Vorlesung SS 2010, Med. Uni. Wien Michael Bach

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

Der klinische Psychologe
Psychologie des Lernens
Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie
bei nahestehenden Menschen
Landessportbund Berlin e. V.
Erwerb von sozialer Kompetenz
Wirkungen von Mediengewalt
III. Themen der Sozialpsychologie (2): Emotionen und Stimmungen
Gesundheitstraining – Rückenschule
Vermeidung und erlernte Hilflosigkeit
Modellierungsmethoden in der Verhaltenstherapie
Klinische Bedeutung somatoformer Störungen
Tagung in den Bliestal Kliniken
Schmerzempfinden und Ionenkanäle
Erfahrungsbericht EX-IN-Praktikum auf einer Beschützten Akutstation
Curriculäre Fort- und Weiterbildung psychosomatische Grundversorgung
Psychotherapie Affektiver Störungen Neue Erkenntnisse und Strategien
Heinz Rüddel, Bad Kreuznach
TEP FIT Computergestütztes Endoprothesen Trainingsprogramm © PhysioNetzwerk 2009 Programm Therapeuten Ärzte Philosophie Das System Das Training Versicherung.
Wirksamkeit der NADA-Ohrakupunktur bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen im ambulanten Bereich Euro-NADA Konferenz 2013.
Dissoziation: Definition
Stress-Burnout-Depression
Psychoedukation Dr. Katja Salkow Bipolar-Tagesklinik am Vivantes Humboldt-Klinikum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Leiter:
Klinikabend am Donnerstag, den um Uhr c.t.
Patienten sind Menschen. Die Krankheit ist Teil ihrer Biografie
Depression kann jeden treffen- Burnout nur die Tüchtigen?
Bewegung, Spiel und Sport als therapeutische Methode
 Videoverweis: Referat Trauma  Videoverweis:
WECHSELWIRKUNG GYNÄKOLOGISCHER SYMPTOME UND WEIBLICHER SEXUALITÄT
„lack of personality integration“
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Krisenmanagement im schulischen Kontext
KONFLIKTE UND STRESS Was ist „Stress“? Stressoren Coping
Psychosen By Kevin und Oliver.
Schritte im Prozess der Betreuung in der hausärztlichen Praxis
Schmerzaspekte aus psychosozialer Sicht
Marianne Truxa Psychologische Psychotherapeutin
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
Wie häufig ist ADHS?.
Die Zielsetzung der Psychotherapie
3. Vorlesung: Neurosenlehre
5. Vorlesung Affektive Störungen
Prüfungskonsultation
geistig behinderter Erwachsener
Von kranken Gesunden und gesunden Kranken
Suche nach Hilfe.
Kopfschmerz und Psyche
COMPLEX REGIONAL PAIN SYNDROME
11. Vorlesung Neurosenlehre II.
Schmerzdefinition und Schmerzbewertung Therapie mit Analgetika Referent und Kontakt: Universitätsklinik für Anästhesiologie.
Motivierende Gesprächsführung
Verhaltensmedizinische Grundlagen chronischer Schmerzen
Welche Bedeutung hat das Ernährungsverhalten?
Die neue S3-Leitlinie Depression Antidepressiva Suizidalität
Es gibt nichts Gutes außer man tut es!
Medizinische Schule Cottbus K13/H3 Jenna, Christin, Anne, Oliver
Einsamkeit aus hausärztlicher Sicht
Bestrafung und Löschung
Sozialpsychologie & Verhaltenstherapie
Dissoziative Störungen, Konversionsstörungen
18. Mai 2015 Dr. med. Cyrill Jeger-Liu, Olten
Gesundheitliche Folgen von h ä uslicher Gewalt. Was interessiert wen? Beispiel ÄrztInnen  22% aller Frauen erleiden im Laufe ihres Lebens Gewalt in einer.
Möglichkeiten und Grenzen der Palliativmedizin Tagung „Aus Mitleid zum Sterben helfen?“ Tutzing Dr. Claudia Bausewein Interdisziplinäre Palliativmedizinische.
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
Schmerz – eine Herausforderung für die Therapie Workshop Medikamentöse Schmerztherapie Evangelische Akademie Tutzing 3./4. März 2006 Eva Winter Krankenhaus.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
01 Grundlagen der Psychiatrie
Landestagung der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork 2016
Universität Freiburg, WS 2016
 Präsentation transkript:

