Einführung in die theoretische Philosophie Prof. Dr Einführung in die theoretische Philosophie Prof. Dr. Martin Kusch <martin.kusch@univie.ac.at> 180001 EV-L STEOP: Einführung in die theoretische Philosophie Studienprogrammleitung Philosophie 2 Stunde(n), 8,0 ECTS credits Kapitel:18.01BA (neu) M1.1 (StEOP-Modul 1.1) Martin Kusch Erster Termin: 07.10.2013, Letzter Termin: 27.01.2014. MO wtl von 07.10.2013 bis 27.01.2014 17.00-19.00 Ort: Hörsaal D Unicampus Hof 10 Hirnforschungzentrum Spitalgasse 4 Diese Vorlesung ist eine Einleitung in die theoretische Philosophie anhand von zehn wichtigen Problemen: Gottesbeweise, Kausalität, die Definition des Wissens, erkenntnistheoretischer Skeptizismus, personale Identität, das Fremdpsychische, Regelfolgen, Eigennamen, Tradition und Kritik in der Wissenschaft, Realismus oder Instrumentalismus in der Wissenschaft.
Erkenntnistheorie (1) Wissen (2) Skeptizismus Metaphysik (3) Kausalität (4) Gottesbeweise Sprachphilosophie (5) Regelfolgen (6) Eigennamen Philosophie des Geistes (7) Personale Identität (8) Fremdpsychisches Wissenschaftsphilosophie (9) Kritik und Dogma (10) Realismus und seine Gegner
Philosophie des Geistes Die philosophische Erforschung geistiger / mentaler Phänomene und ihres Zusammenhanges mit Verhalten und dem Gehirn Sind Geist und Gehirn identisch? Zwei verschiedene Substanzen? Oder noch anders aufeinander bezogen?
Funktionalismus Seit den 70er Jahren wichtig: geistige Zustände sind charakterisiert durch ihre Beziehungen und durch Inputs und Outputs. Vielfache Realisierbarkeit? Lassen sich Systeme von geistigen Zu- ständen durch verschiedene Substanzen „realisieren“? Führt Funktionalismus zum Materialismus? Oder ist er die beste Verteidigung?
Funktionalismus Die „computational theory of mind“: geistige Zustände lassen sich mit den Komputationszuständen eines Computers vergleichen, oder sind solche. Was ist die Gesamtstruktur des menschlichen Geistes? Modular oder nicht? Und bis zu welchem Grad?
Geist und Bedeutung Wie kann ein geistiger Zustand oder ein Gehirnzustand eine Bedeu- tung oder einen Inhalt haben? Durch die Rolle, die er im Denken hat? Durch kausale Beziehungen zur Welt? Durch Evolution?
Geist und Bedeutung Wie sind propositionale Einstellungen zu analysieren? Intentionalität: wie kann ein geistiger Zustand auf etwas gerich- tet sein – und zwar auch und gerade nicht existierendes?
Alternativen zum Funktionalismus Lässt sich Denken und Bewusstsein überhaupt durch Funktionalismus erklären? Müssen wir nicht auf die biologische Seite eingehen? Qualia – d.h. die Eigenschaften, die Schmerz oder das Aussehen von Rot einerseits, von geistigen Zuständen wie Überzeugungen anderer- seits, unterscheidet. Lassen sich Qualia überhaupt funktionalistisch verstehen?
Alltagspsychologie und Neurowissenschaft Ist die Alltagspsychologie wahr? Wissenschaftlich verwertbar? Oder sollte sie idealerweise durch die Neurowissenschaft ersetzt werden? Beinhaltet sie eine Theorie? Eine falsche?
Philosophische Probleme durch die empirische Psychologie Gespaltene Gehirne und die Einheit der Person Personale Identität Geisteskrankheit
Philosophie der Handlung Setzt jede Handlung Überzeugungen und Verlangen voraus? Was ist eine Intention? Gibt es einen freien Willen? Wie ist Willensschwäche zu analysieren?
Weitere Themen Analyse der Wahrnehmung Analyse der Erinnerung … Träume und Traumdeutung
8. Thema: Das Problem des Fremdpsychischen (Descartes, Hume, Wittgenstein, Kripke)
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Ist es begrifflich möglich, anderen (menschlichen) Wesen geistige / mentale Zustände zuzuschreiben? Und wenn ja, ist es epistemisch zu rechtfertigen? Oder: Kann man den Solipsismus widerlegen ohne den Behaviorismus zu akzeptieren?
Solipsismus: Skeptizismus bzgl. des Fremdpsychischen „Ich bin der einzige Geist, der (wirklich) existiert”. Aber nicht bloß zufälligerweise: nicht nur weil ich der einzige Überlebende einer nuklearen Katastrophe bin. Notwendigerweise: Es ist unmöglich, sich vorzustellen, oder zu rechtfertigen, dass es neben meinen eigenen auch noch an- dere Erfahrungen, Emotionen, Gedanken geben kann.
(Analytischer) Behaviorismus Die Rede von geistigen Zuständen ist in Wahrheit eine Rede über Verhalten (Verhaltensdispositionen). Radikalste Variante: Es ist möglich, zwischen mentalem Vokabular und Verhaltensvokabular zu übersetzen: „Marietta wünscht sich ein Eis” bedeutet nichts anderes als (ungefähr): “Es ist wahrscheinlich, dass Marietta ein Eis essen wird”.
Historische Ursprünge des Solipsismus … (I) Rene Descartes (1596-1650): Erste Überlegung: Jedes Individuum erwirbt seine psychologischen Begriffe (mit denen es seine mentalen Zustände und Ereignisse identifiziert und bedenkt) ausschließlich aufgrund seines eigenen Falles: Schmerz, Furcht, Glück, Überzeugung, …
Historische Ursprünge des Solipsismus … (I) Rene Descartes (1596-1650): Zweite Überlegung: Jeder von uns hat einen besonderen Zugang zu seinem eigenen Bewusstsein, einen Zugang, der allen anderen verwehrt ist.
Das erkenntnistheoretische Problem des Fremdpsychischen Ich habe kein direktes Wissen von der Existenz des Bewusstseins anderer. Welche Rechtfertigung habe ich für die Überzeugung, dass andere menschliche Körper überhaupt ein Bewusstsein haben? Nicht die spezifische Frage: Wie weiß ich, dass du eher diesen als jenen mentalen Zustand hast?
Das begriffliche Problem des Fremdpsychischen Angenommen ich habe kein direktes Wissen von der Existenz anderen Bewusstseins … Wie kann ich meine psychologischen Begriffe – z.B. meinen Begriff Schmerz – über meinen eigenen Schmerz hinaus ausdehnen?
Das Verhältnis der beiden Probleme zueinander Wenn das begriffliche Problem nicht gelöst werden kann, dann können wir das erkenntnistheoretische Problem nicht lösen. Selbst bei einer Lösung des begrifflichen Problems hätten wir nach wie vor das erkenntnistheoretische Problem.
Das Analogieargument (John Stewart Mill) In meinem eigenen Fall, beobachte ich (a) eine externe Ursache (der Hammer trifft meinen Finger), (b) eine Empfindung (Schmerz), und (c) eine Verhaltensreaktion (Tränen, Schluchzen, …). In Ihrem Fall, beobachte ich nur (a) und (c). Aber ich schließe – analog – dass Sie auch (b) haben.
