Diagnostik und Therapie somatoformer Störungen (ICD-10: F45)

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

Die selbstunsichere Persönlichkeit
Kompetenzfeld Tod und Trauer
Borderline-Störung im System DSM IV
Hauptgruppen der Klassifikation I
Unzureichende Wahrnehmung / Diagnostik
Gesundheitstraining – Rückenschule
Gesundheitstraining „Koronare Herzkrankheit“
Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch nach ICD-10 und DSM-IV
Klinische Bedeutung somatoformer Störungen
Chefarzt und Ärztlicher Direktor, Fachklinik Aukrug
Psychopathologische Befunderhebung Prof. Dr. G. Laakmann
Persönlichkeits-entwicklung
Leitlinie unspezifische funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden
Kleine psychiatrische Krankheitslehre
Alzheimer und andere Demenzerkrankungen
Somatoforme Störungen
Das sog. Burnout-Syndrom Selbststudium
Wirksamkeit der NADA-Ohrakupunktur bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen im ambulanten Bereich Euro-NADA Konferenz 2013.
Dissoziation: Definition
Überlegungen zu einer am Versorgungsbedarf orientierten Psychotherapeutenausbildung Prof. Dr. Rainer Richter DGVT Tagung zur Zukunft der Psychotherapieausbildung.
Diagnostik und Therapie dissoziativer Störungen (ICD-10: F44)
Psychoedukation Dr. Katja Salkow Bipolar-Tagesklinik am Vivantes Humboldt-Klinikum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Leiter:
Psychische Störungen Schizophrenie Ralf Witzig Rolf Tröndle
Patienten sind Menschen. Die Krankheit ist Teil ihrer Biografie
G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald
Psychiatrie Sem 3.
Psychosomatik & Arbeitswelt
Schadensminderung im Justizvollzug Zusatzmodul:
Cluster 2 – Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt
WECHSELWIRKUNG GYNÄKOLOGISCHER SYMPTOME UND WEIBLICHER SEXUALITÄT
Cluster 3 – Psychische Erkrankungen und Pension (inkl. Begutachtungen)
Persönlichkeitsstörungen
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Pädagogischer Tag Dr. med. Ute Tolks-Brandau
Quelle: „Wege aus dem Labyrinth der Demenz“
Einführung in die klinische Medizin
Psychosen By Kevin und Oliver.
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen als Chance für die ganze Familie Bundesverband e.V, Mai 2007 Anna Hoffmann-Krupatz An der stationären Vorsorge-
Keine Panik auf der Titanic
Schritte im Prozess der Betreuung in der hausärztlichen Praxis
Schmerzaspekte aus psychosozialer Sicht
Informationen zur HRV-Analyse Herzrythmusvariabilität
Ethische Aspekte der Diagnostik und Therapie depressiver Störungen
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
3. Vorlesung: Neurosenlehre
Notfälle in der Psychiatrie. Suizidalität
Prüfungskonsultation
Von kranken Gesunden und gesunden Kranken
Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt
11. Vorlesung Neurosenlehre II.
Verhaltensmedizinische Grundlagen chronischer Schmerzen
Psychologische Aspekte einer bemannten Mars-Mission
„Hängen Gesundheit und Leistungs-fähigkeit unweigerlich zusammen?“
Die neue S3-Leitlinie Depression Antidepressiva Suizidalität
Es gibt nichts Gutes außer man tut es!
Arzt-Patienten-Beziehung
Sozialpsychologie & Verhaltenstherapie
Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen
Vorlesung SoSe 2011 Mo Uhr, Raum J101
Klassifikationssysteme
18. Mai 2015 Dr. med. Cyrill Jeger-Liu, Olten
Gesundheitliche Folgen von h ä uslicher Gewalt. Was interessiert wen? Beispiel ÄrztInnen  22% aller Frauen erleiden im Laufe ihres Lebens Gewalt in einer.
Definition/Merkmale psychischer Störungen
European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation Spezielle Bevölkerungsgruppen.
Biopsychosoziale Entwicklung (1) Anlage oder Umwelt?
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
01 Grundlagen der Psychiatrie
„Einem Depressiven zu sagen, dass er seine Probleme einfach vergessen soll, ist wie einem Blinden zu sagen, dass er genauer hinsehen soll.“ Affektive Störungen:
 Präsentation transkript:

