Vortragsprogramm Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem

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Vortragsprogramm Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem
 Präsentation transkript:

Der andere Blick auf Migranten Erkennen und Verkennen ihrer Begabungen im pädagogischen Kontext. Vortrag am 03-10-2014 in St. Pölter/Österreich Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung   Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen; Fakultät für Geisteswissenschaften

Vortragsprogramm Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem Psychologische Determinanten des Bildungserfolges Schule als Ort kognitiver Förderung Erkennen und Verkennen der Potenziale von Migranten Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte

I. Schüler mit Zuwanderungsgeschichte im Bildungskontext Von den 13.1 Mio. Kindern in der Bundesrepublik (2010): 4 Mio. mit Migrationshintergrund (ca. 30%) Bei 10-15 jährigen: ca. 25 %; 5 – 10 Jahre: 32 % und unter 5 Jahren: 34 % In Österreich: 19,3% (1.153.912 Schüler im Jahre 2011/12) In der Schweiz: ca. 22% (1.257.128 Schüler im Jahre 2011/12) 2

Differenzierte Betrachtung nach Herkunftsländern: Herkunftsspezifisch auffällige Differenzen: Kroaten, Spanier und Slowenen eher im oberen Drittel; Italiener, Mazedonier, Türken, Serben und Marokkaner eher im unteren Drittel. Im internationalen Vergleich zeigen PISA Daten: Deutschland hat durch Migration eine stärkere Unterschichtung erfahren als andere Teilnahmeländer. Historisch betrachtet: Migration eine Gewinngeschichte: Innerhalb von ein bis zwei Generationen Verdoppelung des formalen Bildungshintergrundes

Im internationalen Vergleich: „Kultur des Förderns“ in Deutschland deutlich schwächer entwickelt als in anderen Ländern (Geissler & Weber-Menges, 2008) statt alle Kinder zu befähigen: wirkungsvolle „institutionalisierte Abschiebemechanismen“ für leistungsschwächere Schüler. Deutschland liegt hier auf Rang 26 von 29 teilnehmenden OECD-Ländern. Klassenwiederholungen, Abstiege in einen niedrigeren Schultyp Teil des deutschen Schulalltags, womit den „Problemfällen“ sich entledigt wird.

Auch leistungsunabhängige soziale Filter wirksam Empirische Befunde zeigen: Unabhängig vom Migrationshintergrund, bei gleichen Fähigkeiten und Leistungen, besuchen Jugendliche aus Elternhäusern mit prestigereicheren Berufen, „höheren Dienstklassen“, drei Mal häufiger ein Gymnasium als Facharbeiterkinder. Bei Notengebung und Empfehlungen zur weiterführenden Schulen in der Grundschule werden leistungsunabhängige soziale Filter wirksam: Kinder unterer Schichten werden etwas schlechter, Kinder oberer Schichten etwas besser beurteilt als ihre tatsächlichen Leistungen. (Vgl. Geissler & Weber-Menges, 2008, ApuZ, 49/2008, S. 20).

Berufliche Bildung von Migranten Ungleiche Zugänge zum Ausbildungsmarkt trotz gleicher Abschlüsse: Bewerber mit Hauptschulabschluß (MH): 25% Bewerber mit Hauptschulabschluß (OMi): 29% Bewerber mit Realschulabschluß (MH): 34% Bewerber mit Realschulabschluß (OMi): 47% (Vgl. Granato, 2004)

II. Psychologische Bedingungen des Bildungserfolges: Bildungsaspirationen der Eltern Leistungsmotivation und Erziehung zu Leistungsmotivation Kontrollbewußtsein; Attributionsprozesse Erfahrungen von Hilflosigkeit bzw. Selbstwirksamkeit von Eltern und Kindern Strukturelle Hindernisse: Institutionelle Diskriminierung Stereotype threat

Bildungsaspirationen der Eltern: in der Regel hoch (seit Jahren feststehender Befund) (Nauck, 1994; Relikowski, Yilmaz, Blossfeld, 2011)

Psychologische und soziale Determinanten des Bildungserfolges Einreisealter Verweildauer in Deutschland Rückkehrabsichten der Eltern Verlauf des Migrationsprozesses, Sicherheit des Aufenthaltsstatus soziale Herkunft bzw. Sozialstatus im Aufnahmeland segregiertes vs. durchmischtes Wohnumfeld Ethnische Konzentration in Schulen: bei Grundschulen mit hohem Migrantenanteil von 80% „Bremseffekte“.

