Überblick über die Notrechte

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 Präsentation transkript:

Überblick über die Notrechte Notwehr Notstand Festnahmerecht Norm § 32 StGB § 34 StGB (§§ 228, 904 BGB) § 127 I 1 StPO Anlass Rechtswidriger Angriff eines Menschen Gefahr - für andere Rechtsgüter (§34 StGB) - für Sache (BGB) Auf frischer Tat betroffen Folge Weitgehende Verteidigungsrechte Verteidigungsrecht, wenn geschütztes Interesse wesentlich überwiegt Physische Gewalt zum Zwecke der Festnahme; strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung

I. Einwilligung II. Überblick über Notrechte III. Notwehr Rechtfertigung I. Einwilligung II. Überblick über Notrechte III. Notwehr

(Schutz eines Dritten) Notwehr § 32 StGB § 32 StGB (Notwehr) (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. 2 Ausprägungen : Notwehr (Selbstschutz) Nothilfe (Schutz eines Dritten)

Dualistisches Notwehrkonzept Notwehrrecht Verteidigung eigener Interessen/Interessen Dritter Verteidigung der Rechtsordnung mM: Rein individualrechtlich Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.

Notwehr § 32 StGB § 32 StGB begründet ein „schneidiges Notwehrrecht“ 1) T braucht dem Angriff nicht auszuweichen. 2) T braucht keine eigenen Rechtsgüter zu opfern. 3) T darf das Mittel einsetzen, das „erforderlich“ ist, um den Angriff nachhaltig abzuwehren; auf Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen. 4) T braucht grds. nicht auf Verhältnismäßigkeit zwischen Gefahr für sich und Schaden für den Angreifer zu achten.

Notwehr § 32 StGB § 32 StGB (Notwehr) (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. 1) Notwehrlage - gegenwärtiger Angriff - rechtswidriger Angriff 2) Notwehrhandlung - Handlung gegen den Angreifer - Geeignet - Erforderlich 3) Subjektives Element 4) Sozialethische Einschränkung?

„Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff“ 1. P: „Angriff“ Notwehrlage „Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff“ 1. P: „Angriff“ Definition: Ein Angriff ist ein menschliches Verhalten, in dessen Folge die Verletzung eines Individualrechtsguts droht. Fall 1: Der dem E ohne dessen Verschulden entlaufene Hund greift O an. O tötet den Hund.  Angriff (-), kein „menschlicher“ Angriff (es gelten nur die Notstandsregeln, hier § 228 BGB) Fall 2: E hetzt seinen Hund auf O. O tötet den Hund.  Angriff (+), E setzt Hund zum Angriff ein.

Notwehrlage Fall 3: T bewegt sich im Schlaf und droht seine neben ihm liegende Freundin F am Kopf zu treffen.  Angriff (-): kein willensgetragenes menschliches Handeln Fall 4: T ist so sehr betrunken, dass seine Schuldfähigkeit nach § 20 StGB zu verneinen ist. In diesem Zustand greift er O an. Kann sich O bei der Abwehr darauf berufen, T habe ihn im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB angegriffen?  Angriff nach hM (+): Auch schuldlose Angriffe sind erst einmal Angriffe. Rückschluss aus Formulierung „rechtswidriger Angriff“ (es gibt also sogar rechtmäßige Angriffe; dann auch schuldlose!)

Notwehrlage 2. P: „Rechtswidriger“ Angriff Fall 5: O fährt verkehrsgerecht, als plötzlich Kind K auf die Straße läuft und überfahren zu werden droht. Steht dem Vater T des Kindes ein Nothilferecht gegen O zu?

Notwehrlage Rechtswidrigkeit des Angriffs Erfolgsunrechtskonzept (früher h.M.) Rechtswidrig ist ein Angriff, wenn der Erfolg im Widerspruch zur Rechtsordnung steht (also nicht gerechtfertigt ist) Im Fall: Erfolg (Verletzung des K) ist nicht gerechtfertigt, K muss ihn nicht dulden. Rechtswidriger Angriff: (+) Aber: Zweifelhafte Ergebnisse in Fällen, in denen der Angreifer noch nicht einmal fahrlässig handelt. Handlungsunrechtskonzept (jetzt h.M.) Rechtswidrig ist ein Angriff dann, wenn er (1) nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist, und (2) der Angreifer zumindest sorgfaltswidrig handelt. Im Fall: O fuhr verkehrsgerecht Rechtswidriger Angriff: (-) Pro: Gegen einen sorgfaltsgemäß handelnden Menschen braucht die Rechtsordnung nicht verteidigt zu werden (schneidiges Notwehrrecht unangemessen) Lösung über § 34 StGB möglich

