Gib Worte deinem Schmerz: Gram, der nicht spricht presst das beladene Herz, bis dass es bricht. William Shakespeare
Inhalte Definition und Statistiken Vorurteile zum Thema Suizid Einfluß- und Risikofaktoren Suizidale Entwicklung (nach Ringel und Pöldinger) Einschätzung der Suizidalität Umgang mit Suizidgefährdeten Die Situation Angehöriger und Hinterbliebener Was hilft in der Trauer? Mein Ziel: „man darf darüber reden“
Suizid Selbsttötung
Suizidraten nach Altersgruppen (5 Jahres Schnitt )
Suizidrate Bundesländervergleich
Suizide in Österreich 2014 Suizide: in Österreich / 220 in der Steiermark Männer: 989 / 166 Frauen: 324 / 54 zum Vergleich im Verkehr getötet: 430 Menschen in Österreich
Suizidtypen nach Bächler 1.Dem „eskapistischen Suizid“ der Flucht oder Trauer (Eskapismus = Realitätsflucht) 2.Dem „aggressiven Suizid“ als Rache, Erpressung oder Appell 3.Dem „oblativen Suizid“ als Opfer oder Passage zu einem besseren Leben 4.Dem „spielerischen Suizid“ bei dem man sich selbst herausfordert oder einfach sein Leben um des Spiels willen riskiert
Einfluss- und Risikofaktoren Alkohol-, Medikamenten-, Drogensucht Psychiatrische Erkrankungen: v.a. Depressionen Suizidankündigungen und Suizidversuche (Suizidrisiko bleibt längerfristig erhöht) Suizide im Freundes- bzw. Bekanntenkreis
Einfluss- und Risikofaktoren Trennungen aller Art Isolation Soziodemographische Faktoren: Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus, Familienstand; Stadt/Land, etc. Kulturelle Unterschiede
Vorurteile zum Thema Suizid Mythos: Spricht man jemand auf den Suizid an, bringt man ihn erst auf die Idee sich umzubringen. Wirklichkeit: Die Möglichkeit, Suizidgedanken mit jemanden besprechen zu können, bringt für den Betroffenen meist eine erhebliche Entlastung.
Vorurteile zum Thema Suizid Mythos: Wer vom Suizid spricht, tut es nicht („Bellende Hunde beißen nicht“). Wirklichkeit: oft ist es ein Schrei nach Hilfe „Sieh her, so kann es nicht mehr weitergehen, ich kann so nicht mehr“
Vorurteile zum Thema Suizid Mythos: wer sich wirklich umbringen will, ist nicht aufzuhalten. Wirklichkeit: die meisten Suizide werden im Rahmen von akuten Krisen durchgeführt. Die Bewältigung der Krise kann somit auch den Suizid verhindern. Diese Krise kann oft sehr kurz sein.
„Hilferuf“ Spricht eine Person konkret über suizidale Gedanken bzw. droht den Suizid an, kann sich ein Hilferuf aber auch ein Erpressungsversuch dahinter verbergen. In jedem Fall ist darauf zu reagieren!
