Nationalsozialismus und Holocaust als Thema des Geschichtsunterrichts.

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 Präsentation transkript:

Nationalsozialismus und Holocaust als Thema des Geschichtsunterrichts. Reinhard Krammer: Nationalsozialismus und Holocaust als Thema des Geschichtsunterrichts. Didaktische Anmerkungen und Vorschläge.

(RE-KONSTRUK-TIONSKOMPETENZ) Bereitschaft, aus dem vergangenen Gesche-hen Schlussfolgerun-gen für die Gegenwart zu ziehen: Aktives Ein-treten für Demokratie u. Menschenrechte (ORIENTIERUNGS-KOMPETENZ) Fähigkeit zur eigenständigen Rekonstruktion des Geschehens (RE-KONSTRUK-TIONSKOMPETENZ) Ziele des Lehrens und Lernens über NS und Holocaust Aufbau eines Wissensbestandes (Sachverhalte, Begriffe, Kategorien) (SACH-KOMPETENZ) Fähigkeit zum Formulieren offener Fragen an die vergangenheit (FRAGE-KOMPETENZ) Kompetenter Umgang mit fertigen Geschichtserzählungen (DEKONSTRUKTIONS-KOMPETENZ)

Konterproduktiv für das Erreichen dieser Ziele ist: … die Einengung des Täterbegriffes auf Hitler resp. die Füh-rung der NSDAP Verharmlosungseffekt Entschuldungseffekt …die Beschreibung der Nationalsozialis-ten als Bestien und Horrorfiguren Verfälschung der Realität! … die Vernachlässi-gung der Opfer und die Konzentration auf die Täter Aufwertung der Täter durch ständige Be-schäftigung mit derem Denken ….Das Fehlen der Mit-läufer und Zuschauer (Bystanders) in der Erzählung Die zahlenmäßig größte Gruppe fehlt in der Darstellung.

… das ausschließli-liche Auftreten der Juden im Zusammen-hang mit Katastro-phen Naheliegen der Zuwei-sung von (Mit-)Schuld … die Aussparung des Geschlechts als historische Kategorie NS hat „Geschlecht“ zum Angelpunkt seiner Propaganda u. Herr-schaft gemacht.

Beispiel für problematische Einengung des Täterbegriffs: Zitat aus einem österreichischem Schulbuch 1997: „Das ist ein Thema, bei dem auch du fassungslos den Kopf schütteln wirst. Es ist für uns heute schwer vorstellbar, dass ein Diktator und seine brutalen Helfer zu millionenfachem Mord fähig sind, dass skrupellose Menschen ver-suchten, ein ganzes Volk auszurotten“

Beispiel für die Einengung des Täterbegriffes Zitate auf einer Seite und in insgesamt 39 Sätzen eines österreichischen Schulbuches aus dem Jahr 1997: „Wie Hitler das Großdeutsche Reich schuf.“ „Wie Hitler die Welt täuschte.“ So verwirklichte Hitler sein Groß-deutsches Reich“, „Zuerst suchte Hitler nach Verbün-deten.“ „1936 schlossen Hitler und Mussolini…“ „..schloss Hitler mit Italien und Japan ein Bündnis gegen „…unterstützte Hitler General Franco…“ „Hitler nutzte die Möglichkeit…“ „die Legion Condor, die Hitler zur Unterstützung Francos eingesetzt hatte…“ „zur vollsten Zu-friedenheit Hitlers“ „Nenne die Bündnis-partner Hitlers..“ „ Nun ging Hitler daran…“ „…die Münchner Konferenz, in der Hitler die sudetendeutschen Gebiete übergeben wurden,…“ „…verkündete Hitler“, „“die Gebietserwer-bungen (!!) Hitlers…“, „Dass Hitler die Welt getäuscht hatte,…“ „Damit hatte Hitler…“ „Einmarsch der Hitler-truppen …“ „konnten dem Expansionsstreben Hitlers nicht tatenlos…“ „Großmächte auf Hitlers Großmacht-streben reagieren sollen…“ Wie Hitler Europa in ein Schlachtfeld…“ „doch Hitler dringt über Belgien…“

Der Umgang mit dem Nationalsozialismus: (k)ein Problem? Amnesie als nationale Tugend: Der Heldenplatz in Wien am 12. März 1938 aus historischer Sicht Hans Georg Behr: Die österreichische Provokation. München 1971.

