Co- traumatische Prozesse in der Eltern- Kind- Beziehung

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 Präsentation transkript:

Co- traumatische Prozesse in der Eltern- Kind- Beziehung Karl Heinz Pleyer, Dipl. Psych., Tagesklinik f. Kinder, Viersen

Zum Konstrukt des „parentalen“ Traumas Plausibel: Störungen im Bindungsprozess zwischen Eltern und Kind sind potentiell traumatisch für das Kind. Die massivste Bedrohung für die frühe Hirnentwicklung ist eine Trennung von der Mutter! Kinder, die im ersten Lebensjahr lang anhaltend traumatisiert (Misshandlung oder Vernachlässigung) oder durch traumatisierte Eltern betreut wurden, entwickeln eine Cortisol- Überproduktion, die zur Zerstörung bereits entwickelter Synapsen- Vernetzungen (Corpus Callosum und Kortex) und zu einer Dysregulation von neuro-biologischen Regelkreisen führen kann. Nicht plausibel: Bindungsstörungen ausschließlich ein Entwicklungsrisiko für das Kind?

Das „parentale“ Trauma ein fehlender Baustein in der Psychotraumatologie? Traumatischer Stress für Eltern, vergleichbar mit einer eigenen existenziellen Bedrohung: Der tatsächliche oder drohende Verlust eines Kindes, eine existenzielle Bedrohung des Kindes, das erlebte Scheitern seiner Entwicklung, das erlebte Scheitern der elterlichen Beziehung zum Kind. Bei Nicht-Gelingen der verantwortlichen Versorgung eines Kindes, bei erlebtem Scheitern in der elterlichen Rolle müssen grundsätzlich post- traumatische Belastungsreaktionen als mögliche Folgen in Betracht gezogen werden.

In welchen Kontexten gehen parentale Kompetenz und Verantwortlichkeit verloren? Verschiedene Entstehungskontexte waren beobachtbar: 1. „Mitgebrachte“ traumatische Erfahrungen durch eigene Eltern (ca. 30%) Misshandlungserfahrungen eines Elternteils durch eigene Eltern (Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung etc.) Frühe Bindungs- bzw. schwere Beziehungsstörungen eines Elternteils zu den eigenen Eltern

2. chronisch traumatisierende Belastungen aus der 2. chronisch traumatisierende Belastungen aus der Eltern- Kind- Beziehung (ca. 70%) z. B.: Sensorische oder motorische Entwicklungsbehinderung des Problemkindes Ungewollte Schwangerschaft mit Ablehnung des Kindes vorausgegangene schwere (oder chronische) Krankheit des Problemkindes Pflege- und Adoptivverhältnisse bei Kindern mit frühen Störungen

3. andere belastende Faktoren (Stressoren) (ca. 90%) Verlusterfahrungen wie Tod, Trennungen, Ablösungen, etc. Chronische Disqualifikation der parentalen Funktion bzw. störende Eingriffe durch Partner oder Familienmitglieder Anhaltend verunsichernde Einwirkung durch „Helfer“ oder helfende Institutionen Beeinträchtigung durch schwere oder andauernde Krankheit eines Elternteils Wirtschaftliche Not/ ungünstige Wohnverhältnisse

Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (Disorder of Extreme Stress not otherwise specified = DESNOS) als eigene diagnostische Kategorie vorgeschlagen von Judith Herman (1994), zu diagnostizieren mit dem strukturierten Interview zur Erfassung von „Störungen durch extremen Stress, IK-PTBS: (van der Kolk (2000), deutsch von Sack u. Hofmann (2001) Störungen in der Regulation von Affekten und Impulsen Störungen der Wahrnehmung oder des Bewusstseins Störungen der Selbstwahrnehmung Störungen in den Beziehungen zu anderen Menschen Somatisierung Veränderung von Lebenseinstellungen

Parentale Hilflosigkeit ein systemisches Konstrukt Definition als Ergebnis klinischer Beobachtung: Folge und Begleiterscheinung eines nachhaltig erlebten Scheiterns in der Elternrolle Beeinträchtigung der erzieherischen Lösungskompetenz bzw. der parentalen Verantwortlichkeit, die über eine vorübergehende Ratlosigkeit in einer Krise deutlich hinausgehen und sich im Wesentlichen auf den Umgang mit dem Symptomverhalten des Problemkindes beziehen. 2

Vier Symptomatische Phänomene Parentale Hilflosigkeit ein systemisches Konstrukt Vier Symptomatische Phänomene Selektive Wahrnehmung und Fehldeutungen gegenüber den Botschaften des Kindes bzw. seiner Bedürfnisse 2. Konfliktvermeidung und Vermeidung von Präsenz 3. aktive bzw. passive Verantwortungsabgabe 4. Isolation und fehlende Kooperation auf der Erwachsenenebene 3

Die co- traumatische Beziehungskonstellation Wie stehen parentale Hilflosigkeit und kindliche Verhaltensauffälligkeiten miteinander in Beziehung? Die co- traumatische Beziehungskonstellation

