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Sterbehilfe und Strafrecht

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Präsentation zum Thema: "Sterbehilfe und Strafrecht"—  Präsentation transkript:

1 Sterbehilfe und Strafrecht
Vorbereitung auf den Gastvortrag von Prof. Dr. med. F. Oehmichen am 27. Juni 2013 (17.00 Uhr im GER 037) (gemeinsame Veranstaltung von ELSA-Dresden und der Forschungsstelle Medizinstrafrecht an der Juristische Fakultät)

2 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
allgemeines Spannungsverhältnis bei rechtlichen Regelungen im Arzt/Patienten-Verhältnis: einerseits: Unentbehrlichkeit rechtlicher Grenzziehung andererseits: Anerkennung eines sachnotwendig gebotenen ärztlichen „Freiraums“

3 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
Konsequenz: Recht als bloßer Rahmen (zB iZm §§ 229, 222 StGB/Fahrlässigkeit): Freiheit der Therapiewahl => Grenze: „Kunstfehler)

4 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
Aber: wesentliche Ausnahme: „Zugriffsberechtigung" bei körperlichen Eingriffen =>(mutmaßliche) Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters als zwingende Voraussetzung rechtmäßigen ärztlichen Handelns (andernfalls: §§ 223 ff. StGB [+]

5 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
ständige RSpr.: jeder (!) ärztliche Heileingriff als einwilligungsbedürftige Körperverletzung: auch bei vitaler Indikation keine ärztliche Befugnis zur eigenmächtigen Heilbehandlung ggf. Sanktionierung aus §§ 223 Strafgesetzbuch, 823 BGB (Schadensersatz)

6 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
Also stets zu fragen: Ist Weiterbehandlung vom Willen des Patienten (bzw. seines Vertreters) gedeckt?

7 allgemeine Vorbemerkung (ärztliches Handeln und Recht)
Entscheidend: Ist die (Weiter)Behandlung vom (mutmaßlichen) Patientenwillen gedeckt? Wenn nicht: Fortfall der ärztlichen Berechtigung zur Heilbehandlung (§ 223 StGB!); dann aber auch: Fortfall der ärztlichen Pflicht zur Lebenserhaltung (=> §§ 212, 13 / 323c StGB entfallen!)

8 Kein Problem ärztlicher Sterbehilfe:
(unterlassene) Maßnahmen nach Eintritt des Todes: => Gesamt-Hirntod Sterbebegleitung: Schmerzbekämpfung als auch strafbewehrte (§§ 223, 13 StGB) arztethische Pflicht

9 Fehlende spezialgesetzliche Regelung für Sterbehilfe (außer: §§ 1901a ff. BGB)
→ Rechtslage aus allgemeinen gesetzlichen Vorgaben zu erschließen

10 Verbot aktiver Tötung handelndes Setzen einer neuen, den Tod beschleunigenden „Noxe“ → grundsätzlich strafbar - auch auf Verlangen des Patienten (§ 216 StGB aber: Ausnahme =>

11 indirekte „Sterbehilfe“
=> als unbeabsichtigte Nebenfolge notwendiger Schmerzbekämpfung (Wille auf Schmerzlinderung und nicht auf Tötung gerichtet): → erlaubt (und geboten! → s.o. → Sterbebegleitung: Pflicht zur Schmerbekämpfung [auch aus §§ 223, 13 StGB]): - auch als „terminale Sedierung“

12 indirekte „Sterbehilfe“
→ Abgrenzung zur verbotenen aktiven Tötung [o. (1)] gemäß Dosierungsindikation → keine Beschränkung auf Todesnähe → Einbeziehung auch sonstiger schwerer Leidenszustände (zB Luftnot)

13 indirekte „Sterbehilfe“
Konstruktive Umsetzung der Straflosigkeit: - § 34 StGB: patienten-interne (!) Abwägung (Leben[srest] ./. Schmerz- und Leidensminderung)

14 Suizidunterstützung aktive Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid (Patient tötet sich selbst): - zwar standesrechtlich untersagt - aber straffrei (keine Anstiftung, § 26 StGB, oder Beihilfe, § 27 StGB, da keine teilnahmefähige Haupttat)

15 Suizidunterstützung - Abgrenzung zur - strafbaren - täterschaftlichen Tötung (§§ 212, 216 StGB): => Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt (zB Giftspritze => Arzt als Täter / Medikamentenüberlassung => Arzt als strafloser Gehilfe) => Tatherrschaft des Dritten (zB Arztes) trotz ubr. Handlungsvollzuges durch Suizidenten im Falle eines „unfreien“ Suizids (zB durch Dementen) Maßstab für fehlende Freiverantwortlichkeit str.: Einwilligungs - contra Exkulpationslösung

16 Suizidförderung ja ebenfalls straflos]
Suizidunterstützung Zusatzproblem: unterlassene Lebensrettung nach Suizidversuch - nach BGHSt 32, Fall Wittig: Unterlassungstäterschaft eines Garanten (hier: des Arztes) aus §§ 212/216, 13 StGB, sofern: - Rettung möglich - Rettung zumutbar - [aA die ganz herrschende Lehre: „Kündigung der Garantenstellung“ / aktive Suizidförderung ja ebenfalls straflos]

17 Suizidunterstützung ferner: Unterlassungstäterschaft nach § 323c StGB:
- für Jedermann (also auch für Arzt) - Suizidversuch als Unglücksfall (str.) - Rettung unzumutbar (bspw. bei Rettungsverbot durch Suizidenten oder bei wiederholtem Suizidversuch)

18 Suizidunterstützung (de lege ferenda)
Strafrechtliches Verbot von Organisationen zur Förderung des Suizids (zB „Exit“ oder „Dignitas“) RegE § 217 StGB (bei Fischer, Strafgesetzbuch, 60. Aufl. 2013): (1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zu einer Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wir mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine ihm nahestehende Person ist.

19 Passive Sterbehilfe (Behandlungsbegrenzung)
= Unterlassen der auf Lebensverlängerung ausgerichteten Maximaltherapie (= lebensverkürzende Therapie-Umstellung auf palliative Versorgung) - bislang ebenfalls gesetzlich nicht speziell geregelt -

20 Passive Sterbehilfe → für rechtliche Behandlung ohne Belang:
Nichtaufnahme einer lebensverlängernden Behandlung oder deren Abbruch! Abbruch lebensverlängernder Behandlung durch Untätigbleiben (zB bei Begleitkrankheit) oder aktives Tun (sog. technischer Behandlungs-abbruch: „Abschalten“)!

21 Passive Sterbehilfe keine Todesnähe erforderlich
(bei entsprechendem Patientenwillen) auch Absetzen der künstlichen Ernährung (iwS) zulässig entgegenstehende Gewissens- entscheidung von Ärzten/Pflegekräften: nicht legitimierend für Weiterbehandlung

22 Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch)
a) sofern Unterlassen (zB keine weitere künstl. Ernährung) → Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-)

23 Dogmatische Umsetzung der passiven Sterbehilfe (= Behandlungsabbruch)
b) sofern aktives Tun (zB Abschalten der künstlichen Beatmung) - Unterlassen durch Begehen (urspr. hL) → Wegfall der Garantenstellung: §§ 212, 13 StGB (-) - aktives Tun, aber rechtsfertigungsfähig (hL): [- MA: TB-Restriktion] - § 34 StGB ODER - Art. 2 I, 2 II GG als RFG ODER - (mutm.) Einwilligung in Behandlungsabbruch (BGH)

24 Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten
Unterscheide: Aktuell erklärte (Nicht-) Einwilligung des Patienten Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung Fehlende [mutmaßliche]) (Nicht-) Einwilligung

25 Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten
Aktuell erklärte (Nicht-) Einwilligung des Patienten => Weiterbehandlung als rechtswidrige Verletzung des Körpers sowie (zivilr.) des allg. Persönlichkeitsrechts!

26 Passive Sterbehilfe und Wille des Patienten
Vorab erklärte (Nicht-)Einwilligung Gesetzliche Regelung in §§ 1901a ff. BGB (Betreuungsrecht) Zur Patientenverfügung =>

27 Zur Patientenverfügung
Patientenverfügung (§ 1901a Absatz 1 BGB) = eine schriftliche Vorausverfügung einer einwilligungsfähigen volljährigen Person für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit, ob sie in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

28 Abgrenzung zu Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung
Die Patientenverfügung ist von Vorsorgevollmacht u. Betreuungsverfügung zu unterscheiden: Vorsorgevollmacht = Vollmacht für den Fall, dass der Vollmachtgeber seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann (z.B. Gesundheitsfürsorge, Pflege, Vermögens- u. Behördenangelegenheiten). => Konsequenzen: ggf. wie bei Patientenverfügung Betreuungsverfügung = Vorschlag des Verfügen-den, welche Person vom Betreuungsgericht als Be-treuer im Bedarfsfall eingesetzt werden soll. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

29 Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (I)
Rechtslage bis September 2009: Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Geprägt durch Rechtsprechung der Gerichte. Grundsatzentscheidung BGH vom : - Patientenverfügungen prinzipiell verbindlich, da Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde Beachtung dieser eigenverantwortlichen Entschei- dung gebieten. - Voraussetzung: Wille des Patienten eindeutig und sicher für die konkrete Behandlungssituation fest- stellbar (Todesnähe? Gericht nur bei Dissens Arzt/Betreuer). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät 29

30 Rechtliche Behandlung von Patientenverfügungen (II)
Neue Rechtslage seit September 2009: Patientenverfügung seit September 2009 in den §§ 1901a ff. BGB verbindlich gesetzlich normiert. Betreuer/Bevollmächtigter als Vertreter des Patienten müssen dem geäußerten Willen des Patienten Ausdruck verleihen und diesen zusammen mit Arzt umsetzen, wenn - die getroffenen Festlegungen zur konkreten Lebens- und Behandlungssituation passen, - kein gesetzliches Verbot (zB Tötung auf Verlangen) betroffen ist, - kein äußerer Druck oder Irrtum ersichtlich ist, - es sich um den noch aktuellen Willen handelt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

31 Keine Reichweitenbeschränkung
Patientenverfügungen sind für jedes Krankheitsbild rechtlich zulässig. Keine Beschränkung der Gültigkeit von Behand-lungsverzichtserklärungen in Patientenverfügungen auf Fälle, in denen der Patient an einer „irreversibel tödlich verlaufenden Grunderkrankung“ (so BGH vor 2009) leidet. Behandlungsentscheidung des Patienten „unab-hängig von Art und Stadium der Erkrankung“ (§ 1901a Absatz 3 BGB): keine „Todesnähe“ erforderlich. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

32 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Formerfordernisse Keine ärztliche und rechtliche Beratung notwendig, um eine verbindliche Patientenverfügung aufzu-setzen Einziges Formerfordernis: Schriftlichkeit. (also kein notarielles/ärztliches Beglaubigungs-erfordernis) Der Widerruf der Patientenverfügung ist allerdings formlos - etwa mündlich - möglich (Problem: schlüssiges Verhalten?). Kein Aktualisierungszwang Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

33 Gleichstellung von Bevollmächtigtem u. Betreuer
Gesetzliche Regelung sieht Gleichbehandlung von Betreuer und Bevollmächtigtem vor. (Siehe: §§ 1901a Absatz 5, 1901b Absatz 3, 1904 Absatz 5 Satz 1 BGB) Sachgerecht, da meist Bevollmächtigter und Betreuer ohnehin aus dem selben Personenkreis stammen. - Bevollmächtigter: Patient wählt zumeist enge Vertrauenspersonen aus Freundeskreis und Fa- milie (Ehegatte, Kinder, Eltern) aus. - Betreuer: Betreuungsgericht wählt nach gesetzlichen Vorgaben (§ 1897 Absatz 4 Satz 1 BGB) – sofern möglich - aus genau demselben Personenkreis eine geeignete Person aus. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

34 Missbrauchskontrolle iZm §§ 1901a ff. BGB
Dem Schutz vor missbräuchlichem Verhalten dienen: Arzt und Betreuer/Bevollmächtigtem gemeinsam mit Wahrung der Patienteninteressen betraut Einschaltung der Angehörigen (=> Anhörung) im Rahmen der „sozialen Kontrolle“ gemäß § 1901b BGB. [aber: kein ärztl./pflegerisches Konzil erforderlich] Gerichtliche Kontrolle: Nur vorgesehen für den Fall, dass kein Einvernehmen zwischen Arzt und Vertreter herzustellen ist in Bezug auf den Patientenwillen hinsichtlich einer medizinischen Maßnahme (§ 1904 Absatz 4 BGB). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

35 Strafbarkeits- und Haftungsrisiken des Arztes
Die körperliche Unversehrtheit des Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht sind grundrechtlich geschützt (Art. 2 Absatz 1, 2 sowie Art. 1 I GG). Jeder Eingriff in die körperliche Integrität stellt rechtlich eine Körperverletzung dar, auch wenn Ziel des Eingriffs die Heilung des Patienten ist. Ärztliche Behandlungen bedürfen deshalb zu ihrer Rechtfertigung die Einwilligung des Patienten. Liegt eine solche Einwilligung nicht vor, bleibt die Maßnahme zivilrechtswidrig und strafbar. Also: Genau zu prüfen, welche Maßnahmen dem Patientenwillen entsprechen und wie diesbezüglich vorzugehen ist. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

