Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension Zu den verhaltensbiologischen Grundlagen frühkindlichen Lernens PD Dr. Fabienne Becker-Stoll Fotos:

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Kinder benötigen eine Orientierung in der Medienwelt.
Advertisements

Dreifußmodell Kindergarten St. Martin Moosach. Im Spiel Erleben die Kinder Begegnung kommen sie mit anderen in Kontakt entwickeln sie eine Beziehung zu.
Pro-Skills-Hintergrundphilosophie
Margarita Klein, Hamburg
Schulfähigkeitsprofil als Brücke zwischen Kindergarten und Schule
Verantwortung übernehmen heißt Antworten geben-
Referentinnen: Julia Michalewski, Birte Stapperfend, Elisa Remde
Vorlesung: Einführung in die Pädagogische Psychologie
Bindung und die Entwicklung des Selbst
John Bowlby, Mary Ainsworth, Bindung.
Einführung in die Entwicklungspsychologie – PD Dr. Christiane Papastefanou – WS 2002/2003 Entwicklungsaufgaben der frühen Kindheit Laufen lernen Feste.
Grundkonzepte der Bindungstheorie
Zeitgemäßer Mathematik-unterricht mit dem Mathematikbuch
„Unser Katapult ist fertig!“ bis
Entwicklungspsychologie für Lehrer
Innere Arbeitsmodelle – Was ist das?
Er-ziehung ist Be-ziehung
Evangelische Jugend im Kirchenkreis An Nahe und Glan Kinderfreizeit 2007 und 2008 Ein Beitrag zur Frage: Was soziale Bildung Plus auch ist.
Unterrichtsmaterial (D7)
Fit für die Schule ?! GS & KIGA BACCUM
Eingewöhnung Krippe QUALITÄTSHANDBUCH
ein neues Unterrichtsfach
Titel NÖ KINDERGARTENPORTFOLIO NÖ KINDERGARTENPORTFOLIO
Der Spracherwerb des Kindes
Einführung in die Pädagogik
Was kleine Kinder brauchen, um stark zu werden
Trauma und Bindung Auswirkungen erlebter Traumatisierung
Die Familie des schwerkranken Kindes
ponte Kindergärten und Grundschulen auf neuen Wegen
John Bowlby Über das Wesen der Mutter-Kind-Bindung (1959)
Wahrnehmung Das Erfassen und Aufnehmen der Umwelt über die Sinnesorgane Wahrnehmung wird besteht aus: 1. Input 2. Erwartung 3. Aufmerksamkeit 4. Wahrnehmung.
Grunderfahrungen für den Schreib- und Leselernprozess
Montessori-Pädagogik
Das menschliche Gehirn - eine Einführung in die Neuropsychologie
Bindungstheorien Bindungstheorien.
(„Aktueller Vortrag“)
Bindungsqualität und kindliche Entwicklung
St. Benno-Gymnasium Dresden Jürgen Leide, Pädagogischer Leiter
Lerngewohnheiten: Aus einer pädagogischen und affektiven Perspektive Andrea Moreno (UTP) Carolina Buchwald (Psychopädagogin)
WIE KANN SCHULE (LERN-) THERAPEUTISCH WIRKSAM WERDEN. Fachtagung 27
Mit freundlicher Unterstützung von: Offensive Bildung macht Schule Evaluation Prof. Dr. Daniela Braun In Kooperation mit: FH Koblenz.
Fabienne Becker-Stoll Staatsinstitut für Frühpädagogik
Konzept der FairPlay Liga für Spiele bei F-Junioren
Soziales Lernen in der Schuleingangsphase an der GGS Deutzerstr.
Name of speaker Kultursensible Kommunikation im Sozial- und Gesundheitsbereich Verstehen wir uns?
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Mirjam holt mit einigen Kindern neue.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Claudia schneidet gemeinsam mit einigen.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 02.02– Um die Interessen der Kinder an Geschichten.
8 Biblische Leitsätze, die uns führen
Bindungstheorie 1. Grundlagen der Bindungstheorie - Grundbedürfnisse und Entwicklungsaufgaben 2. Bindungsmuster - Konzept der Feinfühligkeit –
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 26.01– Musik weckt das Interesse einzelner Kinder.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Einige Kinder fädeln zur Zeit sehr.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 09.03– Den Kindern wurde ein neues Material zur.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 16.03– Da alle Kindergartenkinder einen Ausflug.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 07.01– Für jedes Kind werden monatlich besondere.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Die Matschpumpe im Garten zieht auch.
Wozu um alles in der Welt lebe ich überhaupt?
zum Infoabend FAIRPLAYLIGA
„Wasserfest als Projektabschluss“ Wochenrückblick vom bis 03
Papilio Primärprävention von Verhaltensproblemen und Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindergarten.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 15.09– Jedes Kind wird von der Fachkraft darin.
Die Johanniter-Unfall-Hilfe
Seminar „Leben im Wohl-Stand“ Seminar “Leben im Wohl-Stand” - Ihre persönliche Reise zu einem selbstbestimmten Leben voller Erfolg, Zufriedenheit und Dankbarkeit.
ZAHLENBUCH IM KINDERGARTEN. „Mathematik ist die Wissenschaft der Muster“ Das Auge für Muster schulen: Regelmässigkeiten/ Beziehungen erkennen.
0 – 3 Projekt: Die wichtigen Jahre 0 – 3 Hilfen für Eltern von Säuglingen und Kleinkindern in Stadt und Landkreis Passau Caritas-Frühförderungsdienst Passau.
We are Family! Geschwister von Kindern mit Behinderung.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 22.02– Während dem täglichen Gang zum Morgenkreis.
Die Bindungsmodelle John Bowlby ( ).
Bindung?.
Ziel: Kinder in ihren musikalischen Kompetenzen stärken
 Präsentation transkript:

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension Zu den verhaltensbiologischen Grundlagen frühkindlichen Lernens PD Dr. Fabienne Becker-Stoll Fotos: Jochen Fiebig, IFP, 2007 in Krippen der LHM

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 2  Bindungs- und Explorationsverhalten (Bowlby,1987 & Ainsworth,1974 in Grossmann & Grossmann,2003)  Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun et al. 2007, 2009)  Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2007; 2010)  Typisch Mensch: Kooperationsfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 3 Bindungs- und Explorationsverhalten (Bowlby, 1987; Ainsworth, 1974 in Grossmann & Grossmann 2003)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 4 Bindungs- und Explorationsverhalten  Der Mensch ist von Geburt an mit zwei grundlegenden Verhaltenssystemen ausgestattet, die sein Überleben und das seiner Art sichern:  Bindungsverhaltenssystem  Explorationsverhaltenssystem

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 5 Bindungs- und Explorationsverhalten  Das Bindungsverhaltenssystem ermöglicht es dem Kind von Geburt an, Bindungsverhalten gegenüber einer oder einigen wenigen Personen zu zeigen.  Bindungsverhalten zielt darauf ab, die Nähe einer bevorzugten Person zu suchen, um dort Sicherheit zu finden.  Die meisten Kinder entwickeln in den ersten neun Lebensmonaten Bindungen gegenüber Personen, die sich dauerhaft um sie kümmern.  Dabei ist das Kind aktiv und hat die Initiative bei der Bildung von Bindung.  Durch Fremdheit, Unwohlsein oder Angst wird das Bindungssystem aktiviert, und die Erregung wird durch Wahrnehmung der Bindungsperson – durch Nähe, liebevollen Körperkontakt und Interaktion mit ihr – beendet.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 6 Bindungs- und Explorationsverhalten  Das Kind bindet sich nicht nur an die Bezugsperson, die es versorgt,  sondern auch an andere Personen, die mit ihm spielen und interagieren.  Auch wenn das Kind zu mehreren Personen Bindungsbeziehungen entwickelt, sind diese eindeutig hierarchisch geordnet.  Das Kind bevorzugt eine Bindungsperson vor den anderen.  Hat ein Kind eine Bindung zu einer bestimmten Person aufgebaut, kann diese nicht ausgetauscht werden.  Längere Trennungen oder gar der Verlust dieser Bindungsfigur führen zu schweren Trauerreaktionen und großem seelischen Leid.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 7 Bindungs- und Explorationsverhalten  Komplementär zum Bindungsverhaltenssystem ist das Explorationsverhaltenssystem.  Das Explorationsverhaltenssystem bietet die Grundlage für die Erkundung der Umwelt.  Explorationsverhalten ist jede Form der Auseinandersetzung mit der Umwelt und damit die verhaltensbiologische Grundlage von Lernen.  Aber auch das Bindungsverhalten dient dem Lernen  Es hält das Kind in der Nähe und in der Interaktion zur Bindungsperson von und mit der es am meisten lernen kann.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 8 Bindungs- und Explorationsverhalten  Ein Kind kann nur dann Explorationsverhalten zeigen wenn sein Bindungsverhaltenssystem beruhigt ist.  Hat das Baby zu einer Person eine Bindung aufgebaut, kann es von dieser aus seine Umwelt erkunden.  Kommt das Kind dann bei seinen Erkundungsversuchen in eine Überforderungssituation wird sein Bindungsverhalten aktiviert und es wird zur „sicheren Basis“ der Bindungsperson zurückkehren.  Dort gewinnt das Kind meist über Körperkontakt seine emotionale Sicherheit wieder.  Das Bindungsverhaltenssystem beruhigt sich und das Explorationsverhaltenssystem wird wieder aktiviert, sodass das Kind sich von seiner „sicheren Basis“ lösen und der Erkundung der Umwelt zuwenden kann.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 9 Bindungs- und Explorationsverhalten Reagiert die Bindungsfigur feinfühlig auf die Signale des Kindes, entwickelt das Kind eine sichere Bindung zu ihr. Feinfühlige Zuwendung bedeutet  die Signale des Kindes wahrnehmen  Sie richtig interpretieren  und prompt und angemessen darauf reagieren.  Die Feinfühligkeit der Bezugsperson hängt von ihren eigenen Erfahrungen und der Unterstützung durch ihr soziales Umfeld ab.  Je sicherer die Bindungsqualität desto flexibler kann das Kind sein Bindungs- und Explorationssystem ausrichten.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 10 Bindungs- und Explorationsverhalten  Damit ein Kind die Bildungsangebote in der Kindertageseinrichtung nutzen kann, braucht es auch dort eine sichere emotionale Basis.  Kinder brauchen im Kontext der außerfamiliären Betreuung eine feste Bezugsperson, von der aus sie explorieren können.  Vorraussetzung dafür ist eine behutsame Eingewöhnung, die gemeinsam mit den Eltern geplant und durchgeführt wird.  Kinder bauen im ersten Lebensjahr Bindungsbeziehungen auf, so dass hier eine lange außerfamiliäre Betreuungszeit nicht empfehlenswert ist.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 11 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 12 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 13 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 14 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 15 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 16 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 17 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 18 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 19 Frühkindliche Gehirnentwicklung  Braun, A. (2009). Wie Gehirne laufen lernt oder „Früh übt sich, wer Meister werden will“. In U. Herrmann. Neurodidaktik: Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Lehren und Lernen Weinheim: Belz