Notwehrlage 3. P: Gegenwärtiger Angriff P: „Unmittelbar bevorsteht“? Fall 6: A, B und C wollen den T, der in seinem Auto sitzt, verprügeln. Sie gehen mit erhobenen Fäusten und gezückten Messern auf ihn zu.  „Gegenwärtiger“ Angriff? Definition: Gegenwärtig ist ein Angriff, der im Sinne einer akut bedrohlichen Lage unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert.

Notwehrlage Wann steht ein Angriff „unmittelbar bevor“? „Versuchslösung“ (mM) Gegenwärtigkeit erst dann, wenn nach den Regeln des unmittelbaren Ansetzens zum Versuch der Eintritt in das Versuchsstadium gegeben wäre; das Angreiferverhalten also ohne weitere Zwischenakte in die Verletzung umschlägt. Hier: +/- - möglicherweise Öffnen des Pkw als Zwischen-schritt? (eher abzulehnen) Contra: In jedem Fall: Versuchsbeginn orientiert sich an Vorstellung des Täters von der Tat. Gegenwärtigkeit eines Angriffs sollte hingegen aus einer objektiven Verteidigersicht zu beurteilen sein „Versuchsnahes Vorbereitungsstadium“ (Rspr und hM) Ein Angriff steht unmittelbar bevor, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH NStZ 2000, 365). Hier: (+) - Näherung „beschleunigten Schrittes“ - zahlenmäßige Überlegenheit und Bewaff-nung

Notwehrlage P: Angriff „besteht noch fort“? Fall 7: D hat T eine Sache entwendet und flieht mit der Diebesbeute. Eigentümer T verfolgt den auf frischer Tat ertappten D und schießt diesem ins Bein. Liegt ein „gegenwärtiger“ Angriff vor? Einwand: Der Tatbestand des § 242 StGB ist bereits verwirklicht. ABER: „Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestands abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist“. (BGHSt 48, 207, 209)

P: Angriff „besteht noch fort“? Notwehrlage P: Angriff „besteht noch fort“? Fall 8: Entführer E hat T eingesperrt und ist erst einmal in den Urlaub gefahren. Nach einiger Zeit findet T ein Mittel zur Sprengung der Tür und bahnt sich so den Weg in die Freiheit. Liegt ein „gegenwärtiger“ Angriff vor? Einwand: Der Angriff ist doch abgeschlossen! E ist weit weg! ABER: Der Angriff gegen das Rechtsgut der Freiheit des T dauert an. § 239 StGB ist ein Dauerdelikt. Fall 9: T verpasst O eine heftige Ohrfeige. Dann dreht er sich um und geht. O ist erbost und schlägt T von hinten gegen den Kopf. Lösung: Der Angriff war abgeschlossen! Keine Notwehr möglich!

Notwehrhandlung 1) Handlung nur gegen Rechtsgüter des Angreifers Das „schneidige“ (weitreichende!) Notwehrrecht darf sich nur gegen den Angreifer richten. II. Notwehrhandlung 1) Handlung gegen den Angreifer 2) Geeignet 3) Erforderlich

Problemkonstellation: „Angriffsmittel im Dritteigentum“ Notwehrhandlung Fall 10: Wirtshausgast A schlägt mit einem Krug des Wirtshauseigentümers E auf V ein. V schlägt dem A den Krug aus der Hand, um den Angriff des A abzuwehren. Dabei wird der Krug zertrümmert, was V bei seiner Verteidigungshandlung als sicher vorausgesehen hatte. Hat sich V wegen Sachbeschädigung nach § 303 StGB strafbar gemacht? Problemkonstellation: „Angriffsmittel im Dritteigentum“ Ganz h.M.: Keine Ausnahme! Notwehr ist gegen fremde Rechtsgüter nicht möglich. Lösung: § 32 StGB (-); Rechtfertigung aber über § 228 BGB

