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Assoziierte Professur für Bildungsforschung

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Präsentation zum Thema: "Assoziierte Professur für Bildungsforschung"—  Präsentation transkript:

1 Assoziierte Professur für Bildungsforschung
Einführung in die Erziehungswissenschaften III: Wege in die Kindheit 0 – 10 Vorlesung Montag, Uhr PER 21, E120 Prof. Dr. Sascha Neumann Assoziierte Professur für Bildungsforschung Departement Erziehungswissenschaften

2 Vorstellung meiner Person Organisation und Konzeption Offene Fragen
I. Einführung ( ) Vorstellung meiner Person Organisation und Konzeption Offene Fragen

3 Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete
II. Zur Person Biographisches Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte an der UNIFR

4 III. Organisation und Konzeption
Literaturgrundlage: Bühler-Niederberger, Doris (2011): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Juventa, Weinheim und München III. Organisation und Konzeption Termine Thema Literatur aus Bühler-Niederberger (2011) Montag, Einführung Montag, Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse S. 7-68 Geschichte der Kindheit S Fällt aus Theorien der Kindheit S Perspektiven und Erträge der Kindheitsforschung 2-stündige Klausur (gemeinsam mit Vorlesung zur „Jugend“, J. Kost) Dienstag, Vortrag von Doris Bühler-Niederberger, 17 Uhr, Pérolles II, C230

5 Sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung
- (social) studies of childhood: junges internationales und interdisziplinäres Forschungsfeld (seit etwa 1990) - Interesse richtet sich auf die Eigenständigkeit von Kindheit als Gegenstand der Forschung - Abgrenzung gegenüber Entwicklungspsychologie, Sozialisationstheorie, Kulturanthropologie, Pädagogik die Kinder vorwiegend als Novizen und Kindheit als ein Status des Noch-Nicht-Erwachsenseins thematisieren» - Kritik richtet sich insbesondere an bisheriger Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema aus: bislang kaum Interesse an Kindheit und falls doch, dann vorwiegend auf Sozialisation verengt bzw. v.a. im Kontext von Schule und Familie betrachtet - Ähnliches galt für Statistik und Sozialberichterstattung: Kinder nur selten Untersuchungs- und Beobachtungseinheiten quantitativer Studien (Qvortrup)

6 SozialwissenschaftlicheKindheitsforschung
- Forderung: Kinder als soziale Gruppe betrachten wie andere soziale Gruppen auch - Dem wissenschaftlichen Emanzipationsinteresse entspricht eine politische Emanzipation: Betonung von Rechten und Perspektiven der Kinder («People in their own right») - Kindheit wird als soziokultureller Kontext des Kinderlebens «entdeckt» (Kinderkultur): Unterscheidung zw. Kinder/Kindheit - Im Mittelpunkt: Alltagsleben sowie Lebenslage und Lebensqualität von Kindern - Neben der sozialstrukturellen Position der Kinder rückt hier Akteursstatus ins Zentrum - Methodologisches Primat ethnographischer Methoden, da sie nicht nur Daten liefern, sondern auch einen methodisch reflektierten Zugang zur Erfahrungswirklichkeit der Kinder eröffnen

7 Vorbereitung der Seminarsitzungen durch Lektüre
IV. Erwartungen Anwesenheit Vorbereitung der Seminarsitzungen durch Lektüre Aktive Mitgestaltung durch Diskussionsbeiträge/Rückfragen

8 Vorbereitende Lektüre 24.02.
Bühler-Niederberger, Doris (2011): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Juventa, Weinheim und München, S. 7-68

9 1. Teil: Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse

10 Ein verborgener Leitsatz der Kindheitsforschung…
«If men define situations as real they are real in their consequences» Thomas/Thomas (1928): The Child in America

11 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Kinder und ihre Kindheiten sind ein bevorzugter Gegenstand sogenannter «moral panics» «Doppelte Hermeneutik» (Giddens) der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion über Kindheit: Wissenschaft greift alltagsweltliche Diskurse genauso auf, wie öffentliche Diskurse wissenschaftliche Befunde aufnehmen und interpretieren

12 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Die Verknüpfung beider Diskursebenen läuft über ein bestimmtes «normatives Muster» von Kindheit: Die «lange» und «behütete» Kindheit stellt dabei den idealen Massstab dar Dieses normative Muster orientiert sich am Lebensstandard sowie der Organisation der Generationenverhältnisse in den westlichen Industrienationen und begründet nahezu weltweit die Erwartungen an eine «gute» Kindheit Gleichzeitig ist dieses Muster sowohl historisch wie kulturell kontingent Dennoch bestimmt es die Schlüsselthemen, die im Kontext des Redens über zeitgenössische Kindheiten immer wieder auftauchen

13 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
«Gute» Kindheit schliesst demnach scheinbar Folgendes ein: - Das Aufwachsen in einer «vollständigen» Familie - Eine erfolgreiche Bildungskarriere - Eine hohe Lebensqualität («well-being»), insbesondere Gesundheit, Abwesenheit von Kinderarmut und geringe Kindersterblichkeit

