Grundlagen des sozialen Handelns:

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Grundlagen des sozialen Handelns: Vorlesung: Einführung in die Soziologie – WS 2009/010 Prof. Dr. Ingrid Artus 24. November 2009 Grundlagen des sozialen Handelns: Sinn, Normen, Werte

Kurzzusammenfassung Emile Durkheim (1858-1917) untersucht in seiner positivistischen Soziologie den ‚lien social‘ als ‚fait social‘. Im Zuge einer veränderten Arbeitsteilung wandelt sich die ‚organische Solidarität‘ zur ‚mechanischen Solidarität‘. Er befasst sich auch mit dem Selbstmord als Ausdruck gesellschaftlicher Anomie Ferdinand Tönnies (1855-1936), Georg Simmel (1858- 1918) und Max Weber (1864-1920) sind Wegbereiter der ‚verspäteten‘ Entwicklung der Soziologie in Deutschland. Wichtige Begriffe der frühen deutschen Soziologen sind: Gemeinschaft und Gesellschaft, organische und mechanische Solidarität, Individualisierung, protestantische Ethik, Rationalisierung, Entzauberung….

Gliederung 1. Soziologie als Wissenschaft vom sozialen Handeln 2. Soziologie und Anthropologie 3. Zur Stabilisierung menschlichen Handelns 3.1 Gewohnheiten 3.2 Normen 3.3 Werte 3.4 Institutionalisierung – nach Berger/Luckmann

Soziologie als Wissenschaft vom sozialen Handeln Max Weber (1864-1920): „Soziologie (im hier verstandenen Sinne dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ (WuG, S. 1).

Was ist soziales Handeln? Weber: „Handeln soll (..) ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. „Soziales“ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (ebd.)

Was ist soziales Handeln? 1. Nicht jedes Tun von Menschen ist Handeln (sinnhaftes versus nicht sinnhaftes Tun) 2. Nicht jedes Handeln von Menschen ist soziales Handeln (Egozentrik versus Orientierung am alter ego) 3. Nicht jedes soziale Handeln ‚gelingt‘ im Sinne des Handelnden (Sinn der Handlung für „ego“ und „alter ego“ kann differieren + nicht intendierte Handlungsfolgen)

Einige Beispiele….. Jemand öffnet die Tür. Ist dies Handeln? Wann ist es Handeln? Wann ist es soziales Handeln? Eine Hochschuldozentin geht allein durch den Wald und überlegt sich, wie sie ihre Vorlesung für den nächsten Tag aufbauen will. Ist diese Tätigkeit Handeln? Ist sie soziales Handeln? Ist sie Teil einer Interaktion? Ein US-amerikanischer Truppenkommandeur landet mit seinem Schiff während des 2.Weltkriegs auf einer der pazifischen Inseln. Die Eingeborenen begrüßen ihn mit wertvollen Geschenken. Der Kommandeur weist diese jedoch zurück, um nicht in den Ruf der Bestechlichkeit zu geraten. In der Folgezeit verweigern die Eingeborenen die Kooperation. Analysieren Sie diesen Vorfall unter der Perspektive ‚sozialen Handelns‘!

Soziales Handeln = Sinnhaftes Handeln „Sinn ist konstitutiver Bestandteil des sozialen Handelns. Die Fragen, Schwierigkeiten und Probleme, die mit dem Wort „Sinn“ verbunden sind, gehören ausschließlich zum menschlichen Bereich. Die außermenschliche Welt funktioniert in mehr oder weniger festgefügten Zusammenhängen nach im Prinzip einsehbaren Gesetzen. Sofern ihnen überhaupt ein Sinn zugesprochen werden kann, geschieht dies im Rahmen eines von Menschen geschaffenen Sinnzusammenhangs, sei dies nun das Alltagswissen oder eine wissenschaftliche Theorie. Richtet sich dagegen der Blick auf menschliches Handeln, liegen die Dinge etwas komplizierter. Einerseits ist auch der Mensch aufgrund seiner Körperlichkeit Teil dieser außeren Welt. (… Andererseits erschöpft sich in ihnen menschliches Handeln nicht. Handelnde drücken mit ihrem Handeln etwas aus, die reine Körperbewegung „hat“ für den Handelnden (nicht erst für den außenstehenden Beobachter) bereits einen Sinn“ (in: Schäfers, Bernhard (Hg) (2003); Grundbegriffe der Soziologie)

Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie: Anthropologische Grundlagen menschlichen Handelns oder: Woher kommt der „Sinn“? Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie: Max Scheler (1874 – 1928) „Die Stellung des Menschen im Kosmos“ (1928) Begriff der „Weltoffenheit“ Helmuth Plessner (1892 – 1985) „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ (1928) Begriff der „exzentrischen Positionalität“ Arnold Gehlen (1904 – 1976) „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ (1940) Der Mensch als instinktreduziertes „Mängelwesen“ (Herder)

Der Mensch ist…. ausgestattet mit biologischen Determinanten ein instinktreduziertes „Mängelwesen“. Es existiert ein „Hiatus“ (Kluft) zwischen Handlungsantrieb und Handlung. im Verhältnis zu seiner Umwelt „weltoffen“ „wird zum Menschen“ im engen Kontakt mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt homo sapiens = homo socius soziokulturell außerordentlich variabel gekennzeichnet durch seine „exzentrische Positionalität“ => Möglichkeit der Externalisierung von subjektiv gemeintem Sinn ein symbolverwendendes Wesen

Plessner: Exzentrische Positionalität „Während das Tier zwar erlebt, aber nicht „sich erlebt“ hat der Mensch die Möglichkeit, zu sich selber, auch zum eigenen Leibe, in Distanz zu treten, den eigenen Körper sich zum Gegenstand zu machen. Er weiß um sich selbst und hat zugleich mit seinem „Ich“ noch einen dahinter liegenden Fluchtpunkt, von dem er gleichsam sich selbst, einschließlich seines Erlebens und Innenlebens, wiederum beobachten kann – beobachten, in einer jedem äußeren Zuschauer prinzipiell versperrten Weise. Der Mensch existiert so in seinem Leib, in seinem inneren Erleben und (zugleich) ortlos und gleichsam nirgends, außerhalb aller Bindung an Zeit und Raum. Zugleich in der Welt und aus ihr entrückt: exzentrisch.“ (in: Die Stufen des Organischen und der Mensch, 1928)

Der Mensch ist…. (nach Berger/Luckmann) „Der Vorgang der Menschwerdung findet in Wechselwirkung mit einer Umwelt statt. Die Feststellung gewinnt besondere Bedeutung, bedenkt man, dass diese Umwelt sowohl eine natürliche als auch eine menschliche ist. Das heißt, der sich entwickelnde Mensch steht in Verbindung nicht nur mit einer besonderen natürlichen Umwelt, sondern auch mit einer besonderen kulturellen und gesellschaftlichen Ordnung, welche ihm durch „Signifikante Andere“ vermittelt wird, die für ihn verantwortlich sind. (…) So kann man zwar sagen: der Mensch hat eine Natur. Treffender wäre jedoch: der Mensch macht seine eigene Natur – oder noch einfacher: der Mensch produziert sich selbst. (…) Die Selbstproduktion des Menschen ist notwendig und immer eine gesellschaftliche Tat. Zusammen produzieren die Menschen eine menschliche Welt mit der ganzen Fülle ihrer sozio-kulturellen und psychologischen Gebilde. (…) Empirisch findet menschliches Sein in einem Geflecht aus Ordnung, Gerichtetheit und Stabilität statt. Damit stellt sich die Frage, woher denn dann die Stabilität humaner Ordnungen kommt.“

Menschliches Handeln wird stabilisiert durch…. Gewohnheiten und Habitualisierungen Normen Werte Institutionen Interessen Diese entlasten das Individuum von der Notwendigkeit, ständig neue situationsgerechte Handlungsweisen zu entwerfen ermöglichen Verhaltenserwartungen gegenüber anderen Menschen beschränken die ‚Reizüberflutung‘ und sorgen für Komplexitätsreduktion ermöglichen Kreativität

