Junge Mehrfach- und Intensivtäter

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 Präsentation transkript:

Junge Mehrfach- und Intensivtäter Institut für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Entwicklungspsychologie, Pädagogische Psychologie und Rechtspsychologie Junge Mehrfach- und Intensivtäter Thomas Bliesener

Kriminelles und delinquentes Verhalten im Jugendalter ist ubiquitär ist in der Regel bagatellhaft folgt einem typischen Altersverlauf (age crime curve) ist gleichwohl aber nicht gleichförmig über die Akteure verteilt

50% aller inhaftierten Gewalttäter waren bereits im Kindesalter auffällig (Farrington, 1983) In jeder Altersgruppe sind etwa 3-7 % der Straftäter für ein bis zwei Drittel der Straftaten verantwortlich, die von dieser Altersgruppe begangen werden (Dalteg & Levander, 1998; Wolfgang, Figlio & Sellin, 1972)

Prognostisch bedeutsame Merkmale einer dauerhaften Delinquenz (Loeber, 1982): Die Persistenz und Stabilität ist umso höher - je häufiger das Verhalten auftritt je vielfältiger das Verhalten ist je verschiedener die Kontexte sind, in denen das Verhalten gezeigt wird je früher das Verhalten gezeigt wird.

Moffit-Modell

(Erfassungszeitraum 12 Monate) Delikthäufigkeit (Erfassungszeitraum 12 Monate)

Delikthäufigkeit der TV der Kohorte 1983 in den Jahren 1994-2003 Delikthäufigkeit der TV der Kohorte 1983 in den Jahren 1994-2003 (11-19 Jahre) www.lka.nrw.de: Junge Mehrfachtatverdächtige in NRW, 2005

Werden im Alter der ersten Auffälligkeit Raubdelikte oder schwere Eigentumsdelikte begangen, erhöht dies am stärksten die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Auffälligkeit innerhalb der darauf folgenden 5 Jahre www.lka.nrw.de

www.lka.nrw.de

Moffit-Modell

Laub & Sampson, 2003: Shared beginnings, divergent lives – Delinquent boys to age 70 aus: Laub & Sampson, 2003

Verlaufstypen delinquenter Karrieren männlicher Strafgefangener in der Berliner CRIME-Studie (Dahle, 2005)

- jüngere Studien weisen auf einen substantiellen Anteil von Spontanabbrechern nach Mehrfachauffälligkeit hin - Dunkelfeldstudien an Schülern (Boers et al. 2008) zeigen einen Gipfel der Delinquenzbelastung im Alter von 14-15 Jahren

Stelly (2004): Übereinstimmung von Selbstberichten und Offizialdaten zur Kriminalität: Bei Einbruchsdelikten wird das 100% Registrierungsrisiko bei 30 Taten erreicht, bei Gewaltdelikten bei ca. 100 Taten. 4% der befragten Jugendlichen konnten nach ihren Selbst-angaben als Intensivtäter (5 und mehr schwere Straftaten) identifiziert werden. Von denen waren jedoch nur 45% offiziell als Täter auffällig. Problem des under- und overreportings

Was ist eine Mehrfach-/Intensivtäter?

Definition des jungen Intensiv- bzw. Mehrfachtäters keine einheitlichen Kriterien in der Regel: mehr als 10 (5) Straftaten (von einigem Gewicht) im Jahr im Altersbereich zwischen (8) 14 und 21 Jahren alternativ: gewichtete Deliktbelastung Männliche Form wegen Überrepräsentation des männl. Geschlechts den Rechtsfrieden störende Straftaten: Raubdelikte, Rohheitsdelikte, Eigentumsdelikte in besonderen Fällen (schwerer Diebstahl, DS mit Waffen, Einbruch-DS)

Definition des jungen Intensiv- bzw. Mehrfachtäters zusätzlich: negative Entwicklungsprognose (aufgrund des Vorlebens, der begangenen Straftaten, der aktuellen Lebenssituation u.ä.) mindestens zwei Gewaltdelikte rasche zeitliche Folge der Straftaten hohe kriminelle Energie Männliche Form wegen Überrepräsentation des männl. Geschlechts den Rechtsfrieden störende Straftaten: Raubdelikte, Rohheitsdelikte, Eigentumsdelikte in besonderen Fällen (schwerer Diebstahl, DS mit Waffen, Einbruch-DS)

Löschungskriterien Legalbewährung (Täter ist in den letzten 12 Monaten nicht als TV aufgeschienen) Erreichen des 21. Lebensjahres Wegzug aus dem Zuständigkeitsbereich der Kreispolizeibehörde Inhaftierung

Klassifizierung von Personen anhand ihrer offiziellen Kritikpunkte: Klassifizierung von Personen anhand ihrer offiziellen Deliktbelastung nach Quantität und/oder Qualität ist unangemessen drohende Missachtung der Unschuldsvermutung und des Datenschutzes - drohende Stigmatisierung einzelner Personen eingeschränkte Rechtsgleichheit bei erzieherisch begründeten Maßnahmen Ostendorf, 2007; Puschke, 2007; Walter, 2003

Kritikpunkte: - Abkehr von jugendstrafrechtlichen Grundsätzen und rechtsstaatlichen Verfahrensregeln durch die Konstruktion einer Gruppe von Intensivtätern anhand formaler Kriterien - Familiäre, strukturelle und gesellschaftliche Faktoren der Delinquenzentstehung werden schon begrifflich ausgeklammert - Symptomorientiertes Vorgehen

