Ministerialrat Dr. Bernd Moritz Bösert

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 Präsentation transkript:

Ministerialrat Dr. Bernd Moritz Bösert Leiter des Referats II A 1 (Strafgesetzbuch Allgemeiner Teil) Novellierung des Rechts der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB Psychiatrische Maßregel und Gemeindepsychiatrie Symposium am 27. Mai 2015, Berlin, Diakonie Deutschland

Anlässe für Novellierungsüberlegungen: Formell: Auftrag der Justizminister/innen-Konferenz (JuMiKo) der Länder vom 14. November 2013 Koalitionsvertrag vom 27. November 2013 Inhaltlich: Fall aus Bayern Seit Jahren steigende Zahl der nach § 63 StGB unter- gebrachten Personen, ohne konkrete Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit der Betroffenen

Statistische Grundlagen: Zahl der nach § 63 StGB untergebrachten Personen (Bestandsstatistik, ohne die neuen Bundesländer): Jahr Anzahl 1970 4.222 1980 2.593 1990 2.489 1995 2.902 2000 4.098 2005 5.640 2010 6.569 2013 6.652 Bundesweit zum 31.12.2010 7.752

Durchschnittliche Verweildauer in der Unterbringung nach § 63 StGB (in Jahren) 2003 5,9 2006 6,4 2008 6,2 2012 knapp 8 Jahre

Zahl der Anordnungen von Unterbringungen nach § 63 StGB (gesamtes Bundesgebiet) Jahr Anzahl 1992 533 1997 739 2002 864 2005 861 2007 1.023 2008 1.104 2009 968 2010 948 2011 881 2012 817 2013 815

Ziel der Novellierungsüberlegungen JuMiKo: Bedarf für eingehende Prüfung, inwieweit Handlungsbedarf für eine stärkere Ausrichtung des Unterbringungsrechts am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besteht. BMJV soll hierzu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einsetzen und bereits vorgestellte Reformüberlegungen (insbesondere zu Anlasstaten, Gefahrenprognose, Befristung, Überprüfungsfristen und Begutachtung) einbeziehen. Koalitionsvertrag: Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen. Hierzu setzen wir eine Bund-Länder-AG ein.

Verfahrensablauf BMJV beruft Februar 2014 Bund-Länder-AG ein: Mitglieder werden Vertreter von 10 Landesjustizverwaltungen und 5 Vertreter der AG Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden; auf Bundesseite nimmt neben BMJV auch BMG teil Beratungen erfolgen in fünf Sitzungen im März, Mai, Juni, September und Oktober 2014 und zwei anschließenden schriftlichen Abstimmungsrunden Bund-Länder-AG erarbeitet Diskussionsentwurf mit Begründung, der am 20. Januar 2015 auf der Internetseite des BMJV nebst einem Ergebnisbericht veröffentlicht wird BMJV erarbeitet auf dieser Grundlage Referentenentwurf, der am 30. April 2015 an die Ressorts und am 18. Mai 2015 an Länder und Verbände zur Stellungnahme übermittelt wird

Ausgangspunkt der Überlegungen: Das geltende Recht: I. Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB: Rechtswidrige Tat (Anlasstat) im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit Vom Täter sind infolge seines Zustands zukünftig erhebliche Taten zu erwarten, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich ist Die Verhältnismäßigkeit i. S. d. § 62 StGB muss gegeben sein

Geltendes Recht: II. Materielle Anforderungen für Beendigung / Fortdauer der Unterbringung (§ 67d StGB): Aussetzung zur Bewährung, wenn keine rechtswidrigen Taten mehr zu erwarten sind (Absatz 2 Satz 1) Erledigung, wenn Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder weitere Vollstreckung unverhältnismäßig ist (Absatz 6 Satz 1) III. Prozessuale Anforderungen an Fortdauerentscheidung (§ 463 StPO) Begutachtung durch externen Sachverständigen nach 5 Jahren (Absatz 4 Satz 1) Extern: nicht im Rahmen des Vollzugs mit Behandlung befasst oder Mitarbeiter im psychiatrischen Krankenhaus (Absatz 4 Satz 2)

Von der Bund-Länder-AG identifizierte „Stellschrauben“: Bei den Anordnungsvoraussetzungen (§ 63 StGB): Konkretisierung der zu erwartenden Taten Bei den materiellen Anforderungen für Fortdauerentscheidungen (§ 67d Absatz 2 und 6 StGB): Aussetzung, wenn keine „erheblichen“ Taten mehr zu erwarten sind Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Erledigungen: Längere Unterbringungen erfordern erhöhte Gefahren Im Verfahrensrecht, insbes. Begutachtungen (§ 463 StPO): Konkretisierung und Intensivierung der Begutachtungserfordernisse Vermeidung von sich selbst bestätigenden Routinegutachten

I. Bei den Anordnungsvoraussetzungen (§ 63 StGB): Konkretisierung der zu erwartenden Taten Konkretisierung bei den drohenden Taten (Satz 1): „ (…) erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, (…)“ Erhöhung/Konkretisierung der Anforderungen bei einer nicht erheblichen Anlasstat (neuer Satz 2): „Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.“