Diagnostik und Therapie somatoformer Störungen (ICD-10: F45) Selbststudium Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Diagnostik und Therapie somatoformer Störungen (ICD-10: F45) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE)

Selbststudium Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert  Lehrbeauftragter Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Martinistr. 52, 20246 Hamburg Gebäude W37 Tel.: +49-40-7410-24041 Fax: +49-40-7410-52229 E-Mail: lambert@uke.de

Überblick Übersicht zum Krankheitsbild Grundlagen Therapie Diagnostik Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht zum Krankheitsbild Grundlagen Diagnostik Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-V Differentialdiagnostik Hauptgruppen Ätiologie Risikofaktoren Biologische und psychologische Aspekte Störungsmodell nach Rief & Hiller Therapie Management Psychotherapie Pharmakotherapie

Übersicht zum Krankheitsbild Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht zum Krankheitsbild

Somatoforme Störungen Zentrales Syndrom: körperliche Beschwerden, die das Vorliegen eines medizinischen Krankheitsfaktors nahe legen, ohne dass jedoch eine hinreichende pathophysiologische Ursache für die Beschwerden festgestellt werden kann. Jedes Organsystem kann betroffen sein Zu den häufigsten Einzelbeschwerden gehören Schmerzsymptome Typische Verhaltensweisen: Körperliches Schonverhalten (nicht verordnungsgemäße) Einnahme von Medikamenten Erhöhte Inanspruchnahme medizinischer Dienste bzw. häufige Arztwechsel („doctor shopping“) Quellenangaben: Wittchen, H., Hoyer, J. Klinische Psychologie & Psychotherapie. Springer, 2011

Übersicht zum Krankheitsbild (I) Krankheitsaspekt Wissen Lebenszeitprävalenz Somatisierungsstörung: deutlich unter 1 %; multiple somatoforme Symptomatik: 11 % (BGS) Punktprävalenz 6-11 % der Bevölkerung Geschlechterverhältnis Frauen : Männer ca. 2:1 Erkrankungsalter Erste Symptome meist in 2. Lebensdekade (12-20 LJ) Komorbiditäten Bis zu 50 % Depression (bei klinischen Stichproben noch höher) ca. 25–40 % Angststörungen bei Persönlichkeitsstörungen überzufällig misstrauischer Denkstil Genetische Faktoren Zu wenig bekannt Leitlinien S3-AWMF-Leitlinie „Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden“; DGPs-Leitlinie zur Psychotherapie bei somatoformen Störungen (Martin et al., im Druck) Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Übersicht zum Krankheitsbild (II) Krankheitsaspekt Wissen Lebensqualität Stärker beeinträchtigt als bei somatischen Erkrankungen Suizidrisiko Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht Verlauf Leichte Verläufe mit Verbesserung von Funktionsfähigkeit und Lebensqualität bei 50-75% der Betroffenen Schwere Verläufe mit Verschlechterung von Funktionsfähigkeit und Lebensqualität bei 10-30% der Betroffenen Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Grundlagen – Diagnostik: Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Grundlagen – Diagnostik: Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-V, Differentialdiagnostik, Hauptgruppen

Einzeldiagnosen nach ICD-10 Kodierung Diagnose F45.0 Somatisierungsstörung F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung F45.2 Hypochondrische Störung F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung F45.4 Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.8 Sonstige somatoforme Störungen F45.9 Nicht näher bezeichnete somatoforme Störung Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

diagnostische Kriterien nach ICD-10 (I) Störungsspezifische diagnostische Kriterien nach ICD-10 (I) ICD-10 Kriterien Somatisierungs-störung (F45.0) Mind. 2 Jahre mit multiplen körperlichen Beschwerden, die durch keine diagnostizierbare körperliche Krankheit erklärt werden können. Mehrfaches aufsuchen medizinischer Einrichtungen aufgrund der ständigen Sorge um die Symptome Medizinische Feststellung, dass keine körperlichen Ursachen für die Symptome vorliegen, werden nicht akzeptiert Insgesamt mind. 6 weitere Symptome aus mindestens 2 verschiedenen der folgenden Gruppen: Gastrointestinale Symptome Kardiovaskuläre Symptome Urogenitale Symptome Haut- und Schmerzsymptome Ausschlusskriterium: Störung tritt nicht ausschließlich während einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F2), einer affektiven Störung (F3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf. Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

diagnostische Kriterien nach ICD-10 (II) Störungsspezifische diagnostische Kriterien nach ICD-10 (II) ICD-10 Kriterien Hypochondrische Störung (F45.2) Mind. 6 Monate anhaltende Überzeugung an schwerer körperlichen Krankheit zu leiden oder anhaltende Beschäftigung mit einer vom Betroffenen angenommenen Entstellung oder Missbildung Sorge verursacht andauerndes Leid oder eine Störung des alltäglichen Lebens und veranlasst den Patienten, um medizinische Behandlungen oder Untersuchungen nachzusuchen Medizinische Feststellung, dass keine körperlichen Ursachen für die Symptome vorliegen werden nicht akzeptiert Ausschlusskriterium: s. Ausschlusskriterium F45.0 Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IIIa) Störungsspezifische diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IIIa) ICD-10 Kriterien Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3) Symptome der autonomen (vegetativen) Erregung, die von den Patienten einer körperlichen Krankheit in einem oder mehreren der folgenden Systeme oder Organe zugeordnet werden: Herz und kardiovaskuläres System Oberer/unterer Gastrointestinaltrakt Respiratorisches System Urogenitalsystem Zwei oder mehr der folgenden vegetativen Symptome Palpitationen Schweißausbrüche Mundtrockenheit Hitzewallungen oder Erröten Druckgefühl im Epigastrium, Kribbeln/Unruhe im Bauch Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IIIb) Störungsspezifische diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IIIb) ICD-10 Kriterien Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3) Eines oder mehr der folgenden Symptome Brustschmerzen/Druckgefühl in der Herzgegend Dyspnoe oder Hyperventilation Außergewöhnliche Ermüdbarkeit bei leichter Anstrengung Aerophagie, Singultus oder brennendes Gefühl im Brustkorb oder im Epigastrium Bericht über häufigen Stuhlgang Erhöhte Miktionsfrequenz oder Dysurie Gefühl der Überblähung oder Völlegefühl Kein Nachweis einer Störung von Struktur oder Funktion der Organe oder Systeme, über die die Patienten klagen Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Symptome treten nicht ausschließlich im Zusammenhang mit einer phobischen (F40.0-F40.3) oder einer Panikstörung (F41.0) auf Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IV) Störungsspezifische diagnostische Kriterien nach ICD-10 (IV) ICD-10 Kriterien Anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4) Mindestens 6 Monate kontinuierlicher, an den meisten Tagen anhaltender, schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses oder einer körperlichen Störung erklärt werden kann, und der anhaltend der Hauptfokus für die Aufmerksamkeit der Patienten ist. Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Störung tritt nicht während einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F20-F29) auf oder ausschließlich während einer affektiven Störung (F30- F39), einer Somatisierungsstörung (F45.0), einer undifferenzierten somatoformen Störung (F45.1) oder einer hypochondrischen Störung (F45.2) Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010

Diagnostik nach DSM-V: Somatic Symptom Disorder (SSD) Definition: Somatische Symptome, die entweder als sehr quälend erlebt werden oder in einer deutlichen Beeinträchtigung des Funktionsniveaus resultieren. Damit einhergehend treten exzessive und unverhältnismäßige Gedanken, Gefühle und Verhalten im Hinblick auf diese Symptome auf. Veränderungen zu DSM-IV (Somatoform Disorders): Es muss nicht mehr eine bestimme Anzahl an Beschwerden von vier Symptomgruppen auftreten Die medizinische Unerklärbarkeit des Auftretens der somatischen Symptome ist weder Voraussetzung für die Diagnose einer SSD, noch hinreichende Bedingung Geringere Anzahl an Diagnosen und Subkategorien Vorteile gegenüber DSM-IV: Hilfreicher für nicht-psychiatrische medizinische Dienstleister Patienten mit medizinischen Krankheitsfaktoren werden nicht mehr von der Behandlung ausgeschlossen Abschaffung der Körper-Geist Trennung Quellenangaben: www.dsm5.org

Differentialdiagnose Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Differentialdiagnose: Körperlich begründbare Beschwerden Der fehlende Nachweis organischer Grundlagen einer Symptomatik darf noch nicht die Diagnose somatoforme Störungen begründen. Depression Treten die Symptome ausschließlich während depressiven Phasen auf, sind sie unter der Depression zu klassifizieren. Panikstörung Symptome einer somatoformen Störung treten relativ konstant auf, wohingegen die Symptome bei einer Panikstörung Minuten bis maximal eine Stunde anhalten. Schizophrenie Somatoforme Symptome im Rahmen einer Schizophrenie sind meist bizarr und mit wahnhaften Vorstellungen und Körperhalluzinationen gekoppelt. Quellenangabe: Sauer, N., Eich, W. Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Deutsches Ärzteblatt, 2007.

Hauptgruppen unabhängig der offiziellen Klassifikationssysteme Diagnostischer Entscheidungsbaum bei somatoformen Störungen Multiple körperliche Beschwerden Somatisierungsstörung Undifferenzierte Somatisierungsstörung Somatoforme autonome Funktionsstörung größte Gruppe gesundheitspolitisch relevanteste Gruppe Störung neigt zu einer hohen Chronifizierung Umschriebene Symptomatik Schmerzstörung Konversionsstörung Sonstige somatoforme Störungen ein Schmerzsyndrom oder ein Konversions- oder dissoziatives Symptom steht im Vordergrund Starke Gesundheits-ängste Hypochondrie Körperdysmorphe Störung Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Grundlagen – Ätiologie: Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Grundlagen – Ätiologie: Risikofaktoren, psychobiologische und psychologische Aspekte, Störungsmodell nach Rief & Hiller

Risikofaktoren Unspezifische Faktoren Spezifische Faktoren Individuell Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Unspezifische Faktoren Spezifische Faktoren Individuell Genetische Faktoren Belastungsfaktoren in der Kindheit Armut, Vernachlässigung, Verlust eines Elternteils, Missbrauch Primärer Krankheitsgewinn Subjektive Entlastung vom inneren Konfliktdruck oder Minderung der innerseelischen Angst durch Symptombildung Frühe Störung in der Beziehung zum eigenen Körper Veränderte Physiologische Stressverarbeitung Modelllernen Somatoforme Beschwerden in der Familie oder der eigenen Kindheit Bindungsstörungen Interaktionell Sekundärer Krankheitsgewinn Objektive Vorteile, die mit der Krankenrolle verbunden sind Iatrogene Faktoren Nicht erkennen psychischer Beschwerden, Überdiagnostik Soziokulturell „Kampf um Legitimität“, Einfluss von Entschädigungsbegehren Medien Verbreitung von Erklärungsmodellen für unspezifische Körperbeschwerden Quellenangaben: Sauer, N., Eich, W. Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Deutsches Ärzteblatt, 2007.

