20 Jahre Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung

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 Präsentation transkript:

20 Jahre Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung 28. Januar 2015

„Die rechtliche Dimension des Gesundheitsbegriffs“ Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Ralf Möller

Der Gesundheitsbegriff in seiner allgemeinen (Sprach-) Bedeutung? zumeist negativ, v.a. Krankheit höchst individuell Gesundheit? Objektivierbar? Wohlbefinden

Der Gesundheitsbegriff in seiner allgemeinen (Sprach-) Bedeutung? WHO (1946): „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ BM Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie (1997): „Gesundheit wird als mehrdimensionales Phänomen verstanden und reicht über den Zustand der Abwesenheit von Krankheit‘ hinaus.“ Thomas von Aquin (13. Jh.): „Gesundheit ist weniger ein Zustand als eine Haltung, und sie gedeiht mit der Freude am Leben.“ Johann Wolfgang von Goethe (19. Jh): „Unter Gesundheit verstehe ich nicht ‚Freisein von Beeinträchtigungen‘, sondern die Kraft mit ihnen zu leben.“

Der Gesundheitsbegriff in seiner allgemeinen (Sprach-) Bedeutung? Ergebnis: es gibt keine allgemeine bzw. allgemein gültige Definition der Gesundheit die Gesundheit des Menschen kann als ein undefinierter Zustand des körperlichen, geistigen (mentalen) und seelischen (psychischen) Wohlbefindens und die Nichtbeeinträchtigung durch - ggf. objektiv (?) vorhandene - Krankheit bezeichnet werden

Der rechtliche Rahmen – internationale Normen Grundsatz: Gesundheit ist als grundlegendes Recht jedes Menschen allgemein anerkannt! Vereinte Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948): Gesundheit nicht ausdrücklich genannt – Lebensrecht, Verbot von Folter und Sklaverei Europäische Union, Charta der Grundrechte (2010), Art. 3 Abs. 1: „Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.“ zusätzlich: Lebensrecht, Verbot von Folter und Sklaverei

Der rechtliche Rahmen – nationale Normen Grundgesetz Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG: „Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.“ Gesundheit???

(Existenz-sicherung) Der rechtliche Rahmen – nationale Normen Grundgesetz – körperliche Unversehrtheit Schutzbereich: Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates Schutzpflicht des Staates auch präventiv! Teilhabe-anspruch Ausnahme (Existenz-sicherung)

körperliche Unversehrtheit = Gesundheit Der rechtliche Rahmen – nationale Normen Grundgesetz – körperliche Unversehrtheit Schutzgut: „körperliche Unversehrtheit“ „Sie garantiert positiv elementare Bedingungen für die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entfaltung.“ Problem: körperliche Unversehrtheit = Gesundheit aber: neben körperlicher Gesundheit auch Schutz von psychisch-seelischer Gesundheit BVerfG: wenn ein Eingriff in ihren Wirkungen einem körperlichen Eingriff gleichzusetzen ist

Der rechtliche Rahmen – nationale Normen Grundgesetz – körperliche Unversehrtheit Eingriff: Grundrechtsverletzung Grundrechtsgefährdung aber: keine Pflicht zur Gesundheitserhaltung Rechtfertigung: Gesetzesvorbehalt: Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG (Schranke) Gesetz muss selbst verfassungsrechtlichen Begrenzungen entsprechen (Schranken-Schranke) Einwilligung Geringfügigkeit???

Gestaltung der Gesundheit im rechtlichen Rahmen weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme Gesetzgeber darf lediglich nicht gänzlich ungeeignete oder völlig unzulängliche gesetzliche Regelungen schaffen Bürger hat „nur“ Anspruch auf sachgerechte Ausgestaltung und Teilhabe Prävention Leistungen vor bzw. unabhängig vom Eintritt des Versicherungsfalls Rehabilitation + Entschädigung Leistungen mit/nach Eintritt des Versicherungsfalls

Die rechtliche Dimension des Gesundheitsbegriffs – Fazit Der Begriff "Gesundheit" wird wörtlich im Grundgesetz nicht verwendet. Die Gesundheit wird verfassungsrechtlich insbesondere durch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. Die elementare Verfassungsnorm des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG schützt ebenfalls die Gesundheit. Neben dem Charakter als klassisches Abwehrgrundrecht beinhaltet das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zugleich eine Schutznorm, die auch die Gefahrenvorsorge umfasst, sowie in seltenen Ausnahmefällen einen Teilhabeanspruch auf konkrete Leistungen.

