(MR Dr. Bernd Bösert, Bundesministerium der Justiz)

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(MR Dr. Bernd Bösert, Bundesministerium der Justiz) Bericht aus Berlin (MR Dr. Bernd Bösert, Bundesministerium der Justiz) A. Sicherungsverwahrung/ThUG B. Elektronische Aufenthaltsüberwachung (FA) Einschränkung Kronzeugenregelung Ausblick

A. Sicherungsverwahrung/ThUG Rückblick (EGMR-Urteil 2009, SV-Neuordnung 2010) Urteil des BVerfG vom 4. Mai 2011 Regierungsentwurf vom 7. März 2012 Gesetzgebungsverfahren Übergangsregelung ThUG (Artikel 316e Abs. 4 EGStGB) Umsetzung in den Ländern Analoge Anwendung SV-Vorgaben bei lebenslanger FS nach Schuldausgleich?

Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 (19359/04) Rückblick: Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 (19359/04) Beschwerdegegenstand: Rückwirkende Aufhebung der Vollstreckungshöchstfrist Tenor: Verletzung von Art. 5 I 2 lit. a (Recht auf Freiheit) und Art. 7 I 2 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) Begründung: Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch rückwirkende Gesetzesanwendung (Art. 5 EMRK); SV als „Strafe“ – insbesondere wegen ihrer tatsächlichen Ausgestaltung (Art. 7 EMRK) Unanfechtbarkeit: 10. Mai 2010

Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300; ursprünglicher Anlass: Koalitionsvertrag): Konsolidierung der primären SV (Einengung Vor- und Anlasstaten, Klarstellung Prognosezeitpunkt, Verlängerung Rückfallverjährungsfrist) Ausbau der vorbehaltenen SV (Ersttäterregelung, Anordnung bis Vollzugsende, auch bei Aussetzung) Aufhebung der nachträglichen SV nach Strafhaft für Neufälle Stärkung der Führungsaufsicht (insbes. Einführung elektronische Aufenthaltsüberwachung) Einführung eines Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) (für EGMR-Rückwirkungsaltfälle: 10-Jahresfrist + nachträgliche SV)

II. Urteil des BVerfG vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u. a.): Beschwerdegegenstand: Rückwirkende Aufhebung der Vollstreckungshöchstfrist; nachträgliche SV Tenor: Alle Regelungen über die Anordnung und Dauer der SV sind mit dem Grundgesetz unvereinbar Begründung: Verstoß gegen das (vollzugliche) Abstandsgebot und bei „Vertrauensschutzfällen“ (= Beschwerdegegenstand) zusätzlicher Verstoß gegen das Vertrauensschutzgebot Umsetzung: Anwendbarkeit des bisherigen Rechts bis zum 31. Mai 2013 bei Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen

Übergangsanordnung des BVerfG: Verstoß nur gegen das Abstandsgebot Strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung, in der Regel Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten Abzuleiten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen (bedeutet nach BGH-Rspr. in beiden Punkten erhöhte Anforderungen gegenüber ansonsten geltendem Maßstab) Verstoß auch gegen das Vertrauensschutzgebot Hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten Abzuleiten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten Psychische Störung im Sinne von § 1 I Nr. 1 ThUG

Aufträge an Judikative und Legislative: Judikative: Unverzügliche Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Fortdauer der SV in den Vertrauensschutzfällen, ggf. Freilassung spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 Legislative: Normierung eines freiheitsorientierten und therapie- gerichteten Gesamtkonzepts der SV unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen („sieben Gebote“) bis zum 31. Mai 2013

Adressaten des Gesetzgebungsauftrags: Bundesgesetzgeber: Vorgabe der „wesentlichen Leitlinien“ für die Ausgestaltung der SV (vollzugsrechtliche Rahmenkompetenz des Bundes?) Sicherstellung, dass konzeptionelle Ausrichtung nicht durch Landesrecht unterlaufen werden kann Mittelbar / de facto: Zukünftiger Umgang mit „Vertrauens-schutzfällen“ Landesgesetzgeber: das Abstandsgebot sichernde, effektive Regelungen für den Vollzug der SV, die in der Praxis nicht durch Gewährung zu weiter Spielräume umgangen werden können

Freiheitsstrafe Dauer Einschub: Alternative zur SV - Längere Freiheitsstrafen? Anzahl der Gefangenen nach Länge der verhängten Freiheitsstrafe (Auszug aus der Europaratsstatistik SPACE I für 2010) Land Freiheitsstrafe Dauer Summe 10-20 J. >20 J. lebenslang DE 842 n. a. 2.048 2.890 FR 6.167 1.778 513 8.458 IT 4.062 1.755 1.500 7.317 UK 4.948 342 8.456 13.746 + Indeterminate Public Protection Sentence: 5.659 19.405 Quelle: Aebi/Delgrande Council of Europe Annual Penal Statistics – SPACE I (Erhebung für 2010), 2012, Tabelle 8, S. 95 f.