Chronischer Schmerz aus psychiatrischer Sicht: Konzepte, Diagnostik, Therapie Vorlesung SS 2010, Med. Uni. Wien Michael Bach Abteilung für Psychiatrie Steyr und Department für Psychosomatik Enns A-4400 Steyr, Sierninger Strasse 170 Email: michael.bach@gespag.at

Definition von Schmerz Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. Merskey & Spear 1979 IASP = International Association For The Study Of Pain MB

Gate Control Theory Motorik Input T Zentrale Kontrollprozesse Motivierend-affektives System (zentrale Kontrolle der Intensität) Motorik Dünne Fasern „Gate-Control“- System Sensorisch-diskriminatives System (räumlich-zeitliche Analyse) Input T Dicke Fasern Nach: Melzack & Wall 1965 MB

CNS Structures Involved in Processing Pain PAG, periaqueductal grey; PB, parabrachial nucleus of the dorsolateral pons; Vmpo, ventromedial part of the posterior nuclear complex; MDvc, ventrocaudal part of the medial dorsal nucleus;VPL, ventroposterior lateral nucleus; ACC, anterior cingulate cortex; PCC, posterior cingulate cortex; HY, hypothalamus; S1 and S2 , first and second somatosensory cortical areas; PPC, posterior parietal complex; SMA, supplementary motor area; AMYG, amygdala; PF, prefrontal cortex. MB

Globus pallidus / Substantia nigra Sensorisches/ Viszerales System Neuronales Netzwerk der Emotionsverarbeitung Präfrontaler Cortex Striatum Globus pallidus / Substantia nigra Thalamus Vorderer Gyrus Cinguli: Sensorische Stimuli Viszerale Stimuli Amygdala Sensorisches/ Viszerales System Motorisches System Hypothalamus Hippokampus MB

Bio-psycho-soziales Modell Biologische Ebene Somatische Beschwerden Psycho- Soziale Ebene MB

Diathese-Stress-Modell Bio-psycho-soziales Diathese-Stress-Modell Aufrechterhal- tende Faktoren Prädisponier- ende Faktoren Auslösende Faktoren B i o l o g i s c h e E b e n e Vulnerabilität/ Diathese Akute Beschwerden/ Störung/KH Chronische Beschwerden/ Störung/KH P s y c h o s o z i a l e E b e n e Prädisponier- ende Faktoren Auslösende Faktoren Aufrechterhal- tende Faktoren MB

Kognitiv-Behaviorales Modell Auslöser - Körperliche Schädigung - Psychosoziale Belastung Symptome Wahrnehmung - Aufmerksamkeits-fokussierung (checking behavior) Körp. Reaktion - Erregung/arousal - Spannung/ Tonus - Schonhaltung Gefühle - Angst/ausgeliefert - Depressiv/hilflos - Aggressivität Bewertung - Bedrohung/Gefahr - Unerträglich - Unkontrollierbar MB

Interpersonelles (operantes) Modell Operante Verstärkung - positive Verstärkung (z.B. Zuwendung) - negativer Verstärkung (z.B. Arbeitsausfall) - Löschung durch Wegfall pos. Konsequenzen (z.B. mangelnde Motivationsarbeit) Symptome Körp. Reaktion Wahrnehmung Inanspruch- nahmeverh. Gefühle Bewertung Sozialer Rückzug Schmerz- ausdruck MB

DD: Somatoforme Störungen - Diagnostische Subgruppen Schmerzen > 6 Mo ohne ausreichendes organisches Korrelat Anhalt. Somatoforme Schmerzstörung Undifferenzierte Somatof. Störung Spezielle Sympt.Muster Mit anderen Somat.Sympt. Somatisierungs-störung KonversionsstörungDissoziative Störung Somatof. Autonome Funktionsstörung Hypochondrie Neurasthenie Sexuelle Funk.störung MB

DD: Somatoforme Störungen - Andere Störungen Körperl. Beschwerden > 6 Mo ohne ausreich. organisches Korrelat Somatoforme Störung Affektive Störungen Mit depr./ Angst-Sympt. Angststörungen Sympt. absichtl. hervorgerufen Anpassungsstörung Psychotische Symptome Schizophrenie Simulation Wahnhafte Störung Vorgetäuschte Störung MB

WHO-Stufenschema der medikamentösen Schmerztherapie 3. Stark Wirksame Opioid-Analgetika 2. Schwach Wirksame Opioid-Analgetika 1. Periphere Analgetika (Non-Opioide) Adjuvantien (Co-Analgetika): Antidepressiva, Antikonvulsiva, Corticosteroide, Spasmolytika, Antioxidantien, .... MB

