Materialistische Gesellschaftstheorie

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 Präsentation transkript:

Materialistische Gesellschaftstheorie Biographisches zu Karl Marx Grundannahmen und zentrale Begriffe 2.1 Das Individuum und die gesellschaftlichen Verhältnisse 2.2 Kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse 3. Schulische Sozialisation in materialistischer Perspektive 3.1 Politische Ökonomie des Ausbildungssektors 3.2 „Heimlicher Lehrplan“ und Verhaltenskonformität 3.3 Unterrichtsinhalte und Ideologiebildung 3.4 Klassen, Schichten und Schulformen 4. Kritische Würdigung

Biographisches zu Karl Marx Geburt in Trier als drittes Kind des Anwaltes Heinrich Marx und seiner Ehefrau Henriette Marx Aufnahme des Jura-Studiums in Bonn Wechsel nach Berlin; das Jura-Studium tritt gegenüber Philosophie und Geschichte zurück; Auseinandersetzung mit dem Hegelianismus Promotion in Jena mit der Schrift „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“ Umzug nach Paris „Ökonomisch-philosophische Manuskripte“ „Kommunistisches Manifest“ zus. m. Friedrich Engels Londoner Exil (bis zum Tode) „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ „Das Kapital“ Tod in London

Grundannahmen und zentrale Begriffe Doppelcharakter der historisch-materialistischen Theorie: wissenschaftliches Analyseinstrument und politische Programmatik - > materialistische Gesellschaftstheorie war stets umstritten Schwerpunkt: makrosoziologisch Theorie der Geschichte, Theorie der Funktionsweise bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften Keine Sozialisationstheorie im engeren Sinne, aber fruchtbar für sozialisations- und persönlichkeitstheoretische Entwürfe Versuche hierzu: Zusammenführung von Marxismus und Psychoanalyse in der Kritischen Theorie (Adorno, Fromm, Lorenzer) Kritische Psychologie (Holzkamp) Im weiteren Sinne: sozialisationstheoretische Arbeiten von Habermas und Bourdieu

Grundannahmen und zentrale Begriffe Arbeit ist der Grundsachverhalt des gesellschaftlichen Lebens Dreifache Bedeutung der Arbeit für den Menschen: Umgang mit der äußeren Natur: durch Einwirken auf Naturstoffe entsteht ein Produkt Umgang mit der inneren Natur: durch Arbeit werden Fähigkeiten, Erkenntnisse und auch Bedürfnisse entwickelt Gesellschaftlicher Vollzug der Arbeit: Menschen treten durch Arbeit in Kooperation und Austausch miteinander Warum ist eine Diagnose kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse für die Sozialisationsforschung von Interesse? - > Systematische Beschreibung der gesellschaftlichen Bedingungen des Sozialisationsprozesses Marxistische Theorie aber auch von Interesse wegen ihres bestimmten Verständnisses vom Menschen und seiner Subjekthaftigkeit

Grundannahmen und zentrale Begriffe 1. Das Individuum und die gesellschaftlichen Verhältnisse 2. Kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse

Das Individuum und die gesellschaftlichen Verhältnisse Anthropologische Grundannahmen: „Das Tier ist unmittelbar eins mit seiner Lebenstätigkeit. Es unterscheidet sich nicht von ihr. Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat bewußte Lebenstätigkeit … Die bewußte Lebenstätigkeit unterscheidet den Menschen unmittelbar von der tierischen Lebenstätigkeit. Eben nur dadurch ist er ein Gattungswesen“ (Marx 1844). Das Selbstbewusstsein ergibt sich aus der tätigen Wechselwirkung der Individuen mit ihrer Umwelt. Arbeit: Auseinandersetzung mit der Natur, mit sich selbst und mit anderen

Das Individuum und die gesellschaftlichen Verhältnisse Die Menschen unter kapitalistischen Verhältnissen: Soziale Beziehungen werden zu rein „sachlichen“ Geldverhältnissen, die gesellschaftlichen Prozesse werden von den Individuen als willkürlich und kaum beeinflussbar erlebt. Der „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx 1867). Die kapitalistische Produktionsweise ergreift „die individuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel. Sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen“ (ebd., S. 381).

Kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse Reproduktion menschlichen Lebens durch Arbeit als Grundbedingung jeder Gesellschaft Im Kapitalismus: Produktion von Waren im Rahmen privater Besitzverhältnisse von Produktionsmitteln Doppelcharakter der Ware: Gebrauchswert, Tauschwert Ziel der kapitalistischen Produktion: Mehrwert Quelle des Mehrwerts: die Arbeitskraft der Lohnabhängigen Arbeitskraft als Ware Für die Sozialisationsforschung wichtig: Die Menschen (als Träger der Ware Arbeitskraft) brauchen bestimmte Qualifikationen und Fertigkeiten und müssen die Bereitschaft mitbringen, sich den kapitalistischen Arbeitsbedingungen zu unterwerfen.

Kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse Klassenantagonismus: Produktionsmittelbesitzer, lohnabhängige Bevölkerung (Arbeiterklasse) Demokratie: offizieller Souverän ist das Volk; Aber: Recht auf Eigentum als wesentliches Grundrecht der bürgerlichen Gesellschaft - > die Produktion wird aus der demokratischen Kontrolle ausgenommen - > widersprüchliche Struktur kapitalistischer Gesellschaften; potenzielle Legitimations- und Integrationsprobleme

Schulische Sozialisation in materialistischer Perspektive Funktion der Schule im Kapitalismus Schulische Kommunikation auf Mikroebene - > In welcher Weise trägt die Schule zur Produktion kapitalkonformer Individuen bei? - > Wie entsteht in (oder trotz) der Schule kritische Handlungsfähigkeit?

