Infotour zum neuen Polizei- und Versammlungsgesetz von Baden-Württemberg Anarchistische Gruppe [:ag] Freiburg & Rote Hilfe Freiburg
Inhaltsverzeichnis Polizeigesetz Warum ein neues Polizeigesetz? „Moderat und ausgewogen“ Überwachung Schnüffeln Freiheitsberaubung Zusammenarbeit Sonstiges
Warum ein neues Polizeigesetz? Seit der Föderalismusreform 2006: Ländersache vgl. Mecklenburg-Vorpommern (G8-Gipfel) und Niedersachsen („effektive Gefahrenabwehr“) „Die Polizei bekommt das rechtliche Instrumentarium, das sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und für die tägliche Arbeit benötigt. Und wir werden damit ein moderates und ausgewogenes Gesetz haben, das die Balance zwischen den Rechten der Bürger und den Bedürfnissen der Polizei wahrt.“ Innenminister Heribert Rech (CDU)
„Moderat und ausgewogen“ Mehr Überwachung und Technisierung Einschränkung der (Bewegungs-) Freiheit Einschränkung des Aussageverweigerungsrechtes Zusammenarbeit mit anderen (europäischen) Behörden Ausgeweitete Datenspeicherung Ausgeweitete Bußgeldbestimmungen
Überwachung Ausweitung polizeilicher Videoüberwachung Feststellung des Aufenthaltsortes und der Bewegungen von Personen und Sachen mit GPS-Peilsendern automatisiertes Kennzeichenlesesysteme & massenhafter Abgleich mit dem Fahndungs-bestand Zugriff auf Telekommunikationsdaten (sogar für anlasslos auf Vorrat gespeicherte Daten) Telekommunikationsverbindungen überwachen, unterbrechen und unterbinden Die Verwendung der Daten ist nicht mehr Zweckgebunden
Schnüffeln Erweiterte Auskunftspflicht von BürgerInnen Einschränkung bzw. Wegfall des Auskunftsverweigerungsrechts Zwangsgeld bei Zuwiderhandlung Durchsuchung von Personen und mitgeführten Gegenständen zum Zwecke der Identitätsfeststellung möglich
Freiheitsberaubung Platzverweise, Aufenthaltsverbote, Wohnungsverweise, Rückkehrverbote und Annäherungsverbote Bußgeld bei Verstoß Festnahme ohne richterliche Überprüfung möglich, „wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes des Gewahrsams ergehen würde“ Richterliche Entscheidungen auch mündlich und ohne Mitteilung an den Betroffenen wirksam
Zusammenarbeit Erweiterter Einsatz europäischer PolizeibeamtInnen in Baden-Württemberg (wird zum NATO-Gipfel 2009 ausgeweitet) Zulassung gemeinsamer Dateien von Polizei und Verfassungsschutz Personen und Kfz zur gezielten Kontrolle ausschreiben sowie europaweit ausgeschriebene Personen und Kfz zur gezielten Kontrolle anhalten
Sonstiges Speicherung personenbezogener Daten von Tatverdächtigen auch ohne Wiederholungsprognose für zwei Jahre möglich Beschlagnahme von Geld und anderen Vermögensgegenständen möglich, „die zur Begehung von Straftaten eingesetzt werden sollen“
Inhaltsverzeichnis Versammlungsgesetz Versammlungsfreiheit Entwicklung des Versammlungsgesetzes Demonstrationen gestern, heute & morgen Warum ein neues Versammlungsgesetz? Praxis heute Anmeldung Rolle der VersammlungsleiterIn OrdnerInnen = neue Hilfsbeamte? Überwachung Auf dem Weg zur Demonstration Schutzwaffen-, Störungs- und Militanzverbot Nichtöffentliche Versammlungen Ordnungswidrigkeiten & Straftaten Verbot von Saalveranstaltungen
Versammlungsfreiheit Die Versammlungsfreiheit ist in Artikel 8 des Grundgesetzes als Grundrecht garantiert: (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden „Brokdorf-Beschluss“ 1985: Keine Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen Berücksichtigung der Kooperation des Veranstalters Schutz der Versammlungsfreiheit friedfertiger Teilnehmer Anforderungen an die Gefahrenprognose bei Verboten
Warum ein neues Versammlungsgesetz? Bisher ein Bundesgesetz Seit der Föderalismusreform 2006: Ländersache Vorreiter: Bayern, BaWü & Niedersachsen Innenministerium: Schutz des „wichtigen Bürgerrechts der Versammlungsfreiheit vor dem Missbrauch durch Extremisten“ „Erleichterung für Veranstalter und für die Behörden“ Rechtskräftige Verordnung gegen Neonazi-Veranstaltungen schaffen, zum Beispiel am 27. Januar und 9. November
Sicherung der Kapitalvermehrung gegen soziale Konflikte Warum ein neues Versammlungsgesetz? Innere Aufrüstung Polizeigesetz Vorratsdatenspeicherung erweiterte Datensammlung (z.B. Biometrische Reisepässe) Überwachung Einsatz der Bundeswehr im Inneren Soziale „Abrüstung“ Hartz4 Ökonomisierung der Bildungs- & Gesundheitssektoren Niedriglohnsektor Privatisierung Sozialisierung der Verluste Sicherung kapitalistischer Rahmenbedingungen Sicherung der Kapitalvermehrung gegen soziale Konflikte