Habitualisierung, Brauch, Sitte „Alles menschliche Tun ist dem Gesetz der Gewöhnung unterworfen. Jede Handlung, die man häufig wiederholt, verfestigt sich zu einem Modell, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Modell aufgefasst wird. Habitualisierung in diesem Sinne bedeutet, dass die betreffende Handlung auch in Zukunft ebenso und mit eben der Einsparung von Kraft ausgeführt werden kann.“ (Berger/Luckmann) „Eine tatsächlich bestehende Chance einer Regelmäßigkeit der Einstellung sozialen Handelns soll heißen Brauch, wenn und soweit die Chance ihres Bestehens innerhalb eines Kreises von Menschen lediglich durch tatsächliche Uebung gegeben ist. Brauch soll heißen Sitte, wenn die tatsächliche Uebung auf langer Eingelebtheit beruht. (Max Weber, WuG, S.15)

Soziale Normen und Werte „Normen sind allgemein geltende und ihrer Allgemeinheit verständlich mitteilbare Vorschriften für menschliches Handeln, die sich direkt oder indirekt an weit verbreiteten Wertvorstellungen orientieren und diese in die Wirklichkeit umzusetzen beabsichtigen. Normen suchen menschliches Verhalten in Situationen festzulegen, in denen es nicht schon auf andere Weise festgelegt ist. Damit schaffen sie Erwartbarkeiten. Sie werden durch Sanktionen abgesichert.“ (H.P.Barth; Schlüsselbegriffe der Soziologie) Werte sind „grundlegende bewusste oder unbewusste Vorstellungen vom Wünschenswerten, die die Wahl von Handlungsarten und Handlungszielen beeinflussen. Soziokulturelle Werte als zentrale Elemente der Kultur einer Gesellschaft dienen den durch Instinktreduktion und Verhaltensunsicherheit gekennzeichneten Menschen als generelle Orientierungsstandards. (…) Je widerspruchsfreier Werte aufeinander in einem Wertesystem oder in einer Wertehierarchie bezogen sind, desto stärker ist die Integration und Stabilität der Gesellschaft.“ (Schäfers; Grundbegriffe der Soziologie)

Soziale Normen beziehen sich auf Wertvorstellungen – aber: nicht alle Wertvorstellungen begründen Normen haben nur Sinn, wenn auch anders gehandelt werden könnte begründen Normalität sind situationsbezogen und richten sich oft an die Inhaber bestimmter sozialer Positionen werden erlernt, z.B. durch Mythen, Vorbilder, Kommunikation, Erfahrung, systematisierte Erziehung. Je nach Kulturtyp erfolgt die Normvermittlung unterschiedlich. werden in unterschiedlichem Ausmaß angeeignet: aufgrund positiver/negativer Sanktionen, rationaler Einsicht, Internalisierung sind nicht immer systematisch verknüpft; es können konkurrierende und konfligierende Werte- und Normensysteme existieren. können sich ändern werden nicht von allen Mitgliedern der Gesellschaft in gleichem Maße bestimmt.

Wertehierarchie in unserer Gesellschaft

Wertewandel

Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit Berger/Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie Das Programm der Wissenssoziologie: „Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird? Oder, in der Terminologie Webers und Durkheims: Wie ist es möglich, dass menschliches Handeln (Weber) eine Welt von Sachen hervorbringt? So meinen wir denn, dass erst die Erforschung der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit - der Realität »sui generis« - zu ihrem Verständnis führt. Das, glauben wir, ist die Aufgabe der Wissenssoziologie.“ (Peter L. Berger / Thomas Luckmann) Steht in der Tradition phänomenlogischer Philosophie (als Gegenentwurf zu Positivismus/Rationalismus): Erkennen ist nur unter Bezugnahme auf das erkennende Subjekt möglich. Der Mensch ist Urheber aller Sinnbildungen und Seinsgeltungen, die kein ‚objektives Dasein‘ jenseits des subjektiven Bewusstseins besitzen; Wichtigster Vertreter: Edmund Husserl (1859-1938) betont Aktivität und Kreativität des Individuums sowie Relativität und Perspektivität soziologischer Theoriebildung