14 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Entsprechend sind sowohl die öffentlichen wie auch die wissenschaftlichen Debatten über KIndheit in den letzten Jahren durch folgende Themen geprägt: Wandel der Familienstrukturen/Wandel der Erziehungsvorstellungen Bildungsungleichheit Lebensqualität, Kinderarmut International: Kinderrechte, Kindersterblichkeit, Kinderarbeit und Bildungsbeteiligung

15 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Wandel der Familienstrukturen Negativfolie: Aufwachsen in einer unvollständigen Familie Alleinerziehende, instabile Familienarrangements und Rückgang der Kinderzahlen stehen im Mittelpunkt Aber: Nach wie vor wächst die Mehrzahl der Kinder in einer «vollständigen» Familie auf Schweiz: 4/5 der Kinder und Jugendlichen erleben während ihres Aufwachsens das «Normalmodell» mit einem Paarhaushalt Zugleich: Pluralisierung von Familienformen und – mit zunehmendem Alter Anstieg des Risikos, in einem Ein- Elternhaushalt aufzuwachsen

16 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Bildungsungleichheit Hier stehen nicht eigentlich die Kinder im Mittelpunkt der Forschung, sondern die Bildungskarrieren, die sie als Schülerinnen und Schüler zurücklegen Bildungsforschung ist also nicht gleich Kindheitsforschung, dennoch aber liefert sie Erkenntnisse über das Aufwachsen von Kindern Bildungsforschung erlebt seit den internationalen Schulleistungsvergleichen (PISA u.a.) eine Hochkonjunktur in allen OECD-Ländern Im Mittelpunkt steht weniger die Bildungsbeteiligung; diese hat sich für das Schulkindalter auf breiter Linie durchgesetzt Vor allem geht es um die ungleichen Chancen unterschiedlicher Gruppen von Kindern

17 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Bildungsungleichheit Im öffentlichen, durch wissenschaftliche Ergebnisse informierten Diskurs hat sich dabei das Bild von den «Bildungsverliererern» grundlegend gewandelt: An die Stelle des «katholischen Mädchens vom Lande» trat der «Migrantenjunge» Es wird zwischen «primären Herkunftseffekten» und leistungsabhängigen «sozialen Filtern» (Zugangsbarrieren) unterschieden Die Folgen dieser öffentlichen Aufmerksamkeit ragen tief bis in die frühe Kindheit hinein: Faktisch kann man in vielen Ländern eine Vorverlagerung der Schulpflicht beobachten, möglichst frühe Betreuung und Bildung sind zu einem gesellschaftlichen Schlüsselthema geworden; grösster Einschnitt in die Lebensphase der allg. Schulpflicht Gleichzeitig geraten Eltern und Familien unter stärkere staatliche Kontrolle (Kinderschutz)

18 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Lebensqualität und ungleiche Kindheiten Internationaler Schlüsselbegriff: «well-being» of children (Kindeswohl) Familiensituation und Bildungschancen spielen auch hier eine Rolle; internationale Vergleichsstudien setzen jedoch grundlegender und breiter an und berücksichtigen auch die Perspektiven der Kinder selbst Basales Kriterium: Kindersterblichkeit; europäischer Durchschnitt 5,7/1000 Geburten; in ärmeren Ländern über 100 pro 1000 Geburten Wohlbefinden von Kindern: Materielle Ressourcen, Beziehungen zu Eltern, Verwandten und Gleichaltrigen, Lebensrisiken, Freizeitmöglichkeiten, subjektives Wohlbefinden (Studien der UNICEF und WHO, Kinder- und Jugendberichte, DJI-Kinderpanel) Studien eröffnen Einblicke in die Pluralität von Lebensbedingungen und die Ungleichheiten unter Kindern (z.B. Freizeitmöglichkeiten korrelieren mit dem sozioökonomischen Status der Eltern bzw. Familien)

19 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Kinderarmut Prominentes Thema in öffentlichen Debatten: Hier mischen sich Ängste um die Zukunft einer Gesellschaft mit der Betroffenheit über die bereits vom Lebensanfang an ungleich verteilten Chancen und materiellen Ressourcen Kriterien und Diagnosen sind höchst umstritten Sicher ist jedoch: Kinder sind selbst in höherem Masse von Armut betroffen, so wie sie auch selbst ein Armutsrisiko darstellen; besonders im Fokus: Kinder alleinerziehender Eltern 1/3 aller Schweizer Kinder lebt in einkommensschwachen Haushalten (Bezieher von sozialstaatlichen Ergänzungsleistungen)