36 Verantwortung u. Indikationsstellung des Arztes
Ärztliche Feststellung, ob eine bestimmte Maßnahme medizinisch indiziert ist oder nicht, ist von ent-scheidender Bedeutung. Liegt keine medizinische Indikation vor, so erübrigen sich alle Überlegungen zur Einschlägigkeit der Patientenverfügung, Konsensfindung mit Vertreter sowie Einschaltung des Betreuungsgerichts. Medizinische Indikation hat objektiv und neutral zu erfolgen, nicht unter Zugrundelegung der Wert-vorstellungen des Arztes selbst (etwa was er unter „menschenwürdigem Leben bzw. Sterben“ versteht). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

37 Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (I) [s
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (I) [s. Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] Behandlung gemäß aktuell erklärtem Patientenwillen: Medizinische Indikation? Patient aktuell entscheidungsfähig? + Aktuelle Willens-entscheidung des Patienten + - Patientenverfügung vorhanden? - s.u.- Behandlung/Nicht-behandlung Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

38 Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (II) [s
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (II) [s. Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] 2. Behandlung gemäß Patientenverfügung: Patientenverfü-gung vorhanden? Einschlägig für aktuelle Lebens- u. Behandlungssituation? + - + - Betreuungs-gericht - Einver-nehmen zw. Arzt u. Vertreter Mutmaßlicher Patientenwille? - s.u. - Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

39 Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (III) [s
Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (III) [s. Beckmann, MedR 2009, S. 582, 585] 3. Behandlung gemäß mutmaßlichem Patientenwillen: Mutmaßlicher Patientenwille? Behandlungswünsche des Patienten konkret ermittelbar? - + Betreuungs-gericht - Einver-nehmen zw. Arzt u. Vertreter Wohl des Patienten?? - s.u. - Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

40 Entscheidungsweg u. Verfahrensgang im ärztlichen Alltag (IV)
4. Behandlung gemäß dem Wohl des Patienten: Wohl des Patienten? = Teil der Indikation objektive, allgemeine Wertvorstellungen („in dubio pro vita“)? Betreuungs-gericht - Einvernehmen zw. Arzt u. Vertreter Behandlung/Nichtbehand-lung + Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

41 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Einseitiger Behandlungsabbruch => nach wie vor ungelöst! Ausweichen auf mutmaßliche Einwilligung? =>bloße Fiktion bzw. Gefahr verschleierter Fremdbestimmung Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

42 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Weitere Ansätze: Güterabwägung - § 34 StGB (wie bei indirekter Sterbehilfe)? aber: Für patienten-interne Abwägung (Leben[srest] ./. Schmerzbekämpfung) hier kein Raum: stattdessen [Merkel]: Güterabwägung: "biologisches" Leben ./. fehlendes Lebensinteresse"? Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

43 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Weitere - isoliert nicht überzeugende - Ansätze: Sinnlosigkeit weiterer ärztlicher Bemühungen Unzumutbarkeit der Weiterbehandlung für den Arzt Menschenwürde des „Sterbenden“ Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und potentiellem Erfolg Zielsetzung ärztlichen Auftrags => Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

44 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Zielsetzung ärztlichen Auftrags: gerichtet auf „Erhaltung und Ermöglichung menschlicher Selbstverwirklichung“ [Eser] Endet mangels Möglichkeit weiterer Selbstwahrnehmung => bei unwiderruflichem Verlustes jeglicher Reaktions- und Kommunikations-fähigkeit Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

45 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Zukünftig rechtswissenschaftlich zu klären: => Behandlungsabbruch bei fehlender medizinischer Indikation? Problem: Indikation primär als fachliches Urteil über den Wert einer Behandlungsmethode im Einzelfall aber eben auch: Tor, durch das Ethik Eingang findet in den ärztlichen Entscheidungsprozess (bspw. bei Behandlungsbegrenzung aus utilitaristisch-ökonomischer Erwägung?) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

46 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Abstellen auf Fortfall der Indikation zur weiteren (Maximal-) Behandlung Konsequenz: Fortfall der strafbewehrten Behand lungspflicht Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