Institutionalisierung (nach Berger/Luckmann) Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Institutionalisierung steht am Anfang jeder gesellschaftlichen Situation, die ihren eigenen Ursprung überdauert; Historizität führt zu Objektivität. „Institutionen sind nun etwas, das eine eigene Wirklichkeit hat, eine Wirklichkeit, die dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht.“ Sie üben soziale Kontrolle aus. Die Objektivität „verdichtet“ und „verhärtet sich“. Eine institutionale Welt wird als objektive Wirklichkeit erlebt.

Zum schwierigen Institutionenbegriff in der Soziologie Er betrifft jede Form von verabredeter oder eingespielter Einrichtung von Handlungsformen und –regeln sowie kultureller Selbstverständlichkeiten relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster mit regulierender und orientierender Funktion Er ist mehrdeutig, weil er auf verschiedenen theoretischen Ebenen benutzt wird: Mikroanalytischer, gradueller Institutionenbegriff, der sich für die ‚Feinanalyse‘ sozialen Handelns eignet und nahe am Begriff der „Kultur“ liegt versus Mesoanalytischer Begriff von Institutionen als abstrahierte und sanktionierbare Regelungen, wobei die Sanktionsdrohung über den sozialen Erwartungsdruck hinausgeht. Er liegt nahe am Begriff der „Organisation“ und behandelt Institutionen nicht nur als Ergebnis von Interaktionen, sondern auch als Akteure (z.B. Familie, Staat).

Wie entsteht Gesellschaft? Die drei dialektischen Elemente der „gesellschaftlichen Wirklichkeit“ Externalisierung (Entäußerung v. subjektiv gemeintem Sinn) Gesellschaft ist menschliches Produkt Internalisierung Einverleibung im Zuge der Sozialisation Objektivation (Vergegenständlichung durch Historizität) Gesellschaft ist objektive Wirklichkeit Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt

Einige Übungsfragen…. Nennen Sie je ein Beispiel aus Ihrem Alltag für soziales Handeln, Habitualisierung, Sitte, Brauch, Norm, Wert sowie Institutionalisierung (im Sinne von Berger/Luckmann)! Ein Patient bittet einen Arzt, ihm ein starkes Schlafmittel zu verschreiben. Der Arzt hält dies nicht für vertretbar, verschreibt ihm ein harmloses Beruhigungsmittel und empfiehlt ihm tägliche Spaziergänge. Ist diese Anordnung eine Norm? Gehorcht der Arzt einer Norm? Spielen Werte hier eine Rolle – und wenn ja, welche? Ist eine Gesellschaft ohne Normen denkbar? Wäre sie wünschbar? Begründen Sie Ihre Ansicht unter Rückgriff auf die anthropologischen Grundlagen des sozialen Handelns! Seit 1998 ist es Ehemännern in Deutschland gesetzlich verboten, ihre Ehefrauen zu vergewaltigen. Was sagt dies über das gesellschaftliche Wertesystem aus? Vergleichen Sie die wissenssoziologische Perspektive von Berger/Luckmann mit dem positivistischen Ansatz von Durkheims „fait sociaux“! Wo liegt der zentrale Unterschied?

Literatur zur Vorlesung Bahrdt, H.P. (1984): Schlüsselbegriffe der Soziologie, München Berger, P.L./Luckmann, T. (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a.M. Kaesler,D./Vogt, L. (2000): Hauptwerke der Soziologie, Stuttgart Schäfers, B. (Hg.) (2003): Grundbegriffe der Soziologie, Opladen Störig, H.J. (2006): Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Frankfurt a.M. Treibel, A. (2004): Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, 6. Aufl., Wiesbaden