Sexualpädagogik der Vielfalt – der rechtliche Rahmen

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 Präsentation transkript:

Sexualpädagogik der Vielfalt – der rechtliche Rahmen Prof. Dr. iur. Christian Winterhoff Sexualpädagogik der Vielfalt – der rechtliche Rahmen Symposium „Sexualpädagogik der Vielfalt – Kritik einer herrschenden Lehre“, Wiesbaden, 6. Mai 2017

1. Einleitung „Gegenstand der Sexualerziehung in Schulen soll die Vermittlung von Wissen über die Existenz unterschiedlicher Partnerschaftsformen und Verständnisse von Familie, sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten und deren Akzeptanz sein.“ (Lehrplan Sexualerziehung für allgemeinbildende und berufliche Schulen vom 19. August 2016, Seite 3)

1. Einleitung „(…) schulisches Leitbild, das sich für die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten einsetzt“. (Lehrplan Sexualerziehung für allgemeinbildende und berufliche Schulen vom 19. August 2016, Seite 3)

1. Einleitung Akzeptanz versus Toleranz Akzeptieren: etwas (positiv) annehmen bzw. billigen, etwas anerkennen, mit etwas einverstanden sein Tolerieren: dulden, zulassen, gelten lassen (obwohl es nicht den eigenen Vorstellungen entspricht)

Akzeptanzvermittlung u. a. durch Unterrichtsmaterial, z. B.: 1. Einleitung Akzeptanzvermittlung u. a. durch Unterrichtsmaterial, z. B.: „Maris lebt bei ihren beiden Müttern. Früher wohnten ihr Vater und ihre Mutter mit ihr in einem Haus, jetzt sind die beiden aber nicht mehr zusammen. Die neue Lebenspartnerin der Mutter hat sie adoptiert.“ (Beispiel aus „Methodenschatz für Grundschulen zu Lebens- und Liebesweisen“ aus Schleswig-Holstein)

Problem: Inhalt nicht überprüfbar, da „Mauer des Schweigens“ 1. Einleitung Akzeptanzvermittlung u. a. durch Lehrveranstaltungen von SchLAu-Teams (oft in Abwesenheit einer Lehrkraft) Problem: Inhalt nicht überprüfbar, da „Mauer des Schweigens“

1. Einleitung Frage: Rechtlich zulässig?

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Elterliches Erziehungsrecht, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Also: Erziehung der Kinder nach eigenen sexualethischen Wertvorstellungen (BVerfGE 47, 46, 65 ff.)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Grundrechte der Kinder Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1Abs. 1 GG) Also: Leben und Handeln nach eigenen Glaubensüberzeugungen, Entfaltung der eigenen Persönlichkeit auch im Intim- und Sexualbereich (BVerfGE 47, 46, 73)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates (Art. 7 Abs. 1 GG) Staat darf in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen (BVerfGE 34, 165, 183; 93, 1, 21) Zulässig sind Vermittlung sexualitätsbezogenen Wissens und grundsätzlich auch Sexualerziehung im eigentlichen Sinne (BVerfGE 47, 46, 72; BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2008, Az.: 6 B 64/07, juris Rn. 4)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Verhältnis der divergierenden Rechte? Elterliches Erziehungsrecht ? Staatlicher Bildungs- und Erziehungsauftrag ? Grundrechte der Kinder

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Lösung – allgemein: Zwar gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule (BVerfGE 34, 165, 183; 59, 360, 379) Aber: Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts im Bereich der Sexualerziehung (u. a. OVG Münster, Urteil vom 5. September 2007, Az.: 19 A 2705/06, juris Rn. 47)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Lösung – konkret: Beachtung des Gesamtplans der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder (BVerfGE 98, 218, 245; BVerfG, Beschluss vom16. April 2002, Az.: 1 BvR 279/02, juris Rn. 20) Pflicht des Staates zur Zurückhaltung und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009, Az.: 1 BvR 1358/09, juris Rn. 15)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Lösung – konkret: „Die Schule muss den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen.“ (BVerfGE 47, 46, 77; VG Münster, Urteil vom 8. Mai 2015, Az.: 1 K 1752/13, juris Rn. 34)

2. Verfassungsrechtlicher Rahmen Lösung – konkret: „Eine Sexualerziehung, die jede Art sexuellen Verhaltens gleichermaßen bejahen oder gar befürworten würde, verstieße (…) eindeutig gegen das Zurückhaltungs- und Rücksichtnahmegebot.“ (BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2008, Az.: 6 B 64/07, juris Rn. 11)

3. Schulgesetzliche Regelungen Hessisches Schulgesetz (HSchG) Bildungsziel ist die Befähigung der Schüler, „die Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz (…) zu gestalten“. (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 HSchG) Also nicht: Akzeptanz anderer Menschen und ihrer Verhaltensweisen!

3. Schulgesetzliche Regelungen Außerdem § 7 Abs. 1 Satz 3 HSchG: „Bei der Sexualerziehung ist Zurückhaltung zu wahren sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den verschiedenen Wertvorstellungen in diesem Bereich zu beachten; jede einseitige Beeinflussung ist zu vermeiden.“ Also: Bestätigung der Vorgaben des GG

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Ziel der Akzeptanzvermittlung „(…) schulisches Leitbild, das sich für die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten einsetzt“. (Lehrplan Sexualerziehung für allgemeinbildende und berufliche Schulen vom 19. August 2016, Seite 3)

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Rechtliche Bewertung des Ziels der Akzeptanzvermittlung Verfassungsrecht: „Die Schule muss den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen.“ (BVerfGE 47, 46, 77; VG Münster, Urteil vom 8. Mai 2015, Az.: 1 K 1752/13, juris Rn. 34)

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Rechtliche Bewertung des Ziels der Akzeptanzvermittlung Hessisches Schulgesetz: Allein Bildungsziel der Achtung und Toleranz, nicht: Akzeptanz anderer Menschen und ihrer Verhaltensweisen

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Rechtliche Bewertung des Ziels der Akzeptanzvermittlung Folge: Verstoß gegen Grundgesetz und Hessisches Schulgesetz

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Gegenargumente Geänderte gesellschaftliche Realitäten, vor allem Wandlung der Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens Aber: Verfassung und Schulgesetz haben Vorrang

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Gegenargumente Rechtliche Anerkennung z. B. eingetragener Lebenspartnerschaften auf einfachgesetzlicher Ebene Aber wiederum: Verfassung und Schulgesetz haben Vorrang Außerdem: Grundrechte der Eltern und Kinder gehen einfachem Gesetzesrecht vor

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Gegenargumente Hessischer Kultusminister: „Ein Verhalten zu akzeptieren, das für jemand anderen einen wichtigen Aspekt seines Lebens bedeutet, ist Kennzeichen einer freiheitlichen Gesellschaft auch und gerade dann, wenn dieses Verhalten für die Mehrheit nicht in Betracht kommt.“ (Schreiben vom 26. Oktober 2016, vgl. www.echte-toleranz.de)

4. Lehrplan Sexualerziehung Hessen Gegenargumente Hessischer Kultusminister Aber: Pflicht zur Akzeptanz = Unfreiheit, die nicht mit den Grundrechten vereinbar ist! Also: Erziehung zur Toleranz und Nichtdiskriminierung: ja Erziehung zur Akzeptanz: nein

5. Lehrveranstaltungen durch SchLAU-Teams etc. Inhalt: Akzeptanzvermittlung ist unzulässig! Form: Unterrichtserteilung durch Lehrkräfte, nur unter besonderen Voraussetzungen durch externe Kräfte (vgl. u. a. § 86 Abs. 6 HSchG) Öffnung der Schule gegenüber Dritten (§ 16 HSchG), aber: Vereinbarkeit mit Bildungszielen notwendig!

6. Möglichkeiten zur rechtlichen Gegenwehr Information Informationsrecht der Eltern: §§ 7 Abs. 2, 72 HSchG Antrag auf Beurlaubung § 69 Abs. 3 HSchG Rechtsschutz gegen Nichtbeurlaubung Widerspruch, Klage, ggf. Eilverfahren

7. Ergebnis Ziel der Akzeptanzvermittlung ist verfassungs- und gesetzeswidrig; denn: „Die Schule muss den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen.“ (BVerfGE 47, 46, 77; VG Münster, Urteil vom 8. Mai 2015, Az.: 1 K 1752/13, juris Rn. 34)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Christian Winterhoff Rechtsanwalt/Partner apl. Professor an der Universität Göttingen Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB Poststraße 9 – Alte Post 20354 Hamburg c.winterhoff@gvw.com T +49 40 35922 - 264 F +49 40 35922 - 224