20 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse
Thema: Kinderarmut Kinderarmut ist ein Indikator generationaler Ungleichheit Vielfältige Folgen des Aufwachsens in Armut, wenn die Situation länger als 1 Jahr andauert: Beeinträchtigung der kognitiven und sozialen Entwicklung, erhöhte Gesundheitsrisiken, geringere Chancen auf eine erfolgreiche Bildungskarriere usw. Die sozialen Folgen sind drastischer (Isolation) als die materielle Not an sich Risikofaktoren: niedrige Löhne, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, geringes Ausbildungsniveau

21 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse: die globale Perspektive
Kindheit ist ein «global social concern» (Miriam Tag, 2009) Auch die globale Beschäftigung mit der Kindheit folgt weitgehend dem normativen Kindheitsmuster westlicher Industrienationen Im Mittelpunkt der supranationalen Bemühungen um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern steht neben der indikatorenbasierten Berichterstattung über die Lebensqualität von Kindern auch die Kodifizierung und Durchsetzung von Kinderrechten (vgl. UN-Kinderrechts-konvention) Vor diesem Hintergrund wurden Kindersterblichkeit, Kinderarmut, Kinderarmut und Bildungsbeteiligung zu mitunter kontrovers verhandelten Schlüsselthemen

22 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse: die globale Perspektive
Beispiel: Kinderarbeit Die Beschäftigung mit diesem Thema macht nochmal auf drastische Weise deutlich, wie ungleich die Lebens-bedingungen von Kindern im globalen Massstab sind Kinderarbeit ist in ärmeren Ländern für die Kinder häufig ein Garant dafür, sich von ihrer Herkunftsfamilie unabhängig zu machen Ferner ist sie haushaltsökonomisch von Bedeutung, um das Überleben der Familie zu sichern

23 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse: Fazit
Kinderarbeit ist für Kinder eine Möglichkeit der sozialen Integration, sie sichern ihnen einen sozialen Status innerhalb der Ordnung der Generationen und Geschlechter Programme, die auf den Abbau von Kinderarmut mittels einer Steigerung der Verschulungsrate zu sichern, haben häufig ambivalente Effekte, weil die Schule nicht unbedingt ein besserer Ort für Kinder ist und für sie auch eine Doppelbelastung bedeuten kann Die Bildungskindheit wird dabei häufig zu einem fragwürdigen Privileg, was wiederum den kulturellen Bias des westlichen Kindheitsmodells bestätigt

24 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse: Fazit
Das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an der Kindheit ist nicht immer schon gleichzusetzen mit einem Interesse an den Kindern selbst Dies zeigt sich daran, dass viele Themen weniger aus der Sorge um die Kinder als aus der Sorge um die zukünftige Reproduktion der Gesellschaft hervorgehen Die öffentliche und wissenschaftliche Beschäftigung mit der Kindheit beruht auf normativen Vorstellungen über eine gute Kindheit und normiert Kindheiten damit fortlaufend selbst

25 Kindheit als Thema öffentlicher Debatten und wissenschaftlicher Diskurse: Fazit
Diese normativen Muster verstecken sich hinter vermeintlichen Annahmen über die «Natur des Kindes» als eines zugleich verletzlichen wie entwicklungsfähigen und erziehungsbedürftigen Wesens Dies erklärt auch, warum bestimmte Kindergruppen viel seltener Thema von Forschung werden (Waisenkinder, chronisch kranke Kinder etc.) Die öff. und wiss. Thematisierung ist Bestandteil eines sich ständig neu etablierenden Macht-Wissens-Komplexes, der das Leben der Kinder genauso prägt wie er die «Herrschaft» der Erwachsenen über die Kinder verstetigt

26 Literatur : Bühler-Niederberger, Doris (2011): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Juventa, Weinheim und München, S

27 2. Teil: Geschichte der Kindheit

28 Geschichte der Kindheit: Wozu eigentlich?
Letzte Vorlesung: Normatives Muster der langen und behüteten Kindheit als Leitmotiv öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten Warum sollte man sich mit der Geschichte der Kindheit beschäftigen: Um zu erfahren, wie es kam, dass die Dinge heute so sind, wie sie sind und scheinbar sein müssen… Das heisst: Der Blick in die Geschichte sensibilisiert für das nicht-notwendige Gewordensein der Dinge und damit auch für das Andersseinkönnen dessen, was vermeintlich unverrückbar so ist, wie es ist (Kontingenz) Die Geschichte der Kindheit informiert entsprechend über die Weichenstellungen und Entwicklungsschritte, die dazu geführt haben, dass das normative Muster der «langen und behüteten Kindheit» eine nahezu universelle Geltung hat erlangen können