III. Regierungsentwurf vom 7. März 2012 (BT-Drs. 17/9874) Hauptinhalt: Umsetzung der “wesentlichen Leitlinien” zum Abstandsgebot (“sieben Gebote”) und deren Absicherung Regelung Vertrauensschutzfälle

Die „sieben Gebote“ – Ultima-Ratio-Prinzip: Inhalt SV als letztes Mittel (gilt neben Anordnung gerade auch für Vollzug) Gefährlichkeitsmindernde Maßnahmen (insbesondere Behandlung) schon im vorhergehenden Strafvollzug Abschluss möglichst vor dem Strafende Umsetzung § 66c II, § 67a II 2, § 67c I 1 Nr. 2 StGB-E § 463 III 3 StPO-E, § 119a StVollzG-E

Die „sieben Gebote“ – Individualisierungs- und Intensivierungsgebot: Inhalt Umfassende Behandlungsuntersuchung spätestens zu Beginn des Vollzugs Erstellung eines Vollzugsplans und regelmäßige Fortschreibung Kern: Individuelle und intensive Betreuungs- und Behandlungsangebote (ggf. Entwicklung individuell zugeschnittener Therapieangebote) Umsetzung § 66c I Nr. 1, § 67d II 2StGB-E

Die „sieben Gebote“ – Motivierungsgebot: Inhalt Gezielte Motivationsarbeit Ggf. Anreizsystem: „Vergünstigungen oder Freiheiten“ für aktive Mitarbeit Umsetzung § 66c I Nr. 1 StGB-E

Die „sieben Gebote“ – Trennungsgebot: Inhalt Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens mit deutlichem Abstand zum „regulären“ Strafvollzug (wobei Vollzugrahmen auch den Betreuungserfordernissen entsprechen muss) Anpassung an die allgemeinen Lebensverhältnisse, soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen Getrennte Unterbringung in besonderen Gebäuden oder Abteilungen, keine vollständige räumliche Ablösung vom Strafvollzug Umsetzung § 66c I Nr. 2 StGB-E

Die „sieben Gebote“ – Minimierungsgebot: Inhalt (stärkere) Gewährung von Vollzugslockerungen zum Zwecke der Erprobung Entlassungsvorbereitung – Verzahnung mit planmäßigen Hilfen für die Phase nach der Entlassung Umsetzung § 66c I Nr. 3 StGB-E

Die „sieben Gebote“ – Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot: Inhalt Effektiv durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Durchführung gefährlichkeitsmindernder Maßnahmen Beiordnung eines geeigneten Beistands Umsetzung § 463 III 5, VIII StPO-E § 109 III, § 119a, § 120 I StVollzG-E

Die „sieben Gebote“ – Kontrollgebot: Inhalt Mindestens jährliche gerichtliche Überprüfung der Fortdauer der SV, erforderlichenfalls unverzüglich Prüfung von Amts wegen Intensivierung der Kontrolle mit zunehmender Dauer des Vollzugs Umsetzung § 67e II StGB-E

Regelung „Vertrauensschutzfälle“ + weitere Änderungen: Neufälle (letzte Anlasstat nach dem 31. Mai 2013): Im JGG Wegfall der nachträglichen SV nach Jugend-/Freiheitsstrafe (und Ersatz durch Vorbehalt); im Allgemeinen Strafrecht bleibt es bei dem 2010 beschlossenen Wegfall der nach-träglichen SV nach Strafhaft (Artikel 316f Abs. 1 EGStGB-E) Altfälle (letzte Anlasstat vor dem 1. Juni 2013): Bisheriges Recht anwendbar mit Fortschreibung der Übergangs-anordnung des BVerfG (Artikel 316f Abs. 2 EGStGB-E) Weitere Änderungen: Vorschriften zur Umsetzung des Abstandsgebots auch auf Altfälle anwendbar (Artikel 316f Abs. 3 EGStGB-E): Vollzug der Therapieunterbringung grundsätzlich auch in den neuen SV-Einrichtungen möglich (§ 2 II ThUG-E)