Praktische Bedeutung: „Schwerer“ wirtschaftlicher Schaden: drohende Schäden von 100 bis 185 Euro (so noch BGH 1 StR 518/07 vom 20. November 2007 für Kreditkartenbetrug) können Unterbringung nicht mehr rechtfertigen; Richtgröße laut Begründung bei etwa 5.000 Euro (= dreifaches Netto-Durchschnittseinkommen); 2012 beruhten knapp 6% der Anordnungen auf „Vermögensdelikten“ i. w. S. Erhebliche seelische oder körperliche Schädigung oder Gefährdung: laut Begründung nicht mehr ausreichend einfache Ohrfeige, Ziehen an den Haaren, Stoß gegen die Brust, Kniff in das Gesäß, wobei sich aber jede schematische Betrachtung (weiterhin) verbietet

II. Bei den materiellen Anforderungen an Fortdauerentscheidungen (§ 67d StGB) Aussetzung zur Bewährung (Absatz 2 Satz 1): Klarstellung, dass nur die Gefahr „erheblicher“ Taten die Fortdauer rechtfertigen kann (Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen einer „integrativen Betrachtung“) Erledigung wegen Unverhältnismäßigkeit (Absatz 6 Satz 2 und 3): Erhöhte Gefährlichkeit erforderlich, um Unterbringung über 6 bzw. 10 Jahre hinaus zu rechtfertigen

Nach 6 Jahren: Drohende wirtschaftliche Schäden genügen in der Regel nicht mehr (Ausnahme „Dürer-Fall“; OLG Hamburg 3 Ws 61/04, wenn unersetzbarer Schaden an Weltkulturerbe) Es müssen Taten drohen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich „schwer“ geschädigt werden oder in die Gefahr einer solchen Schädigung gebracht werden. Dies erfasst lt. Begründung jedenfalls alle Verbrechen sowie Taten der mittleren Kriminalität mit hohem Schweregrad. Erfasst werden insbesondere schwere Gewaltdelikte und grundsätzlich alle Sexualdelikte, insbesondere gegen Kinder, sowie Brandstiftungsdelikte. Ausgenommen werden im Kern nur „einfache“ Körperverletzungen ohne besondere Verletzungsfolgen

Nach 10 Jahren: Gleichlauf zur Sicherungsverwahrung: Es müssen Taten drohen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich „schwer“ geschädigt werden. Die bloße „Gefahr“ einer „Gefahr“ reicht also nicht mehr aus (Beispiel aus der Begründung, S. 34 des Referentenentwurfs: OLG Frankfurt/M. 3 Ws 878/13, Erledigung nach knapp 11 Jahren).

III. Prozessuale Bedingungen an Fortdauerentscheidungen (§ 463 StPO) Pflicht zur „gutachterlichen Stellungnahme“ der psychiatrischen Klinik für die jährliche Überprüfung Erhöhung der Frequenz für externe Gutachten von 5 auf 3 Jahre und nach 6 Jahren Unterbringung auf 2 Jahre Pflicht zum Wechsel der Gutachter („anderer“ Gutachter als im Erkenntnisverfahren und bei letzter Fortdauerentscheidung) Gutachter muss über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen Mündliche Anhörung des Betroffenen auch bei Erledigungsentscheidungen nach § 67d Absatz 6 StGB

Übergangsregelung, um Umstellungsprobleme durch erhöhte prozessuale Anforderungen abzumildern: Erhöhte Frequenz für externe Begutachtungen greift erst 2 Jahre nach Inkrafttreten Pflicht zum „anderen“ externen Gutachter greift erst 6 Monate nach Inkrafttreten

Neu im BMJV-Entwurf (ggü. Entwurf BL-AG): Umsetzung von BVerfG 2 BvR 2258/09 vom 27. März 2012 zur Anrechnung der Maßregelvollzugszeit auf „verfahrensfremde“ Strafen in Härtefällen § 67 Absatz 6 StGB-neu mit enger Anlehnung an BVerfG-Vorgaben für Härtefallentscheidung: Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzug zur Dauer der verhängten Strafen erzielter Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung Verhalten des Betroffenen im Vollstreckungsverfahren keine Anrechnung auf Strafe, die für nach der Maßregelanordnung begangene Tat verhängt wurde

Ebenfalls neu: Im Versendungsschreiben wird um Stellungnahme zu einer aktuellen Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB gebeten: Sollte in § 64 Satz 2 StGB bestimmt werden, dass in den Fällen des § 67d Absatz 1 Satz 3 StGB [= Verlängerung der zweijährigen Höchstfrist um die Dauer einer Begleitstrafe, soweit diese auf die Maßregelzeit angerechnet wird] eine hinreichende Erfolgsaussicht der Behandlung auch dann in Betracht kommen kann, wenn diese voraussichtlich mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen wird? (diese für die Praxis der Unterbringung bedeutsame Frage ist in Rechtsprechung und Lehre inzwischen umstritten)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Weiterer Zeitplan Stellungnahmefrist bis 31. Juli 2015 Danach Auswertung und ggf. Überarbeitung Regierungsentwurf für Herbst 2015 geplant Danach Parlamentarisches Verfahren Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit