KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostik und Therapie narzisstischer Störungsanteile Prof. Peter Joraschky
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die Folien finden Sie unter: Passwort: EPTWPJ_2013
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Überblick 1. Teil Mythos Klinische Phänomene Diagnostische Kriterien Phänomenologie – offener und verdeckter Narzissmus 2. Teil Das Selbst und der Selbstwert in der Psychologie des Selbst Psychodynamik 3. Teil Entwicklung des Selbst 4. Teil Biologische Faktoren Weiblicher und männlicher Narzissmus 5. Teil Therapie narzisstischer Störungen
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KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Der Mythos
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK „Every psychopathology is a gift of love“ L. Benjamin
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Themen des Mythos Spiegelphänomene – Empathie Mentalisierung Narzisstische Kränkung Suizid Trauma
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Phänomene
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Narzissmus-Definition „Von Narzissmus sollte man nur dann sprechen, wenn die Regulierung des Selbstwertgefühls problematisch ist und alle noch vorhandenen Konflikte dominiert und überlagert und sich dadurch spezifische Beziehungsprobleme ergeben. Das bedeutet aber, dass es verschiedene Formen von narzisstischen Störungen gibt.“ (Hoffmann u. Hochapfel 1995)
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Terminologie der narzisstischen PathologieI (Ermann, 2004) Narzisstische Persönlichkeit Sie bildet (neben der depressiven Persönlichkeit) die Dispositionen für die Entstehung von Störungen auf mittlerem Strukturniveau. Narzisstische Persönlichkeitsstörung Mit Krankheitsgefühl verbundene, ausgeprägtere Variante der narzisstischen Persönlichkeit. Das unsichere Selbstgefühl und die Folgen, z. B. in den zwischenmenschlichen Beziehungen, erzeugen Leidensdruck.
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Terminologie der narzisstischen PathologieII (Ermann, 2004) (Komplexe) narzisstische Störungen Psychogene Störungen, die auf der Basis der Komorbidität mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen entstehen; gelegentlich wird dafür auch der Begriff „narzisstische Neurose“ verwendet. Narzisstische Krisen Krisenhafte Zuspitzungen des Leidensdrucks, die im Allgemeinen auch mit klinischen Symptomen verbunden sind und Übergänge zu komplexen narzisstischen Störungen darstellen.
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Auslösesituationen Verlust narzisstischer Gratifikationen: Partnerverlust Verlust der beruflichen Identität Verlust der Ideale Zusammenbruch verleugneter Realitäten Entwertungen Schicksalseinbrüche, Krankheit, Tod, Alter chronische interpersonelle Konflikte
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Hauptsymptome, die zur Behandlung führen 1.narzisstische Krisen, Suizidalität 2.Panikattacken 3.Sucht 4.Somatisierung 5.Gefühle der Leere und der Depressivität
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Defizite der narzisstischen Person (Bach 1977) 5 Bereiche: in der Selbstwahrnehmung in der Sprache und Organisation des Denkens in der Intentionalität und Volition in der Stimmungsregulation in der Wahrnehmung von Zeit, Raum und Kausalität
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Kriterien
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Kriterien nach dem DSM-IV Fünf oder mehr folgende Kriterien müssen erfüllt sein: 1.Die Person zeigt ein übertriebenes Selbstwertgefühl (übertreibt z.B. die eigenen Fähigkeiten und Talente und erwartet, selbst ohne besondere Leistungen als „etwas Besonderes“ Beachtung zu finden). 2.Die Person beschäftigt sich ständig mit Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe. 3.Die Person ist der Ansicht, dass er oder sie besonders und einzigartig ist, und dass er oder sie nur von besonderen Menschen (mit höherem Status oder in besonderen Institutionen) verstanden werden oder nur mit solchen verkehren könne.
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Kriterien nach dem DSM-IV 4.Die Person verlangt ständig nach Bewunderung. 5.Die Person legt ein Anspruchsdenken an den Tag, stellt beispielsweise Ansprüche an eine bevorzugte Behandlung oder unmittelbare Zustimmung zu den eigenen Erwartungen. 6.Die Person nützt zwischenmenschliche Beziehungen aus, um mit Hilfe anderer die eigenen Ziele zu erreichen. 7.Die Person zeigt einen Mangel an Einfühlungsvermögen: kann z. B. nicht erkennen und empfinden, wie andere sich fühlen und welche Bedürfnisse diese haben.
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Kriterien nach dem DSM-IV 8.Die Person ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, dass andere auf ihn oder sie neidisch seien. 9.Die Person zeigt ein arrogantes, überhebliches Verhalten oder hat entsprechende Einstellungen. Bei der Anwendung der DSM-Kriterien muss man beachten, dass einige nicht direkt beobachtbar sind, sondern sich nur aus der Innenperspektive der Personen erschließen lassen; damit hängt die Qualität der Beurteilung stark davon ab, in welchem Ausmaß eine Person einem Diagnostiker ihre Innenperspektive offenbart.
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Reliabilität Die Reliabilität von SKID-II ist bei narzisstischen Störungen schlecht, aufgrund von: Kritikempfindlichkeit, Stigmatisierungssensitivität verzerrter Selbstwahrnehmung Verleugnung von Schwächen Konsequenz: Fremdwahrnehmung einbeziehen Partner, Familie, Freunde
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Differentialdiagnose Psychotische Störungen: wahnhaft mit Größenideen Affektive Störungen: Manie, Hypomanie, Depression Narzisstische Charakterprägung ohne Krankheitswert Andere Persönlichkeitsstörungen: -Dissoziale v.a. bei feindseliger Zurückgezogenheit -Histrionische v.a. bei vorhandener Vertrauensfähigkeit -Borderline v.a. bei vorhandener Annäherungsfähigkeit -Anankastische v.a. bei Selbst-Kontrolle und Sich-Verschließen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Komorbidität Persönlichkeitsstörungen: -Histrionisch -Dissozial -Borderline z.T. mit vermeidender und paranoider Persönlichkeitsstörung Ichsyntone Suizidalität Leitlinien der Fachvertreter für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Phänomenologie – Offener und verdeckter Narzissmus
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) Cooper und Ronningstam spezifizieren Symptombereiche der narzisstischen Persönlichkeit 1.Verhaltensweisen, die eng mit fragilem Selbstwert zusammenhängen: hypochondrische Störungen; Verlegenheit, Scham oder Demütigung, wenn Defizite durch andere festgestellt werden;
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) 2.Verhaltensweisen, die mit kompensatorischer Grandiosität zusammenhängen: Phantasien über Besonderheit oder Vollkommenheit Bedürfnis nach Bewunderung Exhibitionismus alles selber können wollen affektierte Darstellung seiner Selbst
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) 3. Zwischenmenschliche Interaktion Unfähigkeit zu lieben Fehlen von Empathie exzessive Selbst-Darstellung durchgängiges Gefühl, im Recht zu sein Unfähigkeit, anderen zuzustimmen Neid auf Leistungen anderer sexuelle Eroberungslust ohne Beachtung der Bedürfnisse des Gegenübers Wut als Reaktion auf Kränkungen oder Verletzungen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) 4.Arbeitsverhalten Mittelmäßigkeit, durchsetzt von kurzzeitiger Brillanz Langeweile, wenn die eigenen Leistungen hinter eigenen Erwartungen zurückbleiben geringe intrinsische Motivation Befriedigung wird nur aus äußerer Anerkennung gezogen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) 5.Stimmungsstörungen Stimmungswechsel zwischen Euphorie und Depression, in engem Zusammenhang mit Schwankungen der Selbstwert-Einschätzung Ärger und Neidgefühle, z. B. wenn die von anderen gezeigte Bewunderung nicht den eigenen Erwartungen entspricht
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Symptombereiche (Cooper & Ronningstam, 1992) 6.Über-Ich-Störung keine Anzeichen von schlechtem Gewissen Neigung, sich mit Leistungen anderer zu schmücken strenge und perfektionistische Ansprüche gegenüber dem eigenen Selbst selbstdestruktives Verhalten Ängste beim Erleben, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Offene Narzissten Grandioses Selbst Verlangen nach Aufmerksamkeit Charmant, aber unsensi- bel den Bedürfnissen anderer gegenüber Verdeckte Narzissten Unterlegenheitsgefühle anderen gegenüber Überempfindlich gegen Bewertungen durch andere Generell unzufrieden Selbst-zentriert + arrogant