29 Geschichte der Kindheit: Dimensionen der Entwicklung
Bühler-Niederberger (2010) beschreibt insgesamt vier Dimensionen der modernen Entwicklung von Kindheit Erstens: Separation der Kinder in Institutionen der Erziehung (Pädagogisierung der Kindheit) Zweitens: Emotionale Höherbewertung und Glorifizierung der Kinder (Privatisierung der Kindheit) Drittens: Freisetzung des Kindes aus der Familie und stärkere Beanspruchung der Kinder durch die Gesamtgesellschaft (Defamilialisierung und Vergesellschaftung der Kindheit) Viertens: Stärkerer Fokus auf die Gesellschaftsfähigkeit des Nachwuchses und seine selbstgesteuerte Unterodnung unter die imperative gesellschaftlichen Nutzens und des sozialen Lebens (Disziplinierung und Verselbständigung der Kindheit) Warum sollte man sich mit der Geschichte der Kindheit beschäftigen: Um zu erfahren, wie es kam, dass die Dinge heute so sind, wie sie sind und scheinbar sein müssen… Das heisst: Der Blick in die Geschichte sensibilisiert für das nicht-notwendige Gewordensein der Dinge und damit auch für das Andersseinkönnen dessen, was vermeintlich unverrückbar so ist, wie es ist (Kontingenz) Die Geschichte der Kindheit informiert entsprechend über die Weichenstellungen und Entwicklungsschritte, die dazu geführt haben, dass das normative Muster der «langen und behüteten Kindheit» eine nahezu universelle Geltung hat erlangen können

30 Geschichte der Kindheit: Klassische Positionen
Diese Dimensionen der Entwicklung und Veränderung von Kindheit in der Moderne spiegeln sich bereits in den klassischen Werken zur Geschichte der Kindheit von Philippe Ariès und Lloyd de Mause, werden dort aber unterschiedlich bewertet Philippe Ariès (1960): «L’enfant et la vie familiale sous l’ancien régime»; dt. (1978): «Geschichte der Kindheit») Ariès beschreibt die Geschichte der Kindheit als eine Geschichte ihrer «Entdeckung», die wiederum hinsichtlich ihrer Folgen als negativ beurteilt wird Die Geschichte der Kindheit von Ariès ist eine Geschichte des Wandels von Einstellungen, Gefühlen und Mentalitäten gegenüber Kindern: Er beobachtet im Mittelalter eine nur schwach ausgeprägte Vorstellung von der Besonderheit des Kindes und belegt dies mit dem fehlen von Kinderkleidern, speziellen Spielen für Kinder oder der amorphen Darstellung von Kindern in der Malerei

31 Geschichte der Kindheit: Klassische Positionen
Dies ändert sich mit der Verschulung der Kindheit und der Privatisierung der Familie: Die Familie schottet das Kind zunehmend vor dem öffentlichen Raum ab, die Schule übernimmt immer mehr eine disziplinierende und altersnormierende Funktion Kinder treten dabei in ihrer Besonderheit hervor, verlieren aber auch ihre Freiheit Geschichte der Kindheit erweist sich darin eine «Verlustgeschichte»: Verlust an Freiheit und öffentlicher Präsenz Parallelen zu Norbert Elias «Prozess der Zivilisation» (1994): Die stärkere Affektregulierung führt in der Moderne auch zu einer Distanzierung gegenüber den Kindern, die sich die Fähigkeit zur Affektkontrolle erst in einem (regulierten) Zivilisationsprozess erwerben müssen

32 Geschichte der Kindheit: Klassische Positionen
Die Leistung von Ariès besteht vor allem darin, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass uns das, was wir heute unter Kindheit verstehen, nicht «natürlich», also gleichsam voraussetzungslos gegeben ist Zweiter Protagonist: Lloyd de Mause (1974): The History of Childhood»; dt. (1979) «Hört ihr die Kinder weinen» Geschichte der Kindheit als Psychohistorie: Historischer Wandel ist durch den Wandel der Persönlichkeits- und Charakterstrukturen von Menschen bestimmt Demnach unterscheidet er für die Geschichte der Kindheit unterschiedliche psychogenetische Modi der Eltern-Kind-Beziehung Historisch gesehen ist die Geschichte der Kindheit eine Geschichte der Grausamkeiten gegenüber Kindern: «Kindesmord», «Weggabe», «Ambivalenz», «Intrusion» (psychische Kontrolle), «Sozialisation», «Unterstützung» (20. Jahrhundert)

33 Geschichte der Kindheit: Klassische Positionen
Mit dem Wandel der psychogenetischen Formen des Umgangs mit dem Kind wird die Geschichte der Kindheit zu einer Geschichte des humanen Fortschritts, die im 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht Beide Autoren lassen sich dazu hinreissen, die Geschichte der Kindheit nicht nur nachzuerzählen, sondern sie auch vor dem Hintergrund gegenwärtiger Kindheiten zu bewerten Die Gegenüberstellung beider Werke sagt vor allem etwas über die Schwäche eines bestimmten geschichts-philosophischen Ansatzes, der die Gegenwart und die Kriterien Erwachsener als Massstab für die Beurteilung der Vergangenheit nimmt