„Neuausrichtung der Heilverfahren 3.0“ Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Thomas Auhuber Liebe Studentinnen und Studenten, sehr geehrte Magnifizienz, geehrte Spektabilitäten, liebe Kollegen, Freunde, Bekannte und liebe Familie …

So mehrdimensional ist Gesundheit in Deutschland …

von der institutionellen Betrachtung zur sektoralen Betrachtung einer Gesundheitsregion – übersichtlichere Dimensionen … © Oberender & Partner

Heilverfahrenssteuerung – ein Weg zur „Gesundheit“ Behandlung von versicherten Personen nach Arbeits-, Schul- und Wegeunfällen und Berufskrankheiten „aus einer Hand“ vom Unfall bis zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung. Institutionelles Alleinstellungsmerkmal der gesetzlichen Unfallversicherung als intersektorale Versorgungsform. Beteiligung ausgewählter und besonders qualifizierter ÄrztInnen, TherapeutInnen, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen und anderer Leistungsanbieter im Gesundheitswesen. Kategorisierung zum differenzierten Fall- / Rehamanagement (Weller-Datenbank, Verletzungsartenverzeichnis usw.)

Ziele der aktuellen Neuausrichtung Steigerung von Effektivität und Effizienz der Behandlung Anpassen des Heilverfahrens an die Verletzungsschwere („der richtige Fall in die richtige Klinik“) Umfassende und vernetzte Versorgung (Akut- und Rehamedizin) Anhebung der Versorgungsqualität und Implementierung qualitätssichernder Elemente Durchgangsarztverfahren (DAV) 2-stufiges Verfahren Verletzungsartenverfahren (VAV) Verletzungsartenverfahren (VAV) Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) 3-stufiges Verfahren Umstellung zum 01.01.2013 bzw. 01.01.2014 Durchgangsarztverfahren (DAV)

Standardisierung der (Schwer)Verletztenversorgung Weißbuch Schwerverletztenversorgung (2. Auflage 2012) Empfehlungen zur Struktur, Organisation, Ausstattung sowie Förderung von Qualität und Sicherheit Prävention – Intensivbehandlung - Rehabilitation S3 – Leitlinie zur Schwerverletztenversorgung 01.07.2011 Präklinik – Schockraum – Erste OP-Phase Verletzungsartenverfahren (VAV) der DGUV Definition Klinikanforderungen / Verletzungsschwere TraumaNetzwerk DGU® Koordination der strukturellen Patientenversorgung Zertifizierung Lokale, (Über)Regionale Traumazentren TraumaRegister DGU® Begleitforschung - Qualitätssicherung Ort und Datum 18pt

Arbeits-, Schul-, Wegeunfall Liegt eine VAV-Verletzung vor? Hausarzt nein ja D-Arzt (ambulant) (Praxis oder Krankenhaus) Stationäres Durchgangsarzt- verfahren Verletzungsartenverfahren Einleitung bes. Heil-behandlung Einleitung allg. Heil-behandlung D-Arzt Hausarzt DAV-Krankenhaus VAV-Krankenhaus SAV-Krankenhaus Verlegungspflicht bei Verletzungen nach dem Verletzungsartenverfahren bei Revisions- oder komplexer Folgechirurgie Nachschau © eigene Darstellung modifiziert nach Rybak / Lenz / Ehlers

EAP Erweiterte ambulante Physiotherapie Nachsorge Pflege BG-KLINIKEN Behandlung und Reha von Schwerbrand-, Rückenmarkverletzten, Schwer-Schädel-Hirnverletzten, schweren Hand- und Fußverletzungen, Polytraumen Revisions – und komplexe Folgechirurgie Reha-Komplett-Angebot mit KSR, BGSW, EAP, ABMR, Schmerztherapie, Klinische Psychologie, Hilfsmittelversorgung, Prothetische Versorgung, Schuhversorgung, Reha-Sport, Neurologische Reha der Phasen A-F Akutbehandlung stationär Rehabilitation SAV Schwerstverletzungsartenverfahren KSR Komplexe stationäre Rehabilitation BGSW Berufsgenossen- schaftliche stationäre Weiterbehandlung ABMR Arbeitsplatzbezogene muskuloskelettale Rehabilitation Nachsorge Pflege Schwere VAV Verletzungsartenverfahren BGSW Berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung ABMR Arbeitsplatzbezogene muskuloskelettale Rehabilitation Nachsorge Pflege DAV Stationäres Durchgangsarztverfahren Physiotherapie EAP Erweiterte ambulante Physiotherapie Nachsorge Pflege Zeit DAV Durchgangsarztverfahren Physiotherapie EAP Erweiterte ambulante Physiotherapie Nachsorge Pflege Akutbehandlung ambulant Rehabilitation © eigene Darstellung modifiziert nach Oberscheven / Kranig / Bühren

Verteilung von Traumazentren, SAV- und BG-Kliniken © AUC © Ideker © KUV

Heterogenität der realen Krankenhausstruktur Wie viele SAV- / VAV-Kliniken gibt es am Ende der Umstrukturierung? Wie viele SAV- / VAV-Kliniken braucht man für die optimale Versorgungsstruktur? Können die Auflagen in der Zulassung erfüllt werden? Orientieren sich die Kriterien auch an der regionalen Versorgungsstruktur? Ist die Mindestfallzahl ein Problem?

IVENA eHEalth

Verletzungsartenverzeichnis – Findet man alles? © nach Schweigkofler

Verletzungsartenverfahren BGU Frankfurt (Q4/2014) © Kern © Dickler © Wank

Schwer(st)e Verletzung oder medizinische Komplikation? © Schweigkofler

Was sind Komplikationen? Folgezustände / Defektzustände / Funktionsbehinderungen? z. B. verzögerte Frakturheilung, Pseudarthrose Bewegungseinschränkungen CRPS Phlegmone Arthrose …? DEFINITION? WANN WIRD GESTEUERT? © Jürgen Vogel WANN BEGINNT DAS REHAMANAGEMENT? WER HAT WELCHE BEHANDLUNGSKOMPETENZ?

Komplikations- / Revisionsfall? Komplexe Folgechirurgie? © Vetter

Was sind Komplikationen? – auch Behandlungsfehler? Wer behandelt weiter .. Wo möchte der Patient weiterbehandelt werden … © Sylvia-Verena Michel / pixelio.de

Komplexität Heilverfahren und Vergütungsstrukturen Wer legt definitiv die VAV / SAV-Einstufung fest? Steuert der Arzt / Sachbearbeiter / Rehamanager? Wann tritt die Verlegungspflicht genau ein? Führt die Verlegungspflicht zu einer unnötigen Kostensteigerung (z. B. durch „künstliche Falltrennung“ in einem fallpauschalierten System)? Ist Vergütung (Rechnungsstelle) und Heilverfahrenssteuerung (Sachbearbeitung / Rehamanagement) kongruent? Sind Fallpauschalen insbesondere bei individuellen und inhomogenen Verletzungsmustern und der Versorgung „mit allen geeigneten Mitteln“ sachgerecht? Sind die Qualitätsanforderungen ausreichend finanziert (z. B. bei SAV in GKV- Kliniken)?

Heilverfahren … 2.0 Die Neuausrichtung der Heilverfahren ist für die Versorgung unfallversicherter Patienten ein bewährter Prozess in der Organisation von Gesundheit. 3.0 Medizinökonomische Effizienzsteigerung durch Entwicklung eines Steuerungstools bei Revisionen und Komplikationen Weiterentwicklung von Behandlungsstandards und der Heilverfahrenssteuerung Anpassung der Vergütungsstrukturen und Etablierung von Versorgungsforschung weitere Konzentration auf qualitätsgeprüfte Netzwerkpartner, Etablierung von Trauma-Reha- Zentren … Ideen gibt es viele …

Antrittsvorlesung von Prof. Dr. med. Robert Flieger „Traumatische Querschnittlähmung: Der verletzte Mensch zwischen versicherungstechnischem „Total-schaden“, medizinisch-technischen Möglichkeiten und tatsächlichen Bedürfnissen“ Leitthema der heutigen Sitzung von Antrittsvorlesungen soll „die Mehrdimensionalität des Gesundheitsbegriffs“ sein. Auch der rein organische Gesundheitsbegriff weist mehrere Dimensionen auf, wie ich im folgenden am Beispiel der traumatischen Querschnittlähmung, einer der schwerwiegendsten Unfallfolgediagnosen, die im Rahmen der Heilverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen und zu behandeln sind, darstellen werde. Antrittsvorlesung von Prof. Dr. med. Robert Flieger

