Erkenntnis der Wirklichkeit: Entdeckung oder Erfindung?

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 Präsentation transkript:

Erkenntnis der Wirklichkeit: Entdeckung oder Erfindung? Günther Fleck Institut für Human- und Sozialwissenschaften Landesverteidigungsakademie

Annäherung an die Fragestellung → Rekonstruktion einiger psychologischer Aspekte der Erkenntnis- und Wissensgewinnung

Übersicht Erkenntnisinteressen und Erkenntniswünsche Wirklichkeitserkenntnis und Wissenschaft Problem objektiver Erkenntnis Erkenntnishaltungen und ihre affektive Seite Wissenserzeugung und Objektivität

Forschungsleitende Erkenntnisinteressen (n. Kurt Eberhard, 1987) Phänomenales Erkenntnisinteresse „Was ist los?“ Kausales Erkenntnisinteresse „Warum ist da so?“ Aktionales Erkenntnisinteresse „Was ist zu tun?“

Erkenntniswünsche (Lynn Segal, 2000) 1. Wir wünschen uns, dass die Wirklichkeit unabhängig von uns, also von denen, die sie beobachten, existiert. 2. Wir wünschen uns die Wirklichkeit als entdeckbar, als sich uns gegenüber selbst offenbarend. Wir wünschen uns, ihre Geheimnisse zu erkennen, das heißt zu wissen, wie sie funktioniert.

Erkenntniswünsche (Lynn Segal, 2000) 3. Wir wünschen uns, dass diese Geheimnisse Gesetzmäßigkeiten unterliegen, sodass wir Vorhersagen treffen und die Wirklichkeit letztendlich kontrollieren können. 4. Wir wünschen uns Gewissheit. Wir wollen, dass das, was wir über die Wirklichkeit entdeckt haben, wahr ist.

3 Formen der Erkenntnis (Peter Janich, 2000) Individuelles Privatwissen Vor- und außerwissenschaftliches öffentliches Wissen Wissenschaftliches Wissen

Erkenntnistheorie (mod. n. Helmut Spinner, 1974) Es soll die echte, objektive Erkenntnis von illegitimen Konkurrenzprodukten unterschieden werden. Wie lassen sich echte, rational akzeptable Erkenntnisse von Mythen, Märchen, haltlosen Spekulationen und irrationalen Dogmen – kurz: objektive Erkenntnis von subjektivem Vorurteil – abgrenzen?

Thesen zum wissenschaftlichen Denken Wissenschaftliches Denken ist das wirksamste Instrument zum Lösen für eine Vielzahl von Problemen. Wissenschaftliches Denken ist kein rein rationaler Prozess, sondern immer auch affektiv durchtränkt. Wissenschaftliches Denken findet nicht in einem kognitiv leeren Raum statt, sondern greift auf bereits vorhandenes Hintergrundwissen zurück.

Thesen zum wissenschaftlichen Denken Wissenschaftliches Denken beginnt niemals beim Nullpunkt, sondern immer schon mit einem gewissen Maß an Vorwissen. Wissenschaftler eignen sich im Lauf ihrer Sozialisation bestimmte Denkstile, Grundüberzeugungen, Epistemologien, Wissenschaftsphilosophien, Methodologien und Methoden an. Diese Charakteristika wirken zusammen und bilden gleichsam die mentale Infrastruktur des wissenschaftlichen Denkens

Formen der Wissensgewinnung Wissen durch Beschreibung (= Wissen über etwas ) Wissen durch unmittelbare Bekanntmachung (= Vertraut sein mit etwas) Wissen durch Identifikation (= Wissen durch Einfühlung und Einswerdung)

Methoden der Wissensgewinnung in den Realwissenschaften Beobachtung Experiment Simulation

Was ist Wissenschaft? Nach der realistischen Alltagsauffassung strebt die Wissenschaft danach, die Welt, in der wir leben, zu beschreiben und zu erklären (vgl. Alan Musgrave, 1979). Objektive Erkenntnis wird angestrebt.

Problem objektiven Wissens (Exkurs) Es gibt nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Repräsentationen der Wirklichkeit (vgl. Ian Hacking, 1983). Da der Mensch nicht in der Lage ist, den Gottesgesichtspunkt einzunehmen, bleibt ihm der Zugang zur „wahren“ Beschaffenheit der Wirklichkeit verwehrt (vgl. Hilary Putnam, 1981).