34 Geschichte der Kindheit als Institutionen-geschichte
Geschichte der Kindheit ist immer eingespannt in einen doppelten Wandlungsprozess: Den Wandel der Familie auf der einen und den Wandel des Bildungssystems auf der anderen Seite Familie und Bildungssystem sind die Schauplätze, auf denen die moderne Ordnung der Kindheit hergestellt wird Insofern ist die Geschichte der Kindheit zum Grossteil eine Geschichte dieser beiden Institutionen Die Wandlungsprozesse der Kindheit sind grundsätzlich als ambivalent zu betrachten, also weder als nur positiv oder nur negativ Die Geschichte der sich wandelnden Institutionalisierung von Kindheit verläuft als Etablierung einer gesellschaftlichen Ordnung, die ganz auf das selbstdisziplinierte Individuum abstellt

35 Geschichte der Kindheit: Separation
Beispiel: Separation Seit dem frühen 16. Jahrhundert sind Tendenzen der Verbesonderung von Kindern In dieser Hinsicht geht es vor allem um die Einbindung der Kinder in ein ausserhäusliches System der Erziehung, das möglichst alle Kinder möglichst umfassend erfassen soll Im Bürgertum geht es aber auch darum, die Familie und vor allem die Mütter stärker in die Verantwortung zu nehmen Ab dem 19. Jahrhundert nehmen zunehmend Experten auf die Erziehung in der Familie Einfluss; Kindheit wird sozusagen Re-privatisiert Für Kinder aus niedrigen sozialen Schichten vollzieht sich die Verbesonderung vor allem über das Verbot von Erwerbstätigkeit und die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum

36 Geschichte der Kindheit: Bilanz
Das normative Muster lässt sich historisch als Konstruktion einer bestimmten sozialen Ordnung entschlüsseln: Kindheit ist ausgerichtet auf die Herstellung eines produktiven Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft Die Normierung «guter Kindheit» impliziert die Stigmatisierung «ungenügender Kindheiten» als Kehrseite der Medaille Bei der guten Kindheit gehe es nicht allein um das Wohl der Kinder, sondern um den Erhalt oder die Verwirklichung einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung: Kinder versprechen vor allem einen Vorteil für das Gemeinwohl Im historischen Prozess entfaltet sich die Kindheit auch im Kampf zwischen Staat und Familie Die jüngsten Prozesse der Neubewertung des Themas Kindheit auf der supranationalen Ebene reihen sich in das historische Muster ein: Radikalisierte Vorstellung einer individualistischen Gesellschaft

37 Diskussionsfrage für Flüstergruppen
Wie würden Sie die Geschichte der Kindheit beurteilen – als Verlustgeschichte oder Erfolgsgeschichte? Diskutieren Sie unterschiedliche Deutungen mit Ihrer Nachbarin/Ihrem Nachbarn?

38 Literatur : Bühler-Niederberger, Doris (2011): Lebensphase Kindheit. Theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Juventa, Weinheim und München, S

39 Theorien der Kindheit Nicht alle Theorien, die sich auf Kindheit als Gegenstand beziehen lassen, haben ausdrücklich Kindheit zum Thema Im wesentlichen lassen sich in den Sozialwissenschaften drei Theoriefamilien unterscheiden, die Kindheit als Gegenstand berühren: - Sozialisationstheorien - Generationentheorien - Theorien der «neuen» sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung

40 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheorien gehörten lange Zeit zu den wichtigsten und einflussreichsten Ansätzen der Thematisierung von Kindheit in den Sozialwissenschaften Sozialisationstheorien beschreiben die Bedingungen, unter denen Kinder jenes Wissen erwerben, dass sie zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigt Was braucht die Gesellschaft für ihren eigenen Fortbestand und was stellt sie zur Verfügung? Daraus werden Antworten auf die Struktur und Funktion der Lebensphase Kindheit abgeleitet Die Sozialisationstheorie verlor in dem Masse an Bedeutung, wie ihre Annahmen zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft fragwürdig wurden Die Sozialisationstheorie scheint aus der Mode, das Sozialisationsproblem ist aber damit noch nicht erledigt!

41 Theorien I: Sozialisation
Struktur: Problemstellungen und Prämissen der Sozialisationstheorie Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Sozialisationstheorie und empirische Sozialisationsforschung

42 Theorien I: Sozialisation
Problemstellung der Sozialisationstheorie: Sozialisationstheorie als spezifische Form der Thematisierung von gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens Frage: Für welche Probleme ist Sozialisation die «Lösung»? Prämissen der Sozialisationstheorie: - Unterscheidung von Individuum und Gesellschaft bzw. Person und Umwelt - Unterscheidung von Natur und Kultur - Unterscheidung von Sein und Werden - Unterscheidung von Handeln und Struktur

43 Theorien I: Sozialisation
Problemstellung der Sozialisationstheorie: Wie sind kollektive Bindungen trotz individueller Interessen möglich? Es geht um das Problem «sozialer Ordnung» unter dem Gesichtspunkt einer Gesellschaft, die aus Einzelnen bzw. einzelnen Teilen besteht und von diesen (mit-)gestaltet und verändert wird, aber auch auf diese Einzelnen einwirkt Abgrenzungen gegenüber: biologistischen Reifungskonzepten, intentionalistischen Konzepten von Erziehung, idealistischen Persönlichkeitstheorien Sozialisationstheorie betont das Zugleich von Individuierung und Vergesellschaftung Gesellschaftlichkeit des Aufwachsens wird als Anforderung an die individuelle Entwicklung wie auch als deren Ermöglichungsbedingung begriffen

