Bedeutung des verfassungsmässigen Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV) für das Sozialversicherungsrecht ____________________ Probevortrag von PD.

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Bedeutung des verfassungsmässigen Diskriminierungsverbots (Art. 8 Abs. 2 BV) für das Sozialversicherungsrecht ____________________ Probevortrag von PD Dr. iur. Hardy Landolt, LL.M., an der Universität Luzern vom 2. Oktober 2003

Inhaltsübersicht Einleitung Die verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot Bedeutung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungs- verbotes für den Sozialversicherungsgesetzgeber Bedeutung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungs- verbotes für den Sozialversicherungsanwender Schlussbetrachtung

Einleitung Querschnittproblematik Verfassungs- und Sozial- versicherungsrecht Bedeutung des Verfassungsrechts für das Sozialversicherungsrecht - Grundrechtsordnung (vgl. Art. 7 ff. BV) - Kompetenzordnung (vgl. Art. 40 und Art. 111 ff. BV)

Die verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) - Verbot unsachlicher Differenzierung in der Rechtsetzung und -anwendung - Verbot der formellen und materiellen Rechts- verweigerung - Besondere materiell- und verfahrensrechtliche Garantien

Die verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien Egalisierungsgebot (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 BV) - Chancengleichheit als allgemeines Verfassungsziel (vgl. Art. 2 Abs. 3 BV) - Chancengleichheit als Gegenstand besonderer Gesetzgebungsaufträge (vgl. z.B. Art. 8 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 sowie Art. 41 BV) - Sozialversicherungsrechtliche Gleich- stellungsnormen

Die verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BV) - Nachführung von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 aBV? - Konkretisierung staatsvertraglicher Diskrimi- nierungsverbote (vgl. Art.2 APF) - selbstständige Grundrechtsgarantie - umfassende Geltung im öffentlichen Recht, insbesondere im materiellen und formellen Sozialversicherungsrecht; Anwendungsfall des Ordre Public

Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot Anwendungsvoraussetzungen von Art. 8 Abs. 2 BV: Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. -> Diskriminierung -> verpönte persönliche Eigenschaft -> Wirkungszusammenhang

Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot Diskriminierung - Rechtliche oder faktische Ungleichbehandlung - Diskriminierung als qualifizierte Ungleichbehandlung: Erfordernis der qualifizierten Begründung - Eigenschaftsbezogene Ungleichbehandlung per se Diskriminierung? - Theorienvielfalt: Anknüpfungs-, Benach- teiligungs- oder Herabwürdigungsverbot - EVG: Ja (eher Anknüpfungstheorie) - BGer: Nein (eher Benachteiligungstheorie)

Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot Persönliche Eigenschaft - Alter (Kindes-, Erwachsenen- oder Pensionsalter) - Behinderung - Behinderung als Gesundheitsschaden mit Funktionsstörung - Behinderung ist kein vom ATSG definiertes versichertes Risiko - Anwendbarkeit des Behindertendiskriminie- rungsverbotes im Sozialversicherungsrecht?

Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot - Herkunft/Rasse - Staatsangehörigkeit: in der Regel ist das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) anwendbar - Sprache/Rasse: das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) ist anwendbar - Sozialer Status - Krank- oder Verunfalltsein als sozialer Status? (–> Behinderung) - Arbeitslosigkeit als sozialer Status?

Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot Wirkungszusammenhang - Diskriminierung muss wegen verpönter persönlicher Eigenschaft erfolgen - Ungleichbehandlung von geschützten Personen- gruppen untereinander beurteilt sich nach Massgabe des Gleichbehandlungsgebots, sofern nicht eine andere verpönte Eigenschaft die Ungleichbehandlung bewirkt - allfällige Diskriminierungsabsicht des Diskriminators ist nicht erforderlich

Bedeutung für den Sozialversicherungsgesetzgeber Erlass diskriminierungsfreier Leistungsnormen - zwingende Kompetenznormen - fakultative Kompetenznormen Beseitigung diskriminierender Leistungsnormen - richterlich nicht festgestellte Diskriminierung - richterlich festgestellte Diskriminierung Keine Staatshaftung für Rechtsverweigerung des Gesetzgebers (sog. legislatorisches Unrecht)?

Bedeutung für den Sozialversicherungsanwender Vorfrageweise Überprüfung von Sozialversicherungserlassen - Anwendungsgebot von verfassungswidrigen Bundes- gesetzen und Staatsverträgen (Art. 191 BV) - Kein Prüfungsverbot, nur Anwendungsgebot - Keine verfassungskonforme Auslegung contra legem - Überprüfung von anderen Sozialversicherungserlassen

Bedeutung für den Sozialversicherungsanwender Vergleichsmassstab für die Feststellung einer Diskri- minierung bzw. Ungleichbehandlung - Innersystemischer Vergleich: Vergleich der verschie- denen Leistungsniveaus ausschliesslich innerhalb eines sozialversicherungsrechtlichen Subsystems, z.B. innerhalb der IV, KV oder UV –> Regelfall

Bedeutung für den Sozialversicherungsanwender - Intersystemischer Vergleich: Vergleich der ver- schiedenen Leistungsniveaus zwischen mehreren sozialversicherungsrechtlichen Subsystemen, die dieselbe Leistungskategorie (z.B. Hilfsmittel) kennen –> Ausnahmefall - Extrasystemischer Vergleich: Vergleich zwischen den privat- und den sozialversicherungsrechtlichen Sys- temen? - sozialversicherungs- versus privatrechtliche Kontrahierungspflicht

Bedeutung für den Sozialversicherungsanwender Verfassungskonforme Auslegung und Lückenfüllung - unklare oder verfassungswidrige Bestimmungen sind verfassungskonform auszulegen (–> Art. 191 BV) - vom Gesetzgeber nicht geregelte bzw. verfassungs- widrig geregelte Rechtsfragen (echte Lücken) sind zu füllen (–> Art. 191 BV) - vom Gesetzgeber unbefriedigend geregelte Rechtsfragen (unechte Lücken) dürfen nicht gefüllt werden

Schlussbetrachtung Der verfassungrechtliche Tiger hat zwar Zähne, doch stellen diese im Sozialversicherungsrecht noch Milchzähne dar! Literaturauswahl: - Baumann, K./Lauterburg, M. (2001) Knappes Geld – ungleich verteilt. Gleichstellungsdefizite in der Invalidenversicherung, Basel - Meyer-Blaser, U. (1992) Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht, in: ZSR II 1992, 301 ff. ______________________

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