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Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz

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Präsentation zum Thema: "Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz"—  Präsentation transkript:

1 Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz
Dr. Renata Coray Projektleiterin am Wissenschaftlichen Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit KFM der Universität und Pädagogischen Hochschule Fribourg/Freiburg (Schweiz) Vortrag im Rahmen der EFNIL-Jahreskonferenz zum Thema « Stereotypes and linguistic prejudices in Europe » (20./ ) Warschau, 20. September 2016 Sehr geehrte Damen und Herren Es freut mich, als Vetreterin des Instituts für Mehrsprachigkeit aus Fribourg / Freiburg in der CH an Ihrer Jahrestagung dabei zu sein.

2 Inhalt Präsentation der Institution und Forschungsbereiche
Sprachen in der Schweiz Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch Fazit Bevor ich auf das Tagungsthema eingehe, werde ich Ihnen kurz dieses Institut für Mehrsprachigkeit vorstellen. Anschliessend, nach einem ebenfalls nur kurzen Input zur schweizerischen Sprachensituation, präsentiere ich Ihnen die verbreitetsten Stereotype und sprachlichen Vorurteile über die Sprachgemeinschaften und Sprachen in der Schweiz. Im Fazit folgen ein paar Gedanken zur Rolle von Stereotypen in Identitätskonstruktionsprozessen.

3 IFM (seit 2008) Institut der Universität und Päd. Hochschule Fribourg/Freiburg Grundlagenforschung + angewandte Forschung Unterstützung der Lehre Veranstaltungen Dienstleistungen (Auskünfte, Dokumentation) regionale, nationale, internationale Zusammenarbeit Durchführung von Mandaten Zuerst zum Institut für Mehrsprachigkeit, zum IFM: Das IFM wurde 2008 gegründet als gemeinsame Institution der Universität und der Päd. Hochschule des zweisprachigen Kantons Fribourg. Zu den wichtigsten Aufgaben des IFM gehören v.a. die Forschung und Lehre im Bereich der MS, wobei sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte und entwicklungsorientierte Forschung betrieben wird. Weitere Aufgaben betreffen Veranstaltungen und Dienstleistungen zum Thema, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren sowie die Durchführung von externen Forschungsmandaten. 1. Präsentation der Institution und Forschungsbereiche

4 KFM (seit 2011) Bundesauftrag an das Institut für Mehrsprachigkeit (IFM) Gesetzliche Grundlagen: Sprachengesetz (SpG) und Sprachenverordnung (SpV) Angewandte Forschung im Bereich der Sprachen und der Mehrsprachigkeit Aufgaben des KFM gem. Art. 12 Abs. 3 SpV Seit 2011 ist dem Institut für Mehrsprachigkeit das Wiss. Kompetenzzentrum für MS, das KFM angegliedert. Das KFM betreibt – im Auftrag des Bundes und basierend auf der nationalen Sprachengesetzgebung – angewandte Forschung im Bereich der Sprachen und MS. Die Gesetzgebung (Art. 12 Abs. 3 SpV) legt die wichtigsten Aufgaben des KFM fest. Diese umfassen: den Forschungsauftrag, eine Dokumentationsstelle, Publikationen, Begleitung und Evaluation von Unterrichtspraktiken sowie das Mitwirken bei nat. und internat. Forschungsnetzwerken und wiss. Organisationen. 1. Präsentation der Institution und Forschungsbereiche

5 Forschungsbereiche des IFM und KFM
1. „Individuelle Mehrsprachigkeit“ (Prof. Dr. R. Berthele): multiples Sprachenlernen, Sprachkontaktphänomene, mehrsprachige Transferprozesse 2. „Sprachen lehren und lernen, Sprachkompetenzen beurteilen und evaluieren“ (Prof. Dr. Th. Studer): (un-)gesteuerter Spracherwerb, Fremdsprachen- und Mehrsprachigkeitsdidaktik, Beurteilung Sprachkompetenzen 3. „Institutionelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit“ (Prof. Dr. A. Duchêne): Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt, in kulturellen und polit. Institutionen, in Sprachenpolitik und -gesetzgebung Die angewandte Forschung des Instituts und Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit deckt drei Themenbereiche ab: 1. den Bereich der „Individuellen Mehrsprachigkeit“, 2. den Bereich, der sich mit Spracherwerb, Unterricht, Beurteilung und Evaluation von Sprachkompetenzen befasst sowie 3. den Bereich der institutionellen und gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit. Zur Zeit arbeiten rund 15 Forscher und Forscherinnen an unserem Institut. Ich selbst bin Projektleiterin am KFM und betreue versch. Projekte aus dem Themenbereich der institutionellen und gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit. Mehr zum IFM und KFM sowie zu unseren Aktivitäten finden Sie auch auf Internet. 1. Präsentation der Institution und Forschungsbereiche

