Klassentheorie nach Karl Marx

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Klassentheorie nach Karl Marx Die Klassenzugehörigkeit definiert sich nach der Stellung zu den Produktionsmitteln. Bourgeoisie: besitzt Produktionsmittel, die sie sich über einen Prozess der ursprünglichen Akkumulation angeeignet hat; Doppelt freier Lohnarbeiter: besitzt als formal freier Staatsbürger das Recht, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten; ist aufgrund der ‚Freiheit’ von Produktionsmitteln zum Verkauf seiner Arbeitskraft existentiell gezwungen produziert den Mehrwert, den sich der Kapitalist aneignet These von der Zuspitzung der Klassengegensätze; Klasse „an sich“ => Klasse „für sich“ Klassenkonflikt als Motor gesellschaftlichen Wandels

Max Webers Theorie sozialer Ungleichheit Mehrdimensionale Analyse sozialer Ungleichheit: Nicht allein der ökonomische Aspekt wird betont, sondern zusätzlich das soziale Prestige und die gesellschaftliche Macht als Dimensionen sozialer Ungleichheit eingeführt => Differenzierte Unterscheidung zwischen Klassen, Ständen und Parteien Relevant für die ökonomisch definierte Klassenlage ist nicht allein der Besitz an Produktionsmitteln, sondern sowohl der ökonomische Güterbesitz (Besitzklassen) als auch die Leistungsqualifikationen, die zum Gütererwerb auf dem Markt angeboten werden können (Erwerbsklassen). Klassenlage meint somit die Marktlage in ökonomischer Hinsicht. Der Begriff der sozialen Klasse bündelt die unübersichtliche Vielfalt möglicher existierender Klassen in Großgruppen, innerhalb derer typischerweise soziale Mobilität stattfindet. Eine gemeinsame Klassenzugehörigkeit muss nicht zu kollektivem Klassenbewusstsein oder gar kollektivem Handeln führen. Dies ist zwar potentiell möglich, jedoch eher wenig wahrscheinlich.

Max Webers Theorie sozialer Ungleichheit Stand Klasse Partei Dimensionen sozialer Ungleichheit Prestige Ökonomische Ressourcen Macht Relevante gesellschaftliche Ausprägungen Berufsstände Geburtsstände Politische Stände Besitzklassen Erwerbs-klassen Soziale Klassen (z.B. die Arbeiterschaft/die Handarbeiter, das Kleinbürgertum, die besitzlose Intelligenz und Fachgeschultheit/besitzlose Angestellte, die Besitzenden und durch Bildung Privilegierten

Die Klassentheorien von Marx und Weber im Vergleich Definition Ökonomie: Besitz/Nicht-Besitz von Produktionsmitteln Ökonomie: Marktlage hinsichtlich Besitz und Erwerbschancen Klassen in der Theoriearchitekto-nik Ökonomie als zentrale Determinante sozialer Ungleichheit; Klassen als ‚Motor der Geschichte‘ Klassen als ein Element innerhalb mehrdimensionaler Theorie sozialer Ungleichheit Anzahl und Struktur der Klassen Zunehmende Vereinfachung der Klassenstruktur: Lohnarbeit und Kapital bzw. Proletariat und Bourgeoisie Besitzklassen Erwerbsklassen Soziale Klassen Vielzahl unterschiedlicher Klassen ist denkbar, die sich im Begriff der sozialen Klasse bündeln. Klassenlage und Klassenbewußt-sein Bildung eines Klassenbewusstseins wahrscheinlich bzw. unvermeidlich Keine notwendige Entsprechung von ökonomischer Situation, sozialem Prestige, Lebensweise und Denkungsart Stärken Erklärendes und dynamisches Konzept sozialer Ungleichheit; Komplexer Klassenbegriff, der gesellschaftliche Strukturen und Bewusstseinslagen verknüpft Mehrdimensionales Konzept zur Beschreibung sozialer Ungleichheit; Empirische Offenheit der Verknüpfung von Klassenlage und Bewusstseinsstrukturen Schwächen Empirisch teilweise falsche Prognosen; Ökonomischer Determinismus und Reduktionismus Statisches sowie rein deskriptives Konzept, das kaum Hinweise auf die Erklärung sozialer Ungleichheit gibt

