Psychoanalytische Konzepte der Psychose

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 Präsentation transkript:

Psychoanalytische Konzepte der Psychose Melitta Fischer-Kern Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie Basiscurriculum 13.12.2013

Psychoanalytische Psychosenlehre Auch psychotische Erkrankungen können als Ausdruck von unbewusst gewordenen Erfahrungen in der frühsten Kindheit verstanden werden. Eine multikausale Entstehungstheorie, die körperliche, seelische und soziale Inhalte als verursachend annimmt. Äußere Faktoren: Gestaltung der frühen Mutter-Kind-Dyade, familiäre Interaktionen, Verlusterlebnisse und Schicksalsschläge Innere Faktoren: Triebstärke, angeborene Ichdefekte, körperliche Traumen Die Art des Erlebens und dessen Verarbeitung in der Psychose wird durch psychoanalytische Konzepte verstehbar und einsichtig.

„Mit dem Namen Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien bezeichnen wir eine Psychosegruppe, die bald chronisch, bald in Schüben verläuft, in jedem Stadium haltmachen kann oder zurückgehen kann, aber wohl keine volle Restitutio ad integrum erlaubt. Sie wird charakterisiert durch eine spezifisch geartete, sonst nirgends vorkommende Alteration des Denkens und Fühlens und der Beziehungen zur Außenwelt. In jedem Fall besteht eine mehr oder weniger deutliche Spaltung der psychischen Funktionen: Ist die Krankheit ausgebrochen, so verliert die Persönlichkeit ihre Einheit, bald repräsentiert der, bald jener psychische Komplex die Person … ein Komplex beherrscht zeitweilig die Persönlichkeit, während andere Vorstellungen oder Strebungsgruppen ‚abgespalten‘ und ganz oder teilweise unwirksam sind.“ E. Bleuler, 1911 Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien

Klassifikation schizophrener und verwandter Psychosen im ICD 10 Schizophrenie F20 Schizotype Störung F21 Anhaltende wahnhafte Störung F22 Akute vorübergehende psychotische Störungen F23 Induzierte wahnhafte Störungen F24 Schizoaffektive Störungen F25

Phänomenologie 1. Störungen des Denkens Das Denken folgt den Gesetzen des Primärvorganges; an der Wirklichkeit orientierte Logik des Denkens geht verloren. a) Zerfahrenheit: sprunghafte Gedanken, alogisch, „Wortsalat“ b) Sperrung des Denkens: Gedankenabreißen: plötzliche Unterbrechung eines Gedankenganges meist mitten im Satz; wird vom Patienten oft als „Gedankenentzug“ interpretiert c) Neologismen: oft unverständlich, eigene Privat- oder Kunstsprache

Phänomenologie 2. Störungen der Affektivität: Inadäquatheit der Affekte: PARATHYMIE = Missverhältnis zwischen Affekt und Denkinhalt. Affektverflachung  3. Spaltung: Unvereinbare Erlebnisqualitäten stehen zusammenhanglos nebeneinander, ohne dass diese Gegensätze bewusst als Widersprüchlichkeiten erlebt werden Schizophrener lebt in doppelter Welt – in der wirklichen und in der wahnhaften  4. Autismus: Abkehr von zwischenmenschl. Beziehungsrealität; Ich-Versunkenheit

Phänomenologie 5. Sinnestäuschungen und Wahnideen: Stimmenhören: Gedankenlautwerden, Stimmen kommentieren Tun und Denken des Patienten, imperative Stimmen,… Halluzinationen: Geruchshalluzinationen, optische Halluzinationen, zönästhetische Halluzinationen (Leibhalluzinationen: Gefühle von Veränderungen an inneren Organen) Wahn: Verfolgungswahn, Eifersuchtswahn, Beziehungswahn, Größenwahn, Vergiftungswahn.

Prävalenz und Verlauf Prävalenz der schizophrenen Psychosen: 0,5 – 1% Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen Prädilektionsalter: Männer bei 21 Jahren Frauen etwa 5 Jahre später Meist chronisch: 7% der Patienten mit unauffälligem psychopathologischem Befund. Köln-Studie (Marneros et al. 1991). Der Ausgang schizophrener Psychosen ist deutlich ungünstiger als der affektiver Psychosen (Möller et al. 2000).

