Zwang und Freiheitsbeschränkung in der Altenpflege

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 Präsentation transkript:

Zwang und Freiheitsbeschränkung in der Altenpflege von Univ.-Ass. Mag. Maria Kletecka Rechtswissenschaftliche Fakultät Wien Abteilung Medizinrecht

Wieviel Freiheit ist möglich, wieviel Fürsorge ist erforderlich? Frage der Verantwortung Wieviel Zwang um Ziele durchzusetzen? Frage der Selbstgefährdung - Schutz vor sich selbst? (Extremraucher, Extremsportler) Freiheit = Risiko

Grundprinzipien unserer Rechtsordnung Liberale Verfassung Garantiert Freiheitsrechte, Meinungsfreiheit etc Selbstbestimmung Fürsorgepflicht Schutz der Schwachen als öffentliches Interesse (zB § 146b ABGB) Schutz vor Selbstschädigung

Rechtliche Rahmenbedingungen der Alten- und Pflegebetreuung Landes-Sozialhilfegesetze Entwurf Bundes-PflegeheimG (VfGH) Pflegevereinbarung Bundes-Seniorengesetz Heimgesetze der Länder Europäische Charta der Rechte und Freiheiten älterer Menschen in Heimen

Grund- und Persönlichkeitsrecht Verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte: B-VG, StGG, MRK, Verfassungsgesetze historisch: Schutz vor Privilegien einzelner Staatsbürger gilt zwischen Staat und Bürgern; Hoheitsverwaltung nur ausnahmsweise „Drittwirkung“ Regelungen zwischen Privaten werden idR im Privat- und Strafrecht getroffen Gleichheitssatz, Schutz der persönlichen Freiheit, Freizügigkeit der Person, des Vermögens und des Aufenthalts, Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Wohnung, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Schutz des Briefgeheimnisses, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Datenschutz

Zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz Betroffener muss Recht selber geltend machen Unterlassungsanspruch Bei Verschulden: Schadenersatz Generalklausel: § 16 ABGB Leben, Gesundheit, Erwerbsfähigkeit: §§ 1325 - 1327 ABGB Freiheit: §§ 1328, 1329 ABGB Privatsphäre, Geheimnisbereich: § 16 ABGB, § 1328a ABGB Achtung religiösen Empfinden: § 39 ABGB Recht auf einen würdigen Tod: § 16 ABGB

Strafrechtlicher Persönlichkeitsschutz Staat schützt gewisse Rechte zwischen Privaten selbst kein Schadenersatz Freiheitsentziehung: § 99 StGB Nötigung: § 105 StGB (fahrlässige) Körperverletzung: §§ 83 + 88 StGB Instichlassen eines Verletzten: § 94 StGB Unterlassen der Hilfeleistung: § 95 StGB Eigenmächtige Heilbehandlung: § 110 StGB Verletzung des Briefgeheimnisses: § 118 StGB

Zwang in der Pflege Rechtsordnung schützt grundsätzlich die Privatautonomie und die Selbstbestimmung Jede Zwangsausübung ist daher rechtfertigungsbedürftig Die Rechtsordnung enthält einige Rechtfertigungsmöglichkeiten für Zwang

Rechtfertigung von Zwang in der Pflege Gesetzliche Zwangsbefugnisse Wahrung öffentlicher Interessen Strafvollzugsrecht (§ 69 StVG: Zwangsuntersuchung, Zwangsbehandlung, Zwangsernährung; § 68a StVG; Maßnahmenvollzug in psychiatrischen Krankenanstalten) Seuchenrecht (zB EpidemieG, TbG) Suchtmittelrecht (Untersuchungspflicht) Diagnosepflichten (StVO, Abstammungsuntersuchung) Sozialversicherungsrechtliche Obliegenheiten UbG

Rechtfertigung von Zwang in der Pflege Familienrechtliche Entscheidungs- und Zwangsbefugnisse Einwilligung in die Heilbehandlung, Verbot der Sterilisation, Aufenthaltsbestimmung Allgemeine Rechtfertigungsgründe, die von jedermann in Anspruch genommen werden können Notwehr und Nothilfe Rechtfertigender Notstand (unmittelbar drohende Gefahren für höherwertige Rechtsgüter Einwilligung

Selbstbestimmungsrecht Privatautonomie Art 8 EMRK: Achtung des Privat- und Familienleben § 110 StGB § 146c ABGB Einwilligungsfähigkeit Einsichts- und Urteilsfähigkeit Referat => Dr. Bachinger

Selbstbestimmung § 110 StGB: Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. § 146c Abs 1 ABGB: Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen; ..... § 8 Abs 3 KAKuG: Behandlungen dürfen an einem Pflegling nur mit dessen Zustimmung durchgeführt werden; fehlt dem Pflegling in diesen Angelegenheiten die eigene Handlungsfähigkeit, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. .......

BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit Art 1 Abs 1: "Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit)". Art 2 Abs 1: "Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: ... 5. wenn Grund zur Annahme besteht, dass er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde; ..."

BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit Voraussetzungen: Selbst- oder Fremdgefährdung wegen psychischer Krankheit Ausbreitung ansteckender Krankheiten Achtung der Menschwürde und möglichste Schonung der Person Verhältnismäßigkeit Effizientes Rechtsschutzverfahren Ersatzansprüche bei rechtswidriger Anhaltung

BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit Freiheitsbeschränkung: Aufenthalt kann nicht nach freiem Willen verändert werden psychische Erkrankung: weiter als UbG sämtliche Erscheinungsformen geistiger Behinderung iSd § 273 ABGB Selbstgefährdung

Unterbringungsrecht (UbG) Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkung „ ... an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet ...“

Unterbringungsrecht „...nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden

Freiheitsbeschränkungen in Heimen Grundsätzlich derzeit unzulässig! Kompetenz des Bundes (VfGH - Entscheidung) Keine Bestimmung des Aufenthalts durch den Sachwalter! Ausnahmen: Allgemeinen Rechtsfertigungsgründe (Einwilligung, Nothilfe, Rechtfertigender Notstand) Behandlungsvertrag Pflicht zur Hilfeleistung gem § 95 StGB

Freiheitsbeschränkungen in Heimen Freiheitsentziehung: § 99 (1) Wer einen anderen widerrechtlich gefangen hält oder ihm auf andere Weise die persönliche Freiheit entzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Nötigung: § 105 (1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen. (2) Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet.