Rolf Kappel, NADEL, ETH Zurich

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Rolf Kappel, NADEL, ETH Zurich Orthodoxe und heterodoxe Stabilisierungsprogramme: Bolivien und Peru in den 1980er Jahren Rolf Kappel, NADEL, ETH Zurich

Bolivien vor der Schulden- und Wirtschaftskrise der 1980er Jahre Ab 1974 regierte Hugo Banzer mit einer Militärregierung. Das durchschnittliche Wachstum des BIP belief sich in den 1970er Jahren auf mehr als 5% p.a. Allerdings war diese gute Wachstumsperformance von deutlichen ToT-Verbesserungen begünstigt und von einer massiven Zunahme der Aussenverschuldung begleitet. Die bolivianische Peso war ständig überbewertet und die Kapitalflucht umfangreich und zunehmend. Banzer dehnte den Staatssektor stark aus und praktizierte eine ausgesprochen klientelistische Politik. Nach Banzers Rücktritt im Jahr 1978 hatte das Land 9 Präsidenten innerhalb von vier Jahren, meist Militärs.

Wirtschaftliche Entwicklung in Bolivien 1980 – 1988 Rolf Kappel (1990): Orthodoxe und heterodoxe Stabilisierungsprogramme in Lateinamerika: Erfahrungen und Lehren für die Zukunft. Aussenwirtschaft, 45, Heft II, S. 201-235.

Die frühen 1980er Jahre Die politischen Turbulenzen und die Folgen der Wirtschaftspolitik der 1970er Jahre resultierten in steigender Inflation, rückläufigen Einkommen und einer deutlichen Zunahme der Armut. Der Zinsschock von 1979–1981 und der Ausbruch der Schuldenkrise im Jahr 1982 führten zu hohen Belastungen des Staatsbudgets: der stark ansteigende Schuldendienst konnte nicht mehr mit Neukrediten beglichen werden, sondern war nun aus eigenen Mitteln zu bezahlen. In den Jahren 1980 und 1981 nahm die Überbewertung des bolivianischen Peso stark zu und verursachte ein massives Leistungsbilanzdefizit. 1982 kam nach demokratischen Wahlen Siles Zuazo an die Macht.

Die Krise bis zur Hyperinflation 1985 Um die Zahlungsbilanzkrise zu bekämpfen, werteten die Behörden den bolivianischen Peso massiv ab. Allerdings versäumten sie es, diesen Schritt durch eine disziplinierte Fiskal- und Geldpolitik zu ergänzen. Das Staatsdefizit, praktisch vollständig finanziert durch Geldmengenausdehnungen, nahm drastisch zu: das Land geriet in den Strudel einer eskalierenden Abwertungs-Inflationsspirale und eine Wirtschaftskrise mit ständig rückläufigen Einkommen. Im August 1985 kam Paz Estenssoro an die Macht und leitete ein orthodoxes Stabilitätsprogramm ein (“neue Wirtschaftspolitik)”.

Das Stabilitätsprogramm Als erster Schritt wurde eine Währungsreform durchgeführt, um zu signalisieren, dass die neue Regierung stabile Preisverhältnisse anstrebte. Das Staatsdefizit wurde über Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen stark reduziert: ca. 15‘000 Staatsbedienstete wurden entlassen, Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor eingefroren. Die Geldmengenausdehnung wurde sehr vorsichtig gehandhabt. Der Wechselkurs des neuen Boliviano wurde zuerst völlig frei gegeben und dann in ein „Mananged floating“ übergeführt. Zölle wurden reduziert und vereinheitlicht. Die meisten administrierten Preise wurden freigegeben. 1986 gingen Erdöl- und andere Rohstoffpreise so stark zurück, dass der Boliviano scharf abgewertet wurde, um das Leistungsbilanzdefizit einigermassen unter Kontrolle zu halten.