Das Analogieargument (John Stewart Mill) -- Probleme Mill setzt voraus, dass das begriffliche Problem gelöst ist. Eine Analogie beruht auf Ähnlichkeit. Aber was berechtigt mich, zu denken, dass zwischen uns mehr als nur eine Ähnlichkeit im Verhalten besteht? Wie kann ich einen induktiven Schluss auf einen einzigen Fall gründen? (Nämlich nur meinen eigenen …)
Andere Bewusstseine als theoretische Entitäten Bewusstsein / mentale Zustände in anderen menschlichen Körpern anzunehmen ist die beste Erklärung für die Art und Weise, wie sich diese Körper verhalten. „Schluss auf die beste Erklärung“! Problem: Aber sind mentale Zustände tatsächlich Teil der besten Erklärung? Warum sollen wir annehmen, dass diese mentalen Zustände Qualia besitzen?
Lösung durch die Idee von „Kriterien“ Die Verbindung zwischen Verhalten und mentalen Zuständen ist begrifflich / kriterial. Z.B. Kratzen ist begrifflich verbunden mit Jucken. Problem: Gibt es wirklich solche begrifflichen Verbindungen?
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Saul Kripke, „Wittgenstein über Fremdpsychisches” (Postskriptum zu Wittgenstein über Regeln und Privatsprache, 1987 [1982])
Das Ausdehnen von Begriffen auf neue Fälle Fall I: Namen von natürlichen Arten Ich lerne das Wort „Ente” in Österreich. Ich reise nach Australien und dehne den Begriff „Ente” auf die dortigen Enten aus. Kein Problem … Anwenden oder ausdehnen?
Ente (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Enten in Österreich Enten in Australien
Fall II: Zeitliche Ausdrücke „Es ist fünf Uhr (auf der Erde)”. „Es ist fünf Uhr auf der Sonne”. Diese Ausdehnung funktioniert nicht. Ich habe gelernt, die Zeit auf der Erde zu messen, aber diese Art zu messen auf die Sonne auszudehnen, ver- stößt gegen die Voraussetzungen der Anwendbarkeit.
Fünf Uhr (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Fünf Uhr auf der Erde Fünf Uhr auf der Sonne
Fünf Uhr (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Fünf Uhr auf der Erde Fünf Uhr auf der Sonne
Fall III: Mentale / psychologische Ausdrücke Ich weiß, was „Schmerz” bedeutet, wenn ich über meine Schmerzen spreche. Ich habe meinen Begriff Schmerz auf der Basis von meinen Schmerzerfahrungen gebildet. Aber kann ich diesen Begriff auf andere ausdehnen?
Die Ansicht von Mill und Descartes Schmerz (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung mein Schmerz Ihr Schmerz
Ist Fall III wie Fall I oder Fall II? Kripkes Wittgenstein: Eher wie Fall II …
Schmerz (als allgemeiner Begriff) Abstraktion ?????? Anwendung mein Schmerz Ihr Schmerz Analogie ??????
Historischer Hintergrund Descartes’ Zweifel: Ich kann alles bezweifeln, aber nicht die Existenz mei- nes eigenen Bewusstseins, meines eigenen Selbst.
Humes Angriff auf das Selbst “… For my part, when I enter most intimately into what I call myself, I always stumble on some particular impression or other, of heat or cold, light or shade, love or hatred, pain or pleasure. I never can catch myself at any time without a perception, and never can observe any thing but the perception.” (“Of Personal Identity”)
Georg Lichtenberg (1742–1799) „Anstatt „ich denke“ sollten wir sagen „es denkt“. Und dieses „Es denkt” ist gemeint in Analogie zu: „Es regnet” … das „es” bezieht sich auf nichts.
Wittgenstein Er akzeptiert den Gedanken von Hume und Lichtenberg: „Ich habe Zahnschmerzen” bedeutet in Wirklichkeit „Da sind Zahnschmerzen.”
Warum sich Fall III von Fall I unterscheidet Ich kann von Enten in Österreich abstrahieren; mir Enten vorstellen genau so wie diese, außer dass sie nicht in Österreich sind. Aber ich kann mir keinen Zahnschmerz vorstellen, der genau so wie der ist, den ich habe, außer dass Sie—ein anderes Selbst—ihn haben. Ich habe keine Vorstellung von einem ‚Selbst’ in meinem eigenen Fall, noch einen allgemeinen Begriff von Selbst, der mich und andere umfasst.