Neurose und Psychose „Die gemeinsame Ätiologie für den Ausbruch einer Psychoneurose oder Psychose bleibt immer die Versagung, die Nichterfüllung eines jener ewig unbezwungenen Kindheitswünsche, die so tief in unser phylogenetisch bestimmten Organisation wurzeln. Der pathogene Effekt hängt nun davon ab, ob das Ich in solcher Konfliktspannung seiner Abhängigkeit von der Außenwelt treu bleibt und das Es zu knebeln versucht, oder ob es sich vom Es überwältigen lässt.“ Freud 1924 Neurose und Psychose

Das Ich des Neurotikers ist mit dem Es entzweit, das Ich des Melancholikers mit dem Über-Ich, das Ich des Schizophrenen mit der Realität.

Psychose Einem Konflikt wird durch Bruch mit der Wirklichkeit ausgewichen: die den Wünschen entgegengestellten Wahrnehmungen werden unterdrückt/verleugnet. Rückzug von der enttäuschenden/ frustrierenden Realität durch Regression auf Entwicklungsstadium (Narzissmus) vor der Errichtung der Funktion der Realitätsprüfung. Die Denkvorgänge folgen einer Prälogik, die dem magischen Denken analog ist.

Psychose: Die innere Welt Regression auf die sehr frühe Entwicklungsphase der paranoid-schizoiden Position. Durch die von Geburt an vorhandene Aktivität des Todestriebes entstehen primäre Ängste, die allen anderen Ängsten zugrunde liegen. Diese frühe Angst wird als Furcht vor Vernichtung in der Form von Verfolgungsangst empfunden, als Angst von innen zerstört zu werden. Das (rudimentäre) Ich kämpft gegen diese Fragmentierung, subjektiv erlebt als Angst in Stücke zu zerfallen, indem es sich aktiv spaltet. Die Destruktivität wird dem Objekt zugesprochen. M. Klein 1946: Das Seelenlebend es Kleinkindes

Psychose: Die innere Welt „Die Gefahr, durch den gegen das Selbst gerichteten Todestrieb zerstört zu werden, trägt zur Spaltung der Triebstrebungen in gute und böse bei; da diese Strebungen auf das primäre Objekt projiziert werden, ist es ebenfalls in ein gutes und böses Objekt gespalten. Diese Situation bewirkt, dass der gute Teil des Ichs und des guten Objektes zu einem gewissen Grad geschützt sind, da die Aggression von ihnen abgelenkt wird. Dies sind die spezifischen Spaltungsprozesse, die ich als Grundlage einer relativen Sicherheit des sehr kleinen Säuglings beschrieben habe – sofern Sicherheit in dieser Phase überhaupt erreicht werden kann; andere Spaltungsprozesse hingegen, wie beispielsweise diejenigen, die eine Fragmentierung nach sich ziehen, richten sich gegen das Ich und beeinträchtigen es in seiner Stärke.“ M. Klein 1946: Das Seelenlebend es Kleinkindes

Psychose: Die innere Welt „Die Angst der paranoid-schizoiden Position ist in erster Linie eine Angst vor Fragmentierung und Verlust des Ichs. Sie ist aufs engste mit dem Schicksal der inneren Objekt verbunden….. Mit dem Verlust des introjizierten guten Objekts entwickeln sich Frustrationszustände, die nur dann gemildert werden können, wenn der Säugling ein äußeres gutes Objekt erlebt, das er introjizieren kann.“ Eine liebevolle Behandlung des Säuglings befriedigt also nicht nur das Bedürfnis nach Behaglichkeit, Liebe und Nahrung, sondern sie ist auch notwendig, um die schreckliche Verfolgung zu bannen. M. Klein 1946: Das Seelenlebend es Kleinkindes

Psychose: Die innere Welt In der Psychose: Die Spaltung in „gut“ und „böse“ gelingt nicht und es entsteht ein Zustand der Verwirrtheit: das schrecklichste Grauen, das überhaupt vorstellbar ist Ein Übermaß an Aggression/Destruktion erzwingt die Ausstoßung und Vernichtung von Ich-Anteilen und führt zu einer Schwächung des Ichs für weitere Entwicklungsaufgaben Ein Übermaß an Neid verunmöglicht eine ausreichend gute Objektbeziehung Die Introjektion des guten und geliebten Objekts als Kristallisations-punkt, um den sich das fragile Ich integrieren kann, misslingt.

