Überblick Haftungsrisiken bei § 73 AO

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RA/StB Dr. Christian Ruoff, LL.M. (Duke) 12. September 2011 Steuerliche Sabotage der InsO? - § 73 AO, USt-Organschaft und Sanierungsregeln - RA/StB Dr. Christian Ruoff, LL.M. (Duke) 12. September 2011

Überblick Haftungsrisiken bei § 73 AO Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz Steuerliche Sanierungsregeln Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) und Beihilferecht Aktuelles zum Sanierungserlass

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (1) Sachverhalt: Zwischen Holding und ihren 100%igen Tochtergesellschaften T1, T2 und T3 besteht (Alt.: bestand) eine Organ-schaft für KSt, GewSt und USt Holding beabsichtigt, díe Anteile an T3 an Käufer zu verkaufen Es besteht ein hohes Risiko, dass Holding zeitnah insolvent werden wird (Alt.: schon insolvent ist) Fragestellung: Welche Haftungsrisiken sind aus Sicht des Käufers betreffend T3 zu beachten?

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (2) Überblick Im Falle einer Organschaft ist grundsätzlich nur der Organträger („OT“) zur Zahlung der im Organkreis verursachten Steuer (KSt, GewSt, USt) verpflichtet Allerdings haftet eine Organgesellschaft („OG“) für solche Steuern und Erstattungen von Steuervergütungen des OT für welche die Organschaft zwischen ihnen von Bedeutung ist (vgl. § 73 AO) Beim Kauf einer OG ist haftungsrechtlich für den Käufer zu beachten: Haftung der OG nach § 73 AO Haftung der OG wegen möglicher zivilrechtlicher Regress-Ansprüche anderer Mitglieder des Organkreises (insb. nach § 426 BGB)

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (3) Haftung nach § 73 AO -- Verhältnis Steuerschuld vs Haftungsschuld OG als Haftungsschuldner kann grds. nur auf Zahlung in Anspruch genommen werden, soweit Vollstreckung in bewegliches Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben ist oder – beispielsweise bei Insolvenz der OT – aussichtslos erscheint (vgl. § 219 S. 1 AO) OG haftet nur für Steuern, die während Dauer der Zugehörigkeit zur Organschaft entstanden sind; ein Haftungsbescheid kann aber noch Jahre später ergehen Haftungsbescheid ist hinsichtlich des Entstehens, der Höhe und des Erlöschens abhängig von der eigentlichen Steuerschuld (Akzessorietät) und kann danach grundsätzlich nicht mehr ergehen (vgl. § 191 Abs. 5 AO), soweit Steuer gegen Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann oder soweit die gegen Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder Steuer erlassen wurde

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (4) Einschränkende Auslegung von § 73 AO? Der Wortlaut von § 73 AO ist weit gefasst: Volle Haftung für sämtliche Steuern des Organkreises, also auch für Steueranteile, die OT oder anderen OG „zuzurechnen“ sind Nach erstinstanzlicher Rspr. und h.M. ist § 73 AO (tatbestandlich oder im Rahmen der Ermessensausübung) einschränkend auszulegen (s. z.B.: H/H/Sp, § 73 AO, Rnr. 15, 22 f. m.w.N.): Grundsatz: Beschränkung auf „eigenen Steueranteil“ Ausnahme: Zuwendung/Verschiebung erheblicher Vermögenswerte Vorteil durch Verlustausgleich (strittig, vgl. Klein, § 73 AO, Rnr. 12) Höchstrichterliche Rspr. oder BMF-Schreiben zur einschränkenden Auslegung des § 73 AO sind indes nicht ersichtlich

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (5) Zivilrechtliches Regressrisiko einer OG nach § 426 BGB Haftung dem Grunde nach: Mehrere OG haften grundsätzlich als Gesamtschuldner gemäß § 44 Abs. 1 AO; gleiches gilt wohl auch im Verhältnis OG/OT Haftung aufgrund Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB Haftung der Höhe nach: § 426 Abs. 1 S. 1 BGB geht von Haftungsverteilung nach Köpfen aus, soweit nicht ein anderes bestimmt ist Fehlt ausdrückliche Vereinbarung (z.B. in USt-Umlagevertrag) dürfte sachgerecht sein, dass jede OG im Innenverhältnis nur für Steuern ihres Betriebes haftet (Auslegung Gesamtschuldnerinnenausgleich) Verjährung: Drei Jahre nach Schluss des Jahres mit Kenntnis / grob fahrlässiger Unkenntnis (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB)

