Strahlenexposition und Strahlenschutz bei der Mehrschicht-CT Dr. med. Sebastian Schindera Gabriel von Allmen Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie
Gliederung Wirkung ionisierender Strahlung, Strahlenbiologie CT-Strahlenkrebsrisiko Abschätzung des Krebsrisikos einer CT-Untersuchung Aktueller Stand der CT in der Schweiz Praktische Tipps zur CT-Dosisreduktion Fragen und Diskussion 20 min 20 min
Strahlenbiologische Grundlagen Schädigung der DNA im Zellkern durch ionisierende Strahlung: 1. Reparatur der DNA-Schäden 2. Zelltod (hohe Dosen, deterministischer Schaden) 3. Zellveränderungen (niedrige Dosen, stochastischer Schaden)
Dosis-Wirkungsbeziehung Zellveränderung Zelltod > 100 mSv CT-Strahlenschutz
Strahlenkrebsrisiko Schwierige Abschätzung des Strahlenrisikos: - spontane DNA-Veränderungen - weitere Karzinogene (z.B. natürliche, chemische, virale, etc.) Epidemiologische Beobachtungen mit grossem Kollektiv Heutige Kenntnisse über Strahlenkrebsrisiko: - Überlebende Atombombenabwürfe (10-100 mSv) in Japan (Hiroshima-Nagasaki-Studie)
Strahlenkrebsrisiko Lebenszeit-Krebsmortalitätsrisiko (ICRP): Durchschnitt: 5% pro Sv Männliche Neugeborene: 15% pro Sv Weibliche Neugeborene: 30% pro Sv Beispiel: - Auf 2`000 Personen mit 10 mSv (CT-Abdomen) 1 letaler Krebsfall - In Schweiz bei 800`000 CT-Scans / Jahr ca. 400 letale Krebsfälle Zeitlicher Verlauf von strahleninduzierten Tumoren: - Leukämien: Maximum nach 10-15 Jahren, danach Abfall - Solide Tumoren: exponentieller Verlauf mit Maximum nach 30-40 Jahren
Strahlendosen von CT-Untersuchungen Effektive Dosis # Rö-Thoraces Schädel 2 mSv 12 Thorax 5-7 mSV 42 Abdomen 8-11 mSV 66 Abdomen (mehrere Phasen) bis 40 mSv 240
Kollektive Effektive Dosis von CT-Untersuchungen Gesamtzahl Untersuchung CT: 60% Restliche Radiologische Unters.: 40% CT: 6% Restliche Radiologische Untersuchungen: 94%
Abschätzung der effektiven Dosis CT Schädel CT Abdomen Effektive Dosis: Dosislängenprodukt (DLP) x Umrechnungsfaktor
Abschätzung der effektiven Dosis CT-Untersuchung Umrechnungsfaktor (mSV / mGy x cm) Schädel 0,002 Hals 0,005 Thorax 0,017 Abdomen 0,016 Huda et al. Radiology 2008;248:995-1003 Beispiele: CT-Schädel: 1089 x 0,002 = 2,2 mSv CT-Abdomen: 552 x 0,016 = 8,8 mSV
Diagnostische Referenzwert für CT
Strahlenkrebsrisiko durch CT Detailierte Abschätzung des Strahlenkrebsrisikos durch die CT Risikoabschätzung basiert auf Hiroshima-Nagasaki-Studie 57 Millionen CT-Untersuchungen in USA in 2007 60% Frauen 80% > 35 Jahre Berrington de Gonzalez et al. Arch Intern Med, December 2009;169:2071-2077
Strahlenkrebsrisiko durch CT Berrington de Gonzalez et al. Arch Intern Med, December 2009;169:2071-2077
Strahlenkrebsrisiko durch CT Berrington de Gonzalez et al. Arch Intern Med, December 2009;169:2071-2077
CT-Strahleninduzierte Tumoren Berrington de Gonzalez et al. Arch Intern Med, December 2009;169:2071-2077
Aktuelle Stand der CT in der Schweiz Jährliche CT-Untersuchungszahlen in der Schweiz: 1998: ca. 330`000 aktuell: 800`000 - 1`000`000 Ursachen für rapiden Anstieg der CT-Untersuchungszahlen: - rasante technische Entwicklung, mehr Indikationen - breite Verfügbarkeit (ca. 250 CT-Scanner) - schnelle und einfache Durchführbarkeit Weitere Ursachen: - sehr „schwache“ Indikation - CT-Untersuchungen ohne Behandlungskonsequenzen - CT-Untersuchungen ohne gründliche klinische Untersuchung - zu engmaschige CT-Verlaufskontrollen ca. 10-15% vermeidbare CT-Untersuchungen