Der Heldenplatz aus österreichischer Sicht: Der sogenannte Führer spricht vor einigen zufällig des Weges kommenden Wienern

Fünf Thesen zum Geschichtsunterricht These 1: Die drei Operationen des Geschichtsbewusst-sein sollten sichtbar bleiben. Information, Sachurteil und Werturteil dürfen nicht vermischt dargeboten werden OPERATION Sachliche Information . Kontextuali-sierung (Ursachen, Fol-gen, Gründe etc.) Schlussfolge-rungen, Analogien, Ratschläge für die Gegenwart „Die NSDAP gewann wegen der Hoffnungslosigkeit, die sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise in Deutschland ausbreitete, zunehmend an Anhängern und Stimmen. Arbeitslosigkeit und Existenzangst bilden stets einen guten Nährboden für radikale politische Einstellungen.

!! Grundsätzlich ist es das Recht des Schülers / der Schülerin, eigenständig Urteile zu treffen und nicht fremde Urteile übernehmen zu müssen !! Andernfalls: Indoktrinismusverdacht! Verstoß gegen den „Beutelsbacher Konsens“!

These 2: Historisches Lernen muss den Lockungen widerstehen, das Lernen ausschließlich an Emotionen zu binden (Betroffenheitsdidaktik) Ausschließlich emotional befestigte Positionen sind zumeist unreflektiert! (Gerade faschistische Positionen sind eng an die Emotion gebunden!) Ständiges Appellieren an Betroffen-heit und Evozieren von Trauerarbeit lösen eher Widerstand aus.

These 3: Intensiv lenkende Bemühungen der LehrerInnen, um die richtige Einstellung der SchülerInnen zu erreichen, sind unvereinbar mit deren Mündigkeit und letztlich kontraproduktiv! Jede Generation hat das Recht, sich selbst in ein Verhältnis zur Vergangenheit zu setzen. Überzeugungen sind nicht anerziehbar. Nur selbst erarbeitete und verantwortete Haltungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen weisen Stabilität auf.

Überdrussreaktionen, Mauerbau gegen „Bad News“ These 4: Eine Überdosierung des Themas in der Schule erweist sich als problematisch Überdrussreaktionen, Mauerbau gegen „Bad News“ Ergebnis einer Befragung von 75 Studienanfängern im Unterrichtsfach Geschichte im WS 06/07 an der Universität Salzburg:

Zusammenfassende Vorschläge zur Behandlung des NS und des Holocaust im Geschichtsunterricht: Die Horrifizierung der Täter vermeiden. Die Sprache sensibel gebrauchen. (Vermeidung der Sprache der Täter) Den Opfern ihre Würde geben, indem man sie aus der Anonymität heraus löst und personifiziert ! Die Rolle der Mitläufer und Zuschauer keinesfalls ausblenden Die Geschichte der Juden nicht auf den Holocaust beschränken! Zur Behandlung des Themas ist eine auf Aneig-nung ausgerichtete Didaktik am ehesten geeig- net. Multiperspektivität und Kontroversität sind selbst- verständlich. Der Einsatz von Betroffenheitsdidaktik, Schock-therapien und der Einfühlungsimperativ sind unangemessen.