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (6) Denkbare Szenarien Insolvenz der Holding Insolvenz der gesamten Gruppe Vorgängige Veräußerung der Beteiligung an der T3 an Dritten und Veräußerung der Beteiligung an T3 durch den Dritten Inanspruchnahme durch T1 bzw. T2 gemäß § 73 AO nach Veräußerung der Anteile an T3

I. Steuerliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 73 AO (7) Schlussfolgerung für die Beratungspraxis Grundsätzlich bestehen gute Argumente, dass Haftung der OG im Zusammenhang mit § 73 AO (vorbehaltlich willkürlicher Vermögensverschiebungen) auf „eigenen Steueranteil“ beschränkt ist Unter dieser Annahme besteht im Zusammenhang mit § 73 AO kein erhöhtes Risiko im Vergleich zum Anteilserwerb einer Nicht-OG Allerdings besteht Restrisiko, dass Finanzverwaltung die Haftung im Zusammenhang mit § 73 AO auf Steuern des gesamten Organkreises ausdehnt Restrisiko lässt sich allerdings zeitlich (Zugehörigkeit zur Organschaft; offene BP-Zeiträume) und sachlich (Steuerart) eingrenzen Restrisiko erscheint bzgl. USt wegen laufender monatlicher Abrechnung (vorbehaltlicher besonderer Risiken des Einzelfalls) geringer Verständigung mit Finanzverwaltung? Grundlage? Gewerbesteuerlich im Regelfall problematisch wegen Zuständigkeit der Gemeinden Erscheint Risiko nicht beherrschbar, ist Ausweichen auf Asset Deal zu erwägen (Haftung Käufergesellschaft wird auf betriebsbezogene Steuern nach § 75 AO begrenzt)

II. Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz (1) Insolvenz der OG Insolvenz OG beendet USt-Organschaft wegen Wegfall organisatorischer Eingliederung (BFH v. 13.3.1997, BStBl. II 1997, 580); Ausnahme gleicher InsoV für OT und OG Gleiches gilt bei starkem vorläufigem InsoV; schwacher InsoV wohl nicht ausreichend (BFH v. 1.4.2004, BStBl. II 2004, 905) Achtung: Endet USt-Organschaft nicht, begründet OG für OT USt-Schuld ohne dass OT vollen Ausgleichsanspruch aus USt-Umlagevertrag hat (einfache Insolvenzforderung) Gestaltung: Sofortige Beendigung Organschaft durch z.B. Beendigung Personalunion

II. Umsatzsteuerliche Organschaft in der Insolvenz (3) Insolvenz der OT Insolvenz des OT hat regelmäßig nicht Beendigung der USt-Organschaft zur Folge (BFH v. 28.1.1999, BStBl. II 1999, 258) USt-Organschaft endet nur dann ausnahmsweise mit Insolvenz des OT, wenn sich Insolvenz nicht auf OG erstreckt und InsoV keinen Einfluss auf Geschäftsführung der OG nimmt

III. Steuerliche Sanierungsregeln Aktuelle Themen Vereinbarkeit der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) mit Beihilferecht Beschluss der Kommission v. 26.1.2011 Nichtigkeitsklage der Bundesrepublik v. 7.4.2011 Beschluss des FG Münster v. 1.8.2011 Sanierungserlass Vereinbarkeit mit Beihilferecht Vereinbarkeit mit Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (BFH v. 14.7.2010, DStRE 2010, 1268) Zuständigkeit bei der GewSt und Bindungswirkung des Gewerbesteuermessbescheids (Rev. I R 24/11) Sanierungsabsicht Sanierungseignun

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (1) Die Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG a.F.) Die Sanierungsklausel regelte den Erhalt von Verlustvorträgen bei Gesellschafter-wechseln. Sie enthielt eine Ausnahme zu § 8c Abs. 1 KStG, der einen Untergang steuerlicher Verlustvorträge bei qualifiziertem Gesellschafterwechsel anordnet. Die Klausel galt für Beteiligungserwerbe, die darauf gerichtet sind, Insolvenzgründe der Gesellschaft zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten. Problematik: Liegt hierin eine unzulässige Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV?

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (2) Exkurs: Grundlagen zum Beihilferecht Unzulässige Beihilfen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV sind: staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige (sog. Selektivität) die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Selektivität Bestimmung des Referenzsystem bzw. den Normalfall Feststellung des Vorliegens einer Ausnahme Ermittlung, ob die Natur oder der innere Aufbau des Steuersystems die Ausnahme rechtfertigen

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (3) Entscheidung der Kommission und Klage der Bundesrepublik Die EU-Kommission hat die Sanierungsklausel mit Beschluss v. 26.1.2011 als unzulässige Beihilfe erklärt. Insbesondere sei die Sanierungsklausel selektiv (Tz. 51 ff. des Beschlusses): Das Referenzsystem (der Normalfall) sei der Verlustuntergang bei Gesellschafterwechsel nach 8c Abs. 1 KStG. Die Sanierungsklausel unterscheide in selektiver Weise zwischen gesunden und insolventen bzw. insolvenzbedrohten Unternehmen. Der Zweck der Regelung – notleidende Unternehmen zu stützen – werde nicht durch die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt. Die Bundesrepublik hat Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss zum EuG erhoben.

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (4) Vollzug der Entscheidung Bundesrepublik ist verpflichtet, gewährte Beihilfen innerhalb von 4 Monaten zurückzufordern, Art. 4 des Beschlusses. Dies gilt auch im Falle bestandskräftiger Bescheide. Die Klage der Bundesrepublik hat keine aufschiebende Wirkung, Art. 278 Satz 2 AEUV, und der EuG hat keine aufschiebende Wirkung angeordnet.

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (5) Vorläufiger Rechtsschutz durch nationale Gerichte FG Münster v. 1.8.2011, DStR 2011, 1507, nimmt Befugnis nationaler Gerichte an, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren auch bzgl. Beihilfe-Entscheidungen der Kommission (gestützt auf EuGH v. 5.5.2011, BeckRS 2011, 80463 Rnr. 43f; str.). Voraussetzungen für vorläufigen Rechtsschutz sind insbesondere: Ernstliche Zweifel an Gültigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts Vorlage an den EuGH bzw. EuG, sofern noch nicht erfolgt drohender, schwerer, irreversibler Schaden des Beteiligten Berücksichtigung des Interesses der Gemeinschaft

1. Die Sanierungsklausel und Beihilferecht (6) Erfolgsaussichten in der Hauptsache Argumente im Schrifttum zugunsten der Sanierungsklausel Objektives Nettoprinzip bildet das Referenzsystem; § 8c Abs. 1 KStG ist eine Ausnahme. Keine Selektivität i.S.v. Art 107 Abs. 1 AEUV, weil nicht nach Branchen, Tätigkeitsbereichen, Unternehmensgröße oder Regionen differenziert wird. Die vom Beihilfebgriff vorausgesetzte „Begünstigung“ liegt nicht vor. Maßgeblich ist der der sog. private-investor test, d.h. ob sich – wie hier der Fall – ein privater Marktteilnehmer so wie der Fiskus verhalten hätte. Kritisch hingegen aber z.B. Ehrmann, DStR 2011, S. 5; de Weerth, DB 2010, S. 1205

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (1) Konflikt zwischen Insolvenz- und Steuerrecht Die InsO möchte wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen ermöglichen. Steuern auf Sanierungsmaßnahmen (gesetzlicher Regelfall!) würden hingegen Unternehmenssanierungen verhindern. Denn Gläubiger sind regelmäßig nicht bereit, zugunsten des Fiskus auf eigene Ansprüche zu verzichten. Verlustverrechnungsbeschränkungen als weiteres Hindernis Erträge aus dem Erlass von Verbindlichkeiten können meist nicht vollständig mit Verlusten aus Vorjahren verrechnet werden. Die Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) und der Untergang von Verlustvorträgen bei Anteilseignerwechseln (§ 8c KStG, insbesondere ohne Sanierungsklausel) stehen der Verrechnung entgegen.

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (2) Abhilfe durch den Sanierungserlass Erlass bzw. Stundung von Steuern auf Sanierungsgewinne, wenn das Unternehmens sanierungsbedürftig und sanierungsfähig ist, die Maßnahme sanierungsgeeignet und mit der Sanierungsabsicht erfolgt und Verlustverrechnungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind (keine Doppelbegünstigungen).