Eltern Kind Belastungen durch Umgebung/ helfende Institutionen traumatische Geburt/ Behinderungen/ Krankheiten Stressbelastung mit Hilflosigkeitsgefühlen und Versagensangst Symptomverhalten Selbstregulation z. Ressourcensicherung: Kampf um Autonomie, Nähe, Akzeptanz, Deutlichkeit in der Kommunikation etc. Traumatische Verarbeitung Traumatische Verarbeitung Eltern Kind Parentale Hilflosigkeit als posttraumat. Syndrom Wahrnehmungsverzerrungen, Konfliktvermeidung, Verant- wortungsabgabe, Isolation Belastungserleben Über-/Unterstimulation, Mangel an Kohärenz, Stabilität, Sicherheit etc. eigene traumatische Erfahrungen Belastungen durch Umgebung/ Schule, etc Abb.: Co- traumatische Prozesse in der Eltern- Kind- Beziehung

Traumaphänomene als Merkmale der Beziehungsregulierung in Familien, die die Hilfe einer kinderpsychiatrischen Klinik in Anspruch nehmen, sind eher die Regel als die Ausnahme ! 7

Grundannahmen über kindliches Problemverhalten II Symptome „kommen selten allein“: Symptome und „parentale Hilflosigkeit“ entstehen miteinander. Sie sind reflexiv aufeinander bezogen und bedingen sich gegenseitig in einem sich co-kreativ entwickelnden Beziehungsgeflecht. Symptome und „PH“ stehen zueinander in Beziehung wie „Henne und Ei“. Sinn und Funktion des symptomatischen Verhaltens erschließen sich angesichts der untauglichen Bewältigungsversuche der Eltern. Symptome sind in der Regel erst im Kontext der „pH“ entschlüsselbar. Symptome können therapeutisch genutzt werden für den Veränderungs- bzw. Lösungsprozess : in ihrem Ausdruckscharakter und Informationsgehalt: Sie verweisen auf zentrale Themen innerhalb der Familie. in ihrer beziehungserzeugenden und systemgestaltenden Funktion: Sie steuern Nähe und Distanz in undeutlich oder ambivalent erlebten Beziehungen. in ihrem energetischen Aspekt: Symptome liefern die Energie für Veränderung im System 10

Konsequenzen für traumaorientierte Hilfen Eltern und Kind als Einheit verstehen und behandeln Enge Bündnisse mit Eltern machen, ihre Problemsicht und Lösungsversuche (auch als posttraumatische Bewältigungsstrategien) respektieren Selbstwirksamkeitsbewusstsein der Eltern stärken das Erleben positiver Gegenseitigkeit unterstützen bzw. herbeiführen die kindliche Symptomatik therapeutisch nutzen Konflikte zwischen Eltern und Kind fördern und coachen die Wiederbelebung des Sprechens über Gefühle fördern dem Vergangenen eine neue Bedeutung geben und es von gegenwärtig Erlebtem unterscheiden lernen Den richtigen Zeitpunkt beachten 11

Therapeutische Optionen 1. auf der Ebene der Kognitionen 2. auf der Ebene der Emotionen 3. auf der Ebene des Handelns 13

1. auf der Ebene der Kognitionen Therapeutische Einwirkungsmöglichkeiten 1. auf der Ebene der Kognitionen Phänomene: Verlust der parentalen Wirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen mit erheblichen Erschütterungen im parentalen Selbstbild Ther. Vorgehen: Schaffen von Erfolgserlebnissen in der Beziehung zum Kind: Erfolge unmittelbar erlebbar machen Neukonstruktion eines passenden parentalen Selbstbildes 14

Therapeutische Einwirkungsmöglichkeiten 2. auf der Ebene der Emotionen Phänomene : Verunsicherung mit ambivalentem Beziehungs- und Bindungserleben bzw. verdeckter bzw. offener emotionaler Distanzierung vom Kind und einem tendenziellen Energieverlust in der Beziehungsgestaltung Ther. Vorgehen: Affektive Rahmung in der Beziehungsgestaltung mit Eltern Schaffung von Sicherheit für Eltern und Kind Schaffen emotional positiver Erfahrungen mit dem Kind 15

3. auf der Ebene des Handelns Therapeutische Einwirkungsmöglichkeiten 3. auf der Ebene des Handelns Phänomene: Beeinträchtigung in der erzieherischen Handlungskompetenz mit perseverierenden Lösungsversuchen, die ihr Ziel nicht erreichen und der Tendenz „mehr desselben“ zu versuchen Ther. Vorgehen: Verbindlichkeiten schaffen, Zum Entscheiden und zum Handeln anregen, Lösungen selbst erfinden und durchführen lassen 17

Methodische Vorgehensweisen Verbünden mit der Problemsicht Eltern, ihre (traumatischen) Lösungsversuche mittragen, mitgehen, affektive Bündnisse als vertrauensbildende Maßnahmen Stärkung des elterlichen Wirksamkeitsbewusstseins das Erleben positiver Gegenseitigkeit herbeiführen, unterstützen therapeutische Nutzung der kindlichen Symptomatik als Ressource fördern und coachen von Konflikten zwischen Eltern und Kind fördern die Wiederbelebung der Kommunikation über Gefühle Die erlebten Belastungen der Eltern thematisieren, dem Vergangenen eine neue Bedeutung geben und es von gegenwärtig Erlebtem unterscheiden 18