44 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Emile Durkheim (1902/03): Erziehung, Moral und Gesellschaft Wie ist soziale Ordnung unter den Bedingungen einer arbeitsteilig organisierten und sich wandelnden Gesellschaft möglich? Sozialisation als Unterstellung unter unpersönliche Regeln: Verinnerlichung kollektiver Moralbestände durch das Individuum Schlüsselfunktion des Erziehungssystems bei der moralischen «Sozialmachung» des Menschen Kinder befinden sich noch gleichsam in einem vorsozialen Zustand: Sie müssen zugunsten des Fortbestands der Gesellschaft «gezähmt» werden

45 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Durkheim begründet diese Auffassung unter Rückgriff auf die sogenannte Rekapitulationsthese, die im 19. Jahrhundert relativ breit vertreten wurde: Charles Darwin, Herbert Spencer, Johann Friedrich Herbart, früher bereits: Jean-Jaques Rousseau, Johann Heinrich Pestalozzi Kernaussage: Kinder durchlaufen in ihrer Entwicklung noch einmal die Evolution der menschlichen Gattung Dies muss allerdings in beschleunigter Weise geschehen, um Anschluss an die kulturelle Entwicklung der Menschheit zu gewinnen Dazu bedarf es einer rationalisierten Form der Sozialisation, d.h.: Erziehung

46 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Talcott Parsons (1964): Sozialstruktur und Persönlichkeit Strukturfunktionalistische Rezeption von Durkheims Problemstellung: Gesellschaften als komplexe Systeme, die Strukturen ausbilden, in denen bestimmte Funktionen für das Gesamtsystem erfüllen Das Sozialisationsproblem ist das Problem des Erhaltens dieser Ordnung und nicht ihre Veränderung Sozialisation ist die Verinnerlichung der Werte und Normen, die den Fortbestand der Ordnung sichern Internalisierung von Bedürfnisdispositionen, die rollengeleitetes Handeln hervorbringen

47 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Parsons zeichnet ein Bild von einem Kind, das vorgängig durch die Erwachsenen als Sozialisationsagenten zu dem wird, was es werden soll. Eine überragende Bedeutung wird dabei dem Verhältnis zur Mutter zugeschrieben Die Sozialisation der Kinder vollzieht sich in einem Gefüge persönlicher Abhängigkeiten, das Individuum ist dem Prozess der Vergesellschaftung mehr oder minder ausgeliefert

48 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Ab 1960er/70er Jahre: Kritik am klassischen auf Vergesellschaftung eingestellten Sozialisationskonzept Aufhebung der Dichotomie von Individuierung und Vergesellschaftung (Mead, Denzin) Mead etwa konzipiert den Vorgang der Rollenübernahme als einen reflexiven Prozess, der in Situationen und Interaktionen stattfindet und eine identitätsbildende Wirkung entfaltet; das Individuum ist hier der (immer noch vorgängig gedachten) Gesellschaft und ihren Sozialisationsagenten weit weniger ausgeliefert Dennoch bleiben auch Kinder bei Mead unvollkommene, da unberechenbare Wesen Denzin schliesst an Mead an, hebt aber die sozial situierte Produktivität der Sozialisanden hervor: Die Ordnung wird nicht mehr vorausgesetzt, sondern in ihrer Entstehung aus dem Sozialisationsgeschehen selbst erschlossen werden

49 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheoretische Ansätze und ihre Genealogie Hintergrund ist auch die Frage: Kann der Mensch überhaupt als ein nicht-soziales Wesen vorgestellt werden? Selbstorganisation: Hurrelmann (1983) betont die Rolle des produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts Selbstsozialisation (Zinnecker 2000), interpretative Reproduktion (Corsaro 2005) Das Ordnungsproblem tritt zugunsten der Eigenaktivitäöt Bourdieu (1997): «Habitus» als vermittelndes Organ zwischen Struktur und Praxis Persönlichkeit bildet sich nicht gegen gesellschaftliche Einflüsse, sondern in Sozialisationsprozessen Theorie der Sozialisation muss zugleich eine Theorie Gesellschaft und der Individualentwicklung sein (Geulen 2004) Sozialisationstheorie bleibt Sozialtheorie und ist nur mittelbar eine Theorie der Kindheit

