Psychoanalytische Konzepte der Depression

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 Präsentation transkript:

Psychoanalytische Konzepte der Depression Ass.Prof.Dr. Melitta Fischer-Kern Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie

Depression: Häufigkeit Eine der weltweit bedeutendsten Ursachen für psychische Behinderungen In reicheren Ländern führt Depression bereits 2004 die Burden-of-disease-Statistik an (WHO 2008) Wahrscheinlichkeit einer weiteren Episode nach Ersterkrankung 90% (Kupfer & Frank 2001) Ein Drittel der Patienten bleibt chronisch depressiv (Segal et. al. 2003)

Depression: Diagnose ICD-10 Hauptsymptome: Gedrückte Grundstimmung Interessenverlust Verminderung des Antriebs Zusatzsymptome:  Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit Negative und pessimistische Zukunftsperspektive Suizidgedanken oder Suizidhandlungen Schlafstörungen Verminderter Appetit Depressive Episode: mind. 2 Hauptsymptome + mind. 2 Zusatzsymptome über 2 Wochen

Psychoanalytische Konzepte der Depression Trauer und Melancholie als Reaktion auf Verlusterfahrungen (Freud: Trauer und Melancholie 1917) Trennungs- und Verlustangst im Zusammenhang mit Phantasien über die Zerstörung der inneren Objekte (Klein: Das Seelenleben des Kleinkindes 1962) Die Phasen Protest-Despair-Detachment als Folgen eines frühkindlichen Defizits an emotionaler Zuwendung (Bowlby: Attachment and Loss 1969)

Freud: Trauer und Melancholie Trauer und Melancholie sind die Reaktionen eines Individuums auf einen realen Verlust, auf eine Kränkung oder Enttäuschung von Seiten einer geliebten Person oder auf den Verlust eines Ideals. Manche Personen reagieren mit dem Gefühl der Trauer, das nach einer gewissen Zeit überwunden ist, andere verfallen in einen Zustand der Depression. Freud 1917

Introjektion des verlorenen Objekts „Der Schatten des Objekts fiel so auf das Ich, welches nun von einer besonderen Instanz wie ein Objekt, wie das verlassene Objekt, beurteilt werden konnte. Auf diese Weise hatte sich der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt, der Konflikt zwischen dem Ich und der geliebten Person in einen Zwiespalt zwischen der Ichkritik [Über-Ich] und dem durch Identifizierung veränderten Ich.“ Freud 1917

Das Ich des Neurotikers ist mit dem Es entzweit, das Ich des Melancholikers mit dem Über-Ich, das Ich des Schizophrenen mit der Realität.

Folgen des Objektverlusts Ichverlust mit Beeinträchtigung des Denkens, des Antriebs, der Aufmerksamkeit und des Interesses Körperliche Funktionsstörungen wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Obstipation, Libidoverlust, Amenorrhoe Der depressive Stupor mit weitgehender Einstellung der Ichfunktionen Über-Ich-Konflikt mit Selbstanklagen bis zur halluzinatorischen Erwartung von Strafe Selbstmordneigung nach Wendung der auf das Objekt gerichteten sadistischen Neigungen gegen die eigene Person

Trennung und Objektverlust: Realität und Phantasie „Reale Trennungserlebnisse sind nicht einfach Tatsachen der konkreten Wirklichkeit, sondern müssen im Licht phantasmatischer Beziehungen zu inneren Objekten gedeutet werden. Umgekehrt üben die Beziehungen, die wir zu den im Inneren entstandenen Imagines unserer Objekte unterhalten über Projektions- und Introjektionsmechanismen einen ständigen Einfluss auf unsere Beziehungen zu realen Personen aus.“ (Klein: Das Seelenleben des Kleinkindes 1962)

Frühe Wurzeln der infantilen Depression Trennungs- und Verlustangst wird mit Phantasien über die Zerstörung der inneren Objekte in Zusammenhang gebracht. Angst vor Trennung und Objektverlust nehmen während der infantilen Entwicklung zwei Formen an: In der paranoid-schizoiden Position: Die Angst vom bösen Objekt angegriffen zu werden. In der depressiven Position: Die Angst, das internalisierte gute Objekt zu verlieren/zu zerstören.

Verlusterfahrungen in verschiedenen Lebensphasen Geburt und Entwöhnung von der Brust Sauberkeitserziehung als Verzicht auf die idealisierten Exkremente Laufen- und Sprechenlernen als Anerkennung seiner selbst als getrenntes Individuum Aufgeben der infantilen Abhängigkeit in der Adoleszenz Erwachsenwerden als Verlust der Elternfiguren und der Jugend Verlust der reproduktiven Möglichkeiten in der Menopause Pensionierung und Alter

Verlusterfahrungen in verschiedenen Lebensphasen Unvermeidlichen Verlusterfahrungen reaktivieren depressive Gefühle und müssen durchgearbeitet und integriert werden. Ist dies aus inneren und/oder äußeren Gründen nicht möglich, kann es zu psychopathologischen Entwicklungen wie Depression, Manie oder Psychose kommen.