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 20 Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002; 2009) 1.Frühe Bindungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung im Gehirn aus  Das frühkindliche Gehirn wird auch auf der Ebene  der Molekularstruktur,  der Entstehung von Synapsen und  des Aufbaus der Vernetzungen stärker durch Umwelteinflüsse, insbesondere durch Erfahrungen mit den primären Bezugspersonen, beeinflusst als bisher gedacht.  Es sind nicht vorrangig die Gene, sondern die Erfahrungen, die das Kind vorgeburtlich und in den ersten fünf Lebensjahren mit seiner unmittelbaren sozialen Umwelt – seinen wichtigsten Bezugspersonen – macht, die über die spätere Leistungsfähigkeit des Gehirnes entscheiden.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 21 Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002; 2009) 2.Damit sich im Gehirn neue Strukturen und Vernetzungen entwickeln können, bedarf es eines gleichzeitigen Zusammenwirkens dreier Bereiche:  Sinnes- und Bewegungszentren im Neocortex,  Limbisches System (Emotionszentrum) und  präfrontaler Cortex.  Nur die gleichzeitige Stimulation dieser drei Areale führt zum Aufbau neuer Strukturen, die auch nachhaltig sind.  Diese optimale Stimulation erfährt das frühkindliche Gehirn am besten in der liebevollen Interaktion mit seiner Hauptbezugsperson, weil dabei – eingebettet in eine emotional bedeutsame Beziehung – visuelle, auditive, taktile Reize mit dem Limbischen System und dem präfrontalen Cortex vernetzt werden.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 22 Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002; 2009) 3.Frühkindliches Lernen findet dann statt, wenn die Aktivität vom Kind ausgeht und es selbst erkundet, handelt, begreift, erfährt.  Das frühkindliche Gehirn ist für aktives Erkunden und Lernen geschaffen.  Jedes vom Kind ausgehende aktive Erkunden, Lernen, Begreifen, Verstehen wird durch „Belohnungsmechanismen“ unterstützt.  Mit jeder Erkenntnis erfährt das Kind eine intrinsische Beglückung, sodass es immer weiter verstehen und lernen möchte.  Dieser Belohnungsmechanismus funktioniert jedoch nur bei selbst initiiertem Lernen.  Frühkindliches Lernen unterscheidet sich von erwachsenem Lernen, indem es ausschließlich von der unmittelbaren eigenen Erfahrung und der eigenen Aktivität abhängig ist.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 23 Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002; 2009) 4.Die emotionale Sicherheit ist umso bedeutsamer, je jünger ein Kind ist.  Sie ist Voraussetzung dafür, dass das Kind sich mit seiner Umwelt aktiv auseinandersetzen kann und damit die Grundlage jedes Lernens.  Kinder lernen in und durch die Beziehung zu ihren primären Bezugspersonen.  Auch die angeborenen Spiegelneurone des Säuglings können sich nur dann entfalten, wenn sie durch soziale Interaktion mit den Bezugspersonen stimuliert werden (Bauer 2005).