6 Sprachen in der Schweiz
Bevor ich nun zum Hauptthema meines Beitrags, zu den Stereotypen und sprachlichen Vorurteilen in der Schweiz komme, möchte ich kurz die wichtigsten Informationen zur Sprachensituation in der Schweiz in Erinnerung rufen. 6

7 Ein Staat und 4 Landessprachen
Auf der Karte sehen Sie die territoriale Verbreitung der 4 offiziellen Landessprachen: Deutsch ist die die Amts- und Schulsprache in der Ostschweiz und im Mittelland, Französisch in der Westschweiz, die auch als Romandie, Welschland oder Welschschweiz bezeichnet wird. – wobei „Welsch“ keine pejorative Konnotation hat und eine gängige Bezeichnung für das Französische und für die Romands ist! – Das italienische Sprachgebiet befindet sich in der Südschweiz. Und in einigen Tälern des dreisprachigen Kantons Graubünden, im Südosten der Schweiz, wird Rätoromanisch verwendet. 2. Sprachen in der Schweiz

8 Hauptsprachen in der Schweiz (2014)
Die Sprachenstatistik verdeutlicht, dass Deutsch klar in der Mehrheit ist. Rund 63% der Bevölkerung bezeichnen Deutsch als ihre Hauptsprache, 23% Französisch, 8% Italienisch und nur gerade 0,5% Rätoromanisch. Fast 21% geben eine andere Sprache als Hauptsprache an, wobei v.a. Englisch und die Sprachen der iberischen Halbinsel und aus Ex-Jugoslawien dominieren. Dabei ist zu beachten, dass mehr als eine Hauptsprache angegeben werden konnte, wovon v.a. diese Sprecher und Sprecherinnen anderer Sprachen Gebrauch gemacht haben. Angesichts dieser Sprachensituation erstaunt es kaum, dass die sprachliche Verständigung und der Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften ein politisches Dauerthema in der Schweiz darstellen. Diese Debatten sind wahre Fundgruben hinsichtlich der in der Öffentlichkeit dominierenden Vorstellungen, Stereotype und Vorurteile zu Sprachen und Sprachgemeinschaften. 2. Sprachen in der Schweiz

9 Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz
Die wissenschaftliche Literatur zu sprachbezogenen Einstellungen und Stereotypen in der Schweiz fokussiert v.a. die Beziehungen und die gegenseitigen Einschätzungen von Deutsch und Welsch. Ich werde im Folgenden ebenfalls zuerst auf die Selbst- und Fremdzuschreibungen dieser beiden Sprachen und Sprachgruppen eingehen, bevor ich mich dem Italienischen und Rätoromanischen zuwende. 9

10 Dauerhafte Stereotype zu West- und Deutschschweizern
„Der Welsche ist intuitiv; er hat den Hang zu Grosszügigkeit; er ist wählerisch, aber lenksamen Geistes; der Welsche ist sehr anpassungsfähig, aber er ist manchmal oberflächlich; es mangelt ihm an Ausdauer in seinen Bestrebungen; er versteht es, seine Anschauungen mit Feuer vorzutragen, aber er geht nicht für sie durchs Feuer. Der Deutschschweizer hingegen ist viel kompakter in seiner Beharrlichkeit; er geht den Problemen auf den Grund, verliert sich bisweilen in Einzelheiten und richtet damit etwelche Verwirrung an, aber er verfolgt sein Ziel mit einer gleichmässigen Willenskraft. Der Welsche besitzt Phantasie, Vorstellungsvermögen; dem Deutschschweizer ist Sinn für Organisation eigen, bis in die kleinsten Details getrieben.“ (Vallotton 1938: 2f.) Stereotype Beschreibungen der Deutsch- und Französischsprachigen in der Schweiz finden wir schon in politischen Debatten seit dem 19. Jahrhundert – was als gutes Beispiel ihrer Dauerhaftigkeit dienen mag. Als pars pro toto sei hier ein Zeitungsartikel von 1938 erwähnt. Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs ruft dort der Westschweizer Politiker Vallotton die Deutsch- und Westschweizer dazu auf, näher zusammenzurücken und gegen aussen Widerstand zu leisten. Die darin formulierte Charakterstudie „des“ Welschen und „des“ Deutschschweizers – man bemerke die absoluten Artikel und damit die Verabsolutierung der Beschreibungen – diese Charakterstudie stellt ein paradigmatisches Beispiel für die bis heute verbreiteten Stereotypen und Vorurteile dar. Die stereotypen Charakterisierungen des französischsprachigen Romands als lebensfreudig, fantasievoll und légère und des Deutschschweizers als beharrlich, gründlich und ordentlich sind bis heute verbreitet. Sie stellen auch einen beliebten Fundus für Karikaturisten dar, welche diese vereinfachenden Selbst- und Fremdzuschreibungen gerne zuspitzen und karikieren. Einige Beispiele möchte ich Ihnen im Folgenden zeigen. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz

11 Diese Karikatur bringt die stereotype Dichotomie zwischen Deutsch und Welsch mit einfachsten Mitteln auf den Punkt: Das französische Verb „vivre“ kennzeichnet den Romand, das deutsche Verb „leben“ den Deutschschweizer. „Vivre“ und „leben“ fühlt sich jedoch bei weitem nicht gleich an: Während der Romand mit seinem vivre-Ballon lachend und frei in die Lüfte schwebt, geht der Deutschschweizer gebeugt unter der Last seiner Lebens-Kugel, an welche er gekettet ist. Diese Karikatur erinnert auch an ein verbreitetes Wortspiel (Pedretti 1994: 95), dass der Romand arbeite, um zu leben, und der Deutschschweizer lebe, um zu arbeiten. Dieses ist oft auch zu hören, wenn es ganz allgemein darum geht, die nordländisch-germanische und die südländisch-romanische Lebensphilosophie zu charakterisieren. In: Nebelspalter 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 11

12 In dieser Karikatur kommt als neues Element das ungleiche Grössenverhältnis und ökonomische Potenzial hinzu: Der Weinbauer – ein Romand – sitzt auf einem Fass, 2 quasi leere Flaschen neben sich. Auf einem Geldtresor sitzt der Zigarre rauchende, vornehm gekleidete Bankdirektor – ein Deutschschweizer – und prostet ihm gönnerhaft von oben herab zu. In: Nebelspalter 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 12

13 Ebenfalls die ungleichen Grössen- und Machtverhältnisse und eine paternalistische Haltung der Mehrheit gegenüber der Minderheit werden in dieser Karikatur offensichtlich: Die beiden Bauern und Sennen – die Schweizer sind ja bekanntlich alle Bauern und Bergler… – haben auf dem Bänklein Confoederatio Helvetica sehr unterschiedlich viel Platz und Gewicht. Aber der Deutschschweizer scheint gar nicht zu verstehen, weshalb „ces Welches“ nie zufrieden sind… Die Arroganz und Ignoranz der Deutschschweizer Mehrheit stellt ebenfalls ein verbreitetes Vorurteil dar. In: Nebelspalter 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 13

14 «Röstigraben» Das sprachliche Territorialitätsprinzip sorgt für klare Grenzen zwischen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz – mit Ausnahme einiger weniger offiziell zweisprachiger Gemeinden an der Sprachgrenze. Diese Sprachgrenze wird insbesondere in Spannungs- und Krisensituationen zwischen den Sprachgruppen auch als „Graben“ oder „Kluft“ bezeichnet und bildet die Grundlage für eine harmlosere, kulinarische Graben-Metapher, für den „Röstigraben“ (Büchi 2000). Auch der „Röstigraben“ ist eine beliebtes Sujet für Karikaturisten, die sich mit den Beziehungen zwischen Deutsch und Welsch befassen. Die Rösti – Sie sehen es auf der Abbildung – ist ein Kartoffelgericht, das zwar schon seit Jahrhunderten auf beiden Seiten der Sprachgrenze gekocht und gegessen wird, das aber hartnäckig als Deutschschweizer Gericht gilt. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 14

