Mathematische Begriffsbildung in den Anfangssemestern Karlheinz Spindler Hochschule RheinMain Hochschule RheinMain Kurt-Schumacher-Ring 18 Arbeitsgruppe Mathematik 65197 Wiesbaden
Nichttriviale Anwendungen erfordern nichttriviale Methoden.
Nichttriviale Anwendungen erfordern nichttriviale Methoden.
Betonung allgemeiner Strukturen Mengen, Abbildungen, Relationen Äquivalenzrelationen, Quotientenbildung Ordnungsrelationen Symmetrie Dualität
Nicht zurückscheuen vor „unbequemen“ Begriffen! Infimum und Supremum Stetigkeit Integrabilität Basiswechsel Mannigfaltigkeit
Formulierung von Begriffen in ihrer wesentlichen Bedeutung lineare Abbildungen statt Matrizen quadratische Formen statt Matrizen Abbildungen auf einem Vektorraum statt Abbildungen in mehreren Variablen
Genauigkeit im Denken Situation: Wir haben einen Stapel Karten, von denen jede auf einer Seite einen Buchstaben und auf der anderen eine Zahl hat. Behauptung: Wenn eine Karte auf einer Seite ein E hat, dann hat sie auf der anderen Seite eine 2. Frage: Welche dieser vier Karten müssen wir umdrehen, um die Behauptung zu überprüfen? Hervorragendes Training: Sudokus
Genauigkeit im Denken Beispiel: Aus zwei rechteckigen und zwei dreieckigen Brettern soll ein Trog mit dem Volumen V=500 l bei minimalem Materialverbrauch gebildet werden. Wie sind die Abmessungen zu wählen?
Unterscheidung zwischen Existenz- und Eindeutigkeitsaussagen Genauigkeit im Denken Unterscheidung zwischen Existenz- und Eindeutigkeitsaussagen Beispiele: Primfaktorzerlegung Klassifikation quadratischer Formen Unterscheidung zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen Beispiele: Extremwertaufgaben Extrema unter Nebenbedingungen
Hinterfragen von Definitionen Beispiel: Ableitungsbegriff in einer Variablen Beispiel: Ableitungsbegriff in mehreren Variablen
Die Antwort ist jeweils nein.
Stärkung des Bewußtseins, daß selbst elementare Sachverhalte das Potential für neue Fragestellungen bergen. Beispiel: schwacher Ableitungsbegriff Beispiel: Formel von Faà di Bruno Beispiel: Optimierung analytischer Funktionen
Produktregel: Leibnizregel: Kettenregel: Formel von Faà di Bruno:
Zbl 1074.05014 Spindler, Karlheinz A short proof of the formula of Faà di Bruno. (English) [J] Elem. Math. 60, No. 1, 33-35 (2005). ISSN 0013-6018; ISSN 1420-8962 The paper gives a remarkably simple proof to the Faà di Bruno formula, which expresses higher derivatives of a composite function. The paper points out that a proof for composition of polynomials is sufficient, and then shows that the result for composition of polynomials is an easy consequence of the multinomial theorem. [László A. Székely (Columbia)]
Förderung der Fähigkeit zur Modellbildung
Modellbildung erfordert begriffliches Verständnis: Ableitungen als Änderungsraten Integrale als Aggregate von Einzelgrößen Mannigfaltigkeiten als Zustandsräume Differentialformen als Flüsse Integralsätze als Ausdruck von Bilanzgleichungen Gruppen als Ausdruck von Systemsymmetrien
Interdisziplinarität Analogien zwischen mathematischen und physikalischen Überlegungen (Bsp.: Kovarianzmatrix in der Statistik = Trägheitsmomententensor in der Mechanik)
Vorbereitung späterer Begriffsbildungen bereits zu einem frühen Zeitpunkt Beispiel: Einfach-/Mehrfachintegrale
Vorbereitung späterer Begriffsbildungen bereits zu einem frühen Zeitpunkt Beispiel: Riemannsches/Lebesguesches Integral
Heuristische Vorbereitung späterer Resultate Beispiel: Lebesguesches Integrabilitätskriterium Anwendung: Beweis:
Heuristische Vorbereitung späterer Resultate Beispiel: Transformationsregel für Integrale Beispiel: äußere Ableitung einer Differentialform
Betonung struktureller Eigenschaft gegenüber Rechenrezepten
Gute und schlechte Definitionen (1) So? Oder so?
Gute und schlechte Definitionen (2) So? Oder so?
Alternative Interpretation Bahngeschwindigkeit eines Schaufelrades in der Strömung Bahngeschwindigkeit eines Schaufelrades in der Strömung Rotation als Winkelgeschwindigkeit eines infinitesimalen Rades
Aussagekräftige Bilder Beispiel: Funktionen in mehreren Variablen
Aussage- kräftige Bilder Beispiel: Lagrange- Multiplikatoren
Benutzung verallgemeinerungsfähiger Definitionen von vornherein Berücksichtigung vektorwertiger Funktionen Riemannsche Summen vs. Ober- und Untersummen koordinatenunabhängige Definitionen Angabe verschiedener Charakterisierungen eines Begriffs
Schlüsselrolle der Linearen Algebra wesentlich für die mehrdimensionale Analysis grundlegend für die Funktionalanalysis (Übergang zu unendlichdimensionalen Räumen) grundlegend für die Differentialgeometrie (Übergang zu nichtlinearen Räumen)
Beispiel: Extrema unter Nebenbedingungen
Hinreichende Bedingungen für Extrema unter Nebenbedingungen (1)
Hinreichende Bedingungen für Extrema unter Nebenbedingungen (2)
Mehr Zeit! „Man sollte eigentlich ein nulltes Semester für die Mathematik einführen.“ Wieviel Zeit wird verplempert, weil Anwendungen gebracht werden, bevor die benötigten mathematischen Begriffe und Methoden bereitstehen?
Rückbesinnung auf Inhalte Noch so viel didaktischer Firlefanz kann nicht fehlende inhaltliche Substanz ersetzen. Man muß von hinten her denken: die Studienziele bestimmen, was am Anfang zu tun ist. Wer ein 20stöckiges Hochhaus bauen will, darf nicht an den Fundamenten sparen. Die Mathematik sollte gegenüber anderen Fächern und der Hochschulpolitik selbstbewußter auftreten.