Dieselabgase und Gesundheit

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 Präsentation transkript:

Dieselabgase und Gesundheit Prof. Dr. med. Andreas Seidler, M.P.H. Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin Dieselabgase und Gesundheit

IARC: DIESEL ENGINE EXHAUST CARCINOGENIC (Lyon, France, June 12, 2012)

Rückblick auf Asbest: Von der Aufdeckung der Gesundheitsgefährdung zum Verwendungsverbot 1900 Krankheit “Asbestose” entdeckt 1943 Lungenkrebs als Asbestfolge als Berufskrankheit anerkannt 1979 Spitzasbest-Verbot in Westdeutschland 1993 generelles Asbestverbot in Deutschland

Gegenwart (und Zukunft?) Asbest: Zahl der Berufskrankheiten-Todesfälle Entschiedene BK-Fälle 2010 69.168 Anerkannte BK 15.461 darunter: neue BK-Renten 6.123 BK-Todesfälle 2010 2.486 1.597 (2005) 1.371 (2009) 1.425 (2007) 1.170 (2003) 1.292 (2010) Quellen: http://www.dguv.de/inhalt/zahlen/documents/DGUV-Statistiken-2009-deutsch.pdf http://www.dguv.de/inhalt/zahlen/bk/bktodefaelle/index.jsp

Winter 1952: Smog in London “We estimate about 12,000 excess deaths occurred from December 1952 through February 1953 because of acute and persisting effects of the 1952 London smog.“ (Bell u. Davis [Environ Health Perspect] 2001) Claude Monet: Das Parlament in London, 1904

Woraus bestehen Dieselabgase? schwarz = Rußpartikel türkisgrün = angelagerte Kohlenwasserstoffe/Sulfate orange = Nukleationspartikel blau = eingebettete metallische Asche

Dieselabgase – Masse oder Größe messen? Nukleationspartikel

Größenordnungen der in Diesel-Abgasen enthaltenen Partikel Größe der Teilchen: Ultrafeine Partikel/Nanopartikel d < 100 nm PM2,5: Masse < 2,5 μm PM10: Masse < 10 μm Größenordnungen der Partikel: Virus 15-600 nm Zinkoxid 10-200 nm Schweißrauch 2-200 nm Wassermolekül 0,9 nm Atom 0,03-0,22 nm

Nanopartikel in Diesel-Abgasen

Nanopartikel: Chancen und Risiken

Mögliche Effekte von Nanopartikeln Lunge Deposition Stress/Entzündung/Asthma/COPD …

Hart et al. (2012): Dieselabgase und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Hart et al. (2012): Dieselabgase und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Yue et al. (2006): Auswirkung der Feinstaubkonzen-tration in Erfurt auf Herzleitung und Entzündungs-parameter bei KHK-Patienten

Mögliche Effekte von Nanopartikeln Lunge Deposition Stress/Entzündung/Asthma/COPD … Kardiovaskuläres System Störung des vegetativen Gleichgewichts - Stressantwort Störung der Gefäßmotorik Herzrhythmusstörungen Systemische Entzündungsreaktion Gerinnungsfördernder Status Endotheliale Dysfunktion Verstärkung atherosklerotischer Prozesse/Herzinfarkt Künzli und Tager 2005

Künzli (2000, 2001): Abschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen durch PM10-Belastung (gemäß Wichmann 2003)

Künzli (2000, 2001): Abschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen durch PM10-Belastung (gemäß Wichmann 2003)

Mögliche Effekte von Nanopartikeln Lunge Deposition Stress/Entzündung/Asthma/COPD … Kardiovaskuläres System Störung des vegetativen Gleichgewichts – Stressantwort, HRST Störung der Gefäßmotorik – Vasokonstriktion Systemische Entzündungsreaktion Gerinnungsfördernder Status Endotheliale Dysfunktion Verstärkung atherosklerotischer Prozesse/Herzinfarkt Gehirn Neurologische Störungen (Demenz, Parkinson etc.) Lunge/Blase/…? Krebs

Mögliche Effekte von Nanopartikeln Lunge Deposition Stress/Entzündung/Asthma/COPD … Kardiovaskuläres System Störung des vegetativen Gleichgewichts – Stressantwort, HRST Störung der Gefäßmotorik – Vasokonstriktion Systemische Entzündungsreaktion Gerinnungsfördernder Status Endotheliale Dysfunktion Verstärkung atherosklerotischer Prozesse/Herzinfarkt Gehirn Neurologische Störungen (Demenz, Parkinson etc.) Lunge/Blase/…? Krebs

Wie lassen sich Krebsrisiken von Dieselabgasen erforschen?

Seidler et al. (1998): Fallkontrollstudie zu Diesel und Prostatakrebs Fälle: 192 Patienten aus drei urologischen Praxen/Kliniken mit histologisch gesichertem Prostatakrebs Kontrollpersonen: 210 Patienten aus drei urologischen Praxen/Kliniken mit histologisch ausgeschlossenem Prostatakrebs Expositionsabschätzung (Diesel und andere chemische Stoffe) mittels Job-Expositions- Matrix („Dosisjahre“) Berechnung von Odds Ratios als Risikoschätzer, adjustiert für Alter, Region, Rauchen Vergangenheit Gegenwart Zukunft Exponiert Neuerkrankte (Fälle) Nicht Exponiert Fallkontrollstudie  Odds Ratio OR Exponiert Nicht Erkrankte (Kontrollpersonen) Nicht Exponiert