Entwicklung des Versammlungsgesetzes 1985: Grundsatz-entscheidung des BVerfG (Brokdorf-Beschluss) 2006: Föderalismus-reform: Ländersache 1848: Teil der Deklaration der „Grundrechte des Deutschen Volkes“ 1949: Aufnahme ins Grundgesetz 1850 1900 1950 2000 1878 / 1919: Einschränkungen durch Einführung der „Sozialisten-gesetze“ und der Weimarer Reichsverfassung 1980er: Praxis bei Friedensdemos und Anti-Atom-Demos zu Ungunsten der DemonstrantInnen 2008: neues VersG in Bayern 2009: neues VersG in Ba-Wü 1985: Verbot von Vermummung und „passiver Bewaffnung“
Demonstrationen gestern, heute und morgen 1981 2007 ??
Praxis heute: Abstand + Größe der Transparente vorgeschrieben Verbot von seitlichen Transparenten Wanderkessel / Spaliere Verdecken der Transparente -> kein Transport von Inhalten möglich Zeitrahmen der Demonstration vorgeschrieben Verbot von Lautsprecherwägen (z.B. am 1. Mai 2007 in Freiburg) Strafbefehle gegen AnmelderInnen linker Demos wegen angeblichen Verstößen gegen Auflagen (z.B. in Karlsruhe und Stuttgart) Demo-Gebühren in Pforzheim Regelmäßiges Abfilmen von Demonstrationen / Kundgebungen ohne Anlass
Praxis heute: Spalier Verdecken des Fronttranspis Abfilmen
Anmeldung 72 h vor Bekanntgabe, bisher: 48 Stunden Ort der Versammlung, beabsichtigte Streckenverlauf Zeitpunkt des Beginns der Versammlung, Versammlungsthema Name, Anschrift, Tel.Nr. Veranstalterin Name, Anschrift, Tel.Nr. des Versammlungsleiters, auf Anforderung auch Geburtsort und Geburtstag erwartete Teilnehmerzahl beabsichtigter Ablauf der Versammlung die zur Durchführung der Versammlung mitgeführten Gegenstände oder die verwendeten technischen Hilfsmittel
Rolle der VersammlungsleiterIn Bisher: „für Ordnung [...] sorgen“ Neu: „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden. Geeignete Maßnahmen können insbesondere der Aufruf zu Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Anhängern sein. Vermag die Person, die die Versammlung leitet, sich nicht durchzusetzen, ist sie verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.“
OrdnerInnen = neue Hilfsbeamte? vorgesehene Zahl von Ordnern kann von Behörden erhöht / begrenzt werden OrdnerInnen dürfen von den Behörden abgelehnt werden: „die zuständige Behörde“ kann VersammlungsleiterInnen und OrdnerInnen „als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die Friedlichkeit der Versammlung gefährden.“ OrdnerInnen müssen grundsätzlich volljährig sein auf Anforderung der Behörden: Familiennamen, Vornamen, Geburtsnamen, Geburtsdaten, Geburtsorte und Anschriften der Ordner Kennzeichnung mit „weißer Armbinde mit der Aufschrift ‚Ordner‘“
Überwachung Auch bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen möglich Übersichtsaufnahmen von der Ver- sammlung und ihrem Umfeld ohne jede Voraussetzung Einzelne TeilnehmerInnen („erhebliche Gefahren“) Identifizierung von TeilnehmerInnen mithilfe der Aufnahmen ist zulässig Übersichtsaufnahmen sind auch zur „Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit“ und zur „Gefahrenabwehr“ verwertbar
Auf dem Weg zur Demonstration Massenhafter Datenabgleich von TeilnehmerInnen möglich Anhalten und Befragen Ausweis- / Personenkontrolle Mitnahme auf die Polizeidienststelle Filmen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass von einzelnen Demo-teilnehmerInnen „erhebliche Gefahren“ ausgehen „verdeckte Bild- und Tonaufnahmen“
Militanzverbot (§7 VersG) Verbot von „gleichartigen Kleidungsstücken“, die „den Eindruck der Gewaltbereitschaft“ vermitteln können „Auftreten, [...] das eine einschüchternde Wirkung auf die Bevölkerung entfalten kann“ Problem: „Black Bloc“, Samba-Band & Rebel Clowns Army Gilt auch bei nichtöffentlichen Ver-sammlungen
Demonstriert gefälligst woanders – oder gar nicht! Störungsverbot (§8 VersG) Verhinderung oder Vereitelung von Versammlungen Aufforderung / Aufruf zu verbotenen Versammlungen (via Internet, Schriften, Bild- und Ton…) „Gleichrangige Rechte Dritter“ Problem: Gegendemos bei Naziaufmärschen / Protest im Allgemeinen Demonstriert gefälligst woanders – oder gar nicht!