Psychobiologische Aspekte (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Somatoforme Symptome gehen durch das Erleben von körperlichen Beschwerden mit psychophysiologischen Aktivierungsprozessen einher. Dabei zeigen sich Besonderheiten in den Bereichen (Rief und Barsky 2005): autonome physiologische Erregung Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse: Schmerzwahrnehmung wird von Aktivität dieses Systems beeinflusst Immunsystem: Veränderungen können die subjektive Empfindung krank zu sein auslösen Monoaminosäurenhaushalts Hirnmechanismen Beispiele von Prozessen, die mit dem Erleben somatoformer Beschwerden einhergehen können: Erhöhte Muskelanspannung über Schmerzarealen veränderte Atmungsmuster psychophysiologische Hyperreaktivität Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Signal-Filter-Modell (nach Rief und Barsky 2005) Psychobiologische Aspekte (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Signal-Filter-Modell (nach Rief und Barsky 2005) Faktoren, die Körpersignale verstärken: - Hyperarousal - Stress - Chronische HPA-Achsen-Stimulation - Schonverhalten - Sensitivierung Faktoren, die Filteraktivität herabsetzen: - Selektive Aufmerksamkeit - Infektionen - Gesundheitsbezogene Ängste - Depressive Stimmung - Mangel an Ablenkbarkeit Einflüsse auf Hirn- aktivierung der Schmerzareale - Allg. neuronale Erregbarkeit - Sensibilisierung - Schmerzgedächtnis - Neuronale Plastizität - Neurotransmitter-Aktivität Körpersignale Filtersystem Kortikale Perzeption Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Psychologische Aspekte (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Anamnestische Aspekte / Risikofaktoren: Häufung von körperlichen und/oder sexuellen Gewalterfahrungen Erhöhte Missbrauchsrate bei Somatisierungsstörung, Hypochondrie und Konversionsstörung Unsichere und vermeidende Bindungsstile Immigration (in den meisten Kulturen) Geringer Sozioökonomischer Status Substanzmissbrauch und/oder soziopathische Züge eines Familienmitglieds Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Psychologische Aspekte (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychologische Prozesse zur Aufrechterhaltung somatoformer Störungen Bestimmte kognitive Stile: Somatosensory Amplification (Barsky, 1992) Eng definiertes Verständnis von Gesundheit: völlige Abwesenheit von Körpermissempfindungen Katastrophisieren von Körpermissempfindungen Reduzierte Toleranz, Körperbeschwerden auszuhalten Auch einfache Köpermissempfindungen werden deutlich häufiger und deutlich intensiver wahrgenommen Negatives Selbstkonzept (v.a. bei chronifizierter Somatisierung) Beschreiben sich als wenig belastbar und körperlich von schwacher Konstitution Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Fokussierung der Aufmerksamkeit auf körperliche Beschwerden Psychologische Aspekte (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Somatosensory Amplification (Barsky, 1992) Fokussierung der Aufmerksamkeit auf körperliche Beschwerden Erhöhte Wahrscheinlichkeit, Körpermiss- empfindungen als Krankheitssignale zu bewerten Verstärkte Wahrnehmung der Intensität und Frequenz körperlicher Missempfindungen

Psychologische Aspekte (IV) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Subjektives Krankheitsmodell des Patienten Oft stehen organische Erklärungsmodelle im Vordergrund Bei genauer Analyse von Kausalattributionen zeigt sich, dass die meisten Patienten, anders als oft angenommen (Fixierung auf organische Erklärungen), auch psychophysiologische Erklärungsmodelle in Erwägung ziehen. Die Annahme einer Fixierung des Patienten auf organische Erklärungen stellt eine Falle für den Behandelnden dar, die Fähigkeit andere Erklärungsmodelle in Erwägung zu ziehen, zu übersehen. Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013

Störungsmodell nach Rief und Hiller (1998) Auslöser/Trigger Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Auslöser/Trigger Krankheitsverhalten (aufrechterhaltend) Schonverhalten Checking Übermäßige Rückversicherung durch häufige Arztkontakte Medikamenten- einnahme Körperliche Veränderungen (Körperreaktionen, Missempfindungen) Symptomverstärkung erhöhte Aufmerksamkeit für Körper + körperliche Erregung Wahrnehmung Fehlinterpretation als (bedrohliche) Krankheitszeichen Quellenangaben: Wittchen, H., Hoyer, J. Klinische Psychologie & Psychotherapie. Springer, 2011

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Therapie: Überblick Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Das Spektrum therapeutischer Ansätze und Ziele bei somatoformen Störungen und funktionellen Syndromen ist breit, je nach Ausprägung der Störung und Versorgungsort Therapeutische Ansatzpunkte: Verbesserung der körperlichen Symptome Erarbeitung von erweiterten Erklärungsmodellen Anregungen zu einem adäquaten Krankheitsverhalten Verbesserung komorbid bestehender psychischer Störungen Bearbeitung psychischer Konflikte und struktureller Defizite Quellenangabe: Sauer, N., Eich, W. Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Deutsches Ärzteblatt, 2007.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Management

