Erich Fromm – Haben oder Sein

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 Präsentation transkript:

Erich Fromm – Haben oder Sein Henning Kurz

„Der Unterschied zwischen Sein und Haben entspricht dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die zum Mittelpunkt Personen hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht.“ (Erich Fromm) Als Erich Fromm 1976 sein Werk „Haben oder Sein“ veröf-fentlichte, wurde es schnell zu einem Bestseller. Ist es ihm doch gelungen, in einer verständlichen, aber trotzdem differenzierten und anspruchsvollen Gesellschaftsanalyse das Unbehagen Vieler zu artikulieren. Die postmoderne Konsumreligion predigt gebetsmühlenartig, dass Konsum glücklich mache. Erich Fromm entlarvt diese Illusion und entwickelt die Vision einer Gesellschaft, in deren Zentrum nicht mehr das Haben steht. Seine Ideen sind immer noch revolutionär und aktuell, was z.B. die Diskussion über das bereits von Fromm geforderte garantierte Grundeinkommen zeigt.

Fromm: Leben und Werk „Ich wurde geboren als einziges Kind – was schon ganz schlimm ist – von zwei sehr neurotischen Eltern, überängstlichen Eltern aus einer sehr orthodox jüdischen Familie auf beiden Seiten mit Traditionen von Rabbinern“ (Erich Fromm)

Fromm: Leben und Werk 1900: Geb. in Frankfurt/M. als einziger Sohn orthodox- jüdischer Eltern 1919: Studium der Soziologie, Psychologie und Philosophie 1926: Abkehr vom orthodoxen Judentum 1930: Mitglied des Instituts für Sozialforschung („Frankfurter Schule“) 1934: Emigration in die USA 1941: „Die Furcht vor der Freiheit“ 1947: „Psychoanalyse und Ethik“ 1956: „Die Kunst des Liebens“ 1973: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ 1976: „Haben oder Sein“ 1980: Gestorben in Locarno

Freud (Psychoanalyse): Fromms Ansatz: Analytische Sozialpsychologie Marx (Soziologie): Der Mensch als Gesellschaftswesen Freud (Psychoanalyse): Der Mensch als Individuum Psychoanalytischer Ansatz: Neoanalyse (Humanistische Psychologie)

Ökonomische Rahmenbedingungen Gesellschaftscharakter Individuum Gesellschaftscharakter (Summe der für die Menschen einer Gesellschaft typischen Charakterzüge) Werte, Ideale

Entfremdung Von der Arbeit Von der Natur Von anderen Menschen Von sich selbst

Fromms Menschenbild (Kennzeichen des unneurotischen, reifen Menschen) Fähigkeit, in liebender Weise auf andere bezogen zu sein Autonomie Selbsterkenntnis Ambivalentes Selbsterleben Ambivalentes Wirklichkeitserleben Realitätssinn Nach Rainer Funk: Die Aktualität Fromms, 2009.

Adäquate Selbsteinschätzung Neurotische Haltung zum eigenen Selbst Selbstlosigkeit Selbstliebe Selbstsucht Minderwertigkeitskomplex „Gotteskomplex“ (Größenwahn) Adäquate Selbsteinschätzung

Das Individuum zwischen Biophilie und Nekrophilie Wachstumssyndrom Progressions-ebenen Unabhängigkeit, Freiheit Biophilie Liebe zum Nächsten, Fremden, Natur „Normal“ Narzissmus Regressions-ebenen Nekrophilie, analer Charakter Inzestiöse Symbiose, Mutterbindung Verfallssyndrom Erich Fromm: Die Seele des Menschen

Die Furcht vor der Freiheit Industriegesellschaft Agrargesellschaft Industriegesellschaft Minimale Freiheit - Maximale Sicherheit Maximale Freiheit – Minimale Sicherheit Lokale, religiöse und soziale Verwurzelung stiftet Identität Lokale, religiöse und soziale Entwurzelung führt zur Identitätskrise Ich weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre Wer bin ich?

Der gesellschaftliche Kontext „Die Grenzen des Wachstums“ (Club Of Rome, 1973) Ökologische Bewegung 1976: „Haben oder Sein“. Der gesellschaftliche Kontext Friedensbewegung Frauenbewegung

Ausgangsthese: Das Ende einer Illusion „Leben erst alle in Reichtum und Komfort, dann, so nahm man an, werde jedermann schrankenlos glücklich sein“ (S. 13) Die Notwendigkeit einer radikalen seelischen Veränderung

Historische Belege für die Existenzweise des Seins Dichtung, Religion Philosophie belegen seit Jahrtausenden, dass die Existenzweise des Habens destruktiv ist.