Schutzwaffenverbot (§20 VersG) Vermummung Um Identitätsfeststellung verhindern Polsterung Um Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren Bereits das Mitführen geeigneter Gegenstände ist eine Ordnungswidrigkeit & die Verwendung solcher Gegen-stände ist eine Straftat!
Ordnungswidrigkeiten: LeiterIn / VeranstalterIn: Gewalt nicht verhindert OrdnerIn ohne Armbinde Polizei Anwesenheit verweigern Anmeldung und Infos verweigern oder verspätet TeilnehmerIn: Bei Ausschluss / Auflösung nicht unverzüglich entfernen Störung trotz „Zurechtweisung“ durch Leiter / Ordnerin Aufforderung zu Gegendemonstration Vermummung mit sich führen Versammlungen vor Landtag (Teilnahme und Aufruf
Straftaten: LeiterIn / VeranstalterIn: OrdnerIn mit Waffen oder sonstigen Gegenständen Zuwiderhandlung gegen Verbot oder Auflösung TeilnehmerIn: Waffe und / oder Uniform Gewalttätigkeiten / erhebliche Störungen Widerstand gegen Leiterin / OrdnerIn Schutzwaffe mit sich führen oder verwenden Vermummung Zusammenschluss im Anschluss
Nichtöffentliche Versammlungen: § 7 „Uniformierungs- und Militanzverbot“ § 8 „Störungsverbot“ Eingriff der Polizei in Saalveranstaltungen möglich, sofern der „Eindruck der Gewaltbereitschaft“ erweckt wird Veranstalter und Versammlungsleiter benennen Kein Ausschluss von Pressevertretern Problem: „Nazipresse“ z.B. bei Antifa-Veranstaltungen Polizei muss Zutritt gewährt werden Auflagen Volljährige Ordner, Möglichkeit der Ablehnung
Verbot von Saalveranstaltungen Die zuständige Behörde kann die Durchführung einer Versammlung in geschlossenen Räumen beschränken oder verbieten, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung anstreben, oder Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
Auswirkungen des neuen Versammlungsgesetzes Verkürzung der Anmeldefrist Arbeitgeber bei einer Streikdemo als „beeinträchtigter Dritter“? Spontaner Protest & Streiks kaum noch möglich Ablehnung von VeranstalterInnen bzw. OrdnerInnen Ermächtigung zur Beendigung von Veranstaltungen Neue Möglichkeiten für Willkür von Behörden und Polizei Namen von VeranstalterInnen bzw. OrdnerInnen müssen genannt werden Großflächige Videoaufnahmen Erweiterte Überwachung und Einschüchterung (politischen) Engagements
Weitere Auswirkungen des Versammlungsgesetzes Spaltung des außerparlamentarischen Widerstandes: „Ich überlege mir, ob wir eine Lösung finden, aus der deutlich wird, dass Gewerkschaftskundgebungen nicht gemeint sind.“ Innenminister Heribert Rech (CDU) im November 2008 Perspektiven aus linksradikaler Sicht: Mobilisierung zu Blöcken auf Großdemonstrationen Selbstbestimmte Aktionsformen durchsetzen!
Demonstrationen gegen das neue Versammlungsgesetz: 29. 11 Demonstrationen gegen das neue Versammlungsgesetz: 29.11.2008: Bündnisdemonstration in Mannheim www.akantifa-mannheim.de 06.12.2008: Großdemonstration in Stuttgart www.aabw.antifa.net 13.12.2008: Unangemeldete Demonstration in Freiburg www.kts-freiburg.org/weihnachtsmarkt