Therapie: Management Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Umgang mit Somatisierungs-Patienten im organmedizinischen Setting Bestätigen Sie die Glaubhaftigkeit der Beschwerden Sprechen Sie frühzeitig an, dass die wahrscheinlichste Ursache für die Beschwerden keine schwere Erkrankung ist, sondern eine Störung in der Wahrnehmung von Körperprozessen Explorieren Sie körperliche und mögliche psychische Symptome vollständig Besprechen Sie mit dem Patienten die geplanten Schritte und ihre Konsequenzen Vermeiden Sie unnötige Eingriffe und Bagatelldiagnosen Vereinbaren Sie feste Termine für Nachuntersuchungen Motivieren Sie zu gesunder Lebensführung und Stressabbau sowie zu ausreichender körperlicher Bewegung. Beugen Sie inadäquatem Schonverhalten vor Stellen Sie Rückfragen und lassen Sie den Patienten Zusammenfassungen geben, um mögliche Informationsverzerrungen zu erkennen Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013:

Therapie: Psychotherapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Psychotherapie

Therapie: Psychotherapie (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Effektstärken kognitiv-behavioraler Programme bei somatoformen Störungen (nach Looper und Kirmayer 2002) Störungsgruppe Effektstärke (Cohen‘s d) Hypochondrie (4 Studien) 1,3-2,0 Köperdysmorphe Störung (4 Studien) 1,3-2,6 Multiple somatoforme Syndrome (5 Studien) 0,38-0,88 Roseneck-Studie (Rief, Bleichhardt und Timmer 2002; Timmer, Bleichhardt und Rief 2004), Multiples Somatisierungssyndrom (mindestens 8 Symptome) 0,81 Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013.

Therapie: Psychotherapie (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Beispiel für eine kognitiv-behaviorale Intervention bei Somatisierungssyndrom (Rief, Bleichhardt und Timmer 2002) Aufbau einer therapeutischen Beziehung; Diagnostik; Klärung der Ausgangsmotivation und Behandlungserfahrungen; Vereinbarung einer vorerst befristeten Behandlungszeit Einfluss von Stress auf körperliches Wohlbefinden; Einfluss von körperlichen Beschwerden auf das Stresserleben; Ableitung eines Interventionsrationals; Durchführung der Intervention Demonstration des Aufschaukelungsprozesses zwischen Aufmerksamkeits-fokussierung und Körpermissempfindungen; Ableitung des Interventionsrationals zur kontrollierten Aufmerksamkeitslenkung auf externalen sensorischen Input; Durchführung der Intervention Kognitive Ansätze Reduktion von Vermeidungs- und Schonverhalten; Aufbau eines adäquaten Belastungsverhaltens Aufbau eines adäquaten Inanspruchnahmeverhaltens Erstellung eines Gesamtmodells zur Erklärung von Einflussfaktoren auf körperliche Missempfindungen Behandlung weiterer therapierelevanter Themen Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013:

Therapie: Pharmakotherapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Pharmakotherapie

Therapie: Pharmakotherapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Medikamentöse Therapie nur bei spezifischer Indikation und Erwartungen relativieren Keine alleinige und längerfristige Pharmakotherapie ohne adäquate psychotherapeutische Behandlung Keine Tranquilizer, v.a. Benzodiazepine wegen Abhängigkeitsentwicklung Bei somatoformen autonomen Funktionsstörungen (F45.3) symptomorientierte Pharmakotherapie in Phasen mit einer erheblichen Beschwerden Pharmakotherapie der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung durch Umstellung von Bedarfsmedikation auf festes Einnahmeschema und Entzug von Nicht-Opioid-Analgetika Keine Tranquilizer oder Neuroleptika; Opioide sind bei somatoformen Schmerzen nicht indiziert. Eine analgetische Wirkung können Antidepressiva entfalten. Insbesondere trizyklische Antidepressiva, auch in geringer Dosierung sind aussichtsreich. Quellenangabe: Sauer, N., Eich, W. Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Deutsches Ärzteblatt, 2007.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bei Fragen bitte unter: http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_2512.php