Polizeiliche Maßnahmen - Koordination und Vernetzung der an der Jugendarbeit beteiligten Institutionen (Benennung von Ansprechpartnern) Durchführung von Fallkonferenzen mit Vertretern aus Polizei, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Schule, therapeutischen Einrichtungen, Bewährungshilfe etc. Auswertung des vorhandenen Aktenmaterials zur Erarbeitung eines Lebenslaufs/Entwicklungsberichts Beschleunigung der Verfahrensabläufe (Standardisierung und Priorisierung des Verfahrens, vorrangiges Jugendverfahren)

Polizeiliche Maßnahmen Zentralisierung der Strafverfolgungstätigkeit/täterorientierte Sachbearbeitung (Wohnortprinzip) fallbezogener Einsatz spezieller Jugendsachbearbeiter Spezialisierung von Jugendstaatsanwälten/Staatsanwalt vor Ort - direkte Gefährderansprache der jMIT durch (spezialisierte) Polizeibeamte Aufklärung und Einbindung der erziehungsberechtigten Personen Lebenslauf => familiäre und sonstiger Hintergrund, bekannt gewordene Straftaten, Reaktion wie schulische und jugendbehördliche Interventionen, Vorladungen, Vernehmungen, Ladungen, Hauptverhandlungen etc.

Polizeiliche Maßnahmen - Einrichtung und Pflege von speziellen Dateien im Intranet Anlegen von Vermerken im örtlichen Fahndungssystem Markierung von Kriminalakten - Erhöhung der Kontrolldichte Fokussierung der polizeilichen Kontrolle auf relevante Brennpunkte spezielle Trainingskurse (z.B. AGT) Initiierung und Koordination sozialer Hilfemaßnahmen

Ziele der Maßnahmen Aufzeigen der Konsequenzen von Straftaten Erhöhung des Entdeckungsrisikos Erkennen und Reduktion von Tatgelegenheiten Verbesserung der Strafverfolgungstätigkeit Abschreckung Verbesserung der Einflussnahme durch die Eltern Anregung und Koordination sozialer Hilfemaßnahmen Senkung der Zahl der Straftaten, die durch die bemaßnahmten Intensivtäter begangen werden

Protektive Faktoren in der Entwicklung Institute of Psychology Christian-Albrechts-University of Kiel, Germany Protektive Faktoren in der Entwicklung Wechselwirkungsmodell Risikofaktoren kriminelles Potential Schutzfaktoren

Risikofaktoren finden sich in unterschiedlichen Lebensbereichen sind eng miteinander verzahnt verstärken sich wechselseitig bilden relativ stabile Ketten (Pfade)

Kumulatives Risikomodell Institut für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie Modell kumulativer Risiken für die Entwicklung eines kriminellen Verhaltensstils Kumulatives Risikomodell Familiäre Disharmonie, Erzieh.-defizite Bindungs- defizite Ablehnung durch Gleichaltrige Anschluss an deviante Peergruppen Problemat. Partner-beziehungen Multi-Problem-Milieu Schwieriges Temperament, Impulsivität Verzerrte Ver-arbeitung soz. Informationen Problem. Selbst. bild, deviante Einstellungen Kriminelles Potential Genetische und biologische Faktoren Kogn. Defizite, Aufmerksam-keitsprobleme Konsum Gewalthaltiger Medien Probleme Probleme in in der Arbeit und Schule Beruf Vorgeburt/frühe Kindheit Vorschulalter Jugendalter Junges Erwachsenenalter nach: Lösel, 1999, Lösel & Bliesener, 2003

Übernahme eines devianten Lebensstils Ablehnung schulischer Werte erhöhtes Risikoverhalten Übernahme eines devianten Lebensstils Ablehnung schulischer Werte Anschluss an deviante Peers Betonung von Männlichkeits-normen frühe Orientierung nach außen Geringe Bindung an Eltern Bevorzugung strukturlosen Verhaltens Konflikte in der Familie

Protektive Faktoren in der Entwicklung Institute of Psychology Christian-Albrechts-University of Kiel, Germany Protektive Faktoren in der Entwicklung Modell der Auslösung Auslöser Risikofaktoren kriminelles Potential kriminelles Verhalten Schutzfaktoren Hemmende Faktoren

Auslöser des antisozialen Verhaltens Alkohol und Drogen wahrgenommene Schädigungen oder Provokationen physiologische Erregung negative Emotionen (Ärger) motivierende Anreize (günstige Gelegenheiten) Modelle Befehle, Anweisungen, Aufforderungen (sozialer Druck)

Verhaltenshemmende Faktoren hohes Entdeckungsrisiko positives Modellverhalten positive Stimmung (Humor) hohe soziale Kontrolle Wahrnehmung von Opferleid keine empirische Bestätigung für Abschreckung durch hohe Strafen

Weitere sinnvolle Ansatzpunkte der Prävention: Stärkung der Erziehungskompetenz und elterlichen Fürsorge Vermeidung von Schulversagen Vermittlung von selbstwertsteigernden Erfahrungen Vermittlung von Erlebnissen der Teilhabe an der Gesellschaft Bindung an normkonforme Personen Heranführung an Strukturierungen des Alltags

Weitere sinnvolle Ansatzpunkte der Intervention: Vermittlung positiver Lernerfahrungen Qualifizierung Vermittlung von selbstwertsteigernden Erfahrungen Heranführung an Strukturierungen des Alltags Distanzierung von devianten, subkulturellen Denk- und Wertesystemen Förderung der Verantwortungsübername für das eigene Handeln

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit