TRAUER NACH GEWALT- UND TÖTUNGSDELIKTEN

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 Präsentation transkript:

TRAUER NACH GEWALT- UND TÖTUNGSDELIKTEN „Wenn mein Vater meine Mutter tötet, hat nicht er selbst dann auch den Tod verdient…?“ TRAUER NACH GEWALT- UND TÖTUNGSDELIKTEN Eine Fallschilderung Mag.a Hartmann Anna-Melina AKUTteam NÖ

Inhalt Gewalt: Fakten und Zahlen aus der Krisenintervention im AKUTteam NÖ Fallschilderung Trauerphasen und Gewalt Schritte der KI Hinderliches und Förderliches im Trauerprozess Emotionen und Gewalt Vom Trauma zur Trauer Zeit für Fragen & Austausch

GEWALTFORMEN psychische Gewalt sexualisierte Gewalt ökonomische Gewalt - physische Gewalt psychische Gewalt sexualisierte Gewalt ökonomische Gewalt soziale Gewalt

Gewaltdelikte im AKUTteam NÖ 2013:

KI nach Gewaltdelikten 2014 Indikation Anzahl Überfall Banküberfälle oder Überfall auf Geschäfte 15 Sexualdelikt: Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, sex. Missbrauch 11 Häusliche Gewalt partnerschaftliche Gewalt/Misshandlung, Übergriff durch Kind mit anschließender Wegweisung… 10 Mord 7 Körperverletzung Übergriff im öffentlichen Raum, Rauferei, Mobbing,.. Einbruch 3 Delikte gegen die Freiheit Freiheitsentziehung, Erpressung, Androhung eines Amoklaufes

Gewaltdelikte im AKUTteam NÖ 2013: 13% der Alarmierungen (von insgesamt 687) Indikation Gewalt Einsätze bei rund 80 Fällen, wobei es zu einzelnen Gewalttaten (z.B. Wilderer Annarotte, 10 Einsätze) zu mehreren Einsätzen kam. Insg. gesunkener Anteil von Einsätzen nach Gewalt im Jahr 2013 Im Jahr 2014 ist die Zahl der Alarmierungen nach Gewaltdelikten bisher um etwa 10% gesunken.

Fallvignette Dokumentation des Journaldienstes NÖ Landesakademie Fallvignette Dokumentation des Journaldienstes „Dame wurde mit Kopfverletzung tot aufgefunden. Polizei geht von einem Mord aus; die Tochter und der Schwiegersohn sind im Nachbarhaus, die beiden und die Nachbarin sind zu betreuen (haben die Tote gefunden?). Zunächst sehr verworrene Situation, wenig gesicherte Infos, schließlich Kontakt zu KI-Team vor Ort.“

Fallvignette

Fallvignette Informationsstand: von einer Kopfwunde als Todesursache ausgegangen, der mögliche Täter (Ehemann) ist flüchtig Der vermeintliche Täter hat das Haus nach der Tat verlassen…. Übergabe KIT Erstintervention/Bindungsaufbau Nacherzählen & erste Erklärungsmodelle

Fallvignette Erstkontakt mit der Nachbarin: Überwältigtsein, Bilder der ersten Minuten, Integration des Traumas, Schock, Ängste der Tochter der Nachbarin über ev. Amoklauf Erste Erklärungsmodelle Begleitung von Schwiegersohn und Tochter zur Polizeiinspektion: Einvernahme als Zeugen (Wo bleibt die Trauer der Opfer?) Erste Informationen zum Tathergang => Transparenz schaffen

Fallvignette Erste Interventionen beim Schwiegersohn: Ängste, Wut/Aggression, Klärung der nächsten Tage/Schritte Erste emotionale Trauerelemente: Unfassbarkeit + fehlende Informationen zum Tathergang, Nicht Glauben Können (1.Phase), Nicht Wahrhaben wollen, Sorge um den Flüchtigen, Wut (gegen die rechtlichen Schritte, gegen den Täter) Erschöpfung

