Migrationsrecht Ausländer-, Asyl- und Einbürgerungsrecht Einführung
Begriff: Migrationsrecht alle Rechtsnormen, die sich auf migratorische Ereignisse und Zustände beziehen, insbesonde- re die Zu- und Auswanderung sowie die Rechts- stellung ausländischer Personen regeln Unterteilung in: –Ausländerrecht: ordentliche Zulassung und Entfer- nung –Asylrecht: ausserordentliche Zulassung bei Flücht- lingssituation –Einbürgerungsrecht: Erwerb und Verlust des Schwei- zer Bürgerrechts
Begriff: Ausländer Ausländer = Menschen, die nicht Bürger eines Staates sind –aus Schweizer Sicht: wer nicht über das Schweizer Bürgerrecht verfügt –Staatenlose sind Ausländer –Doppelbürger sind nicht Ausländer Migranten = Menschen, die migrieren –können auch Schweizer sein –hier geborene und aufgewachsene Ausländer sind genau genommen keine Migranten
Kennzahlen zur Migration: weltweit rund 200 Mio leben in fremdem Land rund Mio Flüchtlinge (schwankend), wovon rund 80% in der Dritten Welt rund Mio intern Vertriebene (internally displaced persons; IDPs)
Migrationsfaktoren « Pull »-Faktoren: –Friede, öffentliche Sicherheit, politische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit (insbes. Glaubens- und Meinungsfreiheit) –Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, hohes Lohnniveau, Aufstiegschancen, Zukunftsaussichten –medizinische Versorgung, Bildungswesen –familiäre und sonstige soziale Beziehungen –multinationale Geschäftsbeziehungen « Push »-Faktoren: –bewaffnete Konflikte, Natur- und von Menschen verursachte Katastrophen, instabile politische Systeme, absolute Regimes –Erwerbslosigkeit, tiefes Lohnniveau, hohes soziales Gefälle, fehlende soziale Sicherheit, Ressourcenmangel –ungenügende medizinische Versorgung, mangelhaftes Bildungswesen –soziale Konflikte, Minderheiten –multinationale Geschäftsbeziehungen
Kennzahlen zur Migration: Schweiz 1,6 Mio Ausländer > 20% der Gesamtbevölkerung 1 Mio Angehörige der EU/EFTA (> 60% der Ausländer) 98% Langzeitanwesende 70’000 unter Asylrecht (< 1% der Gesamtbevölkerung) ca. ¼ der Ausländer in der Schweiz geboren 100’000 Einwanderungen bei 50’000 Auswanderungen pro Jahr (schwankend) –50% der Einwanderungen zu Erwerbszwecken –35% der Einwanderungen im Familiennachzug –10% der Einwanderungen zu Aus- und Weiterbildungszweck 40’000 Einbürgerungen pro Jahr (schwankend) geschätzte 7% der Schweizer sind Eingebürgerte zum Vergleich: –rund 600’000 Auslandschweizer, wovon ca. 70% Doppelbürger –ca ’000 Auswanderungen und Rückkehrer von Schweizerinnen und Schweizern pro Jahr (+/- ausgeglichen)
Geschichte des Ausländerrechts: die liberale Freizügigkeit bis 18. Jht.: international weitgehend anerkann- ter Grundsatz der freien Migration (religiös bzw. biblisch begründet) 19. Jht.: –nationale Zuständigkeit der Nationalstaaten –Schweiz: kantonale Kompetenz Staatsverträge durch Bund Schweiz als Auswanderungsland Jahrhundertwende 19./20. Jht.: –liberale Freizügigkeit (Niederlassungsverträge) –grosszügige Einbürgerungspraxis
Geschichte des Ausländerrechts: Die Überfremdungsabwehr 1. Weltkrieg: –Abschliessung durch Bundesrat (Vollmachtenrecht) –Zulassung im behördlichen Ermessen Zwischen Weltkriegen: –1925 Bundeskompetenz –1931 erstes Bundesgesetz (ANAG): Überfremdungsabwehr Ermessenszulassung einheitlicher Ansatz für alle Ausländer : –Schweiz wird zum Einwanderungsland –Wanderarbeiter (Südeuropa) –Überfremdungsinitiativen –Stabilisierungsmassnahmen des Bundesrates (insbes. Begrenzung der Zahl der Ausländer) –Assimilation als Einbürgerungsvoraussetzung