Bindung und Verlust bei John Bowlby In der Trilogie „Attachment and Loss“ beschreibt Bowlby die Folgen eines frühkindlichen Defizits an emotionaler Zuwendung für die psychische Entwicklung. Die Phasen: Protest – Despair - Detachment (Protest, Verzweiflung, Desinteresse oder Gleichgültigkeit) stellen eine prototypische Verhaltenssequenz als Reaktion des Kindes auf die prolongierte Trennung von seiner Mutter dar. Bowlby: Attachment and Loss (1969)

Empirische Studien zu Bindung und Depression Unsichere Bindung führt zu einer Vulnerabilität für Depression bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (Bifulco et al. 2002, 2003; Lee & Hankin 2009) Unsichere Bindung wird mit einem schwereren Verlauf der Depression assoziiert (Conradi & de Jounge 2009) Traumatische Kindheitserfahrungen führen zu einer Sensibilisierung neuroendokriner Stressreaktionen (Heim et al. 2008) Gute Bindungserfahrungen werden mit Resilienz verknüpft (Hauser, Allen, & Golden 2006)

Leitlinien zur Therapie der Depression Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2010 National Collaborating Centre for Mental Health 2010 Erstmalig auftretende leichte Depression: 14 Tage aktiv- abwartende Begleitung Leichte bis mittelschwere Depression: Psychotherapie Akute schwere Depression: Kombinationsbehandlung aus Psycho- und Pharmakotherapie Bei psychotischen Symptomen: medikamentöse Therapie Bei leichtgradigen Depressionen wird von einer psychopharmakologischen Behandlung aufgrund der Nutzen-Risiko-Verhältnisses abgeraten. Für den Einsatz von Medikamenten sprechen (1) Wunsch des Patienten, (2) Ansprechen auf Medikation in der Vergangenheit, (3) Fortbestehen der Symptome nach anderen Interventionen und (4) mittelgradige bis schwere Depression in der Vorgeschichte.

Empirische Studien zur Depressionsbehandlung Kombinationsbehandlung ist bei chronischer Depression effektiver, zeigt aber bei Patienten mit adversen Kindheitserfahrungen nur marginale Überlegenheit zur alleinigen Psychotherapie. Nemeroff et al. 2003, PNAS Psychotherapie hat im Vegleich zu Medikation eine zusätzliche prophylakische Wirkung. Imel et al. 2008, J Affect Disord Eine Kombinationstherapie von Psychotherapie und Parmakotherapie ist der standard psychiatrischen Behandlung überlegen. Frühe Traumatisierung ist ein moderierende Outcomevariable. Zobel et al. 2011, Acta Psychiatr Scand

Henry Rey: „The psychodynamics of depression” (1996) Das depressive Syndrom ist eine psycho-physische Einheit. Wie die affektiven Störungen lassen sich auch die körperlich/vegetativen Symptome psychodynamisch verstehen. Oral-sadistische Impulse werden mit der depressiven Essstörung in Verbindung gebracht, die sich in Appetenzverlust und Gewichtsabnahme äußern. Bulimischen Attacken und Gewichtszunahme können eine gierige Einverleibung der Mutter/Brust darstellen.

Henry Rey: „The psychodynamics of depression” (1996) Obstipation wird mit aggressiven und destruktiven Phantasien über die exkretorischen Funktionen in Zusammenhang gebracht. Um die destruktiven Impulse zu kontrollieren, setzt ein Prozess der Verlangsamung (bis zum Stupor) und der Herabsetzung der Vitalität einschließlich der sexuellen Impulse (bis zur Amenorrhoe) ein.

Henry Rey: „“Reversibility, depression and the therapeutic process” (1996) „Die Chance der psychotherapeutischen Depressionsbehandlung liegt in der Möglichkeit, die in der Phantasie im Inneren angerichtete Zerstörung wiedergutzumachen, in dem die Schuldgefühle durchgearbeitet und die zerstörten inneren Objekte wiederhergestellt werden. Wenn das nicht anerkannt wird, nimmt man dem Patienten diese Möglichkeit, beispielsweise durch die primäre Gabe von Antidepressiva.“

LARS VON TRIER: MELANCHOLIA

LARS VON TRIER: MELANCHOLIA Prolog: In einem Traum im Vorspann sieht Justine den Untergang der Welt voraus. Justine: Die Hochzeitsfeierlichkeiten für Justine, von ihrer Schwester Claire und deren Mann ausgerichtet, stehen unter einem schlechten Stern Claire: Angesichts des nahenden Planeten verliert Claire zunehmend die Fassung. Der wissenschaftsgläubige Schwager nimmt sich das Leben. Justine sehnt das Ende der Welt herbei und „sonnt“ sich nachts nackt im Schein des Planeten. Justine beruhigt Claires Sohn, indem sie mit ihm aus Ästen eine „magische Höhle“ baut. Kurz vor der Kollision setzen sich Justine, Claire und Leo in den Unterstand und halten sich an den Händen. „Melancholia“ kollidiert mit der Erde, die in einem Flammenmeer untergeht.

Interview mit Lars von Trier „Ich glaube, die Depression habe ich überwunden. Aber sie prägt „Melancholia“: Denn der Planet, der in meinem Film auf die Erde zusteuert, ist wirklich groß. Gigantisch. Ich dachte, es wäre uninteressant, wenn es ein kleiner Meteor wäre, der nur das Klima verändert. Ich mochte die Idee, dass dieser Planet alles verschlucken würde, weil es das ist, was die Depression mit einem macht. Es liegt etwas Lustvolles darin, sich von etwas verschlucken zu lassen.“ Profilinterview mit Lars von Trier