Trauerphasen (Kast, V., 1996) Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens: Empfindungslosigkeit Starre „wie in einem bösen Traum“ Phase der aufbrechenden chaotischen Emotionen Phase des Suchens, Findens, Sich-Trennens Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges

Fallvignette Nächste Tage und Schritte: Kontakte LKA, Weitergabe von Informationen an die Angehörigen, Da-Sein Psychoedukation: begleitende tel. Kontakte mit den Angehörigen: Wut, Schockzustand/Unfassbarkeit, (psycho)somatische Reaktionen Förderung der Realitätswahrnehmung bei der Tochter („nach wie vor nicht realisiert haben“) Anspannung/Funktionieren/Übererregung Umgang mit Medien und Umfeld

Trauer nach Gewalt- Delikten (Weiland, S., 2005) Warum & wie Moralisches & ethisches Empfinden steht Kopf Entmachtet, hilflos & überfordert

Trauer nach Gewalt- Delikten (Weiland, S., 2005) Erschweren der Trauer durch das Rechtssystem Rolle als Zeuge Rolle als Betroffener Einbinden der Angehörigen in Informationen erschwert Zusätzliche Traumatisierung durch Medien & Strafprozess Umfeld & Stigmatisierung

Traumapsychologische Interventionen Geschehenes in Worte fassen Zuhören, Nachfragen, Ordnen Emotionen zulassen Gefühle/Situationen normalisieren Traumareaktionen verdeutlichen auf die Verabschiedung vorbereiten, Ängste/Wünsche klären

Traumapsychologische Interventionen Entlastung und Verminderung von Stressoren Screentechnik: Integration des Traumas in die Lebensgeschichte Beratung und Vermittlung v. Verbrechensopferhilfe => Weißer Ring

KI nach Gewalttaten (Herman, 1993) Herstellung von SICHERHEIT ERINNERN und TRAUERN WIEDER- ANKNÜPFUNG

KI nach Gewalttaten SOZIALES NETZ AUSGESCHALTET (Verlust von Kontrolle und Zugehörigkeit) JEGLICHE ANPASSUNGSSTRATEGIE ÜBERFORDERT (Verabschiedung von der Mutter, Neudefinition der Beziehung zum Vater) ERSCHÜTTERUNG MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN (Bindung/Urvertrauen) ERSCHÜTTERUNG DES SELBSTBILDES WERTESYSTEM UNTERGRABEN (Erschütterung)

Faktoren, die Trauer erschweren können Emotionale Veranlagung der Hinterbliebenen („gelernte Trauer“: kindliche Bedürfnisse unterstützt?) Art der verlorenen Beziehung (Abhängigkeit, Unerledigtes) Ungewöhnliche Umstände (plötzlicher Tod, mögliche Verabschiedung, Brutalität erschwert Akzeptanz, „Warum“ => Suche nach Schuldigem) Tabu, Trauer zu zeigen Isolation

Faktoren, die Trauer erschweren können Lebensalter/Geschlecht/erlernter Umgang mit Krisen sowie religiöse Normen Unbewältigte Verlusterfahrungen (Verluste in letzter Zeit? => komplizierte Trauer) „mehrfache“ Trauer Verlust der Mutter Hass, Wut, Enttäuschung gegenüber dem Vater Unverständnis der versuchten Tötung des Kindes (bzw. Großvaters)

Faktoren, die Trauer erschweren viele Termine am Tatort (Rekonstruktion) weitere kriminalpolizeiliche Befragungen familiäre Konflikte & Spaltungen im System Täter-Opfer-Spaltung Distanzierung zum Täter ("er ist mir egal", "ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben„…) „alles ist nach wie vor wie ein Film“: Derealisation vs. Depersonalisation als Ressource

Akute Belastungsreaktion Dissoziation Depersonalisation - Betroffene steht neben sich - Person hebt sich selbst auf als wahrnehmendes Subjekt Derealisation - Bedrohliche Realität wird entschärft - als Realität aufgehoben - Szene wird zu Traum/Film/Kino