Querschnittlähmung Aus einer Schädigung des Rückenmarksquerschnitts resultierendes Lähmungsbild mit Ausfall motorischer, sensibler und vegetativer Funktionen Diese Abbildung soll zunächst veranschaulichen, wovon überhaupt die Rede ist. Vom Schaden betroffen ist das im Wirbelkanal gelegene Rückenmark, dessen Verletzungshöhe für das Ausmaß der Ausfälle an Körperfunktionen entscheidend ist. Betroffen sind motorische, sensible und vegetative Funktionen des Nervensystems. Die Letztgenannten sind zuständig für die für uns unbewusst ablaufenden Funktionen der inneren Organsysteme. Eine Querschnittlähmung, von der nur die unteren Gliedmaßen betroffen sind, heißt Paraplegie, wenn die oberen mitbetroffen sind, heißt sie Tetraplegie.

„Wundenbuch“ des Imhotep (ca. 1550 v. Chr., Papyrus Edwin Smith) Die erste überlieferte Beschreibung einer Rückenmarkverletzung findet sich im gut 3500 Jahre alten Papyrus Edwin Smith, dem sogenannten „Wundenbuch“ des Imhotep. Er beschreibt darin 5 verschiedene Verletzungen der Halswirbelsäule, darunter 2 mit Querschnittlähmung. „Wundenbuch“ des Imhotep (ca. 1550 v. Chr., Papyrus Edwin Smith)

Fall Nr. 33 (11,9 – 11,17) Heilkunde für eine Quetschung (= Kompressionsfraktur) an einem Wirbel seines Nackens: Wenn Du untersuchst einen Mann mit einer Quetschung an einem Wirbel {11, 10} seines Nackens, Du findest ihn, indem gefallen ist ein Wirbel in seinen zweiten. Außerdem ist er bewusstlos, nicht spricht {11, 11} er (mehr). Es ist sein Fall mit dem Kopf nach unten, der verursacht hat das Zerquetschen des Wirbels an seinem zweiten, und Du findest (ihn), {11, 12} indem er nicht mächtig ist seiner beiden Arme und seiner beiden Beine deswegen. Dann musst Du sagen dazu: Einer mit einer Quetschung an einem Wirbel seines Nackens, {11, 13} nicht ist er mächtig seiner beiden Arme und seiner beiden Beine, er ist bewusstlos; eine Krankheit, die man nicht behandeln kann. Eine dieser beiden Fallbeschreibungen sehen Sie hier. Diese Verletzung war mit den damaligen Mitteln nicht behandelbar und führte, wie im weiteren Text auch formuliert ist, regelhaft binnen kurzer Zeit auch zum Tode. Diese Aussichtslosigkeit ist in den in anderen Fällen sehr ausführlichen Behandlungsanweisungen auch ausgedrückt:“… Dann musst Du sagen dazu: Einer mit einer Quetschung an einem Wirbel seines Nackens, nicht mächtig ist er seiner beiden Arme und seiner beiden Beine, er ist bewusstlos, eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

1884: Errichtung der Gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland im Rahmen der Bismarck‘schen Sozialgesetzgebung Ab 1884 wurden solche Verletzungen, sofern sie im Arbeitsprozess erlitten wurden, auch zum Gegenstand der neu eingerichteten Gesetzlichen Unfallversicherung, deren 125jähriges Bestehen im vorigen Jahr gefeiert wurde.

Die Heilungsaussichten waren aber noch die gleichen wie 3500 Jahre zuvor im alten Ägypten. Diese aus der Universitätsklinik Greifswald 1893 berichtete Luxationsfraktur zwischen dem 6. und 7. Halswirbel wurde von der Betroffenen, einer 33jährigen Hausangestellten (nach heutigen Richtlinien Versicherte der örtlich zuständigen Unfallkasse) nur um eine Woche überlebt. Die Verletzte verstarb unter dem Bild der Atemlähmung.