IV. Gesetzgebungsverfahren: Nach 1. DG BR am 11. Mai 2012 erfolgte am 27. Juni 2012 Sachverständigenanhörung im BT-RA: Weitestgehend positive Bewertung des RegE, insbesondere zur Umsetzung des Abstandsgebots. Kleinere Einwände des BR: Umbenennung, Überprüfungsfrist nach 10 Jahren SV-Vollzug; SV-Vollzug im psychiatrischen Krankenhaus) Hauptstreitpunkt: (Wieder-) Einführung einer nachträglichen Unterbringungsmöglichkeit von erst in der Haft und infolge einer psychischen Störung gefährlich gewordenen Tätern? (Vorschlag BR: nachträgliche Therapieunterbringung). Ergebnis: Vorschlag wurde nicht aufgegriffen.

Gesetzgebungsverfahren (Fortsetzung) Kleine Änderungen (BT-RA-Beschluss BT-Drs. 17/11388): Verlängerung Überprüfungsfrist nach 10 Jahren SV-Vollzug von 6 auf 9 Monate Klarstellung in Artikel 316f Abs. 1, 2 EGStGB, dass auch das unveränderte, vom BVerfG für mit dem GG unvereinbar erklärte SV-Recht ab 1. Juni 2013 weiter gilt. Klarstellung im BT-RA-Bericht, dass nach Artikel 316f Abs. 2 Satz 2 hohe Vertrauensschutzanforderungen auch für „Altfälle“ der nachträglichen SV nach Psychiatrieunterbringung gelten (= Vorwegnahme des Beschlusses des BVerfG vom 6. Februar 2013 - 2 BvR 2122/11 und 2 BvR 2705/11) 2./3. Lesung BT am 8. Nov. 2012, 2. DG BR am 23. Nov. 2012, Verkündung am 11. Dez. 2012, Inkrafttreten am 1. Juni 2013.

Von SV in psychiatrisches Krankenhaus Exkurs: Überweisungen aus dem Vollzug der SV in den Vollzug nach §§ 63, 64 und zurück (innerhalb Jahresfrist zum Stichtag 31. März 2011; Auszug aus bundesweiter Erhebung des Justizministeriums Niedersachsen) Von SV in psychiatrisches Krankenhaus Von psychiatrischem Krankenhaus zurück in SV Netto 10 7 3 Von SV in Entziehungsanstalt Von Entziehungsanstalt zurück in SV 2 1 Summe 4 Vergleich: Am 31. März 2011 regulär nach §§ 63 und 64 StGB Untergebrachte (ohne einstweilige Unterbringungen und ohne BB, SN, ST, TH): 10.201(0.04%) Quelle: Bericht über die 3. Erhebung zur länderübergreifenden Bestandsaufnahme der Situation des Vollzugs der Sicherungsverwahrung, Erhebung zum Stichtag 31.03.2011; Niedersächsisches Justizministerium; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 4.1., 2011, Tabelle 6.

V. Übergangsregelung ThUG (Artikel 316e Abs. 4 EGStGB) Zugeständnis im 2. DG BR an Länder (insbes. SL): Übergangsregelung für das ThUG in Artikel 316e Abs. 4 EGStGB (eingeführt durch das am 28. Dez. 2012 in Kraft getretene 2. Gesetz zur Änderung des EGStGB). Grundgedanke: Die bis zum BVerfG-Urteil vom 4. Mai 2011 divergierende obergerichtliche Rechtsprechung zur Bindungswirkung der EMRK soll nicht dazu führen, dass Personen weder (nachträglich) in SV noch nach ThUG untergebracht werden können, obwohl bei ihnen die hohen Voraussetzungen des BVerfG für Vertrauensschutzfälle (hochgradige Gefährlichkeit + psychische Störung) erfüllt sind. Einzelfallgesetz? (insgesamt 12 Gesetzeskonstellationen mit „rückwirkender“ Rechtsanwendung, bei denen bei SV-Anordnung Vertrauensschutzfälle auftreten konnten). 2 Verfassungsbeschwerden zum SL-Fall beim BVerfG anhängig (2 BvR 2302/11 und 2 BvR 1279/12 bezogen auf die einstweilige und Hauptascheunterbringung und deren Bestätigungen vom Sept. 2011 bzw. Mai/Februar 2012). Artikel 316e Absatz4 EGStGB lautet: „(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.“