Einige Erklärungsversuche der Geschichtsdidaktik für die Bekundung von Desinteresse seitens der SchülerInnen: Ablehnung jeder Verantwortung für das historische Geschehen Gegenwärtigen politischen Konflikten und „Verbre- chen“ wird größere Bedeutung zugemessen Die Erfahrung, dass eigene (traumatische) Erfahrun- gen auf kein öffentliches Interesse stoßen Milieuverlust und Individualisierung u. die dadurch fehlenden Solidaridätserfahrungen und sozialen Einbindungen.  Zu starker Betroffenheitsdruck und zu hohe Trauer- erwartung seitens der Schule  Hohe Frequenz der Informationsinputs (Schule, Medien)  Eindruck, fremde Urteile und Bewertungen übernehmen zu müssen

These 5: Narrationen zu NS und Holocaust (also: Re-Konstruktionen der Vergangenheit) können nicht mehr ausschließlich als Informationsträger gesehen werden, sondern müssen zum Gegenstand der De-Konstruktion avancieren. Fähigkeit zur De-Konstruktion medial vermittelter Geschichtserzählungen auf basalem bis mittlerem Niveau Begründete Annahme / Ablehnung von Urteilen, Standpunkten und Sichtweisen Erkennen der Perspektivität und Standortbezogen-heit) von Geschichtsdarstellungen und der Abhän-gigkeit von dem jeweiligen Medium

Eine Karikatur, die wenige kennen: Karikatur von H. E. Köhler aus dem Jahr 1955. „So, Figl, dös schicken wir jetzt dem Adenauer, damit er keine Märchen über’n Hitler seinen Einzug in Wien erzählt.“

Eine Karikatur, die alle kennen: „Und jetzt, Julius – jetzt noch d’ Reblaus, dann san s’ wach!“ Karikatur von H. E. Köhler im Simplicissimus zu den Ver-handlungen der österreichischen Delegation in Moskau.

Zusammenfassung der Ergebnisse einer Befragung Anhang: Zusammenfassung der Ergebnisse einer Befragung von Gedenkstättenmitarbeitern in Deutschland zum geschlechtsspezifischen Verhalten Jugendlicher in der Gedenkstätte (Pia Frohwein und Leonie Wagner) MÄDCHEN BURSCHEN identifizieren sich stärker mit den Opfern zeigen sich insgesamt engagierter, interessierter und aktiver sind zu forschendem Ler-nen leichter zu motivieren interessieren sich weit weniger für die Täter lassen weniger Betroffenheit erkennen lehnen Verantwortung stärker ab zeigen stärkeres Interesse für Technik und Strukturen

Die Einstellung junger Migranten zu NS und Holocaust nach Georgi: Typus 1: Identifikation mit den Opfern der NS-Herrschaft Kennzeichnend: Intensive Beschäftigung mit dem The-ma, hohes Maß persönlicher Betroffenheit und Identifi-kation mit den Opfern, Vergleich mit der eigenen Posi-tion als Angehörige(r) einer Minderheit, Ängste, dass rassistische Bedrohung wieder aufleben könnte. Typus 2: Identifikation mit der historischen Bezugsgruppe der Mitläufer Kennzeichnend: „Die Deutschen waren selbst Opfer des Nationalsozialismus“. Relativieren der NS-Verbrechen durch Verweise auf Gräueltaten in anderen Ländern. Verteidigung der Täter bzw. der Mitläufer. Verständnis für „die Deutschen“ als Eintrittsbillett in die deutsche Gemeinschaft.

Typus 3: Identifkation mit der eigenen ethnischen Gruppe Kennzeichnend: Argumentative Verknüpfung der Situation und der Geschichte der eigenen ethni-schen Gruppe mit dem Holocaust. (Partielle Paralle-lisierung) Junge Migranten, die ihre eigene Verfolgungsge-schichte nicht anerkannt sehen, nutzen die Ge-schichte der NS-Herrschaft als Projektionsfläche für die Abbildung ihrer eigenen Geschichte. Typus 4: Identifikation mit der Menschheit als historische Bezugsgruppe Relativierung der NS-Vergangenheit und der rechts-extremistischen Potentiale in der Einwanderungs-gesell-schaft durch Verweis auf Universalisierung der Phänomene. „Menschen sind überall gleich“ – Argument. Vergleich mit anderen Unrechtssystemen .