Die Ansicht von Mill und Descartes – nach Hume … Selbst (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Mein Selbst hat Schmerzen Ihr Selbst hat Schmerzen
Die Ansicht von Mill und Descartes – nach Hume … Selbst (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Mein Selbst hat Schmerzen Ihr Selbst hat Schmerzen
Die Ansicht von Mill und Descartes – nach Hume … Selbst (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Mein Selbst hat Schmerzen Ihr Selbst hat Schmerzen
Die Ansicht von Mill und Descartes – nach Hume … Selbst (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Mein Selbst hat Schmerzen Ihr Selbst hat Schmerzen
Warum sich Fall III von Fall I unterscheidet Ich habe keine Vorstellung von einem Verhältnis des ‚Habens’ zwischen einem Selbst und Zahnschmerzen. „Ich habe Zahnschmerzen” bedeutet in Wirklichkeit „Da sind Zahnschmerzen”: Wovon soll ich abstrahieren (im letzteren Fall), um von „mir selbst” abzusehen?
Die Ansicht von Mill und Descartes Haben (Selbst, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Selbst, Schmerz) Haben (Ihr Selbst, Schmerz)
Die Ansicht von Mill und Descartes Haben (Selbst, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Selbst, Schmerz) Haben (Ihr Selbst, Schmerz)
Die Ansicht von Mill und Descartes Haben (Selbst, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Selbst, Schmerz) Haben (Ihr Selbst, Schmerz)
Die Ansicht von Mill und Descartes Haben (Selbst, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Selbst, Schmerz) Haben (Ihr Selbst, Schmerz)
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Gegenvorschlag I: Aber warum sich mit „Selbsten“ herumschlagen? Reden wir doch einfach von Körpern, die Schmerz „haben“! Kann ein physischer Körper nicht „Empfindungen haben”, „ein Bewusstsein haben”?
Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Ihr Körper, Schmerz)
Kripkes Einwand Wir haben keinen allgemeinen Begriff einer Relation des „Habens” zwischen einem materiellen Gegenstand und einem Bewusstsein. Der Begriff betrifft nur meinen eigenen Fall … wenn überhaupt.
Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Ihr Körper, Schmerz)
Man betrachte etwa: (*) „Ein Stein hat ein Bewusstsein”. Entweder wir haben einen allgemeinen Begriff von einem solchen „Bewusstsein-Haben”: Dann ist (*) entweder wahr oder falsch. Oder wir haben keinen allgemeinen Begriff eines solchen „Habens”: Dann ist (*) sinnlos. Es ist sinnlos!
Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Ihr Körper, Schmerz)
Kripkes Kritik: Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Stein, Schmerz)
Kripkes Kritik: Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Aber das ist nicht falsch, sondern sinnlos!!! Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Stein, Schmerz)
Kripkes Kritik: Haben (Körper, Schmerz) (als allgemeiner Begriff) Abstraktion Anwendung Aber das ist nicht falsch, sondern sinnlos!!! Haben (mein Körper, Schmerz) Haben (Stein, Schmerz)
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Gegenvorschlag II: Aber kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Schmerz, den ich jetzt in meiner Brust habe, in einem anderen menschlichen Kör- per verortet sein könnte? Und stelle ich mir nicht eben dadurch vor, dass jemand anders Schmerzen hat? Antwort: Nein!
Sich vorstellen: Da ist Schmerz in einem anderen (menschlichen) Körper. heißt sich vorstellen: Ich fühle Schmerz in diesem anderen (menschlichen) Körper. Bedenke: „Da ist Schmerz” bedeutet „Ich fühle Schmerz”.
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Solipsismus und Behaviorismus Es könnte scheinen, als würde das Argument Solipsismus und Behaviorismus unterstützen: Solipsismus: Ich kann mentale Begriffe nicht auf sinnvolle Weise auf andere ausdehnen. Behaviorismus: Im Fall von anderen können sich mentale Begriffe nur auf Verhalten beziehen.