Bildungserfolg Nicht nur durch Bildungszertifikate, sondern auch Vertrautheit mit bestimmten Lebensstilen, Entwicklung eines bestimmten Habitus, Netzwerke (Granovetter: „Stärke schwacher Bindungen“ für die Karriere), Empfehlungen etc. wichtige Kriterien des Bildungserfolgs: Migranten verfügen über geringere Netzwerke.

Intelligenz: III. Schule als Ort der Förderung kognitiver Potenziale Intelligenz: Fähigkeitsmerkmal, das in modernen Gesellschaften, vermittelt über das Bildungssystem, eine herausragende Rolle spielt; als ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal betrachtet, wird sie in vielen Lebensbereichen relevant: Z. B. bei der Frage, inwieweit sie verantwortlich für schulische Leistungen ist, aber auch, inwieweit z.B. die Dauer der Beschulung Einflüsse auf die Intelligenz hat

Modelle der Intelligenz: Je nach theoretischer Orientierung und Forschungstradition wird Intelligenz aufgefasst als allgemeine Intelligenz („g“, mit schlussfolgernder Beziehungsstiftung als Kernkompetenz) oder als ein Bündel spezifischer Intelligenzdimensionen

Modelle der Intelligenz: Primärfaktorenmodell von Louis Thurstone (1938); 1. Wahrnehmungsgeschwindigkeit 2. Räumliches Vorstellungsvermögen 3. Gedächtnis/Merkfähigkeit 4. Schlussfolgerndes Denken (inductive reasoning) 5. Wortflüssigkeit (Schnelligkeit assoziativer Wortproduktion) 6. Wort- und Sprachverständnis (Umgang mit Begriffen, Kenntnis von Wörtern, Erfassung sprachlicher Bedeutungen) 7. Numerische Fähigkeiten (Ausführen von Rechenoperationen, Rechengeschwindigkeit)

Theorie der multiplen Intelligenz (Gardner: Abschied vom IQ): Sprachlich-linguistische Intelligenz Logisch-mathematische Intelligenz Musikalisch-rhythmische Intelligenz Bildlich-räumliche Intelligenz Körperlich-kinästhetische Intelligenz Interpersonale Intelligenz Intrapersonale (emotionale) Intelligenz Naturalistische Intelligenz

Rolle der Kultur bei der Ausprägung der Intelligenz: Bisherige Konzeptionen von Intelligenz stammen hauptsächlich aus der intellektuellen Tradition von hochentwickelten Industrienationen; repräsentieren oft nur einen Ansatz menschlicher Fähigkeiten und menschlicher Bildung; und zwar genau den, der für die Mittelschicht der jeweiligen Industriegesellschaft angemessen ist. Selektive Einwanderung nach Deutschland; Schicht- und Kulturbias

Intelligenz und Schule: Dauer der Beschulung erklärt Unterschiede in den intellektuellen Fähigkeiten. Sogar die im Verlauf des Schuljahres ansteigende Intelligenz ging während der Sommerferien leicht zurück bzw. stagnierte; Studien, bei denen Alterskohorten mit unterschiedlich langer Beschulung verglichen wurden: bei längerer Beschulung und höherer Schulqualität positive IQ Veränderungen zu beobachten

Intelligenz und Schule: Ceci (1991): Metaanalyse zum Einfluss der Schule auf allgemeine Intelligenz bei Schulzeitdefiziten aufgrund von – späterem Schuleintritt, früherem Schulabgang, – Sommerferien (am Ende der Sommerferien ein geringerer IQ als zu Beginn), – fehlendem Vorhandensein von Schulen oder Schulbesuch (Armut, Unterentwicklung, Krieg, Schließung von Bildungseinrichtungen aus politischen Gründen, Besatzung und Unterdrückung): pro fehlendem Schuljahr ca. 2-5 IQ-Punkte relativ zu beschulten Kindern gehen verloren Zwischen Anzahl der Schuljahre und der Höhe des IQ besteht ein wechselseitiger Zusammenhang von r=.50-.80.

Intelligenz und Schule: Fördernde Wirkung der Schule auf (kristalline Intelligenz) – insbesondere im Kindesalter- in der grundsätzlichen kognitiven Umstrukturierung durch den Schulunterricht Schule ordnet das Wissen und die Alltagserfahrungen des Kindes neu; kategorisiert dieses Wissen und bringt es in eine wissenslogische Ordnung. Was im episodischem Gedächtnis gespeichert wurde (Zoobesuch, Reiseerlebnisse, Feste, Fernsehsendungen etc.) wird transformiert und im semantischen Gedächtnis gespeichert. Das Alltagswissen wird dekontextualisiert und in einen neuen Zusammenhang gestellt.

Wie hängt Intelligenz mit der Schulleistung zusammen? Verwendung von Noten keine valide Leistungsbewertung: Lehrer verwenden i. d. Regel klasseninterne Maßstäbe; Schüler mit gleichen Noten in verschiedenen Klassen (bspw. 7 a und 7 c) können unterschiedlich leistungsstark bzw. bei unterschiedlich strenger Notengebung der Lehrer trotz unterschiedlicher Noten gleich leistungsstark sein

sie am schulischen Erfolg weniger interessiert sind, Schüler können weniger leisten als andere Schüler mit vergleichbarer Intelligenz, weil sie am schulischen Erfolg weniger interessiert sind, sie Lehrern oder Autoritäten gegenüber eine ablehnende, negative Einstellung haben, bei ihren Mitschülern weniger angesehen und beliebt sind, ein geringes Selbstwertgefühl haben und sich weniger zutrauen, oder auch eine stärkere Ablehnung durch ihre Eltern erfahren bzw. in einem ungünstigen häuslichem Klima aufwachsen.

Zentrale Anforderungen an den Hochbegabungsbegriff Exzellenzkriterium: eine Person ist leistungsmäßig anderen Personen auf einem Gebiet deutlich voraus. Seltenheitskriterium: eine hohe Ausprägung einer Eigenschaft, die bei anderen Personen nicht in dem Maße ausgeprägt ist Produktivitätskriterium: durch diese Begabung ist die Person befähigt, besondere Produkte und Handlungen herzustellen oder aufzuführen Wertkriterium: die Hochbegabung einer Person liegt in einem Bereich, der der jeweiligen Gesellschaft wertvoll und wichtig erscheint (Vgl. Ziegler, 2008)

IV. Erkennen und Verkennen der Potenziale von Migranten Begabte Migranten: auch in Deutschland/Österreich7Schweiz eine unerkannte Gruppe Trotz eines recht strengen Kriteriums „Hochbegabung“ (2-3% der Zielpopulation) müssten bei ca. 4.000.000 Schülern mit MH etwa 80.000- 120.000 Hochbegabte existieren. In Österreich: ca. 23.000 bis 35.000 In der Schweiz: ca. 25.000 bis 37.500 Geringe öffentliche Sichtbarkeit dieser Gruppe Kaum empirische Erhebungen/Studien zu Hochbegabung bei Kindern mit MH

Neben den Kindern mit Zuwanderungsgeschichte. Oft auch zu spät oder „unerkannte“ Gruppen hochbegabte Mädchen, hochbegabte Kinder mit körperlichen Behinderungen, Underachiever, Verhaltensauffällige, den Unterricht störende Kinder

Problem Underachievement Diagnostik von Underachievement nicht einheitlich: Shaw (1964): Underachiever: Schüler, deren intellektuelle Fähigkeiten (IQ) bei den oberen 25% ihrer Klasse, deren schulischen Leistungen jedoch unter dem Klassendurchschnitt liegen. Hanses und Rost (1998): hochbegabte Underachiever: Kinder mit einem IQ-Prozentrang von mindestens 96 und einem Leistungs-Prozentrang von nicht höher als 50. Gelegentlich in der Literatur: zwischen intellektueller Fähigkeit (Meist IQ-Ergebnis) und Schulleistungen eine Diskrepanz von 1.5 SD zugunsten des IQ.

Problem der disparaten Verteilung bei Minoritäten in US-Forschung gut belegt: In urbanen Regionen im Südwesten der USA: Anteil von „minority students: 48% Anteil an Programmen zur Förderung Begabter: 25% (Maker, 1996) In anderen Studien: Anteil von „African American students“: 21 % Anteil an Programmen zur Förderung Begabter: 12% (Ford, 1998)

Problem der disparaten Verteilung bei Minoritäten in US-Forschung gut belegt: Unterrepräsentiert: Hispanos, Afro-amerikaner, American Indian Überrepräsentiert: Asiatische Schüler (v. a. Fernost: China, Japan, Korea) (Ford, 1998)

Probleme der Diagnostik bei Migrantenkindern Anteil von Schülern mit MH in Hochbegabtenförderprogrammen: in angelsächsischen Ländern und auch in Deutschland zwischen 4 – 9 %; gleichwohl Konsens: Hochbegabung kommt in allen Kulturen und Kontexten vor (Vgl. Stamm, 2007).