Geringe Hürde: Der Grad der Eignung ist niedrig anzusetzen! Notwehrhandlung II. Notwehrhandlung 1) Handlung gegen den Angreifer 2) Geeignet 3) Erforderlich Fall 11: Bankräuber B flieht im Auto. O schießt auf den Reifen, wobei er weiß, dass die Erfolgsaussicht seines Tuns sehr gering ist. Geeignet? Geringe Hürde: Der Grad der Eignung ist niedrig anzusetzen! Angriff bietet eine gewisse Chance, dass die Gefahr endgültig beseitigt, abgeschwächt, erschwert oder verzögert wird. Keine Beschränkung auf „optimale Abwehr“.  Fall 11 (+)

Notwehrhandlung II. Notwehrhandlung 1) Handlung gegen den Angreifer 2) Geeignet 3) Erforderlich Definition: Die vom Angegriffenen gewählte Verteidigungshandlung muss das relativ mildeste Mittel zur Abwehr sein (ex ante-Betrachtung).

Notwehrhandlung Fall 12 (angelehnt an BGH vom 25.04.2013, Az.: 4 StR 551/12): T ist Mitglied der NPD und möchte mit Gesinnungsgenossen ein Fest feiern. Auswärtige Gäste erwartet er in seinem Auto sitzend auf einem Parkplatz, um sie von dort aus zum Ort der Feier zu fahren. Statt der erwarteten Gäste nähern sich dem T drei Personen des linken politischen Spektrums. Diese sind vermummt und mit Pfefferspray und Handschuhen zur Verstärkung der Schlagkraft ausgerüstet; sie wollen dem T Gewalt antun. Die drei beschleunigen nach dem Ausruf „das ist er“ ihren Schritt in Richtung T und nähern sich diesem bis auf etwa 14 Meter. Da lässt T den Motor seines Fahrzeugs an und fährt mit seinem Fahrzeug geradewegs mit geringer Geschwindigkeit auf die drei zu. T hätte nicht auf die drei zufahren müssen, sondern in eine andere Richtung wegfahren können, ohne sich selbst zu gefährden. O gelingt es nicht, schnell genug zur Seite zu springen. Er wird vom Auto des T erfasst und bricht sich zwei Rippen.  War T durch Notwehr gerechtfertigt?

Notwehrhandlung

Notwehrhandlung Strafbarkeit des T nach § 223 I StGB? I. Tatbestand (+) II. Rechtswidrigkeit T könnte hier durch Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt sein. 1) Notwehrlage Liegt hier ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vor? (+) nach h.M.: Versuchsnahes Vorbereitungsstadium 2) Notwehrhandlung a) Geeignetheit (+) Der Angriff war damit beendet.

Notwehrhandlung 2) Notwehrhandlung b) Erforderlichkeit Landgericht (Eingangsinstanz): Das Zufahren auf die Angreifer war nicht erforderlich, da sich T dem Geschehen durch das Wegfahren über die andere Ausfahrt hätte entziehen können.

Kann von T ein Ausweichen verlangt werden? ein Notwehrhandlung Kann von T ein Ausweichen verlangt werden? ein Rspr und hM: NEIN + Begrifflich: Ausweichen ist kein Verteidigungsmittel. + Dualistisches Konzeption des Notwehrrechts: T schützt nicht nur ein Individualrechtsgut, sondern die „Geltung der Rechtsordnung“ als solche. Mit Hinnehmen des Angriffs wäre „weder das bedrohte Recht noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt“ (s. BGH NStZ 2005, 31) mM im Schrifttum: JA Ein passives Zurückweichen ist dann zu verlangen, wenn dieses dem Angegriffenen möglich und ohne Ehrverlust zumutbar ist.

Notwehrhandlung WICHTIG !! Merke: Recht braucht Unrecht nicht zu weichen! Ein Ausweichen wird von der Rechtsordnung nicht verlangt!