Der Haben-Modus „In dieser Existenzweise zählt einzig und allein die Aneignung und das uneingeschränkte Recht, das Erworbene zu behalten. Die Haben-Orientierung schließt andere aus (…) Sie verwandelt all und alles in tote, meiner Macht unterworfene Objekte“ (79).

Die Existenzweise des Seins Voraussetzungen: Unabhängigkeit, Freiheit, kritische Vernunft Der Mensch als Subjekt, das aktiv, produktiv, kreativ, achtsam, dynamisch und solidarisch sein Dasein gestaltet.

Der neue Mensch und die neue Gesellschaft: Zentrale Thesen „Der erste entscheidende Schritt auf dieses Ziel hin ist die Ausrichtung der Produktion auf einen ‚gesunden und vernünftigen Konsum‘“ (169) Entscheidungsträger dürfen nicht ausschließlich vom Profitdenken geleitet werden Mitbestimmungsdemokratie Dezentralisierung von Wirtschaft und Politik Humanistisches statt bürokratisches Management „In der kommerziellen und politischen Werbung sind alle Methoden der Gehirnwäsche zu verbieten“ (179) „Die Kluft zwischen reichen und armen Nationen muss geschlossen werden“ (180) „Viele Übel der heutigen kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaften wären durch die Garantie eines jährlichen Mindesteinkommens zu beseitigen“ (181) „Die Frauen sind von der patriarchalischen Herrschaft zu befreien“ (182) „Ein wirksames System zur Verbreitung von objektiven Informationen ist zu etablieren“ (185) …

Zeitgeist: Die postmoderne Konsumreligion „Die Industriegesellschaft kümmert sich gar nicht mehr um den Menschen. Sie kümmert sich nur um eines: wie viel produziert wird. Der Mensch ist nur noch ein Instrument, um mehr und mehr zu produzieren und zu konsumieren. Mit anderen Worten: Damit wir eine gesunde Wirtschaft haben, brauchen wir einen kranken Menschen.“ Entfremdung Das Dogma der Konsumgesellschaft lautet: „Du bist nichts – konsumiere und du wirst glücklich sein“. „Der Mensch fühlt sich leer, und um diese Leere gleichsam symbolisch auszufüllen, füllt er sich mit Dingen an, die von außen kommen.“ „Die Normalsten sind die Kränkesten und die Kranken sind die Gesunden.“

Die existentielle Verunsicherung des postmodernen Marketingcharakters Neurotische Lösung des Konflikts (regressiver Eskapismus) Haben Haben Flucht ins Autoritäre: Fundamentalismus, Populismus Flucht in inszenierte Realitäten: Hedonismus Verunsicherung (Kollaps der klassischen Koordinatensysteme) Sein Produktive Lösung: „Realitätsprinzip“ (Freud): Ontologische Unsicherheit aushalten (Ambiguitätstoleranz)

Zynismus, Nihilismus, Defätismus Die Existenzweise des Seins immunisiert gegen Hedonismus Askese, Rigorismus Idealismus, Fundamentalismus, Fanatismus, Populismus

Die Aktualität von Fromms Werk: Indikatoren für die Haben-Orientierung Das Marketing als alles durchdringendes Strukturprinzip Das Habenwollen tritt an die Stelle des Seinwollens Die Bevorzugung inszenierter Wirklichkeit – die Eventgesellschaft Kollektive narzisstische Größenphantasien und die Ächtung des Schwachen Die Faszination für das Leblose und Dingliche Der „Beschleunigungstotalitarismus“ (Hartmut Rosa) Rainer Funk, 2000

Zur Aktualität Fromms: Indikatoren für die Sein-Orientierung Bewusstseinsveränderung bzgl. ökologischer Fragen (z.B. Klimawandel, Landwirtschaft, Konsum) Neue Formen des Bauens und Wohnens (genossenschaftlich, generationsübergreifend) Neues Verständnis von Arbeit/Wirtschaft (Life-Work-Balance, Kooperativen) Freiwilligenarbeit/Bürgerschaftliches Engagement Diskussion um garantiertes Grundeinkommen Konsumkritischer Minimalismus als Lebensstil Postwachstumsökonomie Sharing Economy

Lektüre- und Linktipps Die Furcht vor der Freiheit (1941) Psychoanalyse und Ethik (1947) Psychoanalyse und Religion (1950) Wege aus einer kranken Gesellschaft (1955) Die Kunst des Liebens (1956) Anatomie der menschlichen Destruktivität (1973) Haben oder Sein (1976) www.erich-fromm.de www.fromm-gesellschaft.de

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!