Telegyr Ein Fallbeispiel zur prozessorientierten Organisationsgestaltung unter Verwendung der Kaskadierungs- und Segmentierungsmethode aufbereitet von Dr. Andreas Suter
Telegyr – weltweites Geschäft mit Energieversorgungsunternehmen Telegyr – damals Teil des Landis & Gyr-Konzerns, heute integriert in Siemens Netzleittechnik: Systeme zur Steuerung, Überwachung und Betriebsführung von Hochspannungsnetzen (Übertragungs- und Verteilnetze) Hauptsächlich Software, aber auch proprietäre Hardware Weltweites Geschäft Rund 1‘000 Mitarbeiter, davon je ¼ in der Schweiz, in Italien und USA, Rest verteilt in anderen Tochtergesellschaften des Konzerns Umsatz ca. 150 Mio. Euro pro Jahr
Netzleittechnik – Systeme zur Steuerung, Überwachung sowie Betriebsführung von Hochspannungsnetzen Überblick Details
Ausgangslage: Dramatische wirtschaftliche Situation Intensiver Wettbewerb unter rund 10 Mitbewerbern, angeführt von ABB, Siemens und Telegyr Für ABB, Siemens und GEC-Alstom ist Netzleittechnik strategisch, da „Intelligenz“ für „kupferlastige“ Hochspannungstechnik Für Landis & Gyr ist Telegyr bloss ein weiteres Geschäft Minimum ein Austritt pro Jahr (durch Konkurs und Aufkauf), aber auch ein Neueintritt (z.B. Computer-Lieferanten wie damals CDC, IBM und DEC) Alle bekannten Mitbewerber mit notorischen Verlusten über Jahre Telegyr: minus 5-10% Betriebsergebnis pro Jahr ABB und Siemens: teilweise minus 20% und mehr
4 weitgehend autonome Einheiten mit je funktionalen Strukturen Hohe Organisationskomplexität: Mittelständige und gewachsene Strukturen ohne erkennbare Gemeinsamkeiten Einheit Schweiz Einheit Italien Einheit Österreich Einheit USA 4 weitgehend autonome Einheiten mit je funktionalen Strukturen rund 10 Länder-organisationen mit Verkauf und lokalem Service
Odyssee eines Kundenauftrags bei einem Anlagenbauer (Auftragswert: 1-5 Mio. US$) Unternehmens- Sparte Prüfung Montage Anlagen-Engineering Modul-Engineering Anlagenprüfung AVOR Produktion Projekt- abteilung Verkaufs- administration R & D Konzern- gesellschaft Y BU A1 Administration Personalabteilung Geschäftsbereich Systeme Zähler M Zähler E BU A2 BU A3 Fabrik A Vertriebs- Gesellschaft X Inkasso Auftragsakquisition Modul-Engineering Spezifikation System-Engineering Baugruppendisposition Baugruppenfertigung Modulmontage Baugruppentest Modulprüfung Anlagentest Kommissionierung Auftragsregistrierung Modul-Lieferant Kunde
Ergebnis des ersten Augenscheins: Ungenügende Kundenorientierung, überfordertes Projektmanagement Kein kompetenter Ansprechpartner für Kunden, ungenügende Life-time- Betreuung Typische Projektdauer: 1 bis 4 Jahre Margenerosion während der Projektausführung (von geplanten 30% auf -10%) Viele interne Projektübergaben Kein Gefühl der Verantwortlichkeit für den wirtschaftlichen Erfolg: „Management by Excuse“
Aus der sachlogischen Verknüpfung der Aktivitäten im Auftragsfall entsteht die Prozesskette Kunden- bedürfnis Kunden- zufriedenheit Detaillierungsgrad Auftrags- akquisition Detaillierung Pflichtenheft System- Engineering Modul- bearbeitung Baugruppen- disposition Integration & Test Inkasso Inbetriebsetzung Anlagentest Modulprüfung Modul-/ Schrankmontage Baugruppentest Baugruppenfertigung
Streng genommen: „Doppelte Badewanne“, weil Verkaufsphase und Ausführungsphase getrennt Kunden- anfrage Angebot Bestellung Kunden- zufriedenheit
Projektmanagement – keine Lösung Projektmanagement – keine Lösung! Denn zu komplexe Abläufe aus üblicher Projektplanung Unter welchen Bedingungen hat der Projektmanager tatsächlich eine Chance, die Projektkomplexität in Griff zu kriegen?
