„Alles Trauma und nun?“ Traumatisierung als Normalitätserfahrung – eine Herausforderung für psychosoziale Fachkräfte und alle Menschen.

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 Präsentation transkript:

„Alles Trauma und nun?“ Traumatisierung als Normalitätserfahrung – eine Herausforderung für psychosoziale Fachkräfte und alle Menschen Wilma Weiß Wien, 10. 06. 2016 © Wilma Weiß 2016 www.wilmaweiss.de

Die Traumaarbeit wird medikamentalisiert Immer mehr Menschen werden durch strukturelle Gewalt von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt Kriege und Landraub zwingen Millionen Menschen zur abenteuerlichen, auch lebensbedrohlichen Flucht In Deutschland haben sich die Angriffe auf Flüchtlingsheime vervielfacht An den Grenzen stehen Menschen, Familien mit Kindern, die krank sind und frieren Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden nach Kontingenten verteilt Die Kinder- und Jugendhilfe kommt immer mehr und fast gänzlich unter Finanzierungsvorbehalt Die Traumaarbeit wird medikamentalisiert © Wilma Weiß 2016 Brandmaier/Ottomeyer 2016

Traumata sind Bestandteil des Lebens Die Bedeutung des Konzeptes der sequentiellen Traumatisierung Die Gesellschaft wehrt Traumata ab und erschwert die Bewältigung Bedeutung für die Helferinnen und Helfer Was können wir tun, welche Perspektiven gibt es? © Wilma Weiß 2016

Die sequentielle Traumatisierung sodass diese Zeitspanne danach „von vielen als die eingreifendste und schmerzlichste ihres Lebens bezeichnet“ wurde“ (H. Keilson 2005, S 58). löse das z. B. das „Trauma der Straflosigkeit“ in Chile „… intrapsychische und intrasubjektive Mechanismen aus, die genauso gravierende oder sogar schlimmere Bewusstseinsstörungen zur Folge haben können wie die Folter selbst.“ (P. Rojas 2005, S. 120) © Wilma Weiß 2016

„… Die gesellschaftlichen Aspekte bleiben damit eher außen vor „… Die gesellschaftlichen Aspekte bleiben damit eher außen vor. Das kann eine Wunde schnell und immer wieder aufreißen, zumal wenn sie noch nicht verheilen konnte. Denn die Schwierigkeiten der Verarbeitung werden auf das Individuum verlagert, was immer wieder auch Scham und Schuldgefühle aufruft« (A. Brensell 2013). © Wilma Weiß 2016

Die Gesellschaft wehrt Traumata ab und erschwert die Bewältigung Komplexe Traumatisierungen entstehen „in einer Sozialstruktur, die den Missbrauch und die Ausbeutung von Abhängigen ermöglicht“ (J. L. Herman 1993 S. 16) © Wilma Weiß 2016

Die Gesellschaft wehrt Traumata ab und erschwert die Bewältigung Die gesellschaftliche aber auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Trauma war und ist häufig geprägt von einer Entwertung der Opfer und deren Leiden, Sie werden zu gesellschaftlichen Tabus Häufig werden Opfer vor Gericht, bei der Polizei oder der Asylbehörde nicht gehört oder nicht anerkannt. Gerichtsverfahren können retraumatisierende Wirkungen haben Gesellschaftliche Tendenzen der Verleugnung und Abwehr haben auch finanzielle Konsequenzen für die Überlebenden Opfer von Rassismus finden häufig keine kollektiv anerkannte Sprache für ihre Erlebnisse, diese werden vom sozialen Umfeld häufig bagatellisiert. © Wilma Weiß 2016

© Wilma Weiß 2016

Bedeutung für die Helferinnen und Helfer Wir spüren in der Gegenreaktion die Ohnmacht der Menschen aber nicht nur das. Menschen, die traumatische Prozesse überstanden haben, werden erneut mit Ohnmachtsgefühlen konfrontiert. Die gesellschaftliche Anerkennung oder Missachtung von Traumatisierten hat auch Auswirkungen auf das Helfer/innensystem; stetig mangelnde Achtung kann zu einer Überlastung der Helfer/innen führen. © Wilma Weiß 2016

Bedeutung für die Helferinnen und Helfer „Wenn man heute mit traumatisierten Flüchtlingen und Opfern politischer Gewalt arbeitet, hat man unweigerlich mit einer Spannung zwischen Widerstand und Anpassung und dem Management der eigenen Empörung zu tun“ (K. Ottomeyer 2010) „ Insbesondere der Affekt der Empörung, welcher auf die gesellschaftliche Verleugnung und das verbreitete „Blaming the Victim“ antwortet, muss bewältigt werden“. (K. Ottomeyer 2010) © Wilma Weiß 2016

Was können wir tun, welche Perspektiven gibt es? Das Eigensinnige des Menschen verteidigen Würde und Anerkennung als zentrale Kategorien der Traumapädagogik, der Traumaarbeit Die Bedeutung der Ethik in unseren Hilfesystemen © Wilma Weiß 2016

Das Eigensinnige des Menschen verteidigen © Wilma Weiß 2016

„Das Respektieren der Autonomie und Würde Würde und Anerkennung als zentrale Kategorien der Traumapädagogik, der Traumaarbeit „Das Respektieren der Autonomie und Würde eines jeden ist ein ethischer Imperativ und nicht lediglich eine Gunst, die wir einander gewähren können oder nicht« (P. Freire 2013, S. 56). © Wilma Weiß 2016