Lebensbegrenzend für den Querschnitt-gelähmten waren seinerzeit Atemstörung bis hin zur völligen Atemlähmung Harnblasenfunktionsstörung mit Folge des Nierenversagens Darmfunktionsstörung mit Folge des Darmverschlusses Druckgeschwüre (Dekubitus) mit Folge der Sepsis Begleitverletzungen der traumatischen Querschnittlähmung wie z. B. offene Extremitätenfrakturen allgemeine Komplikationen wie Thrombose, Lungenembolie etc. Patienten wurden wegen des absehbaren Todes zumeist separat in Kliniken untergebracht und nur minimal versorgt, da ein wie auch immer gearteter Behandlungserfolg nicht erwartet wurde Atemlähmung war die führende Todesursache bei Halsmarkschädigungen auch der unteren Halswirbelsäulensegmente wie im vorgenannten Falle. Bei tiefer an der Wirbelsäule gelegenen Verletzungen im Brust- und Lendenwirbelbereich war die führende Todesursache das Nierenversagen in Folge der neurogenen Blasenfunktionsstörung, gefolgt von Darmverschluss, Sepsis bei Druckgeschwüren sowie Thrombosen, Lungenembolien und Lungenentzündungen. Wegen des binnen Wochen bis Monaten absehbaren Todes wurden diese Patienten in Krankenhäusern separat untergebracht und nur minimal medizinisch versorgt, da ein Behandlungserfolg nicht erwartet wurde.

Es ist das Verdienst von Ludwig Guttmann, daran etwas geändert zu haben. Geboren und aufgewachsen in Tost/Oberschlesien war er in der Zeit des ersten Weltkrieges als Sanitätshelfer im oberschlesischen Bergbau tätig, wo er erstmals ein solches Schicksal eines querschnittverletzten Bergmannes miterlebt hatte. In seiner späteren ärztlichen Tätigkeit an der Universitätsklinik in Breslau hatte er sich als Neurochirurg schwerpunktmäßig um Querschnittgelähmte gekümmert und Techniken erarbeitet, um die Ausfälle zu kompensieren, da eine wirkliche Heilung des Rückenmarkschadens nicht möglich war. Es gelang ihm durch seine Maßnahmen jedoch, das Leben seiner Querschnittpatienten deutlich zu verlängern. Da er Jude war, nutzte er eine Gelegenheit, Deutschland noch vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges zu verlassen und emigrierte mit seiner Familie nach Großbritannien. Ludwig Guttmann * 03.07.1899 † 18.03.1980 1924 – 1939 Breslau 1943 – 1967 Stoke Mandeville Hospital, Aylesbury, GB

Comprehensive Care Ärzte (Chirurgen, Orthopäden, Urologen) Pflege Physiotherapeuten Ergotherapeuten Psychologen Sozialarbeiter Orthopädietechniker Sportlehrer bzw. -Therapeuten Dort gründete er 1943 im Auftrage der britischen Regierung das erste Querschnittgelähmtenzentrum der Welt, Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury. Dort wurden alle querschnittverletzten Soldaten der britischen Armee von allen Kriegsschauplätzen der Welt aufgenommen, alles zuvor wehrtaugliche gesunde junge Männer ohne Begleiterkrankungen, an denen er seine Behandlungsergebnisse von einzelnen Breslauer Fällen an einem großen Kollektiv reproduzieren und weiterentwickeln konnte. Sein Behandlungsprinzip „comprehensive care“, das auf der multidisziplinären Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen basiert, ist heute noch Grundlage der Behandlung Querschnittgelähmter weltweit.

Stand der Querschnittgelähmtenbehandlung durch die Arbeit von GUTTMANN ab 1943 bis 1960er Jahre der eigentliche Strukturschaden am Rückenmark ist nach wie vor nicht heilbar, Behandlungsziel ist die Kompensation der hierdurch bedingten Funktionsausfälle Aufhebung der „Isolierung“ der betroffenen Patienten konservative Behandlung der Wirbelsäulenverletzung Abwendung des Nierenversagens durch Blasenkatheterismus Abwendung des Darmverschlusses durch „bowel program“ standardisierte Lagerung zur Dekubitusprophylaxe und spezifische Therapie Mobilisierung und Aktivierung der Patienten durch das ganze Therapieteam gemäß „comprehensive care“ unter Einbeziehung des sportlichen Wettbewerbs; ggf. berufliche Eingliederung Was wurde erreicht? Der eigentliche Rückenmarkschaden ist zwar nicht heilbar, die Funktionsausfälle können zum Teil aber kompensiert werden. Die „isolierte“ Unterbringung der Patienten wird bewusst verlassen, Integration ist das Ziel. Wirbelfrakturen wurden konservativ behandelt, d.h. die Verletzten bis zur knöchernen Ausheilung immobilisiert, da operative Verfahren noch nicht etabliert waren. Das Nierenversagen als Haupttodesursache wird durch regelmäßige Harnblasenentleerung über Katheter abgewendet. Auch der Darm muss zur Abwendung eines Verschlusses durch spezielle Techniken, auch von Hand, entleert werden, das Gesamtverfahren wird später als „bowel program“ bezeichnet. Die Dekubitusprophylaxe und –therapie wird standardisiert und Mobilität wird zum Kernthema. Sport und speziell sportlicher Wettbewerb wird als Mittel zur Mobilisation und auch zur Motivation eingesetzt. Aus dem 1948 erstmals klinikintern durchgeführten Turnier werden im weiteren die paralympischen Spiele als weltweiter Wettbewerb entwickelt, die erstmals 1960 in Rom stattfinden. Berufliche Eingliederung wird fallweise erreicht und Guttmann selbst sagt, er halte das Rehabilitationsziel dann für erreicht, wenn der Betroffene wieder ins Steuer- und Sozialsystem einzahlt. Ludwig Guttmann selbst wurde für seine Verdienste von Queen Elizabeth II. geadelt.