Aber Kripkes Wittgenstein sieht diese Konsequenz als eine Wider- legung der Voraussetzung: dass wir unsere psychologischen Begriffe zuerst in unserem eige- nen Fall lernen und dann auf andere „Selbste“ ausdehnen.
Wittgensteins Lösung Er weist die Idee zurück, dass wir mit unserem eignen Fall beginnen. Selbstzuschreibungen von Empfindungen („avowals“, „Bekundun- gen“) sind sinnlos wenn nicht zugleich auch andere Menschen uns Empfindungen zuschreiben. Und Bekundungen sind Ausdrucksphänomene.
Schritt I: Bedeutung und Nachprüfbarkeit Wann sagen wir (Erwachsenen), dass ein Kind die Verwen- dung des Wortes ‘Tisch’ beherrscht? Wenn das Kind das Wort in Situationen gebraucht, in denen wir Erwachsenen einen Tisch beobachten und selbst das Wort verwenden würden.
Schritt I: Bedeutung und Nachprüfbarkeit Übereinstimmung und die Möglichkeit nachzuprüfen sind wesent- lich für Sprache und Bedeutung. Bedeutung und mentaler Inhalt gehen einher mit der Unterschei- dung von richtig and falsch, und ist richtig versus scheint richtig. Letztere Unterscheidung hat ihren logischen Ursprung in der Beur- teilung von und durch andere.
Schritt II: Bedeutung und Nachprüfbarkeit von Bekundungen Bekundungen sind Selbstzuschreibungen von Empfindungen: “Ich habe Schmerzen”. Wie werden sie erlernt? Anfangs hat das Kind eine natürliche, primitive, nicht-verbale Weise Schmerz auszudrücken. Später lehren die Erwachsenen das Kind ein neues Schmerzver- halten, z.B. die Äußerung: „Ich habe Schmerzen”.
Die Bekundung ist ein Ersatz für den ursprünglichen natürlichen Schmerzausdruck. In der Bekundung des Kindes „Ich habe Schmerzen”, referiert “Schmerzen” nicht, sondern drückt Schmerzen aus. Die Erwachsenen urteilen – auf der Grundlage des allgemeinen Verhaltens des Kindes und der äußeren Umstände – ob das Kind die Bekundung beherrscht.
Ich habe (als Kind) in solchen Kontexten gelernt, mir selbst Empfindungen zuzuschreiben, in denen mir Erwachsene Empfindungen zugeschrieben haben. Bekundungen und Zuschreibungen von Empfindungen an andere sind also von Beginn an eng verflochten.
Bekundungen können also durch andere geprüft und korrigiert werden – unter Bezugnahme auf äußere Kriterien. Zuschreibungen von Empfindungen an andere können durch Bekundungen nachgeprüft und korrigiert werden.
Schritt III: Probleme mit der Lösung? (a) Noch einmal: Priorität der Selbstzuschreibung? Angenommen ich sage: „Er hat Schmerzen.” Bedeutet das nicht: „Er ist in dem gleichen Zustand, in dem ich bin, wenn ich Schmerzen habe”? Aber was ist dieser gleiche Zustand?
Schritt III: Probleme mit der Lösung? (a) Noch einmal: Priorität der Selbstzuschreibung? -- Antwort Unser Sprachspiel des Zuschreibens von mentalen Zuständen erlaubt es uns, unter bestimmten Umständen zu sagen, dass er Schmerzen hat. Diese Zuschreibung ist nicht abhängig von meinen Bekundun- gen unter gleichen oder ähnlichen Umständen.
(b) Warum schreiben wir überhaupt mentale Zustände zu? Aber warum schreiben wir anderen mentale Zustände zu? Warum verwenden wir nicht einfach eine behavioristische Sprache? Wir sind eben Wesen, die es einfacher finden, das Verhalten anderer mit psychologischen Begriffen, eher als in einer be- havioristischen Sprache zu beschreiben. Vgl. „Er ist wütend” mit einer Beschreibung seiner Wut in ei- ner behavioristischen Sprache.