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 24 Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2007; 2010)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 25 Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2010)  Kinder lernen vor allem von Menschen, in sozialen Interaktionen und durch emotionale Beziehung zu ihnen.  Deshalb hängt der Ertrag früher Bildungsprozesse von Beziehungs- und Bindungsprozessen ab.  Bildungsangebote werden nur dann vom Kind wirklich wahrgenommen, wenn sie in funktionierenden Beziehungen eingebettet sind, die mit denen bestehen, die dem Kind Bildung vermitteln wollen.  In einer solchen Beziehung kann das Kind sich als aktiv handelnde und selbstwirksame Person erleben.  Diese Eigenschaft wird - so die Bindungstheorie und – forschung - in sicheren Bindungsbeziehungen umgesetzt.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 26 Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2010) Ahnert & Harwardt, 2008  100 Kinder (6 Jahre) wurden 6 Monate vor und nach der Einschulung in der Kita und Zuhause beobachtet  Einschätzung der Beziehungserfahrungen mit Mutter und Erzieherin  Eltern gaben Auskünfte wie gerne ihr Kind in die Schule geht, Hausaufgaben macht, von der Schule berichtet  Auswertung der Zeugnisbeurteilungen (Lernwilligkeit, Anstrengungsbereitschaft, Aufmerksamkeit, Konzentration)  Leistungstests in Mathematik und Deutsch  Anstrengungsbereite und lernfreudige Kinder hatten gute Beziehungsqualitäten zu Hause und im Kindergarten.  Sie fielen bereits durch ausgeprägte Spielfreude im Kindergarten auf und bewährten sich später in der Grundschule mit guten Leistungen.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 27 Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2010) Schneiderwind, Milatz & Ahnert, 2009  Wie nachhaltig fördern oder hemmen die Beziehungserfahrungen des Kindes den Lernprozess?  Dem Kind, das Aufgaben an einem Computer löst, wird das Foto der Erzieherin beziehungsweise Lehrerin eingeblendet, deren Beziehungsqualität bekannt ist.  Das Foto wird in diesem Experiment nur so kurz dargeboten, dass es nicht bewusst wahrnehmbar wird und als subliminale Botschaft unterschwellig wirken kann.  Erste Analysen dieser experimentellen Anforderungen zeigen, dass es zu kurzen Reaktionszeiten und vielen Fehlern kommt, wenn das Kind von einer Person beim Lösen der Aufgaben subliminal gestört wird, mit der es eine belastende Beziehung hat.  Es arbeitete langsamer, aber auch sorgfältiger, wenn die Beziehungsqualität der eingeblendeten Person als unterstützend und anregend eingeschätzt wurde.

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 28 Typisch Mensch: Kooperationfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 29 Typisch Mensch: Kooperationfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 30 Michael Tomasello:  Kinder im zweiten Lebensjahr zeigen bereits erstaunliche Fähigkeiten zur Kooperation – nicht nur gegenüber Erwachsenen.  Sie erkennen Ziele anderer und helfen ihnen spontan, diese zu erreichen.  Kinder sind Primaten bereits im Alter von 2 Jahren in ihrer sozialen Kompetenz überlegen – nicht jedoch in der kognitiven Intelligenz. Sarah Blaffer Hrdy:  Im Unterschied zu Primatenjungen werden menschliche Säuglinge kulturhistorisch gesehen vorwiegend von mehreren Bezugspersonen gleichzeitig aufgezogen.  Durch die Anpassung an verschiedene Bezugspersonen haben sich frühe soziale Kompetenzen als Selektionsvorteil herausgebildet. Typisch Mensch: Kooperationfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 31 FAZIT Diese Erkenntnisse zeigen:  Kinder sind schon sehr früh zu sozialen Kontakten und Kooperation zu anderen Erwachsenen und anderen Kindern fähig und motiviert.  Kinder können von mehreren (vertrauten, liebevollen) Bezugspersonen nur profitieren.  Vielleicht ist es also gar nicht das Beste für ein Kind, in den ersten Lebensjahren nur allein bei der Mutter zu sein?!

Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension / Fabienne Becker-Stoll / 32 FAZIT Wie können wir diese (neuen) Erkenntnisse nutzen, um die Bildungsqualität für Kinder zu verbessern?  Einerseits werden Kinder in ihrer sehr frühen sozialen und kommunikativen Kompetenz und in ihrer Kooperationsfähigkeit nach wie vor unterschätzt.  Andererseits bieten wir ihnen in den Bildungsinstitutionen nicht die Beziehungsqualität(en), die sie brauchen, um sich optimal entwickeln und entfalten zu können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit Fotos: Jochen Fiebig, IFP, 2007 in Krippen der LHM