Die Stabilisierungsphase Ab 1987 war der Hochinflationsprozess praktisch beendet. Die internationale Gebergemeinschaft honorierte Boliviens Reformbemühungen mit einem Schuldenabbau und Neukrediten. Die Neukredite dienten vor allem dazu, bestehende Schulden mit Abschlag (ca. 90%) bei Geschäftsbanken aufzukaufen und zu tilgen (Sekundärmarktpreis zuvor: ca. 6%). Bis 1987 war das Durchschnittseinkommen rückläufig, die Arbeitslosigkeit und Armut nahmen zu. Bereits 1986 wurde der (nicht-staatliche) „Fondo Social de Emergencia“ eingerichtet, der mit Kapitalschenkungen von Donatoren ausgestatte wurde. Die Mittel wurden für Entwicklungsprojekte und Arbeitsbeschaffungsprogramme eingesetzt, um die Anpassungslasten zu dämpfen.

Wirtschaftliche Entwicklung in Bolivien 1988 – 2007 World Bank (2008): World Development Indicators and PovcalNet

Wirtschaftliche Entwicklung in Peru 1980 – 1988

Wirtschaftliche Entwicklung in Peru 1980 bis August 1985 Die externen ToT- und Zinssatz-Schocks trafen auch Peru. Die Regierung Belaunde versuchte zunächst nur, mit Abwertungen, zunehmenden Rückständen beim Schuldendienst und Importkontrollen die Zahlungsbilanzkrise aufzuhalten. Im Jahr 1983 führten ein stark ansteigendes Staatsdefizit sowie eine massive Abwertung des Sole zu dreistelligen Inflationsraten und einem drastischen Rückgang der Durchschnittseinkommen (-14%). 1984/85 gelang es zwar, das Staatsdefizit und das Leistungsbilanz- defizit einzudämmen, aber die Inflation blieb nach wie vor hoch und die Konjunktur (ziemlich) am Boden. Bis zum Vorabend der Wahlen im Jahr 1985 hatten die Bürger des Landes das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der Regierung Belaunde völlig verloren.

Das Strohfeuer der Heterodoxie Die neue Regierung unter Alan Garcia führte eine Währungsreform durch (der Inti ersetzte den Sole) und begrenzte den Schuldendienst auf 10% der Exporterlöse (de facto wurden ca. 20% erreicht). Damit wurde zwar die Zahlungsbilanzbegrenzung für den Wachstumsprozess gelockert, aber gleichzeitig wurde das Land von allen Kapitalmärkten und der Kreditvergabe der Bretton Woods Institute abgeschnitten. Die Behörden kontrollierten viele Preise, fixierten zunächst den Wechselkurs des Inti zum US-$ und gingen dann zu einem Adjustable Peg in einem System multipler Wechselkurse über. Gleichzeitig erhöhten sie alle staatlich kontrollierten Löhne und dehnten die Beschäftigung im öffentlichen Sektor aus. Anfänglich war dieses heterodoxe Programm erfolgreich: die Durchschnittseinkommen stiegen 1986 und 1987 um annähernd 7% bzw. über 4% p.a., die Inflation sank, die Reallöhne im formellen Sektor nahmen um ca. 30% zu und die Arbeitslosigkeit ging zurück.

Do-it-yourself economics à la Peruana 1 D. Carbonetto et al. (1987): El Peru Heterodoxo. Un Modelo Economico. Instituto Nacional de Planificacion, Lima.

Der Kollaps des heterodoxen Programms Der Inti wertete real kräftig auf und das Leistungsbilanzdefizit nahm stark zu. Die Devisenreserven lagen Ende 1985 bei 1.8 Mrd US-$, Ende 1986 bei 1.4 Mrd US-$, Ende 1987 bei Null. Das Wechselkurssystem war für die Zentralbank ruinös: Im November 1987 erhielten Exporteure für einen US-$ 28 bis 32 Intis, Importeure zahlten für einen US-$ 16 bis 25 Intis, und auf dem Schwarzmarkt wurde der US-$ zu 66 Intis gehandelt. Mit dem Rückgang der Devisenreserven stiegen die Abwertungser- wartungen der Wirtschaftsakteure, eine Spekulationswelle gegen den Inti setzte ein und die Kapitalflucht nahm explosionsartig zu. Im Jahr 1988 rissen die fehlenden Devisen die Volkswirtschaft in den Strudel einer eskalierenden Abwertungs-Inflationsspirale sowie eine massive Krise mit einbrechenden Durchschnittseinkommen (-12% p.a.) und zunehmender Armut.

Wirtschaftliche Entwicklung in Peru 1988 – 2007 World Bank (2008): World Development Indicators and PovcalNet