(c) Primitivität des Mitleids Aber um Mitleid mit den Schmerzen eines anderen zu haben, muss ich doch überzeugt sein, dass er ein Bewusstsein hat wie ich und leiden kann wie ich! Nein! Meine Einstellung gegenüber dem Leidenden ist primitiv – das heißt, meine Entstehung ist vollkommen unabhängig von meiner eigenen Schmerzerfahrung und von der einhergehen- den Überzeugung, dass er „dasselbe fühlt wie ich”.
Wittgenstein dreht die Reihenfolge um: (a) Ich bemitleide ihn, weil ich glaube, dass er ein Bewusstsein hat wie ich. (b) Ich glaube, er hat ein Bewusstsein wie ich, weil ich ihn bemitleide. (a) führt zu den Problemen bzgl. des Fremdpsychischen. (b) tut das nicht.
Falsche Auffassung Ich sehe Karls Verhalten. Es ist wie meines, wenn ich Schmerzen habe. Ich glaube, er hat ein Bewusstsein wie ich. Es ist furchtbar, wenn ich Schmerzen habe. Es ist furchtbar für Karl, wenn er Schmerzen hat. --------------------------------- Ich bemitleide Karl.
Ich sehe Karls Verhalten. Falsche Auffassung Richtige Auffassung Ich sehe Karls Verhalten. Es ist wie meines, wenn ich Schmerzen habe. Ich glaube, er hat ein Bewusstsein wie ich. Es ist furchtbar, wenn ich Schmerzen habe. Es ist furchtbar für Karl, wenn er Schmerzen hat. --------------------------------- Ich bemitleide Karl. Ich sehe Karls Verhalten. ---------------------------------- Ich bemitleide Karl. Ich glaube, er hat ein Bewusstsein wie ich.
Das Problem des Fremdpsychischen – allgemein Die Ausdehnung von Begriffen auf neue Fälle Historischer Hintergrund Das Problem der Ausdehnung psychologischer Begriffe Gegenvorschlag I: Körper Gegenvorschlag II: Die Zuschreibung meiner Schmerzen an andere Wittgensteins Lösung Neubetrachtung des Gegenvorschlag II: Loars Kritik
Tritt gemeinsam auf meine Schmerz-empfindung C-Fasern feuern mein Gehirn Verlet- zung mein Körper
= Tritt gemeinsam auf meine Schmerz-empfindung C-Fasern feuern mein Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper
= Tritt gemeinsam auf meine Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = mein Gehirn Ihr Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper
= Tritt gemeinsam auf Tritt gemeinsam auf meine Schmerz-empfindung C-Fasern feuern C-Fasern feuern mein Gehirn Ihr Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper
Der Einwand von Brian Loar: “Phenomenal States”, Philosophical Perspectives 4 (1990), 81-108, especially 103-105.
Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = mein Gehirn Verlet- zung physikalische Eigenschaft meines Gehirns meine Em-pfindung Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = mein Gehirn Verlet- zung mein Körper
= Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = mein Gehirn Verlet- zung physikalische Eigenschaft meines Gehirns meine Em-pfindung Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = mein Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper 90
= Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = C-Fasern feuern = mein Gehirn physikalische Eigenschaft meines Gehirns physikalische Eigenschaft Ihres Gehirns meine Em-pfindung Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = C-Fasern feuern = mein Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper 91
= Schmerz-empfindung C-Fasern feuern Schmerz-empfindung physikalische Eigenschaft meines Gehirns physikalische Eigenschaft Ihres Gehirns meine Em-pfindung Ihre Em-pfindung Schmerz-empfindung C-Fasern feuern Schmerz-empfindung C-Fasern feuern = = mein Gehirn Verlet- zung Verlet- zung = mein Körper Ihr Körper 92