Geschichte des Ausländerrechts: vom Drei- zum Zweikreisemodell : 1982 neues Ausländergesetz in Volksab- stimmung abgelehnt Um 1990 Zuwanderung aus dem Balkan (Jugoslawien) 1992 Zulassung des Doppelbürgerrechts: Ablösung der Assimilation durch Integration 1994 Dreikreisemodell (insbes. Stopp ge- genüber dem Balkan) 1998 Zweikreisemodell (duales System)
Geschichte des Ausländerrechts: neue selektive Freizügigkeit 2002 Freizügigkeitsordnungen mit EU/EFTA völkerrechtliche Rechtfertigung des Zweikreisemodells 2005 Erweiterung der Freizügigkeit: –Osterweiterung –Bilaterale II mit Schengen- und Dublin-Abkommen 2008 neues Ausländergesetz (AuG) –gesetzliche Verankerung des dualen Systems –Integration bzw. Integrationsfähigkeit als Zulassungsvoraus- setzung 2009: –Ausweitung der Freizügigkeit auf RU/BG –Bestätigung des FZA
Geschichte des Asylrechts: religiöser Schutz Krimineller Altertum: rein religiöses Asyl für verfolgte Straftäter als kirchlicher Schutz vor staatli- chem Zugriff in Erwartung des göttlichen Urteils Mittelalter: Aufkommen des säkularisierten staatlichen (nationalen) Asyls für Straftäter
Geschichte des Asylrechts: Das nationale politische Asyl 17./18. Jht. neue Entwicklung: –Aufkommen des politischen Asyls für verfolgte Min- derheiten und politische Einzelgänger –rein nationaler Schutz –Gewisse Tradition der Schweiz (Hugenotten, Voltaire, Rousseau) –daneben immer noch Kirchenasyl 19. Jht. erste internationale Asylkonzepte: –Verständnis des Asyls als neutraler, humanitärer staatlicher (politischer) Akt –Abfederung durch aufkommendes Auslieferungsrecht
Geschichte des Asylrechts: Die Internationalisierung 20. Jht. bis ca. 1970: 2. Weltkrieg: grosse Flüchtlingsströme und weitgehendes Versagen der Politik nach 2. Weltkrieg: –Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 –erstmals internationales Flüchtlingsrecht –Prinzip des Non-Refoulement als wegleitender Grundsatz –Schweiz: liberale Asylpolitik (insbes. Ostblock- flüchtlinge; 1956 UN, 1968 CSSR); Vollzug mit Kantonen und Privaten
Geschichte des Asylrechts: Die Verrechtlichung : –Flüchtlinge aus Lateinamerika –zunehmende Überfremdungsangst (zusam- men mit Wanderarbeitern) –erstes Asylgesetz 1979: Bund zieht Asylbereich ganz an sich nationale Verrechtlichung mit Paradigmenwechsel: politischer Gnadenakt wird zu rechtlichem Verwal- tungsakt
Geschichte des Asylrechts: Die Problemphase vermehrt internationale Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsländern (Balkan, Afrika, Afghanistan, Naher Osten) 1989 (« Fall der Mauer » bzw. des « Eisernen Vorhangs ») –neue Kriegs- und Bürgerkriegsländer (Balkan, Irak, Afrika) –Zunahme der Wirtschaftsflüchtlinge –Zunahme der Schwierigkeiten beim Wegweisungs- vollzug
Geschichte des Migrationsrechts: jüngste Reaktionen der Politik Ziel: Steuerung der Migration durch « Migrationsmanagement » Gesetzgebungsaktivismus: –Anpassung an Schengen- und Dublinrecht (dynamische Weiterent- wicklung) –« Missbrauchsbekämpfung » (v.a. gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen) –Verfahrensbeschleunigung –Ausbau der Vollzugsinstrumente neue staatsvertragliche Lösungen: –bilaterale Rückübernahmeabkommen –Dublin-Assoziierung (zusammen mit Schengen) –bilaterale Migrationspartnerschaften (Kooperationsabkommen, erst am Anfang) EU: Projekt einer « blue card » (analog wie « green card » in USA nach Qualitätskriterien bzw. Punktesys-tem mit Aufenthaltsrecht in ganz EU)