47 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Fehlende Indikation für Weiterbehan-lung als von Rspr. und Gesetzgebung relativ kritiklos verwandter Schlüsselbegriff der Sterbehilfe, vgl. etwa: - BGHZ 154, 205, 224 (2003) - § 1901b Abs. 1 BGB (2009) - s.a. BÄK (Sterbebegleitung 2011) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

48 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
zB BGHZ (2003): „Die medizinische Indikation, verstanden als das fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behand-lungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall, begrenzt insoweit den Inhalt des ärztlichen Heilauftrags. … im Schnittfeld naturwissenschaftlicher und medizinethischer Überlegungen nicht immer scharfe Begrenzung.“…. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

49 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Aber: es gibt nicht die Indikation: => Indikation (insb. auch iZm Nicht-behandlung am Lebensende) von Zielstellung abhängig zu unterscheiden (z.B. Neitzke): - medizinische Indikation - ärztliche Indikation Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

50 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
medizinische Indikation = „fachliche Rechtfertigung dafür, dass eine geplante ärztliche Maßnahme in vergleich-baren Fällen medizinisch sinnvoll und damit angezeigt ist“ (Neitzke) bzw. „Grund…, welcher es erlaubt, eine bestimm-te ärztliche Maßnahme durchzuführen, die nach Abschätzung des möglichen Nutzen und Risikos - unter Beachtung etwaiger Kontraindikationen - für den Patienten sinnvoll ist.“ (Oehmichen) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

51 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Medizinische Indikation: nach Feststellung einer Erkrankung (Diagnose), die behandelbar ist (Inblick-nahme des med. Methodenspektrums) wird in Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungsziel eine Prognose gestellt, ob mögliche Behandlungsmaßnahmen unter Beachtung von Kontraindikationen einen Behandlungserfolg erzielen können Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

52 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
hierbei: grundsätzlich Indikation und Patienten-Konsens zu trennen aber: Therapieziel auch von Wünschen des Patienten abhängig („shared decision making“) Prozesshaftigkeit der Indikationsstellung (ebenso die Bildung des Patientenwillens) in die dann indizierte Therapie muss Patient aber noch einwilligen Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

53 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Ärztliche Indikation: Prüfung der Angemessenheit einer medizi-nisch als indiziert angesehenen Maßnahme am konkreten Einzelschicksal = „Tor, durch das die Ethik Eingang findet in den überindividuell-rationalen Prozess ärztlicher Entscheidungsprozesse“ (Neitz-ke); s.a. Anschütz (1982): „Indikationsstellung …. [als] einziger Ort, wo in den fast zwangshaft naturwissen-schaftlich logischen Gedankengang von Anamnese, Befund, Diagnose und Therapie ethische Gedankengänge eingebracht werden können.“ Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

54 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Zur ärztlichen Indikation zählen bspw.: Alter jetzige sowie zukünftige Lebensqualität Komorbidität und andere Risiken weitere Lebensplanung des Patienten zu erwartende Compliance Patienten-Einstellung zu Leid und Sterben Menschenbild des Patienten seine sonstigen Lebensumstände, soziales Umfeld Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

55 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Gesamtindikation → zielt auf fachlich bestmögliches und individuell angemes-senes Therapieangebot „Therapie ohne medizinische Indikation: medizinisch-wissenschaftlich verantwor-tungslos; Therapie ohne ärztliche Indika-tion: moralisch verantwortungslos“ (Neitzke) Arzt dem Menschen und nicht dessen Organismus verpflichtet Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

56 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag nicht zur ärztlichen Indikation (mit ihrem am Patienten zu orientierenden Ansatz) zählen: gerechte Ressourcen-Zuteilung! drittbewertete Lebensqualität: → Lebensqualität nur vom Betroffenen (und eben nicht von Dritten) einzustufen: Maßgebend → Maßstab des Patienten (und nicht des Arztes) → insoweit gibt es keine medizinisch- naturwissenschaftliche Objektivität Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

57 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag ebenfalls nicht zur ärztlichen Indikation zählt: objektive „Futility“ (Sinn- oder Nutzlosig-keit einer Maßnahme) → ob medizinisch mögliche Maßnahme dem einzelnen Kranken in seiner konkre-ten Situation noch gerecht würde („ange-messen“), darf nur aus Patientensicht bestimmt werden (sonst droht: Camouflage in Wahrheit ökonomisch motivierter Entscheidung) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

58 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag zukünftig (?) zu erwarten: => ärztliche Indikationsstellung zunehmend unter Einschluss wirt-schaftlicher Überlegungen (idR als verdeckte Rationierung) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