Suche nach Ordnung Die Suche nach Ordnung, Regelmäßigkeit und Sinn ist eine allgemeine Eigenschaft menschlicher Denkprozesse. Es ist eine unserer wichtigsten Formen der Anpassung in unserer ewig wechselnden Welt. Gustav Jahoda (1969)

Charakterisierung des wissenschaftlichen Diskurses nach Topitsch (1988) „Durch Jahrtausende benützte man die »Natur«, die »Vernunft«, das »Weltgesetz«, die »Idee«, den »Wesensbegriff« und den »Wesenswillen« sowie die »göttlichen Schöpfungsgedanken« des Kosmos, des Staates oder des Menschen, um den verschiedensten, einander häufig schroff entgegengesetzten moralisch-politischen Positionen den Anschein höherer, ja absoluter Geltung zu verschaffen.

Charakterisierung des wissenschaftlichen Diskurses nach Topitsch (1988) Dennoch haben die scharfsinnigen Denker daraus nicht den Schluß gezogen, daß hier irgendwo ein fundamentaler Fehler stecken müsse. Stattdessen hat man sich allenfalls mit der Behauptung beruhigt, die eigene Auslegung jener ehrfurchtheischenden Leerformeln sei die richtige oder wahre, während der jeweilige Gegner die betreffenden hehren Prinzipien mißbrauche oder pervertiere.“ (S. 293).

2 Arten von Objektivität (n. Ernst von Glasersfeld, 1997) Wissen, das beansprucht, die Welt zu beschreiben wie sie ist. Wissen, das beansprucht, intersubjektiv zu sein.

Erkenntnistheoretische Grundpositionen (n. Hans Rudi Fischer, 2000) Realismus Konstruktivismus

Realismus I. Es gibt eine wohlstrukturierte Welt, die unabhängig von unseren Vorstellungen, Beschreibungen bzw. Repräsentationen von ihr existiert (ontologische Prämisse). II.Die in I. postulierte Welt ist prinzipiell erkennbar, wir können objektives Wissen in Form zutreffender, wahrer Darstellungen erlangen (epistemologische Prämisse).

Konstruktivismus I. Wir können eine von uns als unabhängig gedachte Welt prinzipiell nicht erkennen. II.Wir erzeugen die uns bekannte Welt mit Hilfe mentaler Operationen (inferentieller Prozesse), mit Hilfe unsere Begriffe – d.h., die Idee von einer gegenüber unseren Vorstellungen unabhängigen Welt (Ontologie bzw. Metaphysik) ist obsolet.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) Da Wissen nur in der Erfahrungswelt geprüft werden kann, läßt sich seine Brauchbarkeit („Viabilität“) ermitteln, nicht aber seine Wahrheit im ontologischen Sinn, der den meisten Philosophen vorschwebt.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) II. Wenn sich eine Handlungs- oder Denkweise unter bestimmten Umständen als brauchbar erweist, so heißt das nicht, daß sie die einzig mögliche ist.

Aspekte der konstruktivistischen Wissenstheorie (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) III. Aus der konstruktivistischen Perspektive ist es eine Illusion, daß Sprache an und für sich die Fähigkeit habe, Begriffe und somit Wissen von einer Person zu einer anderen zu übermitteln.

Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden. Heinz von Foerster

Bedeutungen des Wortes „Erkenntnis“ (nach Ernst von Glasersfeld, 1997) doxa Meinung oder Erfahrungswissen episteme rationales Verstehen gnosis wahres Wissen, wie es von Metaphysikern beansprucht wird sophia Weisheit

Problem Über 2000 Jahre hat sich die westliche Philosophie abgemüht, einen Weg zu finden, um die Behauptung zu begründen, dass Erfahrungswissen (doxa) in wahres Wissen von der Welt (gnosis) umgewandelt werden könnte.