Angriffspunkte der Medikamente Antikonvulsiva Antidepressiva Zentrale Analgetika - Opioide Periphere Analgetika - Non-Opioide MB

Angriffspunkte der Antidepressiva Wirkungs- verstärkung durch Reuptake- Hemmung 2 2 5-HT NA Antagonisierung der NMDA- Rezeptoren - - - - - - - - - AMPA-Rez. Glu/ SP NMDA-Rez.  Neuronale Sensibilisierung - Endorphin-Rez. NK-1-Rez.  Neuronale Sensibilisierung Aktivierung der opioid-induzierten Antinozizeption 1. Neuron 2. Neuron MB

Schmerzschwellen Toleranzbreite nach: Scholz 1994 52 50 48 46 44 42 40 38 Toleranzbreite Schmerztoleranzschwelle Interventionsschwelle Schmerz(wahrnehmungs)schwelle Aversionsschwelle Zeit in Sekunden MB

Behandlungseffekte von Medikamenten nach: Grunbaum 1986 (Erwünschte) Effekte auf die Zielsymptomatik (Unerwünschte) Effekte auf andere Bereiche Therapieeffekte/ Aktive Wirkungen Nebenwirkungen Spezifische Effekte Placebo- Effekte Nocebo-Effekte Unspezifische Effekte MB

Psychosomat. Behandlung – 3 Stufen somatische Tagesklinik/ Station Multimodale Psychosomatische Therapie 3. Psychosomatik- Akutstation bzw. Fach- Schwerpunkt Störungsbezogene Behandlung und Krankheitsbewältigung 2. Konsiliar- Liaison-Dienst, Ambulanz Kontaktaufnahme: Information/Motivation/Arbeitshaltung 1. MB

Stadien der Einstellungs- und Verhaltensänderung: Transtheoretisches Modell (TTM) Einstellung/Verhalten 6. Stabilität (Termination) 7. Rückfall (Relapse) 5. Aufrecht-erhaltung (Maintenance) 2. Bewußt- werdung (Con-templation) 1. Sorglosigkeit (Pre- contemplation) 4. Handlung (Action) Verhalten 3. Vorbereitung (Preparation) Einstellung Prohaska & DiClemente 1983 MB

Somatoforme Schmerzstörung: Therapeutisches Prozessmodell Informations- vermittlung, Aufbau von Fertig- keiten (Skills) Psychoedukation Wahrnehmungsschulung Kog- nitive Therapie, Erlebnis- aktivierung, Konflikt- Zentrierung Symptomkontrolle und -reduktion Kognitiv-emotionale Reintegration Neuorientierung in Beziehungen Zunehmende Erlebnisaktivierung und Gruppeninteraktion MB

Dept. f. Psychosomatik Enns: Therapieplan Therapieangebote h/ Wo Orient.phase (1-2 Wo) Vertiefungsphase (4-6 Wochen) Basis-Gr. (Morgenrunde) Schmerzbewältigungs-Gr. Entspannungs-Gruppe Fertigkeiten-Gruppe Sport-/Bewegungsth.-Gr. Bezugstherapeut Einzel Bezugspflege Einzel Med. Sprechstunde/Visite Therapievertiefung–Gr.* Therapievertiefung-Einzel 2.5 3.0 2.0 1.5 0.5 Therapieeinheiten/Wo 13.0-21.5 21.5 21.5 21.5 21.5 21.5 * Körperwahrnehmung, Bewegungstherapie, Ergotherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie MB