Erforderlichkeit Erforderlichkeit: Die vom Angegriffenen gewählte Verteidigungshandlung muss das relativ mildeste Mittel zur Abwehr sein (ex ante-Betrachtung). Fall 13: O schlägt mit Fäusten auf T ein. T ist O körperlich unterlegen, hat jedoch einen Dolch bei sich und setzt diesen zur Abwehr des Angriffs ein. Der Einsatz des Dolchs ist lebensgefährlich, aber nach Lage der Dinge das einzige dem T zur Verfügung stehende verlässliche Verteidigungsmittel. Eine „Faustabwehr“ hätte angesichts der körperlichen Unterlegenheit des T nur zweifelhafte Erfolgsaussichten. Lösung: - Kein milderes Mittel um den Angriff abzuwehren - Es erfolgt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung! (schneidiges Notwehrrecht)  T ist durch Notwehr gerechtfertigt!

Erforderlichkeit P: Ungewollte Notwehrfolgen Fall 14 (nach BGHSt 27, 313): T sieht, wie mehrere Männer auf seinen Chef, der rücklings auf der Motorhaube eines Autos liegt, einschlagen. T zieht seine Pistole und fasst sie als Schlagwerkzeug (ohne einen Finger an den Abzug zu legen). Als T einem der Angreifer (A), der auf seinen Chef einschlägt, den Pistolenknauf auf die Schulter schlägt, löst sich ein Schuss und tötet A. Mit „bloßen Händen“ hätte T dem Angriff auf seinen Chef keinen Einhalt gebieten können.

Erforderlichkeit P: Ungewollte Notwehrfolgen I. Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen des Schlags? 1) TB (+) 2) Rechtfertigung durch Nothilfe, § 32 StGB? a) Notwehrlage: Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf C: (+) b) Notwehrhandlung aa) Geeignet? (+), Angriff konnte mit Schlag abgewehrt/abgeschwächt werden bb) Erforderlichkeit (+) Es gab für T kein milderes Mittel; mit „bloßen Händen“ hätte er sich nicht gegen A wehren können. c) Subjektives Element: Kenntnis und Verteidigungswille (+)  T ist gerechtfertigt! Keine Strafbarkeit wegen des Schlages!

P: Ungewollte Notwehrfolgen Erforderlichkeit P: Ungewollte Notwehrfolgen II. Strafbarkeit nach § 222 StGB wegen der fahrlässigen Tötung des A? P: Rechtfertigung durch Notwehr? Möglicher Einwand: Fehlende Erforderlichkeit? Ein Schlag hätte doch gereicht! Lösung:   Abwehrhandlung (Schlag) war trotz des ihm innewohnenden Risikos erforderlich Bewertung kann sich nicht ändern, wenn sich dieses Risiko realisiert MERKE: War eine konkrete Abwehrhandlung trotz des Risikos eines weitergehenden Erfolgs erforderlich, so sind ungewollte Folgen auch dann durch Notwehr gedeckt, wenn sie im Ergebnis nicht zur Abwehr des Angriffs notwendig gewesen wären. Alternative: Verorten im TB (s. Skript) Anmerkungen (1) Verortung auf TB-Ebene oder RF-Ebene Es sei „grob widersprüchlich“, in Fällen wie dem unsrigen auf der Tatbestandsebene die objektive Sorgfaltswidrigkeit (zumeist unausgesprochen) zu bejahen und dann die Rechtswidrigkeit zu verneinen. Denn eine Tat könne nicht objektiv sorgfaltswidrig und zugleich objektiv rechtmäßig sein. Diese Kritik erscheint mir „konstruiert“: Die Schaffung des „rechtlich missbilligten“ Risikos, die das tatbestandliche Sorgfaltswidrigkeitsurteil des jeweiligen Fahrlässigkeitsdelikts begründet, steht stets unter dem (unausgesprochenen) Vorbehalt der „Kompensation“ durch eine objektive Rechtfertigungslage. Hier gilt nichts anderes als bei einer Vorsatztat, bei der in Rechtfertigungsfällen ja auch nicht bereits die objektive Zurechnung mit der Begründung verneint wird, der Täter habe wegen der Rechtfertigungslage ein rechtlich erlaubtes Risiko geschaffen. Dazu etwa Börner, GA 2002, 277 f. (2) Anders zu bewerten, wenn Schlag „fahrlässig“ ausgeführt worden wäre, mit Finger am Abzug

