlichen Interessen Tür und Tor öffnen. Allerdings bleibt die Frage, inwieweit echte paranormale Menschenkenntnis gelegentlich doch vorkommen mag, weiterhin offen.