Suizidale Entwicklung und suizidale Einengung (Ringel) Die Einengung der Person ist im Präsuizidalen Syndrom nach E. Ringel ein Hauptmerkmal. 1.Situative Einengung 2.Dynamische Einengung 3.Soziale (zwischenmenschliche) Einengung 4.Einengung des Werteerlebens Zusatzfaktoren
1. Situative Einengung Die Person fühlt sich durch die Situation, in der sie sich befindet, in die Enge getrieben. Sie erlebt die Umstände als bedrohlich, unveränderbar, unüberwindbar oder als übermächtig
1. Situative Einengung Sich selbst empfindet die Person eher als klein, hilflos, ausgeliefert und ohnmächtig Sie hat meist schon etliche gescheiterte Problemlöseversuche hinter sich Jeder neue Versuch engt sie noch mehr auf den einen „Ausweg“ ein
1. Situative Einengung Auslöser können sein: Äußere Bedingungen: Traumatische Ereignisse, Krankheit, Tod einer Bezugsperson, Trennung, Schicksalsschläge, finanzielle Probleme, Arbeitsplatzverlust, … Innere Bedingungen: eigene Bewertung bzw. Einschätzung der Situation als auswegslos
Die suizidale Person ist in der akuten Krise in ihrem Denken und Fühlen eingeengt. Einseitige gefühlsmäßige (negative) Ausrichtung kann zu Depression, Panik, Verzweiflung oder unheimlicher Ruhe führen. Gegenregulation versagt: der blick durch die „schwarze Brille“ verzerrt alles und dadurch wird man im Pessimismus bestätigt. Verlust des freien Denkens bis zu sich ständig wiederholenden Gedankenabläufen 2. dynamische und affektive Einengung
Problemlösungen geschehen meist unter Anwendung starrer Schemata „die Zeit steht still“ – somit fehlt ihr die Perspektive für die Veränderlichkeit der Situation Suizid erscheint ihr als einzig möglicher Ausweg Die Person ist gefühlsmäßig schwer erreichbar. Affektives Mitschwingen ist eingeschränkt. (das Ausmaß der affektiven und kognitiven Einengung ermöglicht eine Einschätzung der Suizidgefährdung)
3. Einengung zwischenmenschlicher Beziehungen Die suizidale Person ist in der akuten Krise sozial eingeengt Zwischenmenschliche Beziehungen werden für sie bedeutungslos bzw. werden von ihr entwertet. Sie isoliert sich und fühlt sich von niemandem verstanden oder aber sie fixiert sich auf eine einzige Person
4. Einengung des Werterlebens Die suizidale Person ist in der akuten Krise in ihren Wertvorstellungen eingeengt Ursprünglich wichtige Werte haben für sie nicht mehr die Bedeutung und können auch Überforderung auslösen (Bsp: der Appell, an die Familie zu denken) Sie ist in ihrer Liebesfähigkeit eingeschränkt und empfindet vieles als Angriff gegen sich
Gehemmte Aggression Aggressive Impulse lassen sich immer weniger nach außen abreagieren, sie werden zunehmend gegen die eigene Person gerichtet
Flucht in die Irrealität Phantasie und Wirklichkeit werden nicht mehr unterschieden Der Suizid wird in der Phantasie vorweggenommen Er erscheint als möglicher Ausweg aus allen Konfliktsituationen Suizidgedanken verselbständigen sich und drängen sich permanent auf
Suizidale Entwicklung (nach Pöldinger) Es werden außer bei Kurzschlusshandlungen drei Verlaufsstadien beschrieben: 1.Erwägung 2.Abwägung und Ambivalenz 3.Entschluss
Phasen der Suizidalität (Pöldinger, 1968) Alles engt sich ein. Suizid wird als Problemlösung ernsthaft in Betracht gezogen Wäre das ein Ausweg? Direkte Suizid- ankündigungen Ich werde es tun! Indirekte Suizid- ankündigungen 1. Erwägung2. Abwägung / Ambivalenz 3. Entschluss
1. Erwägung: alles engt sich ein Suizid wird als Problemlösung ernsthaft in Betracht gezogen Psychodynamische Faktoren Qualität des sozialen Netzes Suizide im Umfeld und Umgebung als „Vorbild“ Aggressionshemmung (normale soziale Konflikte können nicht gelöst werden) Soziale Isolierung
