Niklas Luhmann – ein deutscher Soziologe

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 Präsentation transkript:

Niklas Luhmann – ein deutscher Soziologe

Curriculum Vitae 1927: Geburt in Lüneburg 1945: Amerikanische Kriegsgefangenschaft 1946-1950: Jurastudium, 1. und 2. Staatsexamen 1954-1960: Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung: Oberverwaltungsgericht in Lüneburg und Kultusministerium Niedersachsen 1960: Heirat 1960-61: Studium der Soziologie an der Harvard University bei Talcott Parsons, Grundleger der Systemtheorie (Action is system!) 1962-65: Referent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer 1965: Abteilungsleiter an der Sozialforschungsstelle in Dortmund 1966: Dissertation und Habilitation in Münster 1968: Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld 1977: Tod der Ehefrau 1993: Emeritierung in Bielefeld 1964-98: Zahlreiche Veröffentlichungen, Ehrungen. Preise, Festschriften. Ehrendoktorwürden 1998: Tod in Oerlinghausen bei Bielefeld

Niklas Luhmann (1927-1998) „Bei meiner Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld fand ich mich konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite. Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft; Laufzeit: 30 Jahre; Kosten: keine.“

Luhmann behauptet, dass wir es heute mit einer gänzlich veränderten Gesellschaft zu tun haben, zu deren Beschreibung die Semantik aus der Frühzeit der Aufklärung nicht mehr taugt. Es geht in diesem Vortrag um die Präsentation einiger zentraler Bausteine von Luhmanns Systemtheorie. Am Anfang war/ist die Differenz (Unterscheidung) von System und Umwelt: Umwelt und System zusammengenommen, ist Welt, wobei die Umwelt selbstverständlich „immer komplexer als das System" ist.

Es gibt drei Typen von Systemen:   A: Biologische (=lebende) Systeme beziehen sich auf Organismen, Zellen, Nervensysteme, Immunsysteme usw., man bemerke dabei, dass Menschen keine Systeme sind. Der Mensch hat Anteil an mehreren Systemtypen. Sein Körper (darunter das Gehirn mit seinen Zellen) ist ein biologisches, sein Bewusstsein ist ein psychisches System (manchmal von Luhmann "Person" genannt), und soziale Systeme lassen sich in menschliche Handlungen dekomponieren. B: Soziale Systeme C: Psychische Systeme

B: Soziale Systeme   3 Typen von sozialen Systemen:   a) Interaktionssysteme entstehen spontan, wo Menschen zusammentreffen und Informationen austauschen. b) Organisationssysteme sind gekennzeichnet durch Mitgliedschaften, die durch Bedingungen und Regeln bestimmt werden. Diese ermöglichen gegenüber dem Chaos der Umwelt geordnete Prozessabläufe, reduzieren also deren Komplexität. c) Das Gesellschaftssystem umfasst alle Interaktions- und Organisationssysteme als ein übergeordnetes System. Die Gesellschaft ist als solche unsichtbar und besteht nur aus ihren konkreten Bestandteilen, den konkreten Kommunikationen und Organisationssystemen.

„Am Anfang steht also nicht Identität, sondern Differenz“ - Andere versuchen, Gesellschaft kausal zu erklären, indem soziale Erscheinungen auf bestimmte einzelne Ursachen zurückgeführt werden. Marx hat diese Ursache in der Akkumulation des Kapitals, Freud in den menschlichen Trieben, Nietzsche in der religiösen Verzweiflung gesehen. Mit der Kausalbeziehung lasse sich ein soziales Gebilde aber nicht erklären, sagt Luhmann:  Die Systemtheorie begreift soziale Strukturen jeder Art - Familien, Produktionsbetriebe, Geselligkeitsvereine, Staaten, politische Parteien, Marktwirtschaften, Kirchen, Gesellschaften, Schulen, Universitäten - als sehr komplexe Handlungssysteme, die eine Vielzahl von Problemen lösen müssen, wenn sie sich in ihrer Umwelt erhalten wollen.

Die erste Unterscheidung, die der systemtheoretische Beobachter vorzunehmen hat, ist die Unterscheidung von System und Umwelt. Ein weiterer wichtiger Mechanismus von Reduktion der Komplexität ist die Bildung von Begriffen. Auf die Begriffsgenauigkeit im Rahmen seiner Theoriebildung legt Luhmann besonders großen Wert, denn das Wissen-schaftssystem kann nur beobachten, was es begreifen kann. Wenn man etwas begreift (bestimmt, bezeichnet), dann beobachtet man es und isoliert es aus der Umwelt (Reduktion der Komplexität), ebenso bei Information:

Information wird NICHT übertragen, sondern erst das Verstehen des Empfängers (Ego) bedeutet, dass eine Mitteilung stattgefunden hat.

Information wird NICHT übertragen, sondern erst das Verstehen des Empfängers (Ego) bedeutet, dass eine Mitteilung stattgefunden hat.