Problemfall: Schusswaffengebrauch Erforderlichkeit Problemfall: Schusswaffengebrauch Lebensgefährliche Abwehrmittel wie Schusswaffen dürfen grds. nur abgestuft eingesetzt werden (BGH NStZ 2001, 530): Zunächst ist der Einsatz anzudrohen Warnschuss abgeben Schuss mit Verletzungsfolge Schließlich bleibt als ultima ratio auch die Tötung des Angreifers zulässig

Problemfall: Schusswaffengebrauch Erforderlichkeit Problemfall: Schusswaffengebrauch Fall 15: T weiß, dass eine verfeindete Rocker-Gang einen Anschlag auf sein Leben plant. Eines Morgens hört er Geräusche an der Haustür. X und Y stehen schwer bewaffnet vor der Tür und sind im Begriff sie aufzubrechen, um T zu erschießen. T zielt mit seiner Waffe durch die Tür und erschießt X.  § 212 StGB oder Notwehrrechtfertigung?

Erforderlichkeit Problemfall: Schusswaffengebrauch I. Notwehrlage (+) Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff II. Notwehrhandlung (+) Geeignet P: Erforderlichkeit? Möglicher Einwand: T hat den Schusswaffengebrauch nicht angedroht und keinen Warnschuss abgegeben!

Problemfall: Schusswaffengebrauch Erforderlichkeit Problemfall: Schusswaffengebrauch P: Erforderlichkeit? Möglicher Einwand: T hat den Schusswaffengebrauch nicht angedroht und keinen Warnschuss abgegeben! ABER: Die Abstufung gilt nur im Grundsatz! Bewertung immer im Einzelfall vornehmen! BGH (BGH NJW 2001, 3200): „Jedoch gilt auch für die Verwendung einer Schusswaffe der allgemeine notwehrrechtliche Grundsatz, dass der Verteidiger berechtigt ist, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer minder einschneidende nur dann zu verweisen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig auszuräumen […]. Ein nicht bloß geringes Risiko, dass das mildere Mittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz des stärkeren bleibt, braucht der Verteidiger zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen.“ Werten Sie also in einem entsprechenden Übungsfall die relevanten Sachverhaltsangaben unbedingt sorgfältig aus.

Problemfall: Schusswaffengebrauch Erforderlichkeit Problemfall: Schusswaffengebrauch Lösung Fall 15: T musste keinen Warnschuss abgeben, da dies eher zur Eskalation geführt hätte. Der gezielte tödliche Schuss war in der Situation des mildeste (weil einzige) Mittel zur Abwendung des Angriffs auf sein Leben. T handelte in Notwehr und hat sich nicht strafbar gemacht. MERKE: Immer die Informationen im Sachverhalt genau auswerten!

Problemfall: Objektiv ungefährliche Angriffsmittel Erforderlichkeit Problemfall: Objektiv ungefährliche Angriffsmittel Fall 16: O zielt mit einer Schreckschusspistole auf seine Geisel G. T kann die objektive Ungefährlichkeit nicht erkennen, glaubt an die Bedrohung durch eine scharfe Waffe und schießt „scharf“ auf O, um die Geiselnahme zu beenden.  Es liegt ein Angriff auf die Fortbewegungsfreiheit der G vor. War die Nothilfehandlung aber erforderlich?

Problemfall: Objektiv ungefährliche Angriffsmittel Erforderlichkeit Problemfall: Objektiv ungefährliche Angriffsmittel Worauf kommt es an? Ist Bezugspunkt die objektive Gefährlichkeit oder die Gefährlichkeit aus Sicht eines objektiven Betrachters? m.M. Fall 16: Waffeneinsatz erschien objektiv gefährlich. Verteidigungshandlung war daher erforderlich. Rspr. und h.M. Fall 16: Einsatz der Schreckschusspistole war objektiv ungefährlich. Verteidigungshandlung war daher nicht erforderlich (Lösung über Erlaubnistatbestandsirrtum)

Erforderlichkeit P: Verhältnismäßigkeit? Fall 17 (nach RGSt 55, 82): Zwei Gesellen pflücken in dem üppigen Obstgarten des Landedelmannes T Äpfel. T wird der Tat gewahr und fordert die Gesellen resolut dazu auf, das ergriffene Obst herauszugeben. Doch die Gesellen fliehen, und rasch vergrößert sich die Distanz zwischen ihnen und dem Landedelmann. Um den Verlust der Äpfel abzuwenden, bleibt dem T in dieser Lage nunmehr ein gezielt abgefeuerter Schuss. Ein Geselle erleidet in der Folge eine tödliche Verletzung. Die entsprechende Gefahr hatte T ernst genommen. Ist T durch Notwehr gerechtfertigt?