2. Abwägung: wäre das ein Ausweg? Gedankliche Auseinandersetzung mit Suizid ist weit fortgeschritten und konkret Direkte Suizidankündigungen Hilferufe als Ventilfunktion: „ich kann nicht mehr“ Kontaktsuche Bilanzierung: Für und Wider des Suizides
3. Entschluss: ich werde es tun Bilanzierung ist für Suizid ausgegangen: Indirekte Suizidankündigungen Vorbereitungshandlungen Für Angehörige scheint alles wieder in Ordnung zu sein => „Ruhe vor dem Sturm“ Suizidhandlung
Einschätzung der Suizidalität Wahrnehmen von Suizidgefährdung Hinweise aus der Vorgeschichte (frühere Suizidversuche) Hinweise aus der Umwelt (Äußerungen von Angehörigen) Hinweise aus der Lebenslage (Krise, Trennung, berufl. Probleme)
Einschätzung der Suizidalität Bewertung der aktuellen Situation Art der Suizidgedanken (z. B. sich aufdrängende Zwangsgedanken) Stadium der suizidalen Entwicklung Grad und Art der Einengung Ausmaß der sozialen Integration konkrete Vorbereitungen (Testament, Medikamente sammeln)
Umgang mit Suizidgefährdeten Beziehungsfördernde Grundhaltung als Basis Ansprechen der Suizidalität Denken Sie daran, mit dem Leben Schluss zu machen?“ „Sind Sie so verzweifelt, dass Sie an Suizid denken?“ Wichtige Ressource: Einbeziehung der Umgebung des Betroffenen
Umgang mit Suizidgefährdeten Anerkennen des Notsignals (aktives Zuhören) Verstehen der spezifischen Situation des Betroffenen Suizidpakte sind mittlerweile umstritten abwägen, ob eine Zwangseinweisung erfolgen soll Akute Fremd- und/oder Selbstgefährdung ist ein Einweisungsgrund nach UBG
Fehler im Umgang vorschnelle Tröstung Appelle, Ratschläge, Belehrungen argumentierende Diskussion Herunterspielen des Problems
Fehler im Umgang Provokationen persönlich nehmen Bagatellisierungstendenzen der Person mitmachen mangelnde Exploration der Situation zu rasche Suche nach Veränderungsmöglichkeiten
Hinterbliebene / Angehörige
Trauer bei Verlust durch Suizid Trauer nach einem Verlust durch Suizid ist besonders schwer zu bewältigen Hauptprobleme Offene Fragen Schuldgefühle, Wut und Scham Mangel an Unterstützung und Stigmatisierung
3 Hauptfragen Warum hat er / sie das getan? Warum habe ich es nicht verhindert? Wie konnte er / sie mir das antun?
Trauer bei Verlust durch Suizid: typische Reaktionen Scham Schweigen Isolation Schuldgefühl Wut Gedankenkreisen Verzerrtes Denken
Was ist wichtig für betroffene Angehörige/Freunde? Information/Realitätsprüfung (Was, Wie) Kommunikation in Familie und Freundeskreis (Zusammenhalt; keine gegenseitigen Schuldzuweisungen) Verabschiedung (Beziehungsklärung)
Was hilft in der Trauer? Die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem „WARUM“ ist ein Dreh- und Angelpunkt für die Trauer nach einem Suizid. Nur wenn sich Hinterbliebene ihr in ausreichendem Maß stellen können, verliert sie im Laufe der Zeit ihre Bedeutung
Was kann Trauernden helfen? persönlich Kontakt suchen, Kontakte nicht abbrechen lassen, Zuhören, auch wenn immer wieder dieselben Geschichten erzählt werden, emotionale Ausbrüche (Weinen, Schreien, Wut) aushalten können, Mitweinen und die eigene Wort- und Hilflosigkeit nicht als Schwäche erleben, dem Trauernden Zeit lassen, den Schmerz des Trauernden achten und aushalten können, zu Gesprächen über den Verstorbenen ermutigen, Hilfe in jeder Form anbieten und mit Ablehnung leben können, scheinbare „Rückschläge“ auf dem Trauerweg ohne Drängen und Vorwürfe ertragen können.
Man kann zwar die Dunkelheit nicht abstellen, aber man kann eine Kerze anzünden