Aktuelle Stand der CT in der Schweiz Grosse Dosisunterschiede für gleiche CT-Untersuchung 21 Institute mit GE 16-MDCT CTDI (mGy) CT-Schädel BAG-Daten
Aktuelle Stand der CT in der Schweiz Lösungsansätze: - Ausbildung MTRA, Radiologen und andere Ärztegruppen - Standardisierte CT-Untersuchungsprotokolle (DRW des BAG) - Beratung Radiologischer Institute
CT-Consulting Service zur Reduktion CT-Strahlendosis Gemeinschaftsprojekt Diagnostische Radiologie Inselspital und dem BAG 100% finanziert durch das BAG Ziel: effizienter Einsatz der CT in Bezug auf die Strahlenexposition im Sinne des ALARA-Prinzips (As Low As Reasonably Achievable) Beratung bestehend aus 2 Teilen: - Individuelle CT-Protokollberatung - Praktische Strategien zur Reduktion der CT-Strahlenexposition
- Indikation überprüfen Kein CT durchführen - Indikation überprüfen - Alternativen: US oder MRT Regel Nr. 1
Einschränkung der Scanlänge Regel Nr. 2
Regel Nr. 2: Einschränkung der Scanlänge Nur den Körperbereich scannen, der absolut notwendig zur Beantwortung der Fragestellung ist Oft zu grosszügige Wahl der Scanlänge (ca. 10% zu viel) Ursache ist oftmals Unsicherheit etwas zu verpassen Besondere Vorsicht: - CT-Hals: Gesichtsschädel nicht miteinschliessen - CT-Thorax: Hals reduzieren wegen Schilddrüse, Oberbauch nur knapp miterfassen - LE-Protokoll: sehr eingeschränkte Scanlänge - CT-Abdomen: bei Männern auf die Gonaden achten Verlaufskontrollen mit eingeschränkter Scanlänge
Regel Nr. 2: Einschränkung der Scanlänge Reduzierten Scanlänge: 52 mGy cm (ca. 0,83 mSv) 26-jähriger Patient, Ausschluss Pneumonie und Pneumothorax
Regel Nr. 2: Eingeschränkte Scanlänge LE-CT Standard CT-Thorax vs. CT-Thorax mit sehr kleinem Scanfeld: 30% Reduktion der Dosis Schaefer-Prokop et al. Eur Radiol 2005:15 [suppl]: B595
Regel Nr. 2: Eingeschränkte Scanlänge Stein-CT Probeschnitt auf Höhe Nierenoberpol
Regel Nr. 2: CT-Thorax und -Abdomen 2-mal Oberbauch miterfasst ca. 4 mSv zusätzliche Dosis
Regel Nr. 2: Eingeschränkte Scanlänge für CT-Thorax und -Abdomen
Optimale Patientenzentrierung in der CT-Gantry Regel Nr. 3 Optimale Patientenzentrierung in der CT-Gantry - Oberflächendosis - Bildqualität
Regel Nr. 3: Optimale Patientenzentrierung Bow-Tie Filter Hohe Dosis Zu tiefe Lagerung Tiefe Dosis, hohes Bildrauschen
Regel Nr. 3: Optimale Patientenzentrierung 95% der Patienten mit einem CT-Thorax oder -Abdomen nicht im Isozentrum zentriert Durchschnittliche Abweichung: 2,6 cm (range, 0,6 – 6,4 cm) Folge: Höhere Oberflächendosis, schlechtere Bildqualität Oberflächendosis Bildrauschen Zentriert - 3 cm + 21% + 6% - 6 cm + 49% + 22% Li, J. et al. Am. J. Roentgenol. 2007;188:547-552
Verwendung von Schutzmitteln für CT-Scan Regel Nr. 4 Verwendung von Schutzmitteln für CT-Scan Abschirmung CT-Nutzstrahlung und Reduktion CT-Streustrahlung Empfehlung des BAG: Hodenkapseln für CT-Abdomen und -Becken Schilddrüsenschutz für CT-Schädel Abdeckung der Brust für CT-Schädel Abdeckung der Brust für CT-Abdomen und -Becken
Regel Nr. 4: Hodenkapseln Strahlenreduktion bis 95% * Einfache und kostengünstige Methode zur Dosisreduktion Hohe Akzeptanz beim Patienten Keine Beeinträchtigung der Bildqualität Routine Gebrauch bei Kindern, Jugendlichen und jungen Männern empfohlen * Hidajat N et al, RoFo 1996;165:462-465