Die Gesellschaft als soziales System – historisch: Die Evolution des Gesellschaftsformen nach Luhmann

Schautafel der Funktionssysteme nach Luhmann

Also: Was ist ein System Also: Was ist ein System? System kann man als einen Zusammenhang von Elementen beschreiben,"deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen” – „Systeme haben eine Tendenz, sich selbst zu erhalten - sonst würden sie sofort wieder in Chaos verfallen" (Autopoiesis) Als autopoietisch bezeichnen wir Systeme, die die Elemente, aus denen sie bestehen, durch die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst produzieren und reproduzieren. Psychische Systeme bestehen aus Gedanken und Gefühlen. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen, und wenn ein solches System nicht mehr Kommunikation produzieren kann, existiert es nicht mehr als soziales System. Wenn etwa ein Massenmedium aufhört zu senden, drucken und berichten, dann existiert es nicht mehr. Andere Beispiele: Schulen, Universitäten und Liebespaare

Luhmann behauptet, dass sich soziale Systeme durch Kommunikationen bilden, wobei spezifische Kommunikationen für spezifische Systeme gelten. So kann man schon im Alltag feststellen, dass das Wirtschaftssystem anders kommunizieren muss, als etwa das System der Liebe: Während sich Liebende gegenseitig ihre intimen Gefühle mitteilen und vom anderen erwarten, dass dieser daran interessiert ist, dürfte eine solche „Gefühlsduselei“ und „Egotherapie“ im Geschäftsleben eher hinderlich sein. Vielleicht gelingt es ja auf dem Markt hin und wieder, einen dortigen Händler mit einer sehr persönlichen Lebensgeschichte zum Schenken der Ware zu überreden – nur bedeutet das für den Händler auf Dauer den Ruin.

So wie Liebe und Wirtschaftssystem über eine „eigene Sprache“ verfügen, unterscheidet Luhmann weitere soziale Systeme: das Politische System, das Gesundheitssystem, das Kunstsystem, das Rechtssystem, das Wissenschaftssystem usw. Allen gemeinsam ist, dass sie für die Gesellschaft (die Gesamtheit aller Kommuni-kationen) eine spezifische Funktion übernehmen: So sichert das Wirtschaftssystem die Sicherstellung künftiger Versorgung unter Bedingungen der Knappheit und bedient sich dazu der „Sprache“ des Eigentums oder (seit einer ausdifferenzierten Geldwirtschaft) des Geldes. Zwar könnte im Prinzip auch das politische System künftige Versorgung sichern (per Dekret), nur aus Erfahrung ist bekannt, dass dies nicht gerade optimal funktioniert. Im Grunde ist dem politischen System („Sprache“: Macht) die künftige Versorgung auch vollkommen egal – wenn davon nicht Wahlerfolge abhängen würden. Umgekehrt ist dem Wirtschaftssystem die Umweltverschmutzung gleichgültig - wenn davon z.B. die Preise von bestimmten Waren nicht betroffen sind.

Stelllen wir uns mal vor, dass ein Tourismusunternehmen aufgrund von Umweltverschmutzung in der Ferienregion Einbußen erleidet. Sofern man dies mit Geld bewerten und reparieren kann, wird sich das Unternehmen daran vermutlich beteiligen – wenn es sich rechnet. Und wenn man mit einem solchen „Umwelt-engagement“ Wählerstimmen gewinnen kann, wird auch das politische System aktiv werden (und, wenn es sich für das Unternehmen nicht rechnet, Subventionen bereitstellen). Das sei zynisch? Sind denn moralische Appelle an das „Umwelt-bewusstsein“ (genauer: an andere Wähler und andere Konsumenten) etwas anderes? Nach Luhmann bestehen soziale Systeme aus Kommunikationen, das Wirtschaftssystem also aus Geldkommunikationen. Nicht das Geld selbst (also die Banknoten) bilden das Wirtschaftssystem, sondern die jeweiligen Zahlungen (und auch die Nicht-Zahlungen). Zahlungen und Nicht- Zahlungen sind die kommunikativen Operationen des Wirtschaftssystems.

Nur soziale Systeme kommunizieren, nicht Menschen (Luhmann)

> Am Anfang einer Theorie steht nicht Identität, sondern Differenz > Nur soziale Systeme kommunizieren, nicht Menschen > Die Sprache ist die Muse der Gesellschaft, aber mit ihr kommen auch Irrtum, Täuschung, Lüge in die Welt > Massenmedien verzerren nicht die Realität, sie erzeugen sie > Je mehr Information, desto mehr Nichtinformation > Presse, Hörfunk und Fernsehen bestimmen die Art, wie die Welt gelesen wird, z.B. wer die Guten und wer die Bösen sind > Die Medien dirigieren die Selbstbeobachtung der Gesellschaft