3. Von der Klasse zur Schicht: Theodor Geiger

Theodor Geiger: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes (1932) Theodor Geiger ist der erste, der eine auf repräsentativen Daten (Volkszählung 1925) basierende empirische Schichtstruktur erarbeitet Schichtbegriff als zentraler Oberbegriff sozialer Ungleichheit; Klasse als historischer Spezialfall sozialer Schichtung Analytische Trennung zwischen „ökonomisch sozialer Lage“ und „Mentalität“; typischer, aber nicht deterministischer Zusammenhang zwischen beiden Ebenen Schicht = Soziale Gruppierung mit einer typischen Mentalität Geiger ist einer der wenigen deutschen Professoren, die vor wie nach der Machtübernahme der Nazis diese öffentlich stets entschieden bekämpfte. In den Unterlagen zu Geigers Entfernung aus dem Staatsdienst ist vermerkt, dass er noch am Tag der letzten Reichstagswahl im März 1933 einen Juden mit erhobener Faust und dem Ruf „Freiheit“ gegrüsst habe. Zur Biographie von T. Geiger (1892-1952): geb. 1892 in München: Eltern: Gymnasialprofessor + Apothekerstochter 1910-14 Studium d. Rechts- u. Staatswiss. in München und Würzburg Kriegsfreiwilliger; sympathisiert nach dem Krieg mit Münchner Räterepublik 1919 Umzug nach Berlin 1920-28 Geschäftsführer der Volkshochschule Groß-Berlin; Eintritt in die SPD 1928 Professor für Soziologie in Braunschweig 1933 Entlassung wegen „nationaler Unzuverlässigkeit“; Emigration nach Kopenhagen 1938 Professor in Aarhus 1943 Emigration nach Schweden 1945 Rückkehr nach Aarhus; lehnt alle Berufungsangebote nach Deutschland ab 1948 „Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel“ erscheint

Schichtstruktur der deutschen Bevölkerung in der Weimarer Republik (nach Geiger 1932) Nach Geiger sind „weltanschaulich gefestigte“ Gruppen kaum anfällig für den National-sozialismus. Dies sind: die sozial standortbewussten Arbeiter der wirtschaftlich gesunde, alte Mittelstand der katholische neue Mittelstand; Gefährdet seien hingegen ideologisch unsichere Gruppen: das proletaroide Kleinbürgertum wirtschaftlich bedrängte Gruppen des bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstandes, v.a. dessen protestantische Teill subalterne Teile der Angestellten und Beamten mit unterdrückten Statusbedürfnissen. Hauptschichten % der Bevölke-rung Typische Mentalität Kapitalisten (Großunternehmer in Industrie und Handel, Finanzkapital, Großagrarier) 0,92% Krise des kapitalistischen Denkens Alter Mittelstand (mittlere und kleinere Unternehmer) 17,11% Verteidigungszustand Neuer Mittelstand (besser qualifizierte Angestellte und Beamte, akademische Berufe) 17,95% Ideologische Unsicherheit; Nährboden des NS Proletaroide (sozial deklassierte „Tagwerker für eigene Rechnung“; abgeglittener alter Mittelstand) 12,65% Uneinheitliche Mentalität Proletarier Lohneinkommensbezieher ohne besondere Qualifikationen 50,71% Gemildert marxistische Mentalität

Geiger versus Marx Schichtstruktur polarisiert sich nicht, sondern differenziert sich Klassenspannung entschärft sich Auftauchen eines neuen Mittelstandes der Angestellten und Beamten Insistieren auf Unterschiedlichkeit des Mittelstands Neue soziale Unterschiede unter den – zunehmenden – Lohnabhängigen sowie wachsender Wohlstand