Erforderlichkeit I. Notwehrlage (+) gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf das Rechtsgut Eigentum II. Notwehrhandlung 1) Geeignetheit des Schusses (+) 2) Erforderlichkeit des Schusses? Mildestes Mittel? (+) einziges Mittel, um den Angriff abzuwenden! P: Unverhältnismäßig?

Erforderlichkeit Staatsanwaltschaft in Fall 17: „es sei zu Unrecht Notwehr angenommen worden, ... weil ... doch der Angeklagte das Maß der Abwehr nicht eingehalten habe, indem er zur ... Wiedererlangung des Obstes, eines Gutes von ganz geringfügigem Wert, Leib und Leben der fliehenden Person gefährdet und verletzt habe, sonach Rechtsgüter von höchstem Wert zu opfern entschlossen gewesen sei.“ Was sagen Sie dazu?

Das behandeln Sie nächste Stunde! Erforderlichkeit Reichsgericht: „Indes kann eine derartige Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit der Güter unmöglich da gerechtfertigt sein, wo das Recht im Kampf gegen das Unrecht geschützt werden soll; hier dem Verteidiger zuzumuten, darauf zu achten, dass er dem widerrechtlich angreifenden Gegner keinen Schaden zufügt, der höher bewertet wird, als der ihm selbst aus dem Angriff drohende, ist nicht angängig“. Der Schuss war erforderlich! (+) „Schneidiges Notwehrrecht“: keine Verhältnismäßigkeitsprüfung! Abmilderung der Konsequenz über das Institut der sozialethischen Einschränkung bei krassem Missverhältnis Das behandeln Sie nächste Stunde! Ein solches krasses/unerträgliches Missverhältnis liegt aber – wiederum nach h.M. – nicht schon dann vor, wenn zum Eigentumsschutz getötet wird, sondern nur bei einem – wie in Fall 18 – ganz unerträglichen Missverhältnis zwischen dem konkret bedrohten Sachwert und der Lebensgefährdung Ein Teil des Schrifttums will demgegenüber Tötungen zum Schutz von Sachwerten generell vom Notwehrrecht ausnehmen; begründet wird dies mit Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 2 EMRK lautet in seinen hier maßgeblichen Eingehend Frister, GA 1985, 553 und AT, 16. Kapitel Rn. 27; vermittelnd F.-C. Schroeder, in: FS Maurach, S. 139.

Merke zur Erforderlichkeit: Die gewählte Verteidigungshandlung muss das mildeste und gleich wirksamen Mitteln sein. Auf einen ungewissen Ausgang muss sich der Angegriffene nicht einlassen. Ausweichen oder Fliehen sind grds. keine Alternativen Durch Notwehr dürfen auch disproportional große Schäden bewirkt werden (aber bei grobem Missverhältnis ist „Gebotenheit“ der Notwehr fraglich). Erforderlichkeit hängt vom Einzelfall ab: genaue Arbeit mit dem SV!

Quiz Antworten Sie mit JA oder NEIN! 1) Notwehr ist nur zum Schutz eigener Rechtsgüter möglich. Nein, § 32 StGB sieht auch die Nothilfe vor! 2) Ein Angriff kann nach h.M. nicht rechtswidrig sein, wenn sich der Angreifer verkehrsgerecht verhält. JA! Die h.M. verlangt ein Handlungsunrecht. 3) Eine Verteidigung nach § 32 StGB ist nach h.M. auch gegen fremde Rechtsgüte möglich, wenn sie zum Angriff genutzt werden. Nein! Das schneidige Notwehrrecht gilt nur ggü dem Angreifer. Für andere Rechtsgüter gilt das Notstandsrecht. 4) Einen Schusswaffengebrauch muss man IMMER erst androhen, sonst geift § 32 StGB nicht. Nein! Nicht, wenn dies unabsehbare Risiken birgt!

Fröhliche Weihnachten!