© Wilma Weiß 2016

Ethik als Bestandteil der Hilfesysteme „Um ethische Kompetenzen aufbauen zu können, müssen in Einrichtungen Strukturen und Freiräume geschaffen werden, um diese Themen diskutieren zu können. Es ist wichtig, einen sicheren Ort zu schaffen, in dem Mitarbeitende ihre Haltungen, Zweifel und Belastungen durch Entscheidungen offen ansprechen und diskutieren können.“ M. Schmid 2016 Fünf Säulen der sozialpädagogischen Handlungskompetenz (Schumacher 2013, S. 36), zit. nach Schmid 2016 Fünf Säulen der sozialpädagogischen Handlungskompetenz (Schumacher 2013, S. 36, zit. nach Schmid 2016 )   © Wilma Weiß 2016

Der Versuch von Antworten Mit dem Wissen über die Bedeutung der sequentiellen Traumatisierung sehen ich nur einen Weg, soweit als möglich selbstbemächtigt Traumaarbeit zu leisten: Buchstabieren wir Traumaarbeit auch gesellschaftlich. © Wilma Weiß 2016

3. Unterstützen wir selbstbemächtigt die Selbstbemächtigung der Mädchen und Jungen, der Frauen und Männer in herausfordernden Lebensumständen Suchen wir Möglichkeiten der Anerkennung des Leides im beruflichen/fachlichen wie im gesellschaftlichen Umfeld Räumen wir unserer Selbstsorge in der Auseinandersetzung mit traumatisierten Menschen den ihr gebührenden Platz ein 4. Verteidigen wir die Würde der Menschen, damit verteidigen wir auch unsere Würde © Wilma Weiß 2016

Bertold Brecht: an die Nachgeborenen Dabei wissen wir doch:  Auch der Haß gegen die Niedrigkeit  verzerrt die Züge.  Auch der Zorn über das Unrecht  Macht die Stimme heiser. Ach, wir  Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit  Konnten selber nicht freundlich sein.  Ihr aber, wenn es so weit sein wird  Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist  Gedenkt unserer  Mit Nachsicht Bertold Brecht: an die Nachgeborenen Achten wir auf unsere Pschohygiene © Wilma Weiß 2016

Danke für die Aufmerksamkeit Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht (Bertold Brecht) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Danke für die Aufmerksamkeit © Wilma Weiß 2016

© Wilma Weiß 2016

Becker, David (2001): Fünf Thesen zur psychosozialen Arbeit. In Becker, David (2001): Fünf Thesen zur psychosozialen Arbeit. In. medico international (Hg.): Die Gewalt überleben. Psychosoziale Arbeit im Kontext von Krieg, Diktatur und Armut. Frankfurt. Brandmaier, M.; Ottomeyer, K.: (2016): Trauma und Gesellschaft – Zum Verhältnis von Bewältigung und Anerkennung. In: Weiß/Kessler/Gahleitner (Hrsg.) (2016): Handbuch Traumapädagogik. Brückner, Peter.(1980): Das Abseits als sicherer Ort. Kindheit und Jugend zwischen 1933 und 1945. Berlin: Wagenbach. Brenssell, A. (2013): Trauma als Prozess –Wider die Pathologisierung struktureller Gewalt und ihrer innerpsychischen Folgen. Fachtag Trauma und Politik. www.ztp.welle.website/images/download/Arianne-Brenssell-Artikel_Trauma als Prozess (Abruf 13.07.2015). Freire, P. (2013): Pädagogik der Autonomie. Notwendiges Wissen für die Bildungspraxis. Münster: Waxmann. Gahleitner, S. B. (2005): Sexuelle Gewalt und Geschlecht. Hilfen zur Traumabewältigung bei Frauen und Männern. Gießen: Psychosozial. Gebauer, Th. (2015): Aktuelle Konzepte zur Krisenbewältigung, wie die Idee der Resilienz, stabilisieren genau jene Verhältnisse, die Krisen hervorrufen. www.medico.de/blog/artikel/das-paradox-der-resilienz (Abruf 13.9.2015). Herman, J. L. (1993): Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Kindler Keilson, H. (2005) Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Untersuchung zum Schicksal jüdischer Kriegswaisen. Psychosozial Lorenzer, Alfred (1981): Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Frankfurt am Main: Fischer Ottomeyer, K. (2011): Traumatherapie zwischen Widerstand und Anpassung. In: Journal für Psychologie 19, H. 3. www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/89/52 (Abruf 11.9.2015). Rojas, B. P. (2005): Gleichgültigkeit gegenüber dem Schrecken. Das Trauma der Straflosigkeit. In: Medico International: Im Inneren der Globalisierung. Psychosoziale Arbeit in Gewaltkontexten. Frankfurt, Mabuse Verlag, S. 120 – 121 Reddemann, L. (2008): Würde – Annäherung an einen vergessenen Wert in der Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta. Schmid, M. (2016): Nutzen der traumapädagogischen Haltungen. Konzepte für ethische Fragestellungen im pädagogischen Alltag. In: Weiß/Kessler/Gahleitner (Hrsg.): Handbuch Traumapädagogik. Weinheim, Beltz Verlag. Weiß, W. (2016): Die Pädagogik der Selbstbemächtigung. Eine Einführung. In: Weiß/Kessler/Gahleitner (Hrsg): Handbuch Traumapädagogik. Weinheim, BeltzVerlag © Wilma Weiß 2016