15 «Röstigraben» zwischen West und Ost(-Schweiz)
Geniesser trinkfreudig arbeitsam unordentlich reinlich kreativ kleinkariert anarchisch regeltreu In: Migros-Magazin, Diese Karikatur illustriert die Grabenmetapher und die altbekannten Stereotype: Die Welschen (ev. auch stellvertretend für die Lateiner und Südländer) liegen im Liegestuhl, geniessen und trinken, sind auch etwas unordentlich, aber dafür kreativ und anarchisch, wie Feder und Papier auf dem verwilderten Rasen suggerieren. Die Deutschschweizer hingegen (ev. auch stellvertretend für die Germanen und Nordländer) arbeiten und putzen den ganzen Tag und leben kleinkariert, nach genauen Vorgaben und Regeln, wie die blitzblanken, streng quadratischen Bodenplatten nahelegen. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 15

16 Geteilte Stereotype zu Französisch, divergierende zu Deutsch
Französisch als «Sprache der Träume» elegante, schöne, frische Sprache Sprache der Mode, Liebe und Gastronomie (Hoch-)Deutsch als «Sprache des Realismus» grobe, raue, harte Sprache Sprache der Wissenschaft, Effizienz und Disziplin Verschiedene Bewertungen von Schweizerdeutsch und Hochdeutsch: Schweizerdeutsch als hässliche Sprache, «Halskrankheit» und «Bauernsprache» (Heterostereotype) oder als spontane, familiäre und intime Sprache (Autostereotype) Hochdeutsch (Standarddeutsch) als Sprache der Dichter und Denker («la langue de Goethe») oder als formale, distanzierte und schwierige Sprache («erste Fremdsprache» der Deutschschweizer ?) Analog zum Stereotyp des légèren Welschen und des pedantischen Deutschschweizers finden wir auch wiederholt Beschreibungen ihrer Sprache als elegant, schön und frisch bzw. als grob, rau und hart (Fischer & Trier 1962). Französisch ist auch schon als „Sprache der Träume“ bezeichnet worden, Deutsch als „Sprache des Realismus“ (Broggini & Vernex 1989: 35). Es vermag deshalb kaum zu erstaunen, dass französische Bezeichnungen in der Werbung dann dominieren, wenn es um Mode, Liebe und gutes Essen geht. Deutsch hingegen gilt als Sprache der Effizienz, Disziplin und Zuverlässigkeit und wird vorzugsweise bei Werbung im Gesundheits- und Technologiebereich eingesetzt (Haarmann 2005, Kelly-Holmes 2000, Hornikx, Van Meurs & Starren 2007). Die Einstellungen und Bewertungen zur schweizerdeutschen Mundart und zur deutschen Hochsprache fallen recht unterschiedlich aus. Bei den Frankofonen sind negative Bewertungen des schweizerdeutschen Mundart sehr verbreitet (Haas 2006: 1780). Sie wird abschätzig als „Bauernsprache“, „barbarische Sprache“ oder sogar als „Halskrankheit“ bezeichnet, was gerne auch mit dem Wort „Chuchichästli“ (Küchenkästlein), mit seinem dreifachen Guttural- bzw. Kehllaut, belegt wird. Der deutschen Hoch- und Standardsprache wird hingegen als der „langue de Goethe“ und damit als Kultursprache mehr Respekt gezollt (vgl. z.B. Kolde 1986: 143). Umgekehrt erfreut sich in der Deutschschweiz das Schweizerdeutsche grosser Beliebtheit, v.a. mündlich, und dies immer mehr auch in ehemals dem Standard- oder Hochdeutschen vorbehaltenen Domänen. Schweizerdeutsch gilt als spontaner, intimer und familiärer (vgl. z.B. Lüdi 1997: 89). Hochdeutsch wird als formaler, distanzierter und schwieriger empfunden (Watts 1999, Werlen et al. 2011). 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz

17 Die temperamentvollen Italofonen und ihre schöne Sprache
aufgestellt stolz locker aggressiv grosszügig liederlich Festbrüder arbeitsscheu unordentlich Quelle: Kommen wir nun zum Italienischen und Rätoromanischen. Interessanterweise gibt es viel weniger Karikaturen und Studien über Stereotype und Vorurteile zu diesen beiden kleinen Minderheitensprachen und deren Sprecher (Bickel & Schläpfer 1994). In einer Befragung junger wehrpflichtiger Männer aus den 1980er-Jahren beschreiben die Deutschschweizer die italienischsprachigen Schweizer als aufgestellt, unternehmenslustig, temperamentvoll wie Italiener, locker, kinderfreundlich, grosszügig, diskussionsfreudig und trinkfest, aber auch als stolz, aggressiv, liederlich, arbeitsscheu, unordentlich, rachsüchtig und wehleidig (Pedretti 1994: 96, Müller 1974: 181). Die italienische Sprache wird hingegen unisono als sehr schön bezeichnet (Schwarz et al. 2006). Sie gilt als besonders melodiöse Sprache, nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen italienischsprachigen Opernlibretti. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz

18 Die urchigen Rätoromanen und ihre alte Sprache
Natur Tradition eigenwillig bescheiden engstirnig freundlich stur schüchtern verknorzt In: Dürmüller 1996: 99 Die Rätoromanen werden in der bereits erwähnten Rekrutenbefragung als naturverbunden, traditionsbewusst, urchig, bescheiden, freundlich und schüchtern charakterisiert, aber auch als eigenwillige Bergbauern, engstirnig, verknorzt, eigenbrötlerisch und stur. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 18

19 Rätoromanisch als 4. Landessprache (1938) und Alpenbollwerk
In: Nebelspalter, Die noch in einigen Alpenregionen gesprochene rätoromanische Sprache gilt als einzige wirklich schweizerische Sprache, ohne sogenanntes sprachliches Hinderland. Deshalb eignete sie sich auch gut dazu, kurz vor Ausbruch des 2. WK, die schweizerische Autonomie, den Gotthard-Mythos und das uneinnehmbare Alpenbollwerk Schweiz zu symbolisieren. Diese Illustration vom 1938 reproduziert das Stereotyp der Quarta Lingua, der vierten Landessprache als alte, widerstandsfähige und ungeschliffene Alpensprache. Eine abschätzige Bezeichnung des Rätoromanischen als „Geröllhalden-Esperanto“ stellt sie hingegen als unverständliche Sprache der alpinen Steinwüsten dar. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 19

20 Englisch als must oder als Gefahr?
nützlich Englisch allein einfach reicht nicht beliebt Gefahr für die neutral nat. Kohäsion angesehen Nivellierung Kulturverlust Quelle: Seit ein paar Jahren mischt eine weitere Sprache die Sprachendebatte in der Schweiz auf: Nebst den vier Landessprachen ist, wie eingangs gesehen, Englisch die verbreitetste Hauptsprache in der Schweiz. Zur Zeit wird gerade heftig darüber debattiert, ob eine zweite Landessprache oder aber Englisch als erste Fremdsprache in der Primarschule unterrichtet werden solle. Englisch wird von den Befürwortern von English first als nützlichste Sprache und Weltsprache, als einfache und bei den Kindern sehr beliebte Sprache bezeichnet. Sie wird auch als „neutrale“ Sprache begrüsst, die keinen der Landessprachensprechenden bevorzuge. Auch in wissenschaftlichen Umfragen schwingt Englisch weit obenaus, wenn es um die nützlichste, prestigeträchtigste und angesehenste Sprache geht, und zwar in allen Sprachregionen (z.B. Apothéloz & Bysaeth 1981, Werlen 2012: 167f.). Diejenigen hingegen, die sich für eine zweite Landessprache als erste Fremdsprache in der Schule aussprechen, betonen, dass in der Schweizer Binnenwirtschaft Deutsch und Französisch wichtiger seien als Englisch, dass die Landessprachen auch für den nationalen Zusammenhalt von grosser Bedeutung seien und dass Englisch als Sprache der Globalisierung zu Uniformisierung und Einebnung der kulturellen Eigenheiten führe. 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 20

21 Oui ou/or Yes? In: NZZ Auch hier bringt eine Karikatur die mit den Sprachen assoziierten Stereotype auf den Punkt: Sollen die Kinder in der Deutschschweiz zuerst mit der eidgenössischen, föderalistischen Blut-Sprache Französisch genährt werden, die zur besseren gegenseitigen Verständigung und Stärkung der nationalen Kohäsion beiträgt, oder aber mit der weltweit verbreiteten Ketch-up- und McDonalds-Einheitssprache Englisch, die beruflich und wirtschaftlich unabdingbar ist? – Die Kinder scheinen beide mit demselben Eifer zu lernen… 21 3. Stereotype und sprachliche Vorurteile in der Schweiz 21