VI. Umsetzung in den Ländern Landesvollzugsgesetze sind (u. a. BE, HE, NI) oder werden gerade verabschiedet bzw. verkündet. Praktische Umsetzung, insbesondere bauliche Maßnahmen: Länder haben sich teils für Neubau-, (z. B. BB, BY, NI, NW, RP) teils für Umbaumaßnahmen (z. B. BW, HE, SN) entschieden. Soweit keine Fertigstellung bis zum 1. Juni 2013 gelingt, sind Übergangsmaßnahmen geplant.

VII. Analoge Anwendung SV-Vorgaben bei lebenslanger FS, wenn Vollzug nach „Schuldausgleich“ erfolgt? LG Marburg vom 10. November 2011 (7 StVK 305/11): Ja, weil Vollzug jedenfalls dann, wenn er wg. der besonderen Schwere der Schuld nicht mehr geboten ist, nur noch der Prävention dient und somit ebenfalls ein Sonderopfer darstellt (bzw. Verhältnismäßgikeit Gleichbehandlung gebietet). Überwiegende Auffassung der Landesjustizverwaltungen: Nein, da auch in diesem Fall lebenslange Freiheitsstrafe insgesamt (schuldangemessene) “Strafe” bleibt (im Ergebnis ebenso Bartsch/Kreuzer StV 2012, 674 f.).

B. Elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht Eingeführt mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen zum 1. Januar 2011. Rechtsgrundlage: § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12, S. 3 StGB, § 463a Abs. 4 StPO. Strafbewehrte Weisung Zweck: Überwachung gefährlicher entlassener Straftäter

Anordnungsvoraussetzungen: Führungsaufsicht aufgrund einer vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder aufgrund einer erledigten Maßregel Straftatkatalog nach § 66 Abs. 3 S. 1 StGB (im Wesentlichen wegen einer schweren Sexual- oder Gewaltstraftat) Gefahr weiterer Straftaten dieser Art Erforderlichkeit zum Abhalten weiterer Straftaten

Durchführung, § 463a Abs. 4 StPO Automatische Erhebung und Speicherung von Daten bezüglich Aufenthaltsort und Beeinträchtigungen der Datenerhebung Verwendung der Daten nur bei: Feststellung und Ahndung eines Weisungsverstoßes sowie das Ergreifen von Maßnahmen danach, Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung oder Verfolgung von in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten schweren Straftaten Sonst: Löschen der unbesehenen Daten nach 2 Monaten, also keine (Online-) „Rundum“-Überwachung Praktische Umsetzung: Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle (GÜL) in Wiesbaden (bis Ende März 2013 wurden 42 Probanden überwacht, generell arbeite GÜL gut und liefen die Überwachungssysteme sehr stabil)

C. Einschränkung Kronzeugenregelung § 46b StGB wurde zum 1. Sept. 2009 als erste “allgemeine Kronzeugenregelung” eingeführt. Hauptkritikpunkt: “Kronzeugenrabatt” auch für die Aufklärung/Verhinderung einer Tat, die mit der eigener Tat nichts zu tun hat (Bedenken insbes. im Hinblick auf Schuldangemessenheit der gemilderten Strafe) Entsprechend Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 erfolgt nun Einschränkung auf Angaben zu solchen Taten, die mit eigener Tat im Zusammenhang stehen. Verkündungsverfahren läuft, in Kraft treten wohl 1. August 2013. § 46b StGB wird vom BVerfG-Urteil vom 19. März 2013 (2 BvR 2628/10 u. a.) zur Verständigiung im Strafverfahren nicht berührt.

D. Ausblick Rechtstatsächliche Evaluation der Führungsaufsicht, insbesondere der Reform von 2007, aber auch der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (bis Ende 2013 bzw. – eAÜ – Ende 2014). Umsetzung BVerfG-Urteil vom 27. März 2012 (2 BvR 2258/09), wonach die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel ausnahmsweise (nämlich in Härtefällen) auch auf eine verfahrensfremde Freiheitsstrafe angerechnet werden muss.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!