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert Selbstkonzept Grandiosität Vorherrschen von Phantasien ungebrochenes Gefühl der Einzigartigkeit Anspruchshaltung scheinbare Selbstgenügsamkeit Minderwertigkeit mürrische Selbstzweifel ausgeprägte Neigung zu Schamgefühlen Fragilität unerbittliche Suche nach Ruhm und Macht ausgeprägte Sensibilität gegenüber Kritik und realistischen Rückschlägen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert interpersonelle Beziehungen zahlreiche, aber oberflächliche Beziehungen intensives Bedürfnis nach Zuspruch von anderen Verachtung für andere, oftmals verdeckt durch eine Pseudodemut Mangel an Empathie Unfähigkeit, wirklich authentisch an Gruppenaktivitäten teilzunehmen höhere Bewertung der Kinder gegenüber dem Partner im Familienleben Unfähigkeit, wirklich von anderen abhängig zu sein und diesen zu vertrauen chronischer Neid auf die Fähigkeiten anderer, auf ihren Besitz und ihre Fähigkeit zu echten Objektbeziehungen Missachtung von Generationsgrenzen Missachtung der Zeit anderer Menschen Tendenz, Briefe nicht zu beantworten
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert soziale Anpassung sozial betörend oftmals erfolgreich beharrliche und angestrengte Arbeit, meist aber nur zu dem Zweck, Bewunderung zu erfahren („Pseudosublimierung“) ausgeprägter Ehrgeiz besondere Betonung der äußeren Erscheinung quälende Ziellosigkeit oberflächliches berufliches Engagement dilettantische Einstellung vielfältige, aber oberflächliche Interessen chronische Langeweile das ästhetische Empfinden ist oft künstlich und nachahmend
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert ethische Grundsätze, Standards und Idelae karikierte Bescheidenheit geheuchelte Verachtung für Geld im Alltagsleben idiosynkratisch oberflächliche Moralvorstellungen offensichtlicher Enthusiasmus für sozialpolitische Belange große Bereitschaft, Anschauung aus eigennützigen Motiven zu ändern pathologisches Lügen materialistischer Lebensstil Tendenzen zur Delinquenz ausschweifender ethischer und moralischer Relativismus Unehrerbietigkeit gegenüber Autoritäten
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert Liebe und Sexualität Ehekrisen kalte und gierige Verführung außereheliche Beziehungen und Promiskuität ungehemmtes Sexualleben Unfähigkeit zur Liebe eingeschränkte Fähigkeit, den Sexualpartner als getrenntes Individuum mit eigenen Interessen, Rechten und Werten zu sehen Unfähigkeit, das Inzesttabu wirklich zu respektieren gelegentliche sexuelle Perversionen
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klinische Merkmale der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (nach Akhtar 2006) Merkmalsichtbarverdeckt / larviert kognitiver Stil beeindruckende Kenntnisse wirkt bestimmt und hartnäckig oftmals auffällig artikuliert egozentrische Wahrnehmung der Realität Vorliebe für die Sprache Vorliebe für jede schnelle Art, Wissen zu erlangen das Wissen ist oft auf Trivialitäten begrenzt („Schlagzeilenintelligenz“) Vergesslichkeit für Details, insbesondere Namen eingeschränkte Möglichkeit, neue Fertigkeiten zu erwerben Tendenz, die Bedeutung der Realität zu verändern, wenn diese als Bedrohung für das Selbstwertgefühl betrachtet wird Sprache und Sprechen werden zur Regulation des Selbstwertsystems benutzt
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Zwei Typen narzisstischer Persönlichkeitsstörungen (mod. nach Gabbard 2005) Der unbeirrte NarzisstDer hypervigilante Narzisst ist sich über die Reaktionen anderer nicht gewahr ist höchst sensibel gegenüber Reaktionen anderer ist arrogant und aggressiv ist gehemmt, scheu oder sogar übertrieben bescheiden ist sich mit sich selbst beschäftigt, egozentrisch lenkt Aufmerksamkeit mehr auf andere als auf sich selbst braucht es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen vermeidet, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein hat einen „Sender, aber keinen Empfänger“ hört anderen sorgfältig zu, um Anzeichen für Kränkungen und kritische Äußerungen nicht zu übersehen ist offensichtlich unempfindlich gegenüber Kränkungen durch andere fühlt sich leicht gekränkt; neigt dazu, sich beschämt und gedemütigt zu fühlen