Diagnostische Mängel bei Schülern mit MH Sprachgebundene Wissenstest verzerren Ergebnisse bei geringeren Deutschkenntnissen; v.a. wenn die Instruktion nicht ganz verstanden wird.

Diagnostische Mängel Wissensinhalte der IQ-Tests für Migranten nicht stets alltagsrelevant bzw. kulturell angemessen; unterschiedliche Sozialisationserfahrungen: Bsp.: Grimms Märchen bei türkischen Kindern weniger bekannt

Diagnostische Mängel Generell: gebräuchliche IQ-Testverfahren haben bei ihrer Konstruktion und Eichung kaum kulturelle, ethnisch- sprachliche Pluralität berücksichtigt bzw. in die Eichstichprobe aufgenommen (Barkan & Bernal, 1991)

Soziale Verkennungsmechanismen Musikalische Begabungen nicht kulturneutral: Gehör bereits vor der Geburt auf bestimmte Töne, Rhythmen, Melodien eingestellt, die sich im Laufe der Sozialisation verstärken und verdichten. Je nach kultureller Wertung: Musik oder Lärm (Tan, 2008) Übersehen vorhandener Begabungen, wenn keine kulturelle Wertschätzung: Formen der Musikalität und Körperbeherrschung: Saz, Ud, Kolbasti-tanz Kognitive Leistungen: enorme Gedächtnisleistungen islamisch-religiös sozialisierter Kinder: Auswendiglernen langer Koran-passagen bzw. bei Hafiz: ganzer Koran

Soziale Verkennungsmechanismen Migranten selber glauben nicht an ihre Hochbegabungspotenziale; Integrieren das gesellschaftliche Bild von Ihnen in ihr Selbstbild Selbstgehemmtes Verhalten von Migrantenkindern bzw. ihren Eltern durch eine „Kultur der Bescheidenheit“ (Tan, 2005) Aber auch: Eltern mit Zuwanderungsgeschichte kaum angemessenes Wissen über Hochbegabungen sowie vorhandene Förderprogramme in Schulen etc.

Soziale Verkennungsmechanismen Migrantenkinder bzw. -eltern selber verengen intellektuelle Potenziale auf gesellschaftlich akzeptierte und unmittelbar konvertierbare Formen symbolischen Kapitals (Arzt; Ingenieur, Unternehmer werden; nicht aber: exzeptioneller Schriftsteller, Artist, Tänzer etc.)

Verkennung durch Lehrkräfte Deformierender und deformierter Blick der Lehrer– möglicher weise durch existierende Rassismen- unterdrückt vorhandene Begabungen im Schulkontext (Pygmalion-Effekt). Höhere kulturelle Ähnlichkeiten sowie Ähnlichkeiten im Lebensstil, Werthaltungen und Weltsichten der Lehrkräfte mit einheimischen (Mittelschicht-)schülern: unterschiedliche kulturelle Begabungsverständnisse

(Einige) Merkmale hochbegabter Kinder: Asynchrone Entwicklungen: hohe intellektuelle Fähigkeiten, aber „normale“ bzw. altersenstprechende emotionale und soziale Reife Gelegentlich: soziale Isolierung im Peer-Verband; Sucher nach älteren Freunden Enormer Wissensdurst; bei kognitiver Hochbegabung: sehr früh ausgebildete Lese- und Rechenfähigkeiten Hoher Idealismus und hohe Anforderungen an sich (Perfektionismus) und die Welt; Inakzeptanz von Ungerechtigkeiten 36

Folgen der Verkennung von Begabungen Individuelle Benachteiligung Gesellschaftlich-ökonomische Benachteiligung Bei Kindern mit MH: Auswirkungen auf Integrationsprozesse: Veränderungen des Images von Zuwanderern

V. Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Generell: Zwei Typen von Fördermaßnahmen bei Hochbegabung Akzeleration (Beschleunigung) und Enrichment-Form (Bereicherung, Erweiterung der Fähigkeiten) Kritik am Beschleunigungsansatz: „Verlorene Kindheit“ durch zu frühe Einschulung und einer beschleunigten Schullaufbahn.

V. Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Lehrererwartungen über das Verhalten von Hochbegabten bzw. akademischen Fähigkeiten von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte explizit machen, um künftigen Verzerrungen vorzubeugen Breitere Identifikationsprozeduren (jenseits der IQ-Testung): Leistung und Leistungsbereitschaft sowie Motivation in einem spezifischen Bereich (Hobby etc.); kreative Produktivität über längere Zeiträume beobachten Bei Schülern mit Zuwanderungsgeschichte: familiale und individuelle Ausgangsbedingungen berücksichtigen (hohe Erfolge trotz kurzer Aufenthaltsdauer, Analphabetismus der Elternteile etc.)

Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte In Identifikationsverfahren: Problemstellungen kontextuieren (statt abstrakte Fragen); Lebenswirklichkeiten von Personen mit Zuwanderungsgeschichte angemessen abbilden (Clasen, Middleton & Connell, 1994) Talentscouting auch in anderen Schultypen ansetzen: fehlplatzierte Schüler mit MH entdecken Monitoring von angebotenen Begabungsfördermaßnahmen: Wie ist die kulturelle Vielfalt im Programm und der Teilnehmer dort abgebildet?

Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Kompetenzen und Potenziale junger Migranten stärker entdecken, herausstellen, wahrnehmen, fördern (keine Abwertung der Muttersprache). In Schulkontexten (Migranten-)Jugendliche noch stärker in verantwortungsvolle Positionen – ungeachtet möglicherweise geringerer sprachlicher Kompetenzen – einbinden Keine scheinbar sozial/pädagogisch motivierten Überlegungen in der Schule dulden („Für Migrantenkinder ohne elterliche Unterstützungspotenziale reicht auch eine Hauptschule/Realschule“); denn bei Fehlplatzierung: geringe Durchlässigkeit des Schulsystem

Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Mehr Lehrkräfte mit MH, um die sprachlichen Kompetenzen, Eigenheiten, Kreativität in der Erstsprache, Muttersprache des Kindes zu erkennen; Zugleich: Familiensprache ist nicht immer Nationalsprache (Kurdisch-Türkisch; Katalanisch-Spanisch etc.) Lehrkräfte benötigen stärkere interkulturelle Kompetenzen in ihrer Ausbildung: höhere Sensibilität für Lebenslagen von Kindern mit diversen kulturellen Hintergründen Checklisten und Beobachtungsmanuale (zur Identifikation von Begabungen) für Lehrkräfte Eltern; aber auch für Eltern mit MH („Kultur der Bescheidenheit“; geringe Kenntnisse über ausgeprägte Begabungen)

Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Verbesserung der schulischen Ausstattung in sozial-benachteiligten Gebieten (oft konfundiert mit Wohnorten von Zuwanderern); mangelnder Zugang an anspruchsvolle Bildungsangebote blockiert Potenziale Individuelle Bezugsnorm statt soziale Bezugsnorm zur Lernmotivation einsetzen (gerade bei Kindern mit junger Zuwanderungsgeschichte) Ethnische Diskriminierung als Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen: Änderung des gesellschaftlichen Klimas, der medialen Berichterstattung etc.

Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Effekte von Förderprogrammen: Frühe Leseförderung: Keine unmittelbare, signifikante Intelligenzsteigerung, aber eine Steigerung der Lesemotivation Sprachförderprogramme dagegen: Positiver Einfluss auf die Intelligenz Indirekte positive Einflüsse auf Selbstwertgefühle und Selbstwirksamkeit Aggressionsmindernd („Die Pistole ist das Schreibgerät des Analphabeten“). Bessere Bildung kann frühe Risiken (Devianz) verringern und alternative Entwicklungspfade begünstigen (Vgl. Schmidt-Denter, 2008)

Exemplarische Ressourcen von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte: Natürliche Mehrsprachigkeit (mit Folgen auf metalinguale und metakognitive Fähigkeiten) Bi-kulturelle Identität Höhere Ambiguitätstoleranz

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und nun Schluss, sonst... Kontakt: haci.uslucan@uni-due.de uslucan@zfti.de www.uslucan.de