50 Theorien I: Sozialisation
Sozialisationstheorie und empirische Sozialisationsforschung Sozialisationstheorie ist von empirischer Sozialisationsforschung zu unterscheiden Sozialisationsforschung fragt nach den Auswirkungen einer bestimmten sozialen Umgebung auf die individuelle Entwicklung von Menschen Das hobbesian problem of social order steht hier nicht so sehr im Vordergund: sozialtheoretische Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft weicht der sozialstrukturellen Frage nach der Reproduktion sozialer Ungleichheit Soweit es um die Frage der sozialen Ordnung geht, geht es also vor allem um die Reproduktion ungleicher sozialer Teilhabe: geschlechtsspezifische und schichtspezifische Sozialisationsforschung, Familienforschung, Schul- und Unterrichtsforschung

51 Theorien I: Sozialisation
Zum Weiterlesen: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.): Theorien der Sozialisation. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 1997

52 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
«Alter und Geschlecht haben eine Gemeinsamkeit: Sie werden dem Körper zugeschrieben, den man immer und überall dabei hat. Beide Kategorien stehen damit immer und überall als Ressourcen zur Verfügung, um soziale Situationen zu strukturieren und soziale Ordnung hervorzubringen – entsprechend häufig und vielfältig kommen sie zum Einsatz» Kelle (2005)

53 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Die generationale Perspektive beschreibt die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern unter dem Gesichtspunkt der sozialen Organisation des Verhältnisses zwischen «älteren» und «jüngeren» Mitgliedern einer Gesellschaft. «Älter» oder «jünger» zu sein, ist jedoch keine Frage des biologischen Alters von Personen, sondern eine Kategorie der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, die mit Bezug auf das Lebensalter legitimiert wird.

54 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Zwei Dimensionen von Generationalität: - intragenerationales Verhältnis (synchrone Perspektive) - intergenerationales Verhältnis (diachrone Perspektive) Zwei Forschungsrichtungen: - pädagogisch-anthropologische Generationenforschung - Wissenssoziologische Generationenforschung

55 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Grundlegendes zum Generationenbegriff: - Bezeichnet die (relative) Gleichheit der Gleichaltrigen: - Thematisiert die «Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen» (Mannheim): Personen, die gleichzeitig Leben, aber nicht gleichaltrig sind - Diverse Komposita: Generationenverhältnis (Makroperspektive), Generationenbeziehungen (Mikroperspektive), Generationenkonflikt, Generationenvertrag etc.

56 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Grundlegendes zum Generationenbegriff: - Generationen vs. Kohorten - Generationenbegriff schliesst eine gemeinsame Bewusst- seinslage ein (Mannheim) - Generationslagerung: geteilte Erfahrungshintergründe historisch-politischer Generationen - Generationszusammenhang: ähnliche kulturelle Stile und habituelle Orientierungen Generationsgestalten (Fend) - Generationseinheit: Wir-Gefühl der Mitglieder bestimmter, beieinander liegender Alterskohorten

57 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Der Generationenbegriff in der Erziehungswissenschaft: - Grundkategorie pädagogischen Denkens und Handelns - F.D.E. Schleiermacher : «Was will die ältere Generation mit der Jüngeren» - Bestimmung der Aufgabe von Erziehung als Kulturvermittlung durch die «ältere» Generation - Sicherung kultureller Kontinuität durch transgenetische Vermittlungsprozesse - Binäre Codierung des erziehungswissenschaftlichen Generationenbegriffs: Anthropologisch und universell begründete Ordnung von «Älteren» und «Jüngeren» - Behandelt alle Generationenverhältnisse als pädagogische Verhältnisse

58 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Der wissenssoziologische Generationenbegriff: - Karl Mannheim «Das Problem der Generationen» (1928) - Konstitution historisch-politischer Generationen «nach innen» im Zentrum des Interesses: Gleichaltrige und die formative Kraft gemeinsamer Erfahrungshintergründe (sozialisatorische Effekte von Zeitgenossenschaft) - Beispiele: Kriegs- und Nachkriegsgeneration; 68er Generation - Generationenbeziehungen sind nicht notwendig Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse - Keine ausschliesslich bewusste Steuerung der Kulturvermittlung, sondern v.a. beiläufige Tradierung des Bewährten und Gewohnten

59 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
Kritik: - Empirische Beobachtbarkeit von Generationalität - Mangelnde Prognosefähigkeit der Forschung - Gefahr der Naturalisierung und Ontologisierung von Altersdifferenzen bei der Erklärung von Einstellungsmustern und sozialem Handeln

60 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
«Generationale Ordnung» als Empirisierung und Denaturalisierung des Generationenbegriffs: - Verschiebung der Aufmerksamkeit vom «being» zum «doing» - Generationing/Doing Generation: Wie wird die Altersdifferenz in eine soziale Ordnung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, Alten etc. verwandelt? - Die vermeintlich «natürliche» Differenz der Generationen wird eingeklammert zugunsten einer bodennahen empirischen Analyse ihrer Hervorbringung – nach innen wie nach aussen

61 Theorien II: Generationalität und generationale Ordnung
- Wie strukturiert die Altersdifferenz soziale Interaktionen im gesellschaftlichen Alltag und wie wird sie dadurch immer wieder aufs Neue bekräftigt? - Beispiele: -Schule: altershomogene Vergemeinschaftungs- formen (Klassenstufen) -Kindertagesbetreuung: Altershomogene oder altersgemischte Gruppeneinteilung -Performanz generationaler Zugehörigkeit in Jugendkulturen - Es wird zur Entstehung gebracht, was immer schon vorausgesetzt ist… - Die generationale Differenzierung ist nicht spezifisch für pädagogische Kontexte, wird aber dort in spezifischer Weise hergestellt…

62 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
- Hengst, Heinz (2013): Kindheit im 21. Jahrhundert. Differenzielle Zeitgenossenschaft. Weinheim u.a.: BeltzJuventa - Anknüpfung an die sogenannten «new social studies of childhood»: Kindheit wird als eigenständige Lebensphase und nicht lediglich als Phase der Vorbereitung auf das Erwachsensein betrachtet - Anknüpfung an Karl Mannheims Generationenansatz: Differenzielle Zeitgenossenschaft meint «Ungleichzeitig- keit des Gleichzeitigen» unter der Zurückweisung der Idee von generationaler Identität und Homogenität - Interaktion von Zeitgeschichte und Lebensgeschichte, wobei die Subjekte und ihre Realitätsverarbeitung immer auch durch andere Erfahrungen und Zugehörigkeiten geprägt sind.

63 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
- Die Basis der Zeitgenossenschaft ist das «Erfahrungslernen», d.h. informelle Prozesse der Wissensaneignung, die mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft geteilte Realitätsdeutungen mobilisieren - Im Erfahrungslernen, d.h. im Gelernten, spiegelt sich zugleich Prozesse des sozialen Wandels wider (Bsp.: Familienbilder) - Bedeutung des Erfahrungslernens nimmt im Kontext soziokultureller Freisetzungsprozesse zu: Kinder können sich in einer komplexer und dynamischer werdenden Welt nicht mehr ohne weiteres auf die Weltdeutungen Erwachsener verlassen.

64 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
- Konsumgesellschaft als zentraler «erfahrungsrelevanter Kontext», um die Bedingungen des Aufwachsens zu verstehen - Allgegenwärtigkeit der Konsumgesellschaft: Von ihr sind Kinder nicht in gleichem Masse ausgenommen wie von der Arbeitsgesellschaft - Identität als Problem der sozialen Zugehörigkeit: beruht in hohem Masse auf Eigenleistung und Fähigkeit zur symbolischen Selbstinszenierung - These: Konsumgesellschaft rahmt und orientiert die Aktivitäten und Lebensstile von Individuen; sie ist in diesem Sinne unhintergehbar und ein zentrales Medium sozial distinktiver Identitätsbildung - Kindheitsforschung vernachlässigt die sozialisatorische Bedeutung des konsumgesellschaftlichen Rahmens

65 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
-Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft formuliert eine Kritik am modernen Kindheitsmuster, dass als lebensgeschichtliche Vertikale gedacht wird und Kinder v.a. als Entwicklungswesen betrachtet: Identität als (Noch-)Nicht-Identität - «Mission der neueren Kindheitsforschung»: Aufwertung der Kindheit als eigenständige Lebensphase - Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft greift dies auf: Statt um die Formierung von Identität, geht es um die alltägliche Identitätsarbeit; hierin unterscheiden sich Kinder und Erwachsene nicht der enge Zusammenhang von Lebensphasen und Erfahrungsmodi löst sich zunehmend auf

66 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
- Gibt es ein kollektiv geteiltes Deutungsmuster von Kindheit unter Kindern? - Kinder unterscheiden vor allem sich selbst von Erwachsenen und nehmen ihre Interessen als übereinstimmender wahr - Bestimmen die Eigengruppe sehr oft nach Eigenschaften, die über die Medien- und Konsumgesellschaft als Skripte an sie herangetragen werden (kommerzielle Kinderkultur: Videospiele, Fernsehsender, medial präsente Sportarten, bestimmte Filmgenres) - Identifikation mit der Eigengruppe erfolgt weniger über Alter, sondern über kulturalisierte Merkmale (Lebensstile)

67 Theorien III: Differenzielle Zeitgenossenschaft
Kritik. - das Konzept der differentiellen Zeitgenossenschaft stellt den Generationenansatz empirisch auf die Probe: Ob es einen Generationenzusammenhang gibt, muss also erst noch bewiesen werden - Aber es unterstellt in einer Zeitdiagnose gleichzeitig ein alle Individuen vereinnahmendes Muster der Konsumgesellschaft: Es missachtet damit die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen und belegt diese These anekdotisch, aber nicht empirisch - Inwiefern sich Kinder durch ihr «Erfahrungslernen» tatsächlich als eine besondere Gruppe auszeichnen, ist eine ebenso offene Frage wie diejenige, ob es sich überhaupt noch lohnt von Kindern zu sprechen

68 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


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