Politik der Ernährungssouveränität?

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Politik der Ernährungssouveränität? Franziskus Forster & Melanie Pichler 16. April 2013

Leitende Fragen Welche Ansätze prägen das derzeitige Agrar- und Ernährungssystem und welche alternativen Erklärungsversuche gibt es? Welche theoretischen Ansätze helfen, diese Strukturen und Prozesse zu erklären? Welche Rolle spielen Politik/Staat/Demokratie im Agrar- und Ernährungssystem? Wo können konkrete Politiken ansetzen? Wie und welche Handlungsspielräume erkämpfen? NICHT: „richtige“ Politik oder Politikempfehlungen

Wirkmächtige Ansätze in der Agrarpolitik Neomalthusianische Ansätze Bevölkerungsdruck führt zu Hunger, Nahrungsmittelkrisen, Umwelt- und Ressourcenkonflikten (Malthus 1798) Bauern und Bäuerinnen besonders verantwortlich für Bevölkerungsproblem  können nicht kontrolliert werden (siehe Handy 2009) Modernisierungstheoretische Ansätze unproduktive und ineffiziente landwirtschaftliche Techniken sowie geringer technologischer Fortschritt führen zu Hunger, Armut und Umweltproblemen Bauern und Bäuerinnen produzieren nicht effizient, weil durch die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Land Kapitalakkumulation nicht funktioniert (siehe Handy 2009)

… Residuale Perspektive  Politische Maßnahmen Ursachen von Hunger und Armut liegen im Ausschluss der Menschen vom Markt und seinen Vorzügen Bauern und Bäuerinnen sind„rückständig“ und „unterentwickelt“  Politische Maßnahmen Integration der Bauern und Bäuerinnen in die kapitalistische Landwirtschaft (Enclosure) Geburtenkontrolle Industrialisierung und Intensivierung der Landwirtschaft (Grüne Revolution, Gentechnik)  Entbäuerlichung als Entwicklung

Entgegnung – Politische Ökologie Relationale Perspektive Ursachen von Hunger und Armut liegen in der Art und Weise, wie Menschen in spezifische soziale Verhältnisse eingebunden sind Macht- und herrschaftskritischer Zugang zur Analyse des Agrarsystems Gesellschaftliche Bedingtheit von Natur und der Nutzung von natürlichen Ressourcen (Bryant/Bailey 1997, Neumann 2005, Peet/Robbins/Watts 2011, Robbins 2008) gesellschaftliche Naturverhältnisse (Brand/Görg 2003)

... Zentrale Bedeutung von sozioökonomischen Strukturen und politisch-institutionellen Rahmenbedingungen Inwertsetzung von Natur: „Verselbständigung von Wert und Kapital gegenüber dem Gebrauchswert“ (Görg 2004: 1502) Inwertsetzung ermöglicht Kapitalakkumulation  transformative Politiken zur Veränderung von sozialen Verhältnissen

Die Inwertsetzung von natürlichen Ressourcen Definition und Exploration einer inwertzusetzenden Ressource  Identifikation der ökonomisch interessanten Ressourcen Isolation der Ressourcen, Definition von Eigentumsrechten durch Umwandlung von kollektiven Nutzungsrechten in exklusive Eigentumsrechte Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen bzw. anderen konkurrierenden NutzerInnen, Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware Extraktion der wertvollen Ressource aus ihrer Umwelt Kommodifizierung, d.h. Produktion für den Markt (Notwendigkeit von Infrastruktur) Monetarisierung des Tausches – auf dem nationalen/regionalen/Weltmarkt adaptiert nach Altvater 2004, 2007

Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Definition und Exploration einer inwertzusetzenden Ressource  Identifikation der ökonomisch interessanten Ressourcen

Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Isolation der Ressourcen, Definition von Eigentumsrechten durch Umwandlung von kollektiven Nutzungsrechten in exklusive Eigentumsrechte Quelle: Jikalahari 2009

Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen bzw. anderen konkurrierenden NutzerInnen, Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware

Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Extraktion der wertvollen Ressource aus ihrer Umwelt

Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Kommodifizierung, d.h. Produktion für den Markt (Notwendigkeit von Infrastruktur) http://www.forestjustice.org/wp-content/uploads/2011/04/palmsupermarket.bmp

Exportorientiertes Landwirtschaftsmodell Beispiel: Palmölplantagenwirtschaft in Indonesien Monetarisierung des Tausches – auf dem nationalen/regionalen/Weltmarkt Exportorientiertes Landwirtschaftsmodell Produktion: 22 Mio. Tonnen Export: 16,3 Mio. Tonnen Top 5-Exportprodukte Kohle: USD 25,5 Mrd. Erdgas: USD 22,9 Mrd. Palmöl: USD 17,2 Mrd. Erdöl USD 13,8 Mrd. Kautschuk : USD 11,8 Mrd.  Bauern Bäuerinnen müssen Nahrungsmittel kaufen