Problem der Ungewissheit Der Mensch gibt der Natur eine Ordnung, wird aber nie erfahren, ob diese Ordnung die er der Natur gibt, auch die Ordnung der Natur ist. Immanuel Kant (Prolegomena § 38)

Cartesianische Angst und die Suche nach Gewissheit (I) Die empfundene Unruhe wurzelt in etwas, das wir mit Richard Bernstein „die kartesianische Angst“ nennen können. Dabei verstehen wir „Angst“ im psychoanalytischen Sinne und bezeichnen sie allein deshalb als „kartesianisch“, weil Descartes sie in seinen Meditationen rückhaltlos offen geäußert hat.

Cartesianische Angst und die Suche nach Gewissheit (II) Diese Angst entspricht einem Dilemma: Entweder unsere Erkenntnis hat eine feste, stabile Grundlage und einen ruhenden Ausgangspunkt, oder wir geraten in Dunkelheit, Chaos und Verwirrung. Kurz, sofern es keine absolute Basis gibt, bricht alles auseinander (Varela, Thompson & Rosch, 1995, S. 197).

René Descartes und das Problem der Gewissheit (I) (aus: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie) Die gestrige Betrachtung hat mich in so gewaltige Zweifel gestürzt, daß ich sie nicht mehr vergessen kann, und doch sehe ich nicht, wie sie zu lösen sind; sondern ich bin wie bei einem unvorhergesehenen Sturz in einem tiefen Strudel so verwirrt, daß ich weder auf dem Grunde festen Fuß fassen, noch zur Oberfläche emporschwimmen kann.

René Descartes und das Problem der Gewissheit (II) (aus: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie) Dennoch will ich mich herausarbeiten und von neuem ebenden Weg versuchen, den ich gestern eingeschlagen hatte: nämlich alles von mir fernzuhalten, was auch nur den geringsten Zweifel zuläßt, genau so, als hätte ich sicher in Erfahrung gebracht, daß es durchaus falsch sei. Und ich will so lange weiter vordringen, bis ich irgend etwas Gewisses, oder, wenn nichts anderes, so doch wenigstens das für gewiß erkenne, daß es nichts Gewisses gibt.

René Descartes und das Problem der Gewissheit (III) (aus: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie) Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen, und so darf ich Großes hoffen, wenn ich nur das geringste finde, das sicher und unerschütterlich ist.

Typen menschlichen Daseins nach Karl Jaspers I. Der chaotische Mensch II. Der konsequente Mensch III. Der dämonische Mensch

Erkenntnishaltungen und ihre affektive Seite (I) Die Einnahme einer bestimmten Haltung des Forschers gegenüber dem Untersuchungsobjekt bestimmt die Gestaltung der Beziehung Die Aneignung uns Einnahme einer bestimmten Erkenntnishaltung ist keine rein rationale Wahlhandlung, sondern immer auch affektiv durchtränkt.

Erkenntnishaltungen und ihre affektive Seite (II) Der affektive Anteil der jeweiligen Erkenntnishaltung ist normalerweise nicht bewusst, sondern bedarf zur Sichtbarmachung aktiver Selbstreflexion.

Bereiche persönlicher Bezogenheit I. Bezogenheit zu sich selbst II. Bezogenheit zu anderen Individuen III. Bezogenheit zu Gruppen IV. Bezogenheit zur Gesellschaft, zum Staat, zur Welt und zum Universum

Mechanistische Sichtweise DESCARTES (1632): „Traité de l‘homme“ → Lehre vom Menschen als Maschine L. v. BERTALANFFY (1967): → „Roboter-Modell“ des Menschen GEGENWART: → „Computer-Metapher“ des Menschen

Bezogenheit (atomistische Sichtweise I) Im Hinblick auf die Wurzeln ökologischer Krisen fasste Bateson (1981) die wesentlichen Ideen, die unsere Zivilisation gegenwärtig beherrschen, zusammen: Es geht um uns gegen die Umwelt. Es geht um uns gegen andere Menschen. Es kommt auf das Individuum (oder die individuelle Gesellschaft, oder die individuelle Nation) an.

Bezogenheit (atomistische Sichtweise II) Wir können einseitige Kontrolle über die Umgebung ausüben und müssen nach dieser Kontrolle streben. Wir leben innerhalb einer unendlich expandierenden „Grenze“. Der ökonomische Determinismus ist Common Sense. Die Technologie wird es für uns schon machen.