22 Fazit 22

23  Stereotype und sprachliche Vorurteile sind verbreitet im öffentlichen Diskurs und beliebte Sujets von Karikaturen  im Zentrum stehen v.a. die Beziehungen und ungleichen Machtverhältnisse zwischen Deutsch und Welsch  Stereotype und sprachliche Vorurteile stellen eine vereinfachende und ethnolinguistische Lektüre von komplexen sozialen Realitäten dar  Auto- und Heterostereotype zu Deutsch (eher negativ) und Welsch (eher positiv) stimmen mehr oder weniger überein  Heterostereotype zu den Deutschen und Franzosen stimmen mehr oder weniger überein mit denjenigen zu den Deutschschweizern und Romands Kommen wir zum Schluss: Stereotype und sprachliche Vorurteile zu den verschiedenen Sprachgruppen in der Schweiz sind verbreitet und beliebt, v.a. in Debatten und Karikaturen über die Beziehungen zwischen Deutsch und Welsch. Dabei wird deutlich, dass Stereotype auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zum Ausdruck bringen. Sie stellen eine vereinfachende und ethnolinguistische Lektüre von komplexen sozialen Realitäten dar (Späti 2012). Umfragen und Studien aus der Schweiz verdeutlichen, dass sprachbezogene Auto- und Heterostereotype recht gut übereinstimmen, dass die Deutschschweizer und ihr Schweizerdeutsch am schlechtesten abschneiden und dass die Stereotype zu Deutschland und Frankreich in der Regel recht ähnlich ausfallen wie diejenigen zu den entsprechenden Schweizer Sprachgemeinschaften. 4. Fazit

24 «Les Suisses s’entendent bien, parce qu’ils ne se comprennent pas»
 Soziale Kategorisierung mittels Stereotypen: identitätsstiftende Distinktion und Differenz «Les Suisses s’entendent bien, parce qu’ils ne se comprennent pas» «Die Schweizer kommen gut miteinander aus, da sie sich nicht verstehen» Soziale Repräsentationen und Stereotype transportieren geteilte Wissensstrukturen und bieten vereinfachende kognitive Schemata. Die soziale Kategorisierung mittels Stereotype umfasst die Abgrenzung gegenüber der Fremdgruppe und die Bestätigung der Eigengruppe und damit die Festigung der eigenen sozialen Identität (Petersen & Six 2008). Ein geflügeltes Wort eines Alt-Bundesrates spielt genau mit dieser identitätsstiftenden Distinktion und Differenz zwischen den schweizerischen Sprachgruppen: Les Suisses s’entendent bien, parce qu’ils ne se comprennent pas… Auf Deutsch: Die Schweizer kommen gut miteinander aus, da sie sich nicht verstehen. Zwar gelten die Anerkennung von vier Landessprachen und das Zusammenleben von vier Sprachgemeinschaften als wichtiges Element der nationalen Identität. Aber dieses Zusammenleben scheint gemäss diesem Bonmot einfacher, wenn man sich nicht versteht bzw. nicht zu viel voneinander weiss und deshalb ungestört die gegenseitigen Stereotype und Vorurteile pflegen kann… Allzu viel Nähe und gegenseitige Kenntnis würden, wie diese letzte Karikatur suggeriert, die für die soziale Identitätskonstruktion wichtigen Unterschiede einebnen. Augenzwinkernd wird dazu aufgefordert, sich weiterhin nicht zu verstehen, um seine Identität bewahren zu können… 24 4. Fazit

25 Grazia per vossa attenziun. Grazie per la vostra attenzione
Grazia per vossa attenziun! Grazie per la vostra attenzione! Merci de votre attention! Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 25 25

26 Literatur Apothéoz, D.; Bysaeth, L., 1981, Attitudes linguistiques: résultats d’une enquête, Travaux neuchâtelois de linguistique Tranel, 2, 69–90. Berthele, Raphael, 2003, Attitudes and mental models of language: on the cognitive foundation of sociolinguistic practice, in: Akselberg, Gunnstein (ed.), Målbryting. Skrifter frå prosjektet Talemålsendring i Noreg, Nr. 6: Språkleg identitet og haldning, Bergen: Nordisk institutt, Universitetet in Bergen, 25–66. Broggini, G.; Vernex, J.-C., 1989, Un siècle de recensements linguistiques en Suisse: Le français, langue minoritaire, face à l’allemand, langue majoritaire, Le Globe. Revue genevoise de géographie, 129, 19–36. Brohy, C., 2012, Rapports entre „petites“ et „grandes“ langues: tensions et négociations identitaires – exemples dans divers contextes, Alterstice, 2(1), 55–66. Brohy, C., 2005, Die Schweiz und ihre Vielsprachigkeit. Wie spiegeln sich Wertvorstellungen und Wertekonflikte in Karikaturen?, in: Giordano, C.; Patry, J.-L. 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