Regel Nr. 4: Abdeckung mit Röntgenschürze Grundsätzlich bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen CT-Streustrahlung reduzieren Körperbereich ausserhalb des Untersuchungsfeld mit Röntgenschürze oder Schilddrüsenschutz abdecken - CT-Schädel *: Abdeckung Schilddrüse (-33% Dosis) Abdeckung der weiblichen Brust (-91% Dosis) Abdeckung Oberbauch (-84% Dosis) Effekt des Schutzmittels um so grösser, je näher das Schutzmittel am Nutzstrahlenrand positioniert wird Absolute Dosisreduktion gering (0,05-0,32 mSv) * BAG-Studie 2009, Ott et al
Dosisreduktion für CT-Planungsaufnahme Regel Nr. 5 Dosisreduktion für CT-Planungsaufnahme Tiefe Röhrenspannung und Röhrenstrom Röntgenröhre unterhalb CT-Tisch (pa-Position)
Regel Nr. 5: Dosisreduktion für CT-Planungsaufnahme Reduzierte Bildqualität ausreichend für CT-Planungsaufnahme Röhrenspannung: 80 kV Röhrenspannung: 10-50 mA Röntgenröhre unterhalb des CT-Tischs (pa-Position, 180° Position) CT-Thorax: Dosisreduktion bis zu 4 Thoraxaufnahmen* Regel Nr. 5: Dosisreduktion für CT-Planungsaufnahme * O`Daniel et al, AJR 2005;185:509-515
Dosisreduktion für Bolus Tracking Regel Nr. 6 Dosisreduktion für Bolus Tracking Tiefe Röhrenspannung (80 kV) Tiefer Röhrenstrom (ca. 50 mA) Beginn des Bolus Trackings nicht zu früh wählen
Lagerung der Arme oberhalb des Schultergürtels für Polytrauma-CT Regel Nr. 7 Lagerung der Arme oberhalb des Schultergürtels für Polytrauma-CT Röhrenstrommodulation führt zu Dosisanstieg bis 45%* Deutlich schlechtere Bildqualität im Oberbauch * Brink M et al. Radiology 2008;249:661-670
Regel Nr. 7: Arme oben für Polytrauma-CT ED =13,5 mSv Arme unten ED = 26,7 mSv
Vermeidung von Mehrphasen-CT Regel Nr. 8 Vermeidung von Mehrphasen-CT
Regel Nr. 8: Vermeidung von Mehrphasen-CT Mehrphasen-Untersuchungsprotokolle auf keinen Fall routinemässig Mehrphasen-Untersuchungsprotokolle nur bei sehr wenigen Fragestellungen indiziert In >50% der Fälle Mehrphasen CT-Abdomen nicht indiziert* Native CT-Scan liefert selten Zusatzinformationen Indikationen für native CT-Untersuchung: - Blutung - Wandhämatom der Aorta - NN-Raumforderung - Erstuntersuchungen nach Endoprothesenimplantation - Raumforderung der Niere (z.B. eingeblutete Zyste) * Guite K. et al, RSNA 2009
Regel Nr. 8: Vermeidung von Mehrphasen-CT Einsparen von Untersuchungsphasen mittels Splitbolustechnik: 1. CT der Niere 2. Polytrauma-Spirale (arterielle und venöse Phase)
Regel Nr. 8: Einsparung von Untersuchungsphasen 1. Splitbolustechnik für CT der Niere Nephrographische Phase Ausscheidungs Phase 40 ml 2 ml/s 80 ml 3-4 ml/s 4 min Pause 80 s delay Bolus Tracking Arterielle Phase Venöse Phase Ausscheidungs Phase Zamboni et al. Am. J. Roentgenol. 2010;194:145-150 Chow et al. Am. J. Roentgenol. 2007;189:314-322
Regel Nr. 8: Einsparung von Untersuchungsphasen 2. Splitbolustechnik für Polytrauma-Protokoll (arterielle und venöse Phase) 70 ml 3 ml/s 75 ml 4 ml/s 10 s NaCl Start Scan Loupatatzis et al. Eur Radiol. 2008;18:1206-1214
Regel Nr. 8: Einsparung des nativen CT Scans Virtuelle nichtkontrastierte Datensätze mittels Dual Source CT Scanner: - Endoleak-Detektion* - Abklärung von Nierentumoren** - Intrakranielle Blutungen*** Studien mit hoher Sensitivität und Spezifität * Stolzmann et al, Radiology; 2008, 249:682-691 ** Graser et al, Radiology; 2009, 252:433-700 *** Ferda et al, Eur Radiol; 2009,19:2518-2522