Auch IT löst die Probleme einer langen Prozesskette nicht Kunden- zufriedenheit Kunden- bedürfnis Auftrags- akquisition Detaillierung Pflichtenheft System- Engineering Modul- bearbeitung Baugruppen- disposition Inkasso Inbetriebsetzung Anlagentest Modulprüfung Modul-/ Schrankmontage Baugruppentest Baugruppenfertigung
Lösungsansatz Basis des Umbaus ist das strategiegerechte Geschäftsmodell (Makrodesign), welches durchgängige Geschäftsprozesse definiert: Kundengewinnung/-betreuung Systemlieferant Modullieferant Baugruppenlieferant Innovation Zwischen den Geschäftsprozessen besteht eine Auftraggeber-Auftragnehmer- Beziehung. (Diese ist zwischen den beiden Geschäftsprozessen „Kundengewinnung/- betreuung“ und „Systemlieferant“ durch den so genannten „KAM/PEM“-Ansatz charakterisiert). Das neue Makrodesign bildete auch die Basis für die prozessbasierte Organisation, welche auch die geografische Dimension berücksichtigt.
Abläufe sind zu durchgängigen Prozessen zu integrieren Auftrags- akquisition Detaillierung Pflichtenheft System- Engineering Modul- bearbeitung Baugruppen- disposition durchgängige Verantwortung Inkasso Inbetriebsetzung Anlagentest Modulprüfung Modul-/ Schrankmontage Baugruppentest Detaillierungsgrad Integration & Test durchgängige Verantwortung durchgängige Verantwortung durchgängige Verantwortung Baugruppenfertigung
Organisatorisch bedeutet dies: Case-Management, welches für den Geschäftsfall durchgängig verantwortlich ist Fall A: Case-Manager Fall B:Case-Team Kunde Kunde Kunde Kunde 1 2 3 4 ... n 1 2 3 4 ... n
Durchgängige Verantwortung auch in Zusammenarbeit mit – internen oder externen – Unterlieferanten Von Erstkontakt über Angebotslegung, Abschluss bis zu Inkasso und Aftersales-Betreuung Kundengewinnung und -betreuung Bestellung Übergabe von in Betrieb gesetzter Anlage Von Angebots- und Auftragsbearbeitung bis Inbetriebsetzung Systemlieferant Bestellung Anlieferung geprüfter Module Von Auftragsbearbeitung bis Spedition Modullieferant Bestellung Anlieferung geprüfter Baugruppen Von Auftragsbearbeitung bis Spedition Baugruppenlieferant
Durchgängige Verantwortung führt inhärent zur Beschleunigung Durchlaufzeit (Wochen) 40 - 200 alt neu 12 - 20 ab Lager 10 - 60 6 3 Kundengewinnung und -betreuung: Von Erstkontakt über Angebotslegung, Abschluss bis zu Inkasso und Aftersales-Betreuung Systemlieferant: Von Angebots- und Auftragsbearbeitung bis Inbetriebsetzung Modullieferant: Von Auftragsbearbeitung bis Spedition Baugruppenlieferant: Von Auftragsbearbeitung bis Spedition
Unterschiedliche Management-Horizonte sind unterschiedlich zu behandeln, insbesondere sind Innovation und Tagesgeschäft asynchron zu behandeln Kurzfristiger Horizont (Tagesgeschäft) Mittelfristiger Horizont (Innovation, Strategie) Kundengewinnung/-betreuung € £ $ Systemlieferant Innovation CHF Modullieferant Detaillierte Pläne und Anweisungen „Horizontale“ oder wertschaffende Prozesse „Vertikale“ oder wertdefinierende Prozesse
Innovationsprozess wirkt asynchron zu den Prozessen des „Tagesgeschäfts“ Kundengewinnung & -betreuung Systemlieferant Modullieferant Baugruppen- lieferant Innovationsprozess Disposition von Innovationsaufträgen zur Realisierung Vom Trendmonitoring über die Ideenkreation und und Life-cycle-Betreuung)
Makrodesign als Basis der prozessbasierten Organisation Kundengewinnung und -betreuung: Von Erstkontakt über Angebotslegung, Abschluss bis zu Inkasso und After-Sales-Betreuung Systemlieferant: Von Angebots- und Auftragsbearbeitung bis Inbetriebsetzung Wartung und Unterhalt Innovation: Vom Trendmonitoring über die Ideenkreation und Disposition von Innovationsaufträgen zur Realisierung und Life-cycle-Betreuung Modullieferant: Von Auftragsbearbeitung bis Spedition Baugruppenlieferant: Von Auftragsbearbeitung bis Spedition
Strategiegerechte Segmentierung zur Steigerung der Leistungsfähigkeit Kundengewinnung und -betreuung Märkte resp. Kundentypen Inbetrieb- gesetzte Anlage Bestellung Systemlieferant Anlagenfamilien Anlieferung geprüfter Module Bestellung Modullieferant Modultypen (auch externe Lieferanten) Anlieferung geprüfter Baugruppen Bestellung Baugruppenlieferant Baugruppenfamilien (auch externe Lieferanten)