Psychose: „Einheitstheorie“ oder spezifische Krankheitstheorie „Das Problem der Psychose wäre einfach und durchsichtig, wenn die Ablösung des Ichs von der Realität restlos durchführbar wäre. Aber das scheint nur selten, vielleicht niemals vorzukommen. Selbst von Zuständen, die sich von der Außenwelt so weit entfernt haben wie durch halluzinatorische Verworrenheit (Amentia), erfährt man durch die Mitteilung der kranken nach der Genesung, dass damals in einem Winkel der Seele, wie sie sich ausdrücken, eine normale Person sich verborgen hielt, die den Krankheitsspuk wie ein unbeteiligter Beobachter an sich vorüberziehen ließ.“ Freud 1949a: Abriss der Psychoanalyse

Der psychotische und der nichtpsychotische Persönlichkeitsanteil Primitive Abwehrmechanismen wie exzessive projektive Identifizierung und Fragmentierung Ausscheidung psychischer Elemente in Form von Halluzinationen Hass auf die führt zu Angriffen auf die psychischen Funktionen, die die Wahrnehmung der Realität vermitteln sollen. Das Bewusstsein für Sinneseindrücke, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Urteilsfällung und Denken wird in winzigste Teilchen fragmentiert und ausgestoßen Die ausgestoßenen Ich-Partikel führen eine unkontrollierbare Existenz und werden zu „bizarren“ Objekten Der Versuch, diese bizarren Objekte (im Rahmen einer Psychotherapie) zu reintegrieren, ist ein äußerst schmerzhafter und schwieriger Prozess Bion 1957: Zur Unterscheidung von psychotischen und nichtpsychotischen Persönlichkeiten

The Psychotic Personality: A psychoanalytic theory and its application in clinical practice Die psychotische Persönlichkeit greift das abhängige und bedürftige Selbst an Aus Neid und Hass auf jede Abhängigkeit wird der mentale Apparat, der innere und äußere Wahrnehmung ermöglicht, zerstört Denken wird ersetzt durch Omnipotenz und Allwissenheit Eine innere Propaganda (Mafia) versucht andere von der Vernünftigkeit, Feinfühligkeit und Moral der psychotischen Persönlichkeit zu überzeugen Die psychotische Persönlichkeit ist ungeduldig und frustrations-intolerant und versucht, den bedürftigen Teil loszuwerden Die verängstige, bedürftige nicht-psychotische Persönlichkeit sucht Schutz vor dem mörderischen Teil Lucas 1992

D. Cronenberg: Spider 2002 Spider leidet nach Entlassung aus der Anstalt unter Angstzuständen (Gasgeruch, Gasometer vorm Fenster). Er gerät ins Spinnennetz der traumatischen Erinnerungen um den (realen? phantasierten?) Mord an seiner Mutter: Spider hängt stark an seiner Mutter. Sein Vater betrügt seine Frau mit der Prostituierten Yvonne. Als die Mutter den Vater beim Ehebruch ertappt, erschlägt er sie mit einem Spaten. Yvonne nimmt im Haus die Rolle der Mutter ein. Nachdem sein Vater und Yvonne eines Nachts betrunken nach Hause gekommen sind und Yvonne im Sessel eingeschlafen ist, öffnet er den Gashahn. Während sein Vater sich und seinen Sohn retten kann, kommt die Schlafende ums Leben. Der Leichnam entpuppt sich als der von Spiders Mutter. In diese Erinnerungen verfangen glaubt Spider in der Leiterin des Wohnheims, Yvonne zu erkennen und will sie töten. Sie erwacht, bevor Spider sein Mordvorhaben in die Tat umsetzen kann. Spider wird erneut in die Psychiatrie eingewiesen.

D. Cronenberg: Spider 2002 Erinnerungen als komplexe Mischung aus Wahrnehmung, Phantasie, Alptraum und verzerrter Projektion Zentrale Mechanismen der Psychose werden anschaulich Projektion/Introjektion: Vergiftung der Mutter durch Gas/ Verfolgung durch Gasgeruch Übermaß an Aggression: mörderische Sexualität Spaltung (gute Mutter/Hure) und Fragmentierung Frustrationsintoleranz: das elterliche Paar kann nicht anerkannt werden Zerfall des Denkens: dargestellt an der Zerstörung des Tagebuchs

Ende