59 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag vgl. Oehmichen (Arzt): „[Behandlungsindikation] letztlich deter-miniert vom individuellen Krankheitszu-stand und der Prognose, von der kollek-tiven Erfahrung, von medizinischen Möglichkeiten der Diagnostik und The-rapie sowie von personellen, organisa-torischen, institutionellen und ökono-mischen Bedingungen der gesamten Gesellschaft.“ Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

60 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag vgl. Kirchhof (Jurist): „Auch Faktoren außerhalb der direkten Arzt-Patienten-Beziehung beeinflussen das ärztlich Indizierbare: gesellschaftliche Gegebenheiten wie Verfügbarkeit von Ressourcen, Finanzierbarkeit und somit das Prinzip der „Gerechtigkeit“ dürfen nicht vernachlässigt werden. Damit wäre es notwendig, in der Indikationsstellung die „Kultur des Maßes neu zu entdecken“.“ Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

61 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag angesichts der „Korrumpierbarkeit“ [im Sinne vielfältiger Einflussmöglichkeiten] der Indikationsstellung (Gahl) rechtliche Überprüfung erforderlich: - aber nur auf „Beurteilungsfehler - also: kein bedingungsloses Übernehmen ärztlicher Indikationsstellung durch das (Straf-)Recht Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

62 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Keine Besonderheit der Sterbehilfe i.w.S.: => auch sonst kommt im Arztrecht von Ärzteschaft eigenständig entwickelten Regulierungen (z.B. Behandlungsstan-dards) Rechtswirkungen (z.B. Verneinung eines Behandlungsfehler) nur zu: - bei einer vom Rechtsanwender kontrol- lierten Rezeption [sowie ggfs.] - bei vom Recht garantierter prozeduraler Absicherung Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

63 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Lösung zwischen zwei zu vermeidenden Übeln zu entwickeln: - Scylla ärztlicher Immobilität (infolge über-mäßiger Einengung ärztlichen Entschei-dungsspielraums durch feinststeuernde rechtliche Vorgaben) - Charybdis rechtsbindungslosen ärztlichen Beliebens (unvereinbar mit den grundge-setzlichen Schutzgarantien für Leib und Leben, Art. 2 II GG) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

64 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Lösungsversuch: - kein Handlungsermessen freier Beliebigkeit (also kein „rechtsfreier Bereich“) - sondern “kriterienorientiertes Beurteilungsermessen“ (Eser), bei dem die wesentlichen Kriterien von der Rechtsgemeinschaft (nicht zwin-gend Gesetzgeber) vorzugeben sind => Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

65 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Beurteilungsspielraum mit (straf-) rechtlicher Grenzkontrolle: Hat Arzt bei seiner Indikationsstellung alle entscheidungsrelevanten Parameter be-rücksichtigt? (hierzu zählen ökonomische Erwägungen nur im Falle probalistischer und qualitativer Sinnlosigkeit) Hat er eine medizinisch-ärztlich vertret-bare Entscheidung ohne Berücksichti-gung sachfremder Erwägungen getroffen? Entscheidung in sich schlüssig und nachvollziehbar? => Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

66 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag => vgl. insoweit die zur Vermeidung von Beurteilungsfehlern entwickelten allgemeinen verwaltungsrechtlichen Kriterien: - zutreffende und vollständige Sachver-haltsaufklärung / - Beachtung der einschlägigen Bewertungsmaßstäbe / - Vermeidung sachfremder, willkürlicher oder sonst un-sachlicher Erwägungen Sind diese Grenzen ärztlicher Indika-tionsstellung eingehalten, so hat die Rechtsordnung jede Entscheidung des abwägenden Arztes zu respektieren Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

67 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag Sinnvolle Ergänzung dieses Lösungs-ansatzes: → prozedurale Kompensation - Legitimation durch Verfahren: Bei Unentscheidbarem, das entschieden werden muss, wird jedes prozedural ordentlich erlangte Ergebnis akzeptiert (Eser) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

68 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen - Lösungsvorschlag vgl. auch (bei Unentscheidbarem am Lebensbeginn) Straffreiheit bei Angezeigt-sein eines Schwangerschaftsabbruchs „nach ärztlicher Erkenntnis“ (§ 218a Abs. 2 StGB) vorliegend (Unentscheidbares am Lebens-ende): → → {sofern möglich} Einschalten eines Klinischen Ethik-Komitees - keine inhaltliche Entscheidung der (hierfür nicht legitimierten) Ethik-Kommission, sondern: - („nur“): Beratung des Arztes, der allein die Entscheidung zu treffen und zu verantworten hat Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