Klare Regelung der Zuständigkeiten im KAM/PEM-Ansatz Kunde Pre-Sale Kundengewinnung Management der Kundenbeziehung Anwendungsberatung Angebotslegung und Preisfestsetzung Vertragsverhandlung Technische Verkaufsberatung/ unterstützung Technischer Vorschlag/ Entwurf Kostenkalkulation Lieferantenauswahl/ verhandlung Lead KAM* PEM* Execution (Auftragserfüllung) Fortgesetztes Management der Kundenbeziehung Kommerzielles Vertragsmanagement Rechnungsstellung/ Inkasso Nachforderungen (z.B. „Change Orders“) Technisches Vertragsmanagement Auftragsverrechnung/ Kostenverfolgung Projektmanagement Design/Engineering Lieferanten-management/ Überleitungen Änderungs-management („Change Requests“) Sicherstellung der Kundenakzeptanz & Qualitätssicherung Lead Kunde KAM* PEM* * KAM: Key Account Manager PEM: Project Engineering Manager
Klärung der Margenverantwortung zwischen KAM und PEM Üblicherweise vom KAM kontrolliert Üblicherweise vom PEM kontrolliert Margen-Verluste „Pre-Sale“ „Execution“ (Auftragserfüllung) Verantwortlichkeit „Verkauf“ Verantwortlichkeit „Projektrealisierung“ 1. Preis- angebot Marge zur Deckung der Overheads aller Stufen Ab- geschlossener Preis Preisreduktion (direkt EBIT-wirksam) Abgerechnete Kosten (Herstell- kosten) Margen- verlust während Auftragserfüllung Personalkosten (Engineering, Endmontagen) Material (inkl. Lieferungen Dritter) Vorkalkulierte Kosten (Herstell- kosten) Budgetierte Kosten (Vorgabe)
4 weitgehend autonome Einheiten mit je funktionalen Strukturen Mittelständige und gewachsene Strukturen ohne erkennbare Gemeinsamkeiten Einheit Schweiz Einheit Italien Einheit Österreich Einheit USA 4 weitgehend autonome Einheiten mit je funktionalen Strukturen rund 10 Länder-organisationen mit Verkauf und lokalem Service
… und klare prozessbasierte Organisationsstrukturen
Organisationsmodell Organisationsmodell richtet sich nach dem Geschäftsmodell Integrale Ergebnisverantwortung der Region (Top- & Bottom-line) Region mit regionalem Hub („Systemhaus“) Globaler Modullieferant mit Produktions- stätten Globaler Innovator Geographie Lokal (Kunden- nähe) Regional Global Prozess Kundengewinnung & -betreuung Andere Länder Land X Key Account Y Marketing Support System-Lieferant Pool Satellit Modul-Lieferant Modul Komp. Beschaffung Innovation Globale Führung CoC
Globales und lokales Management Anlagenbauer Globales Innovations- Management F+C Region Südeuropa Region Mittel- und Nordeuropa Region Osteuropa Region Amerika (inkl. Asien) Modullieferant Kundengewinnung &-betreuung Systemlieferant Dezentrale Entwicklungseinheit (zentral geführt) Regionen mit integraler Geschäftsverantwortung für zugewiesene Märkte
Führung der Innovationstätigkeiten auf Divisionsstufe Chefs von prozessbasierten Einheiten rapportieren direkt an den Regions-Chef (Regionsstruktur EMEA) Führung der Innovationstätigkeiten auf Divisionsstufe F&C BD KAM (entsprechend Marktbereichen) PEM (entsprechend Systemtypen) Innovationsmanagement (Produktmanagement und R&D)
Kernaufgaben der Leistungsträger Kernaufgaben des Managements Grosse Führungsspanne nach klarer Zuordnung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten (Regionsstruktur EMEA) Geschäfts- prozess Anzahl Bereiche Führungs- spanne (in FTE) Kernaufgaben der Leistungsträger Kernaufgaben des Managements Kundengewinnung und -betreuung (KAM) 4 5,7,7,15 Kompetenter & professioneller Kundendienst Projektmanagement Marktentwicklung Unterstützung der Leistungsträger Kapazitäts- und Ressourcen-management Performance-Monitoring Zielvereinbarung mit den Leistungsträgern Personal-entwicklung Strategie-entwicklung und -umsetzung Projekt-engineering (PEM) 2 40 bzw. 90 Produktmanagement & -entwicklung (Innovation) 1 70 Produktmanagement & -entwicklung (Innovation)
Telegyr – profitables Geschäft Ergebnissprung innerhalb von 18 Monaten: von minus 8% auf plus 4% EBIT Markante Verbesserung der Kundenzufriedenheit Bessere Projektqualität Kürzere Lieferfristen Kompetentere Betreuung Weltweit meist verkauftes System (installierte Basis) Neue Unternehmenskultur: Stolz für exzellenten Dienst für den Kunden Heute: Integriert in Siemens