Seidler et al. (1998): Fallkontrollstudie zu Diesel und Prostatakrebs Fälle: 192 Patienten aus drei urologischen Praxen/Kliniken mit histologisch gesichertem Prostatakrebs Kontrollpersonen: 210 Patienten aus drei urologischen Praxen/Kliniken mit histologisch ausgeschlossenem Prostatakrebs Expositionsabschätzung (Diesel und andere chemische Stoffe) mittels Job-Expositions- Matrix („Dosisjahre“) Berechnung von Odds Ratios als Risikoschätzer, adjustiert für Alter, Region, Rauchen Dieselabgase Fälle (n=192) Kontrollen (n=210) Risikoschätzer Odds Ratio (95%-Konfidenzintervall) 0 Dosisjahre 118 (61%) 141 (67%) 1,0 - >0 bis 25 Dosisjahre 53 (28%) 58 (28%) 1,1 (0,7-1,8) >25 Dosisjahre 17 (9%) 6 (3%) 3,7 (1,4-9,8)

Olsson et al. (2011): Gemeinsame („gepoolte“) Analyse von 11 Fallkontrollstudien zu Diesel und Lungenkrebs Anm.: Das SYNERGY-Projekt fasst Infor-mationen zu Berufs-geschichte und Rauchverhalten von 13.304 Fällen und 16.282 Kontrollen zusammen

Neumeyer-Gromen A, Razum O, Kersten N, Seidler A, Zeeb H (2008): Kohortenstudie zu Diesel u. Lungenkrebs Kohortenmitglieder: 5.862 Kali-Bergarbeiter 61 Todesfälle an Lungenkrebs: 1970 bis 2001 (Vitalstatus /Todesursache bei 98,1% aufgeklärt) Dieselmotoremissionen: kumulative (gesamte) Belastung (hpts. durch Großlader und Sprenglochbohrwagen) auf der Grundlage von Messungen abgeschätzt Berechnung von Relativen Erkrankungsrisiken, adjustiert für Alter und Rauchen Vergangen-heit Gegenwart (historische Kohortenstudie: Vergangenheit) Zukunft Neuerkrankte Exponierte Nicht Erkrankte Nicht Exponierte Neuerkrankte Nicht Erkrankte

Neumeyer-Gromen A, Razum O, Kersten N, Seidler A, Zeeb H (2008): Kohortenstudie zu Diesel u. Lungenkrebs Kohortenmitglieder: 5.862 Kali-Bergarbeiter 61 Todesfälle an Lungenkrebs: 1970 bis 2001 (Vitalstatus /Todesursache bei 98,1% aufgeklärt) Dieselmotoremissionen: kumulative (gesamte) Belastung (hpts. durch Großlader und Sprenglochbohrwagen) auf der Grundlage von Messungen abgeschätzt Berechnung von Relativen Erkrankungsrisiken, adjustiert für Alter und Rauchen

Attfield et al. (2012); Silverman et al Attfield et al. (2012); Silverman et al. (2012): Kohorten-studie mit eingebetteter Fallkontrollstudie zu Diesel Kohortenmitglieder: 12.315 Bergarbeiter in acht Bergwerken 198 Lungenkrebsfälle; für eingebettete Fallkontrollstudie: 562 Kontrollpersonen „gematcht“ für (=vergleichbar hinsichtlich) Bergwerk, Geschlecht, Ethnizität, Geburtsjahr Dieselmotoremissionen: kumulative (gesamte) Belastung abgeschätzt (angegeben als einatembarer elementarer Kohlenstoff REC) Berechnung von Odds Ratios/Relativen Erkrankungsrisiken, adjustiert u.a. für Rauchen [Odds Ratio] [μg/m3-Jahre] (ohne die letzten 15 Jahre)

IARC: DIESEL ENGINE EXHAUST CARCINOGENIC (Lyon, France, June 12, 2012) International Agency for Research on Cancer (IARC), Lyon

IARC: DIESEL ENGINE EXHAUST CARCINOGENIC (Lyon, France, June 12, 2012) International Agency for Research on Cancer (IARC), Lyon „Heute hat die Internationale Agentur für Krebsforschung Dieselabgase als krebserregend für Menschen klassifiziert“ (Pressemitteilung der IARC vom 12.06.2012)

IARC: DIESEL ENGINE EXHAUST CARCINOGENIC (Lyon, France, June 12, 2012) Im Jahre 1988 waren Dieselabgase als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ (Gruppe 2A) eingestuft worden, Benzinabgase (1989) als „möglicherweise krebserregend beim Menschen“ (Gruppe 2B) Juni 2012: Treffen von 24 internationalen Experten aus sieben Ländern Einstufung von Dieselabgasen als „krebserregend beim Menschen“ (Gruppe 1) Veröffentlichung am 15.06.2012 im „Lancet Oncology“ (geplant: IARC-Monographie Nr. 105): „hinreichende Evidenz“ für die Verursachung von Lungenkrebs, „begrenzte Evidenz“ für die Verursachung von Blasenkrebs

Diskussion und Schlussfolgerungen Einstufung von Dieselabgasen als definitiv krebserregend beim Menschen durch die IARC = derselben Gruppe 1 zugeordnet wie bspw. Asbest, Benzol, Passivrauchen, Alkohol in alkoholischen Getränken, Formaldehyd (insg. 108 Stoffe) Hohe Public-Health-Relevanz trotz relativ geringem individuellem Krebsrisiko, höhere Belastungen bei Beschäftigten im Transport- und Bauwesen und im Bergbau (insbesondere in Entwicklungsländern) Neben der krebserregenden Wirkung auch Schädigung der Lungen und des Herz-Kreislaufsystems möglich (Rolle von Nanopartikeln?) Ab 2014 gültige EURO-6-Norm enthält Grenzwert für die Partikelzahl Erforderliche präventive Anstrengungen: nicht nur Verminderung der Dieselabgase, sondern auch Feinstaubreduktion bei Benzinmotoren – und die Suche nach „gesünderen“ Alternativen

Vielen Dank! Vielen Dank!