69 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
Alternative => für Behandluns“abbruch“ gesetzgeberische Leitentscheidung notwendig („Wesentlichkeitstheorie“) bspw. gesetzliche Festlegung: „Bei Sterbenden oder irreversibel Bewusst-losen ist eine medizinische Behandlung nicht geboten.“ (so Vorschlag in § 214 AE-Sterbehilfe [1986]) => Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

70 Passive Sterbehilfe bei nicht feststellbarem Patientenwillen
=> Ausfüllung dieses (zu schaffenden) gesetzlichen Rahmens (Wann beginnt der Sterbeprozess? Wann liegt irreversible Bewusstlosigkeit vor?) → originär ärztliche Entscheidung Beispiel für entsprechende „Arbeitsteilung“: → Todesbegriff: - wann ist der Mensch tot? (Recht) - wie ist dies festzustellen? (Arzt) Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

71 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel Medizinischer Sachverhalt: Patient leidet unter schwerer pneumologischer Erkrankung und ist zusätzlich in Demenz verfallen. Er liegt auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet und ist nicht an-sprechbar. Er kämpft mit immer wiederkehrenden Er-stickungsanfällen und muss regelmäßig durch Absaugen der Lungen vor dem Erstickungstod gerettet werden. Anhaltspunkte für seine persönliche Einstellung in Bezug auf eine Behandlungseinstellung fehlen. Juristische Fragestellung: Ist der behandelnde Arzt rechtlich verpflichtet, die lebens-erhaltenden Maßnahmen fortzusetzen, und inwiefern dürfen Erwägungen zur verbliebenen Lebensqualität des Patienten Einfluss auf seine Entscheidung haben, wenn weder eine Patientenverfügung vorliegt noch der mutmaßliche Patientenwille feststellbar ist? Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

72 Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage I
Jedweder Einsatz med. Maßnahmen ist grds. vom Patientenwillen als Ausdruck seines Selbstbe-stimmungsrechts aus Art. 1, 2 GG abhängig. Wenn Patientenwille nicht einholbar (z.B. Koma), ist zu prüfen, ob antizipierte Willensäußerung (z.B. Patienten-verfügung) vorliegt. Wenn (wie in Fallbsp.) keine Willensermittlung (weder ausdrücklich noch mutmaßlich) möglich, dann ist laut BGH Bewertung nach „allg. Wertvorstellungen“ u. „objektivem Wohl des konkreten Patienten“ erforderlich. Ausgangspunkt für interessengerechte Behandlung ist med. Indikation, die aber um die ärztliche Indikation zu ergänzen ist. Vom Vorliegen der Gesamt-Indikation hängt das „ob“ und „wie“ der Behandlung ab. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

73 Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage II
Gesamt-Indikation: Allg.: Krankheitsbild gegeben, das den Einsatz bestimmter ärztl. Maßnahmen erlaubt, die nach Abwägung des möglichen Nutzens u. Risikos für Patient sinnvoll erscheinen. Genauer: Nach Feststellung einer Erkrankung (Diagnose), die behandelbar ist (Inblicknahme des med. Methodenspektrums), wird in Hinblick auf ein bestimmtes Behandlungsziel eine Prognose gestellt, ob mögliche Behandlungsmaßnahmen unter Be-achtung von Kontraindikationen einen Behand-lungserfolg erzielen können (medizinische Indikation). Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

74 Fallbeispiel – Rechtliche Ausgangslage III
Fraglich, ob in vorliegendem Fall bei der Beurteilung der Indikation Aspekte der Lebensqualität be-rücksichtigt werden können.  Beantwortung richtet sich danach, ob die „med. Indikation“ rein objektiviert einzuschätzen oder mit dem Begriff „Lebensqualität“ verknüpft zu sehen ist. Problematisch, da eine genau Definition des Begriffs „Lebensqualität“ nicht möglich ist und so Interpretationsspielraum verbleibt. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

75 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung I („objektiviertes“ Begriffsverständnis) 1. Engerer Ansatz zur Bestimmung der Indikation ( als ausschließlich med. Ind.):  Med. Indikation ist unabhängig von der Lebensqualität objektiviert zu verstehen. Sobald Heilbehandlung mit med. Maßnahmen möglich und erfolgsversprechend ist, besteht eine ausreichende med. Indikation. Demnach ist Lebensqualität nur Ergebnis und Ausfluss der wahrgenommenen Heilbehandlung und hat keinen Einfluss auf die „med. Indikation“ selbst, da diese abstrakt (=> biologischer Heilerfolg) zu bestimmen ist. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind unbeachtlich in Hinblick auf die med. Indikationsstellung. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

76 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Fallbeispiel – Rechtliche Bewertung II („verknüpftes“ Begriffsverständnis) 2. Ansatz (Ergänzung der med. durch die ärztl. Indikation):  Indikation ist eng verknüpft mit dem Begriff „Le-bensqualität“ zu verstehen. Neben Diagnose treten Prognose und Nutzen-Schaden-Abwägung (Krankheitsstadium, Alter u. Todesnähe). Wohl des Patienten als Behandlungsgegenstand ist stark von der verbleibenden Lebensqualität abhängig. Wenn sich Therapie auf bloße Aufrechterhaltung des vegetativen biologischen Lebens beschränkt, kann die Lebenserhaltungspflicht entfallen, da keine kurativen Aspekte mehr zu erkennen sind u. eine palliative Betreuung angezeigt scheint. Erg.: Erwägungen zur Lebensqualität sind durchaus von Belang für die med. Indikationsstellung. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

77 Fallbeispiel – Gesamtergebnis
2. Ansatz wird dem Wohl des Patienten besser gerecht u. ist daher vorzugswürdig => Arzt dem Menschen und nicht dem Organismus verpflichtet! Gesamtergebnis: - Prognose sowie Nutzen-Schaden-Abwägung (m.E. ärztlicher Beurteilungsspielraum!) in Hinblick auf verbleibende Lebensqualität u. Wohl des Patienten fällt negativ aus: - Krankheitszustand stellt sich so dramatisch dar, dass nur kurzfristige und vorübergehende kurative Hilfe möglich ist. Patient bleibt unansprechbar, angewiesen auf ständiges Absaugen der Lungen u. an Intensivstation gebunden. - Behandelnder Arzt ist nicht zur kurativen Weiter-behandlung verpflichtet. Palliative Maßnahmen sind indiziert. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

78 Gesetzestext § 1901a BGB (I) Patientenverfügung
Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungs-unfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Fest-legungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

79 Gesetzestext § 1901a BGB (II) Patientenverfügung
Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Er-krankung des Betreuten. Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet wer-den. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden. Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

80 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Gesetzestext § 1901b BGB Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Ent-scheidung. Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Die Absätze 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

81 Gesetzestext § 1904 BGB (I) Genehmigung des Betreuungsgerichts
Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesund-heitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Ab-bruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

82 Gesetzestext § 1904 BGB (II) Genehmigung des Betreuungsgerichts
Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber be-steht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Ein-willigung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten ent-spricht. Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahme ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

83 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
BGH, Urteil vom StR 454/ 1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

84 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
BGH, Urteil vom StR 454/ 2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden. 3. Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

85 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät
Aus der Literatur Schönke/Schröder28.-Eser, vor § 211 RN 21 ff. Fischer(60. A.), vor § 211 RN 18 ff. (Suizid), 32 ff. (Sterbehilfe) MüKoStGB (2003)-Schneider, vor § 211 Rn. 88 ff. Rengier, Strafrecht, BT II (13. A.), §§ 6-8 Wessels/Hettinger (35. A.), Rn. 27 ff. Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

86 Aus der Rechtsprechung
BGHSt 55, 191 = NJW 2010, 2963 = NStZ 2010, 630 (mit Besprechung durch Dölling, ZIS 2011, 345 ff., Engländer, JZ 2011, 513 ff., Hirsch, JR 2011, 37 ff., Kubiciel, ZJS 2010, 656 ff., Verrel, NStZ 2010, 671 Walter, ZIS 2011, 76 ff.) BGH NJW 2011, 161 = NStZ 2011, 274 zu beiden Urteilen: Rissing-van Saan (ehem. Vorsitzende des 2. Strafsenats), ZIS, 2011, 544 Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät

87 Vielen Dank für Ihr Interesse und auf Wiedersehen beim Gastvortrag von Prof. Dr. Oehmichen!
Professor Dr. Detlev Sternberg-Lieben Forschungsstelle Medizinstrafrecht Juristische Fakultät - TU Dresden Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben - TU Dresden / Juristische Fakultät


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