Die Erfolge von Guttmann wurden naturgemäß weitergetragen Die Erfolge von Guttmann wurden naturgemäß weitergetragen. Er selbst hat in den 1960er und 1970er Jahren Organisationen und Kliniken beraten, unter anderem auch den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften bei der ersten Fassung der Denkschrift zur Errichtung von Behandlungszentren für Querschnittgelähmte, wovon 1969 an der BG-Unfallklinik Murnau das erste nach den „neuen“ Strukturvorgaben ans Netz ging.

In der Zwischenzeit ist die Medizin naturgemäß nicht stehen geblieben In der Zwischenzeit ist die Medizin naturgemäß nicht stehen geblieben. Zwar ist der strukturelle Schaden am Rückenmark weiterhin nicht heilbar, für die knöcherne Wirbelsäule wurden jedoch diagnostische und auch operative Verfahren und Implantate entwickelt, um deren Form und Funktion weitestgehend wiederherzustellen. Hilfsmittel sowohl zur Vermeidung von Druckgeschwüren als auch zur Mobilität wurden weiterentwickelt bis hin zum allenthalben präsentierten „Exoskelett“, einem äußerlich anzulegenden Schienenapparat mit Motorantrieb für die unteren Gliedmaßen. Querschnittlähmungsspezifische Sportgeräte und sogar Sportarten wurden entwickelt und sind weit verbreitet. Bei entsprechender Lebensführung ist heutzutage die Lebenserwartung Querschnittgelähmter nicht geringer als die von „Fußgängern“.

Derzeitiger Stand der Behandlung Querschnittgelähmter (bis 2014) der Strukturschaden am Rückenmark ist weiterhin nicht heilbar, Behandlungsziel ist immer noch die Kompensation der hierdurch bedingten Funktionsausfälle operative Behandlung der Wirbelsäulenverletzung mit weitestgehender Wiederherstellung von Form und Funktion Weiterentwicklung der Hilfsmittel zur Dekubitusprophylaxe und der spezifische Therapien, insb. Operationen Verbesserung der Mobilität und Aktivität der Betroffenen durch weiterentwickelte Hilfsmittel vom Spezialrollstuhl über das „Exoskelett“ bis zur EDV-gestützten Kommunikation und zu querschnittlähmungsspezifischen Sportgeräten und Sportarten urologischerseits ist die Problematik des Nierenversagens, der Kontinenz und sogar der Fortpflanzung weitgehend beherrscht Abwendung des Darmverschlusses durch „bowel program“ Auch im urologischen Bereich ist die Problematik des Nierenversagens, der Kontinenz und sogar der Fortpflanzung weitgehend beherrscht. Einziger Bereich, in welchem wir noch nicht wesentlich weiter sind als zu Guttmanns Zeiten ist der Bereich der Darmentleerung. Hier sind weiterhin die Verfahren Standard, die schon von Guttmann und seinem Team erarbeitet wurden, nämlich das „bowel program“.

Probleme der Darmlähmung bei Querschnittlähmung: Unkontrollierte Spontanentleerung (Hygieneproblem, Hautschädigungsrisiko, soziale Ausgrenzung) verzögerte Stuhlpassage/-entleerung (Dickdarmverlängerung, Darmverschlussrisiko) typische Analerkrankungen (Fissuren, Abszesse, Fisteln, Hämorroiden usw.) Darmmanagement (bowel program): Gewinn der Kontrolle über die Stuhlentleerung durch Die Problematik der Darmlähmung Querschnittgelähmter besteht einerseits in der Kontinenz, wo es zu unkontrollierten Entleerungen kommt mit allen körperlichen und auch psychosozialen Folgen, andererseits in einer Transportstörung des Darminhaltes, die unter Umständen bis hin zum Darmverschluss führen kann. Im „bowel program“ wird Kontrolle über die Situation angestrebt einerseits durch Ernährung und ggf. auch Medikamente, die eine kontinuierliche Passage des Darminhaltes sicherstellen sollen, sowie durch Einleitung der Darmentleerung unter kontrollierten Bedingungen zu einem selbst gewählten immer wiederkehrenden Zeitpunkt. Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Passage, Vermeidung von Stuhlverhalt Einleitung der Stuhlentleerung unter kontrollierten Bedingungen zu einem selbst gewählten Zeitpunkt

