Methodologie politischer Ideengeschichte: Ideologie und Ideologiekritik 24. November 2009.

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Methodologie politischer Ideengeschichte: Ideologie und Ideologiekritik 24. November 2009

Jürgen Habermas Erweiterung des hermeneutischen Sinnverstehens durch „ideologiekritische“ Komponente Textverstehen – sachlich-historische Klärung der Textbezüge – komplexeres Textverstehen Zeitgebundenheit von Texten Aktualität Ziel: kritische Selbstreflexion

Ideologiekritischer „Zirkel“ außertextlich Zeitkontext der Textentstehung Text Aktualität des Textes

Vorlesungsgliederung Was ist Ideologie? Ideengeschichte des Ideologiebegriffs Ideologiekritik als Methodologie

Was ist Ideologie? Alltagswissen Negative Konnotation: Mischung aus Tatsachen und Wertaussagen, keine wissenschaftliche Objektivität Falsches Bewusstsein Ideen, Überzeugungen einer politischen Gruppierung

Ideengeschichte des Begriffs Ideologie Francis Bacon (1561-1626): „Idolenlehre“; Systematische Ideologienforschung in der Neuzeit; Wissenschaft als vorurteilsfrei und auf Beobachtung gründende Methode; naturwissenschaftliche Methode => Kritik „falscher Begriffe“, von „Götzenbildern“ Skepsis gegenüber bisherigen wissenschaftlichen Verfahren

Francis Bacon Skepsis gegenüber Glaubenssätzen als methodisches Instrumentarium Ziel des Erkennens: kritische Durchleuchtung des Naturgeschehens Kritik christlich-religiöser Glaubenssätze

Frühe Neuzeit (14./15. Jahrhundert) Gesellschaftlicher Umbruch Zerfall mittelalterlicher Ständegesellschaften Erosion religiös fundierter Werte- und Legitimationsstrukturen Entstehen „neuer Wissenschaften“ Neue Bedeutung von Wissen, „säkulares Wissen“

Frühe Neuzeit Neue Rolle von Bildung, säkularisierte Bildung Wissen auf der Basis von Empirie Kritik der „Metaphysik“ Kritik der bloßen Ideen, der „Idole“ (Achtung: Begriffswandel)

Theoretiker der Ideologiekritik Francis Bacon (1561-1626) Niccolo Machiavelli (1469-1527) Thomas Hobbes (1588-1679) Baruch Spinoza (1632-1677) Antoine Louis Claude Destutt de Tracy (1754-1836) Karl Marx (1818-1883) Friedrich Engels (1820-1895) Ernst Bloch (1885-1977) Georg Lukács (1885-1971) Max Horkheimer (1895-1973) Theodor W. Adorno (1903-1969) Herbert Marcuse (1898-1979) Jürgen Habermas (*1929) Louis Althusser (1918-1990)

Niccolo Machiavelli (1469-1527) Frage nach der Bedeutung religiöser Ideen für den Machterhalt des Herrschers Bewusstsein über und Einsatz von „Idolen“ für Machterhalt Staatswesen braucht zur Erhaltung von Stabilität die Manipulation von Ideen

Thomas Hobbes (1588-1679) Wissen gründet in sinnlicher Erfahrung Legitimation des Staates „wissenschaftlich“ herleiten Kritik von Macht- und Herrschaftstechniken mittels „Ideen“ (christlicher Glaube) Angst durch Glaube an „höhere Mächte“ Staat als Mittel zur Überwindung von Angst

Baruch Spinoza (1632-1677) Kritisiert autokratische Herrschaft, die Untertanen mit falschen Ideen in Irrtum und Furcht halten Kritik an den Ideologemen der Kirche

Aufklärung Bedeutung von Vernunft Um 1800: Antoine Louis Claude Destutt de Tracy: „idéologie“ (Wissenschaft, Lehre von den Ideen) (1796) Mitglied einer Gruppe von Philosophen, die als „Ideologen“ bezeichnet wurden Positiver Ideologiebegriff: Wissenschaft von den Ideen, systematische Klassifikation des existierenden Denkens

Aufklärung Mitarbeit an der „Encyclopédie“ Ziel war die systematische und wissenschaftliche Entlarvung der hinter den Ideen stehenden Machtinteressen => Ursprung der Ideologiekritik

Karl Marx (1818-1883) Ideologie erhält negative Bedeutung Ideologie ist das Denken einer sozialen Klasse auf der Grundlage der ökonomischen Verhältnisse – zur Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen „Deutsche Ideologie“ (1845/46):

Karl Marx Ideologie als falsches Bewusstsein: Bewusstseinsformen, Wissen, das der ökonomischen Realität nicht entspricht Ziel von Ideologie: ökonomische Realität verschleiern, um die Macht der herrschenden Klasse zu stützen Beispiel: Religion

„Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. […] Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen“ Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, Berlin 1953, 22.

Drei Wurzeln des Ideologiebegriffs von Marx Kritik an Hegels Staatsphilosophie Marx: Gegensatz von Vernunft und Wirklichkeit kann nicht durch Begriffe aufgehoben werden (z.B. Herr-Knecht), keine bloß theoretische Revolution Kritik an Feuerbachs Anthropologie Marx: Religion ist NICHT von gesellschaftlichen Prozessen loszulösen Kritik an der klassischen Nationalökonomie Marx: kapitalistische Ökonomie ist nicht die Naturform menschlicher Produktion

Ideologiekritik nach Marx Erklärung von Philosophie (Idealismus) aus den (deutschen) gesellschaftlichen Verhältnissen heraus Kritik des Hegelschen Idealismus aus den „deutschen Zuständen“: *Verselbständigung von Waren im kapitalistischen Tausch, losgelöst von der materiellen Tätigkeit *Marktgesetze erscheinen als Natur

Ideologiekritik im 20. Jahrhundert In der Tradition des marxistischen Ideologiebegriffs Kritische Theorie/Frankfurter Schule Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse Kritik des „Verblendungszusammenhangs“ im Nationalsozialismus

Habermas: Verknüpfung von Hermeneutik und Ideologiekritik als kritische Methodologie gegen die affirmative Hermeneutik in der Tradition Gadamers

Zwei Versionen von Ideologiekritik in der Geschichte eine konservative: Ideologieanalyse dient der Aufrechterhaltung von Herrschaft, Produktion von Ideen als Herrschaftsinstrumente eine radikal-aufklärerische: Kritik von Herrschaftsverhältnissen durch Kritik des Zusammenhangs von Ideen und Herrschaft

Frage nach der Bedeutung von Ideen für die Aufrechterhaltung von Herrschaft Welche Herrschaftsverhältnisse sind in Ideen/Theorien eingelagert?

Dimensionen des Ideologiebegriffs Kennzeichnung politischer Denkströmungen und Programmatiken Ideologie bezeichnet und enthüllt diverse Verschleierungen politischen Bewusstseins; Ideologie als „falsches Bewusstsein“ (Marx, kritische Theorie) Ideologie als Praxis der Subjekt-bildung (Althusser)

Ideologiekritik als Methodologie Kontextualisierung einer Theorie/Textes im Entstehungszusammenhang Analyse des Textes im Kontext von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen Beispiel: Hobbes Staatstheorie als bürgerliche Theorie des kapitalistischen Staates