Low dose für native Phase Regel Nr. 9 Low dose für native Phase - tiefe Röhrenspannung (100 oder 80 kV) - und/oder niedriger Röhrenstrom - ohne Röhrenstrom Modulation Low dose wie bei Stein-CT
CT Angiographie mit tiefer Röhrenspannung (100 oder 80 kV) Regel Nr. 10 CT Angiographie mit tiefer Röhrenspannung (100 oder 80 kV) - CT Angiographie Pulmonalarterien (Ausschluss LE) - CT Angiographie der Aorta (Thorax und Abdomen) - CT Angiographie der Viszeralarterien - CT Angiographie der unteren Extremität - CT Angiographie der Halsgefässe
Regel Nr. 10: Tiefe kV für CT Angiographie Tiefere kV: Kontrast in Gefässen Bildrauschen Kontrast-zu-Rausch Verhältnis konstant Strahlendosis und KM-Dosis Höhere Absorption des jodhaltigen KMs wegen dem photoelektrischen Effekt und geringerer Compton-Effekt bei tiefen kV-Werten.
Regel Nr. 10: Tiefe kV für pulmonale CTA 80 kV-Protokoll 100 kV Protokoll (< 100 kg) (> 100 kg) Engere Fensterwahl vermindert das Rauschen 2,3 mSv 3,0 mSv Szucs-Farkas et al, Invest Radiol 2008;43: 871–876
Regel Nr. 10: Tiefe kV für thorako-abdominale CTA 80 kV-Protokoll 100 kV Protokoll (< 80 kg) (> 80 kg) 5,7 mSv 7,5 mSv Schindera et al, Invest Radiol 2009;44: 650–655
Zusammenfassung - Schlussfolgerung Der Nutzen einer klinisch indizierten CT-Untersuchung überwiegt wesentlich das potentielle Risiko Stetig steigende CT-Untersuchungszahlen führen zukünftig zu mehr strahleninduzierten Krebsfällen in der Schweiz CT-Strahlenschutz betrifft Radiologen und MTRA gleichermassen Einfache Strategien zur CT-Dosisreduktion beachten - Scanlänge reduzieren - Optimale Patientenzentrierung - Untersuchungsphasen reduzieren - Schutzmittel regelmässig anwenden
Zusammenfassung Akronym für LOW DOSE Länge der Untersuchungsregion minimieren Optimierung der Untersuchungsparameter Weitreichende Zusammenarbeit mit CT-Hersteller zur Systemoptimierung Dosis Modulation (z.B. auto mA, care dose) Operator Training (MTRA und Radiologe) Sehr gewissenhaft die effektive Dosis für einzelnen Fall hinterfragen Evaluierung der Dosis in regelmässigen Abständen
sebastian.schindera@insel.ch gabriel.vonallmen@insel.ch
sebastian.schindera@insel.ch gabriel.vonallmen@insel.ch
Adaptive Filter und iterative Rekonstruktion
Aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichung zu Strahlenkrebsrisiko der CT Berrington de Gonzalez, A. et al. Arch Intern Med 2009;169:2071-2077.
Strahlenkrebsrisiko durch CT Risiko von 100`000 exponierten Patienten mit 10 mSv Prokop et al. Radiologe 2008;48:229-242.
Deterministische Schäden Stochastische Schäden Strahlenwirkung Deterministische Schäden Stochastische Schäden - Akutschäden - Dosisschwellenwert (> 100 mSv) - Schweregrad dosisabhängig - Keine Zufallsabhängigkeit - Beispiele: Linsentrübung, Hauterythem Spätschäden Kleinste Dosen reichen aus Schweregrad nicht dosisabhängig Eintrittswahrscheinlichkeit dosisabhängig Auftreten des Schadens zufällig Beispiele: Strahleninduzierte Tumoren, Erbkrankheiten CT-Strahlenschutz
Strahlenkrebsrisiko durch CT Berrington de Gonzalez, A. et al. Arch Intern Med 2009;169:2071-2077.
Regel Nr. 3: Optimale Patientenzentrierung Li, J. et al. Am. J. Roentgenol. 2007;188:547-552