Psychosomatik Stat. 2 – Wochenplan Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag 07.30-08.00 Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde Morgenrunde 08.00-08.30 Team Morgenrunde Team Morgenrunde Team Team Morgenrunde Team Morgenrunde 08.30-09.00 Schmerz- prot.Gr. Musik- Erleben 2 (Orient.) Frei- Zeit- Gr. 09.00-09.30 09.30-10.00 Sportth. Körperw. Sportth. Körperw. Sportth. Körperw. 10.00-10.30 10.30-11.00 Team- Fortbildung Somati- sierungs- Gruppe Kreativ- Gr. 1 Kreativ- Gr. (Orient.) Interdisz. Team-Besprech. 2 Somati- sierungs- Gruppe Kreativ- Gr. 1 11.00-11.30 Sozial- Info-Gr. 11.30-12.00 12.00-12.30 12.30-13.00 13.00-13.30 Schmerz- Bewältig. Gruppe Kreativ- Gr. 2 Interdisz. Team-Besprech. 1 Musik- Ther. 2 (Vertief.) Körper- Wahr- nehmung (Vertief) Schmerz- Bewältig. Gruppe Kreativ- Gr. 2 Musik- Ther. 2 (Vertief.) Körper- Wahr- nehmung (Vertief) 13.30-14.00 14.00-14.30 14.30-15.00 15.00-15.30 Musik- Ther. 1 (Vertief.) Fertigk. Train. 1 Fertigk. Train. 2 Körper- Wahr- nehmung (Vertief) Musik- Ther. 1 (Vertief.) Fertigk. Train. 1 Fertigk. Train. 2 Körper- Wahr- nehmung (Vertief) 15.30-16.00 16.00-16.30 Stations-Gruppe 16.30-17.00 Entsp. Gr. 1 Entsp. Gr. 2 Entsp. Gr. 1 Entsp. Gr. 2 MB

ÄrztInnen/Psychotherapie PsychologInnen/Psychother. Bezugstherapie und Bezugspflege in der stationären Psychosomatik Abteilungsleiter ÄrztInnen/Psychotherapie Pflegepersonal KonsiliarärztIn ErgotherapeutIn Bezugs- therapeutIn Zuweiser SporttherapeutIn PatientIn MitpatientInnen MusiktherapeutIn Bezugs- pflege PhysiotherapeutIn Angehörige KunsttherapeutIn Kostenträger SozialarbeiterIn PsychologInnen/Psychother. Supervisor MB

Dissoziation: Spaltung als Schutzreflex Anspannung Totstellreflex = Unterbrechung der Körperwahrnehmung und/oder Willkürbewegung ------- “Subjektiver Grenzwert“ ---------------------------------------------------------------- Stressreiz Starke physiologische Erregung mit körperlicher Fehlfunktion („funktionelle“ Beschwerden) „normale“ Stress- Kurve mit körperl. Reaktion Zeit MB

Postulierter Zusammenhang: Schmerz - Inaktivität - Depression Verlust von körperlicher Ausdauer Gefühl der Nutzlosigkeit Schonung Inaktivität Vermindertes Selbstwertgefühl Erhöhte Schmerzanfälligkeit bei Belastung Chronischer Schmerz Depression MB

Symptomtagebuch – Woche 1 Situation Körperl. Beschwerden Reaktion MB

Literaturempfehlungen Bach, M., Aigner, M., Bankier, B. (2001): Schmerzen ohne Ursache – Schmerzen ohne Ende. Konzepte – Diagnostik – Therapie. Facultas Universitätsverlag. Bachmair, S., Faber, J., Hennig, C., Kolb, R. & Willig, W. (1989). Beraten will gelernt sein. Weinheim: Beltz Verlag. Basler, H.D., Kröner-Herwig, B. (1995). Psychologische Therapie bei Kopf- und Rückenschmerzen. Ein Schmerzbewältigungsprogramm zur Gruppen- und Einzeltherapie. Quintessenz-Verlag. Basler, H.D. (2001) Chronische Kopf- und Rückenschmerzen. Psychologisches Trainingsprogramm. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Egle, U.T., Hoffmann, S.O. (1993). Der Schmerzkranke. Grundlagen, Pathogenese, Klinik und Therapie chronischer Schmerzsyndrome aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer-Verlag Gatchel, R.J., Turk, D.C. (1996). Psychological Approaches to Pain Management. A Practitioner‘s Handbook. The Guilford Press. Jacobs, S. & Bosse-Düker, I. (2005). Verhaltenstherapeutische Hypnose bei chronischem Schmerz. Ein Kurzprogramm zur Behandlung chronischerSchmerzen. Hogrefe, Göttingen Mitschka, R. (2000). Sich Auseinander setzen - Miteinander reden. Ein Lern- und Übungsbuch zur professionellen Gesprächsführung. Linz: Veritas Verlag. Nickel, R., Egle, U.T. (1999) Therapie somatoformer Schmerzstörungen. Manual zur psychodynamisch-interaktionellen Gruppentherapie. Schattauer, Stuttgart-New York Pink, R. (2002). Souveräne Gesprächsführung und –moderation. Frankfurt: Campus Verlag. Waddell, G (1998). The Back Pain Revolution. Churchill Livingstone. MB