Organismische Sichtweise Verwirft die Maschinenmetapher der Welt und das Roboter-Modell des Menschen Betont den Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur Berücksichtigt das spezifisch Menschliche

Bezogenheit: (sytemische Sichtweise I) Autonomie und Integration Unter Verwendung verschiedener Termini haben zahlreiche Persönlichkeitstheoretiker immer wieder zwei grundlegende Tendenzen in der Bezogenheit des Menschen zu seiner Umwelt und zu sich selbst beschrieben: eine Tendenz zur Autonomie gegenüber der Umwelt und eine Tendenz zur Integration mit der Umwelt.

Bezogenheit: (sytemische Sichtweise II) Autonomie und Integration Die erste Tendenz bedarf zu ihrer Realisierung der Fähigkeit des Individuums, sich abzugrenzen; die zweite Tendenz benötigt hingegen die Fähigkeit, subjektive Grenzen zu lockern, durchlässig zu machen bzw. zu überschreiten. Koestler (1972) prägte in diesem Zusammenhang die Vorstellung vom Menschen als die eines "janusgesichtigen Holons“.

Implikation für effektive Beziehungsgestaltung Es muss eine dynamische Balance zwischen Autonomie und Integration hergestellt und aufrecht erhalten werden (fortlaufender Prozess).

Positionierungen innerhalb der Balance-Regulierung Wie weit kann ein System für sich selbst existieren? Wie weit ist ein System aber auch immer Teil eines größeren Ganzen?

Regulation der Dynamik Autonomie versus Integration → erfordert die Fähigkeit zur Grenzziehung (Erlebnis der Getrenntheit) Integration → erfordert die Fähigkeit zur Grenzüberschreitung (Erlebnis der Verbundenheit)

Probleme der Regulierung Autonomie einseitig stark ausgeprägt Integration wenig bis gar nicht entwickelt Integration einseitig stark ausgeprägt Autonomie wenig bis gar nicht entwickelt

Wahrheit versus Problemlösen Klassisches Ideal: wahre Theorie Neues Ideal: Annäherung an die Wahrheit Alternative: Verzicht auf absoluten Wahrheitsanspruch; wird ersetzt durch die Problemlösekraft von guten Theorien

Ist ein tieferes Verstehen der Wirklichkeit Möglich? Verzicht auf ontologischen Wahrheitsanspruch impliziert keinen Relativismus, sondern theoretischen Pluralismus. Eine Vielzahl von Perspektiven zu ein und demselben Problem erlaubt in einem empirischen Sinn durchaus ein tieferes Verstehen.

Affektiv-intraindividuelle Barrieren der Wissensgenerierung Mangelnde Offenheit für neue Erfahrung Intoleranz gegenüber Mehrdeutigkeiten Probleme im Umgang mit Ungewissheit

Conclusio (I) Die absolute Trennung von erkennendem Subjekt und zu beforschendem Objekt (Wirklichkeit) ist nicht durchführbar, da jede Erkenntnis ein relationales Wissen darstellt, d.h. an den menschlichen Erkenntnisapparat gebunden ist. Mit Hilfe der Fähigkeiten zur Begriffsbildung, Kategorisierung und Benennung schafft das Individuum aus einer zunächst gestaltlosen Wirklichkeit Entitäten. Die Rekonstruktion dieser Prozesse (im Sinne einer Einsicht) erweist sich als schwierig, da sie nicht unmittelbar einsichtig ist und dem Alltagsverständnis zuwiderläuft.

Conclusio (II) Die Suche nach einer letzten objektiven Wahrheit mit Hilfe der Wissenschaft ist nicht einlösbar. Die Möglichkeit einer Akzeptanz des genannten Sachverhalts vermag zwar viele Wahrheitssuchende zu verstören, muss jedoch weder in einem trivialen Relativismus noch in Bodenlosigkeit münden. Vielmehr kann diese existentielle Ungewissheit als Quelle der Kreativität willkommen geheißen werden.

Erkenntnis der Wirklichkeit: Entdeckung oder Erfindung? Wenn Eddington die Frage stellt, ob Rutherford die Struktur des Atoms gefunden oder gemacht habe, dann bleibt uns eigentlich die fast paradoxe Formulierung: sowohl als auch! Gerhard Frey (1965)

Danke für die Aufmerksamkeit!