Die Rolle des Staates in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen Inwertsetzung der Natur für landwirtschaftliche Produktion muss politisch hergestellt und abgesichert werden Definition von Eigentumsrechten (individuell oder staatlich) Zonierung des Landes  Einteilung in unterschiedliche Nutzungsformen (Simplifizierung) (Scott 1998) Aufbau von Infrastruktur (Straßen, Elektrizität, Häfen etc.) Gesetze zur Konzentration von Land … Konflikthafter Prozess der Inwertsetzung  immer umkämpft und nicht abgeschlossen

Konflikthafte Inwertsetzung von natürlichen Ressourcen Konflikte um plurale gesellschaftliche Naturverhältnisse Definition und Exploration einer inwertzusetzenden Ressource  Identifikation der ökonomisch interessanten Ressourcen Konflikte um Eigentumsrechte Isolation der Ressourcen, Definition von Eigentumsrechten durch Umwandlung von kollektiven Nutzungsrechten in exklusive Eigentumsrechte Konflikte um Land- und Ressourcennutzung, Konflikte um Zugang zu Land Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen bzw. anderen konkurrierenden NutzerInnen, Umwandlung der Arbeitskraft in eine Ware Konflikte um Land- und Ressourcennutzung, Arbeitskonflikte Extraktion der wertvollen Ressource aus ihrer Umwelt Arbeitskonflikte, urbane Konflikte Kommodifizierung, d.h. Produktion für den Markt (Notwendigkeit von Infrastruktur) Konflikte zwischen Zentrum und Peripherie, Nord-Süd-Konflikt Monetarisierung des Tausches – auf dem nationalen/regionalen/Weltmarkt adaptiert nach Altvater 2004, 2007

Die Absicherung kapitalistischer Naturverhältnisse im erweiterten Staat Erweiterter Staat = „politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie gepanzert mit Zwang“ (Gramsci 2012: 783) Hegemonie als Form der Herrschaft, die auf Konsens ausgelegt ist  zwei Ebenen staatlicher/politischer Kontrolle: diejenige, die man die Ebene der »Zivilgesellschaft« nennen kann, d.h. des Ensembles der gemeinhin »privat« genannten Organismen, und diejenige der »politischen Gesellschaft oder des Staates« −, die der Funktion der »Hegemonie«, welche die herrschende Gruppe in der gesamten Gesellschaft ausübt, und der Funktion der »direkten Herrschaft« oder des Kommandos, die sich im Staat und in der »formellen« Regierung ausdrückt, entsprechen. (Gramsci 2012: 1502) Hegemonie bildet sich in Institutionen der Zivilgesellschaft, wird im Staat (im engeren Sinn) abgesichert und durch alltägliches Handeln von Menschen reproduziert

Gegenhegemonie als Strategie/Ansatzpunkt? Analyse und Sichtbarmachen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen im derzeitigen Agrarsystem Aktuelle Konflikte und Kämpfe rund um das Agrarsystem und die -politik ernst nehmen und daran anknüpfen Strategien nicht nur an der Agenda der herrschenden Kräfte zu messen Konkrete Strategien durch Bündnisse zwischen unterschiedlichen sozialen Bewegungen (siehe bspw. Brand 2005)

Bibliographie Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit (2004): Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. 6. Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot. Altvater, Elmar (2007): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik. Münster: Westfälisches Dampfboot. Brand, Ulrich (2005): Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. Hamburg: VSA. Brand, Ulrich/Görg, Christoph (2003): Postfordistische Naturverhältnisse. Konflikte um genetische Ressourcen und die Internationalisierung des Staates. Münster: Westfälisches Dampfboot. Bryant, Raymond/Bailey, Sinéad (1997): Third World political ecology. London/New York: Routledge. Görg, Christoph (2004): Inwertsetzung. In: Haug, Wolfgang (Hg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Imperium bis Justiz. Band 6/II. Hamburg: Argument, S. 1501-1506. Gramsci, Antonio 1991-2002 (2012): Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. Band 1-10. Hamburg: Argument. Handy, Jim (2009): ‚Almost idiotic wretchedness‘: A long history of blaming peasants. The Journal of Peasant Studies, 36(2), 325-344. Malthus, Thomas 1798 (1992): An essay on the principle of population. Cambridge: Cambridge University Press. Neumann, Roderick (2005): Making political ecology. New York: Oxford University Press. Peet, Richard/Robbins, Paul/Watts, Michael (Hg.) (2011): Global Political Ecology. Abington: Routledge. Robbins, Paul (2008): Political ecology. A critical introduction. 9. Auflage. Oxford: Blackwell Publishing. Scott, James (1998): Seeing like a state. How certain schemes to improve the human condition have failed. New Haven/London: Yale University Press.