Trauerphasen (Kast, V., 1996) Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens: Phase der aufbrechenden chaotischen Emotionen Phase des Suchens, Findens, Sich-Trennens Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges

EMOTIONEN… …die es anzusprechen gilt: Verzweiflung (Ressourcen aktivieren,…) Hass, Ärger, Schmerz („Briefe schreiben“) Schuld (introjizierte Schuldgefühle und „…besser Schuld als ohnmächtig“) & Sühne Hoffnung Rachegefühle („durch die Rache den Schmerz des Traumas los werden“) Zorn (Stärke erlangen?) Auf kognitiver Ebene tauchen Sinnfragen auf.

EMOTIONEN… „… in einer Fußballmannschaft gibt es viele verschiedene Persönlichkeiten; nicht nur gute und nicht nur schlechte Spieler. Die verschiedenen Persönlichkeiten sind immer wieder neu aufgestellt. So muss auch ich es schaffen, mich an die positiven Eigenschaften meines Vaters zu erinnern, die Vergangenheit zuzulassen. Wenn ich es jetzt nicht schaffe, dann kann ich es vielleicht später….“

Zielorientierte Trauer Auslösung der Trauer Strukturierung Anerkennung der Realität Entscheidung zum Leben Aussprechen von gesellschaftlich unakzeptablen Gefühlen und Erfahrungen Bewertung des Verlustes Inkorporation des Toten Neue Lebensorientierung

Vom Trauma zur Trauer Heilende Beziehungen (Grunderfahrung der Ohnmacht und Isolation überwinden) Stärkung der Persönlichkeit Stärken persönlicher & sozialer Ressourcen Halt und Orientierung Vertrauen zurückerlangen/autonom handeln/die Initiative ergreifen In der Therapie: das Opfer darf nicht zum Unterlegenen werden

Ausblick Informieren, informieren, informieren Erklären An der eigenen Trauerbio-graphie arbeiten Die eigenen Grenzen kennen, den Umgang mit Vergänglichkeit Tools für Betroffene und für mich selbst Eigene Haltung zu Gewalt wahrnehmen/ klären

„DU KANNST DIE WELLEN NICHT ANHALTEN, ABER DU KANNST LERNEN, AUF IHNEN ZU REITEN.“ (Jon Kabat-Zinn) Mag.a Hartmann Anna-Melina, Psychosoziales AKUTteam NÖ

Literatur Bausum, J.; Besser, L.-U.; Kühn, M. und Weiß, W. (2013). Traumapädagogik: Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis. Juventa Heller, B. (2003). Aller Einkehr ist der Tod. Interreligiöse Zugänge zu Sterben, Tod und Trauer. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag Herman, J. L. (1993). Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. München: Kindler Verlag GmbH Huber, M. (2007). Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung - Teil 1. Paderborn: Junfermann Huber, M. (2013). Wege der Traumabehandlung. Trauma und Traumabehandlung – Teil 2. Paderborn: Junfermann Kast, V. (1996). Der schöpferische Ursprung. Vom therapeutischen Umgang mit Krisen. München: dtv

NÖ Landesakademie Literatur Krüsmann, M.; Müller-Cyran, A. (2005). Trauma und frühe Interventionen. Möglichkeiten und Grenzen von Krisenintervention und Notfallpsychologie. Stuttgart: pfeiffer bei Klett-Cotta Reddemann, L. (2008). Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren. Stuttgart: Klett-Cotta Verein Wr. Frauenhäuser (2012/2013). Tätigkeitsbericht des Vereins Wiener Frauenhäuser. Auszug Statistik. Wien www.frauenhaeuser-wien.at D. Volkan, V.; Zintl, E. (2000). Wege der Trauer. Leben mit Tod und Verlust. Gießen: Psychosozial-Verlag Weiland, S. (2005). Vom Umgang mit Trauernden. Wenn Worte fehlen. Heidelberg: mvg Verlag