Klasse versus Schicht Klassenkonzepte Schichtkonzepte sind häufig mehrdimensional angelegt; Es geht ihnen um eine differenzierte Beschreibung von Gesellschaft. Eine Prozessbetrachtung meint i.d.R. die Betrachtung individueller sozialer Mobilität zwischen Schichten. Sie implizieren häufig eine integrationstheoretische Gesellschaftsperspektive. Klassenkonzepte haben häufig den Anspruch, soziale Ungleichheit zu erklären, v.a. durch ökonomische Faktoren. Sie assoziieren oft die Entstehung von ‚Klassenbewusstsein’, konzentrieren sich auf kollektives Klassenhandeln und Konflikte zwischen Klassen als Ursache gesamtgesellschaftlichen Wandels. Schicht und Klassenkonzepte konzentrieren sich auf vertikale Dimensionen sozialer Ungleichheit. Sowohl Klassen- wie Schichtbegriffe werden bis heute in der Theorie sozialer Ungleichheit verwendet. Heftige Diskussionen zwischen Schicht- und KlassentheoretikerInnen gab es v.a. in den 60er/70er Jahren.

4. Nivellierung der sozialen Ungleichheiten?

Einige Facetten der NS-Ideologie sozialer (Un-)Gleichheit Das Bild differenzierter Klassen oder Schichten wird ersetzt durch die Vorstellung eines homogenen nationalen „Volkskörpers“ „Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen“ Organische Arbeitsteilung zwischen verschiedenen „Gliedern des Volkskörpers“ statt widersprüchlicher Interessenlagen und Vorstellung vertikaler Ungleichheiten Hierarchisierung zwischen Rassen/Nationen, nicht zwischen Klassen/Schichten Klassenwidersprüche gelten als abgeschafft

Helmut Schelsky (1912 – 1984) 1912: Geburt in Chemnitz; Vater: Zollsekretär 1931/32 Studium d. Philosophie, u.a. bei Arnold Gehlen und Hans Freyer in Leipzig; Eintritt in die SA; in der Folgezeit aktive Mitarbeit im NS-deutschen Studentenbund 1935 Promotion über die Theorie der Gemeinschaft bei Fichte 1937 Eintritt in die NSDAP 1938 Umzug als Gehlens Assistent nach Königsberg 1940/41 Freyers Assistent in Budapest 1943 Ruf auf eine außerordentliche Professur für Soziologie und Staatsphilosophie an die NS-treue “Reichsuniversität” in Straßburg 1945 Aufbau des Suchdienstes des Roten Kreuz; Mitarbeit im sozialdemokratischen Periodikum „Volk und Zeit“ 1948 Berufung als Direktor an die neu gegründete Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg; 1953 Professor für Soziologie an der Universität Hamburg 1960 Wechsel an die Universität Münster; Direktor der Sozialforschungsstelle Dortmund 1965 Betreut die Gründung der Reformuniversität Bielefeld; 1968 Rückkehr an die Universität Münster 1984 Tod

Schelskys (Ent-)Schichtungstheorie: Die BRD der 50er Jahre als nivellierte Mittelstandsgesellschaft Tendenz zur Entschichtung; Verlust der Klassenspannungen und Ende sozialer Hierarchien. Die Überwindung der Klassenstruktur sei gerade in Deutschland „vielleicht am weitesten fortgeschritten.“ Grund: Hochmobile Sozialstruktur mit kollektiven Auf- und Abstiegsprozessen ebnen soziale Klassen und Schichten ein Kollektiver Aufstieg der Industriearbeiter, technischen Angestellten und Verwaltungsangestellten; Kollektive Deklassierung des ehemaligen Besitz- und Bildungsbürgertums Egalisierung des Lebensstils durch Massenproduktion von Konsummitteln, Komfort- und Unterhaltungsgütern. „Verhältnismäßig einheitlicher“ kleinbürgerlich-mittelständischer Lebensstil, der „keineswegs mehr von (...) einer sozial irgendwie hierarchisch gegliederten oder geschichteten Gesellschaftsverfassung geprägt“ sei, da jeder das Gefühl entwickeln könne, „am Luxus des Daseins“ teilzunehmen. Begriff der sozialen Schichtung sei für die Bundesrepublik unbrauchbar und überholt. Lebe nur noch als Organisationsideologie in Gewerkschaften und linken Parteien weiter. Stattdessen: nivellierte Mittelstandsgesellschaft