Darmmanagement: Die Realität Ein Drittel der Betroffenen ist mit dem Abführregime unzufrieden, ein weiterer großer Teil „findet sich mit dem Unabänderlichen ab“. Beklagt werden: Inkontinenzzwischenfälle Dauer des Abführvorganges (bis 12 Std., bei zu frühem Abbruch „Nachkleckern“) Umstände des Abführens (Hilfe, Lagerung) vegetative Begleitreaktionen Dieses Verfahren ist jedoch nur bedingt zuverlässig, da es mit einer fallweise hohen Quote von Inkontinenzzwischenfällen behaftet ist und die Prozedur teilweise sehr belastende Begleitumstände mit sich bringt.

Alternative ? Colostomie ? Im entsprechend verzweifelten Fällen bieten wir als letzte Möglichkeit die Anlage eines künstlichen Darmausganges an, um auch diesem Menschen die selbstbestimmte Kontrolle über diese Lebensfunktion wiederzugeben. Die bereits jetzt etablierten wesentlich differenzierteren Verfahren der Blasenentleerung, die die moderne Neurourologie bereithält, lassen jedoch erwarten, dass da auch für den Darm noch mehr geht.

Fußball-WM 2014 Beim Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien nahm der mit einem Exoskelett ausgerüstete Querschnittgelähmte Juliano Pintos den Anstoß vor. Angenommen, ihm wäre anschließend als Zuschauer in der VIP-Lounge des Stadions ein Inkontinenz-Zwischenfall passiert, so ist davon auszugehen, dass er nach diesem Erlebnis wahrscheinlich nie wieder ein Fußballspiel besucht hätte. Woran liegt das?

Das hat damit zu tun, dass das Thema nach wie vor nicht öffentlichkeitstauglich ist. Öffentlichkeitswirksam lassen sich technische Systeme wie das Exoskelett oder auch sprachgesteuerte Umfeldkontrollsysteme für Menschen mit Lähmungen an allen vier Gliedmaßen viel besser präsentieren. Insofern wäre den Querschnittgelähmten zu wünschen, dass auch die Menschen, die über die ihnen zu gewährenden Leistungen zu entscheiden haben (seien es Ärzte, Klinikbetreiber oder Kostenträger) zur Problematik des Darmes einen ähnlich unverkrampften Umgang finden könnten, wie es uns diese junge Dame aktuell präsentiert. https://www.youtube.com/watch?v=iC0LbBQunjY

2014 - Wird die Rückenmarkverletzung heilbar? Im vergangenen Jahr erregte eine Veröffentlichung aus der Neurochirurgischen Universitätsklinik im jetzt polnischen Breslau (Wroclaw) Aufsehen, wonach es erstmals gelungen war, bei einem Menschen eine komplette Querschnittlähmung unter anderem durch Transplantation eigener Riechnervenzellen zu bessern. Ludwig Guttmann hätte an diesem aus seiner Heimatuniversität stammenden Fortschritt sicher seine Freude gehabt. Bevor dieses Verfahren jedoch Allgemeingut wird, was absehbar noch mehrere Dekaden dauern kann, bleibt die Lösung des Darmproblems der Querschnittgelähmten als Aufgabe auf unserer Liste.

Mit diesem Bild von den ersten Gehversuchen des operierten Breslauer Patienten möchte ich schließen. Der Erfolg in der Behandlung Querschnittgelähmter, den Sir Ludwig Guttmann begründet hat, ist somit die praktische Umsetzung dessen, was Goethe mit den Worten sagte: “Unter Gesundheit verstehe ich nicht Freiheit von Beeinträchtigungen sondern die Kraft, mit ihnen zu leben.“ Diese Kraft wird den Betroffenen im Querschnittzentrum vermittelt, wobei jedoch eine entscheidende „Baustelle“ noch nicht erschöpfend bearbeitet ist. Auch für die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung sollte das Problem im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages zur Wiedereingliederung mit allen geeigneten Mitteln ein vorrangiges Anliegen sein.

Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Thomas Molkentin „Die Ausnahme und die Regel – zum Wirken des sozialen Schutzprinzips in der GUV “ Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Thomas Molkentin

Soziales Schutzprinzip, Alles-oder-Nichts-Prinzip. Einstimmung: Soziales Schutzprinzip, Alles-oder-Nichts-Prinzip. Darstellung an zwei Sachverhaltsgruppen: 1. Unfallursächlichkeit, zwei Subtypen: a) „Selbstgeschaffene Gefahr“, zwei Beispiele b) Vorschadensproblematik, zwei Beispiele. 2. Versagen von Leistungen, zwei Beispiele. Ausklang: „Leisten geht vor Nicht-Leisten!“

„Hängen Gesundheit und Leistungs-fähigkeit unweigerlich zusammen?“ Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Bert Wagener

Kernfrage Hängen Gesundheit und Leistungsfähigkeit unweigerlich zusammen?

Häufige Kriterien der Gesundheit (vgl Häufige Kriterien der Gesundheit (vgl. Franke, 1993; auch: Becker, 2006) Störungsfreiheit Leistungsfähigkeit Rollenerfüllung Homöostase/Gleichgewichtszustand Flexibilität Anpassung Wohlbefinden Problem: „Schwarzweiß-Denken“

Ein erster Versuch der Kategorisierung Normal Gesunde Keine Gedanken um Gesundheit, bisher nicht krank Präventiv Gesunde Aktiv für Gesundheit Tätige (Ernährung, Bewegung, Sport, Schlaf, positive Sinnfindung) Gesund nach Lebenskrisen Haben schwere Belastungen/Lebensereignisse erfolgreich bewältigt

Relevanz von Einflussfaktoren auf die Gesundheit

Gesundheitsindikatoren Bevölkerungsbezogen: Säuglingssterblichkeit Lebenserwartung Mortalität (Todesursachenstatistik) Morbidität (Prävalenz/Incidenz) Krankenstand (A.U. Statistik) Rentenzugangsstatistik Krankenhausbehandlungsstatistik Individuell: Lebensqualität (somatisch – psycho – mental – sozial) Teilhabe/Integration „Gesundheitserwartung“

Was ist denn nun „Gesundheit“? Die Abwesenheit von Krankheit? oder ein Zustand der noch nicht festgestellten Krankheit, z. B. mangels durchgeführter Untersuchungen?

Gesundheitsdefinitionen im Wandel WHO 1946 Gesundheit ist ein Zustand vollständigen, körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen. WHO 1987 Gesundheit ist die Fähigkeit und die Motivation ein wirtschaftlich und sozial aktives Leben zu führen

Gesundheitliche Einflussfaktoren

Einflussfaktoren auf die Gesundheit Medizin Prävention, Kuration, Rehabilitation Biologie/Genetik Pathogenese, Salutogenese Umweltverhältnisse Natur, Technik, Soziales Lebensstil, Verhalten

Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Motivation

Wie groß ist der jeweilige Einfluss? Schätzungen des CDC Atlanta: 15 % Einfluss des Gesundheitssystems 25 % Biologische Faktoren 50 % Lebensstil, Gesundheitsverhalten, soziales Umfeld

Krankheit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit Definition der Gesetzlichen Krankenversicherung: „Objektiv fassbarer, regelwidriger, anomaler körperlicher oder geistiger Zustand, der die Notwendigkeit einer Heilbehandlung erfordert und zur Arbeitsunfähigkeit führen kann.“ Was ist die „Regel“? Ideale Norm ≠ Funktionale Norm ≠ Statistische Norm

Zweidimensionales Modell von Befund und Befinden somatoforme Störungen krank gesund scheingesund/ funktionell gesund sich krank fühlen Wohlbefinden Befinden ohne eindeutig/krank Befund

Auf die Balance kommt es an

Gesundheit und Krankheit – ein Kontinuum Krankheit und Gesundheit sind kein Zustand, sondern ein dynamisches Geschehen. (Eggers) gesund krank

Gesundheit und Leistungsfähigkeit:

Feststellung von „Gesundheit“ und Leistungs-fähigkeit Leistungsfähigkeit wofür? Befund (objektiv) Befinden (subjektiv) Belastungen Beanspruchungen Ressourcen