Schulische Sozialisation in materialistischer Perspektive Politische Ökonomie des Ausbildungssektors „Heimlicher Lehrplan“ und Verhaltenskonformität Unterrichtsinhalte und Ideologiebildung 4. Klassen, Schichten und Schulformen

Politische Ökonomie des Ausbildungssektors Bedeutung des Ausbildungssystems für die kapitalistische Gesellschaft Kapitalkonforme Qualifikationen der Arbeitskraft „Um die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, daß sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden“ (Marx 1867). Staat als Gesamtvertreter der Kapitalinteressen

Politische Ökonomie des Ausbildungssektors Zwei Funktionen des Bildungswesens: - Qualifizierungsfunktion des Bildungswesens (Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten) - Legitimationsfunktion des Bildungswesens (Einübung in die Verkehrsformen des Kapitalismus) Unterordnung der Arbeitskraft unter die Verwertungsinteressen des Kapitals erfordert Vermittlung von Charaktereigenschaften von früh an (Fleiß, Ausdauer, Durchhaltevermögen, abstrakte Leistungsbereitschaft) Loyalitätsfunktion: Versprechen sozialer Gleichheit Schule kann das Versprechen nicht einlösen - > Ausbildung kostengünstiger Arbeitsvermögen für die unterschiedlichen Anforderungsstufen der kapitalistischen Produktion (Auslesezwang) - > Reproduktion der Klassenstruktur

„Heimlicher Lehrplan“ und Verhaltenskonformität Untersuchung von Kommunikationsmustern im Unterricht Annahme: Einüben in die Verhaltensanforderungen der Institution Schule („heimlicher Lehrplan“) wichtiger als das Lernen der schulischen Inhalte „Die Schule als Institution erzieht“ (Bernfeld 1925, S. 28). - Und zwar – so Bernfeld – zum konformen Mitglied der kapitalistischen Gesellschaft: „die Kinder müssen die bürgerliche Klasse lieben lernen … Sie sollen Mehrwert leisten, aber sie sollen es gerne tun …“ (ebd., S. 97f.). Analysen von Tillmann (1976): Kommunikation in der Schule erzwungen und hierarchisch, leistungs- und konkurrenzorientiert Fend u.a. (1973): In den Schulen mit dem stärksten ‚disziplinären Druck‘ zeigen die Schüler die höchsten Zustimmungswerte für ‚passive Konformität‘

„Heimlicher Lehrplan“ und Verhaltenskonformität Internalisierung des Leistungsprinzips Leistungsprinzip als Antwort auf das Legitimationsproblem des Kapitalismus, Gleichheit zu versprechen und Ungleichheit zu reproduzieren Sozialisationswirkungen des ‚heimlichen Lehrplans‘: Schaffung kapitalkonformer Subjekte

Unterrichtsinhalte und Ideologiebildung Fragen einer materialistischen Soziologie des Schulwissens - Wie kommt es, dass bestimmte Aspekte eines kulturellen Zusammenhangs zum Schulwissen avancieren? - In welcher Weise finden sich die herrschenden Ideologien im Schulwissen wieder? - Wie gelingt es der Schule, dieses beschränkte Wissen als unhinterfragbare Wahrheiten zu legitimieren? - Wie eignen sich die Schüler das Schulwissen an? Welche Verbindung gehen dabei Qualifizierung und Ideologiebildung ein?

Unterrichtsinhalte und Ideologiebildung Ideologie: die gesellschaftlichen Anschauungen der bürgerlichen Klasse, mit der die bestehenden Verhältnisse legitimiert werden (‚falsches Bewusstsein‘) Auseinandersetzung um kulturelle Hegemonie Schule als Ort der Auseinandersetzung um die kulturelle Hegemonie Ideologiebildende Elemente der Curricula - Offensichtliche Ideologismen - Schulwissen in einer bestimmten Erscheinungsform – als Ergebnis, als Fertiges, Wissen als Ware (Wissen kann nicht „mehr erkannt werden als auf menschlicher Arbeit beruhend, als von Menschen herstellbar und damit auch beherrsch- und veränderbar“ (Rolff 1982, S. 168).

Klassen, Schichten und Schulformen Soziale Auslese durch die Schule Benachteiligung von Arbeiterkindern Unterschiedliche unterrichtliche Kommunikationsstrukturen Hauptschule: Konformität durch Machtbehauptung und Zwangsmittel Vorbereitung auf unterschiedliche Verhaltensorientierungen: - Gymnasiasten: freiwillige Leistungsbereitschaft, flexible Anpassungsfähigkeit, hohes intellektuelles Niveau - Hauptschüler: Vorbereitung auf nachgeordnete Tätigkeiten im Produktionsprozess - > Strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Sozialbeziehungen in der Schule und am Arbeitsplatz

Kritische Würdigung Vorzüge: - Schulische Sozialisationsprozesse werden vor dem Hintergrund einer umfassenden und kritischen Theorie der Gesellschaft analysiert. - Momente von Macht, Herrschaft und Unterdrückung sind zentraler Bestandteil der Forschung. Einwände: - Analogiebildung zwischen Schule und Fabrik ist fraglich (gerade auch der Wandel der Schülerströme müsse zu einer Modifikation der Analogiethese führen) - Unterstellung eines passiv manipulierbaren Sozialisanden - Übergewicht der makro-soziologischen Argumentation