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (3) Sanierungserlass und Beihilferecht (a) Argumente für die Vereinbarkeit mit Europarecht: Eine „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe“ dürfte eine finanzielle Einbuße des Staates voraussetzen (vgl. EuGH v. 22.6.2006, IStR 2006, 568, Rnr. 127 ff.). Der Sanierungserlass zielt hingegen auf Konstellationen ab, in denen der Fiskus auch ohne Anwendung des Sanierungserlasses regelmäßig keine Einnahmen erzielen würde. Denn die Forderungsverzichte etc. werden in der Regel nur für den Fall einer steuerlichen Befreiung des Sanierungsgewinns ausgesprochen.

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (4) Sanierungserlass und Beihilferecht (b) Argumente für die Vereinbarkeit mit Europarecht (Fortsetzung): Für das Beihilfe-Merkmal der „Begünstigung“ gilt die vorstehende Argumentation entsprechend. Nach dem private-investor test liegt eine Begünstigung nur vor, wenn ein privater Marktteilnehmer nicht in gleicher Weise gehandelt hätte (vgl. EuGH v. 16.5.2002, NVwZ 2003, 461, Rnr. 69). Nach dem private-investor test läge in dem Besteuerungsverzicht auf Sanierungsgewinne keine Begünstigung, wenn (a) der Verzicht Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanierung ist und (b) künftige Steuereinnahmen nur bei erfolgreicher Sanierung zu erwarten sind.

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (5) Sanierungserlass als Rechtsgrundlage - BFH Urteil v. 14.7.2010, DStRE 2010, 1268 Der Sanierungserlass ist eine taugliche Rechtsgrundlage und kein Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Das FG München v. 12.12.2007, DStR 2008, 1687 hatte einen Verstoß des Sanierungserlasses gegen den gesetzgeberischen Willen angenommen, der mit Aufhebung der Steuerfreistellung von Sanierungsgewinnen in § 3 Nr. 66 EStG a.F. zu Ausdruck gebracht worden sei. Bei Personengesellschaften erfolgt die Entscheidung jeweils durch die Finanzämter der Gesellschafter, nicht hingegen im Feststellungsverfahren.

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (6) Zuständigkeit bei der Gewerbesteuer (a) Die Gewerbesteuer wird von den Gemeinden erhoben, die als Selbstverwaltungskörperschaften nicht an den Sanierungserlass gebunden sind. Die Finanzverwaltung setzt hingegen die Gewerbesteuermessbeträge fest, an die die Gemeinden hinsichtlich des Gewerbesteuerbescheids gebunden sind. Für den Erlass von GewSt kommen zwei Verfahrensebenen in Betracht: Erlass bei Festsetzung, § 163 AO: Zuständigkeit des Finanzamt Erlass bei Erhebung/Vollzug, § 227 AO („Erlass i.e.S.): Zuständigkeit der Gemeinden

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (6) Zuständigkeit bei der Gewerbesteuer (b) Der Sanierungserlass hätte daher auch Geltung für die Gewerbesteuer, wenn die Finanzverwaltung für abweichende Festsetzungen (§ 163 AO) in Bezug auf Sanierungsgewinne zuständig wäre. Gegen eine solche Zuständigkeit wird jedoch Tz. 15 des Sanierungserlasses eingewandt; danach solle der Sanierungserlass nicht für den Erlass von Gewerbesteuer gelten. Das FG Düsseldorf v. 16.3.2011, BeckRS 2011, 95942, hat nun gegen eine solche Lesart des Sanierungserlasses entschieden und die Zuständigkeit des Finanzamts für die abweichende Festsetzung nach § 163 AO angenommen (Rev. I R 24/11).

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (7) Sanierungsabsicht Bei Debt/Equity-Swap Forderungsverzicht nur des tauschenden Rechtsträgers wohl nicht ausreichend (so zumindest Finanzverwaltung NRW) Insbesondere bei Debt/Equity-Swap wird von vielen Finanzämtern (insbesondere in NRW) ein ausreichender Sanierungsbeitrag gefordert  Vergleich zwischen FK-Anschaffungskosten und gewährtem EK-Wert (anwendbare Unternehmensbe-wertungsmethode?)

2. Aktuelles zum Sanierungserlass (8) Sanierungseignung Finanzämter fordern vermehrt deutlich positive Prognose Auswirkung von Nachbesserungsmaßnahmen?

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