Johannes Kepler Universität Linz (JKU), Institut für Strafrechtswissenschaften, Abteilung für Unternehmensstrafrecht und Strafrechtspraxis RA Univ.- Prof.

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Johannes Kepler Universität Linz (JKU), Institut für Strafrechtswissenschaften, Abteilung für Unternehmensstrafrecht und Strafrechtspraxis RA Univ.- Prof. Dr. Richard Soyer, Linz und Wien Workshop „Grundfragen eines modernen Verbandsstrafrechts“ Universität zu Köln, 8. April 2016 HERAUSFORDERUNGEN AN DIE VERTEIDIGUNG BEI GLEICHZEITIGEN ERMITTLUNGEN GEGEN VERBAND UND INDIVIDUUM

I. Eckpunkte des österr. justizstrafrechtlichen Haftungsmodells (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz – VbVG) II. Verfahrensrechtliche Struktur und -probleme II.1. Rechtsstellung und Aussage(verweigerungs)rechte von Verbandsangehörigen und RA/VerteidigerInnen II.2. Opportunitätsprinzip bei Verbänden -Compliance als Nachtatverhalten vs Präventive Compliance II.3. Tätige Reue von Verbänden III. Resümee GLIEDERUNG

I. ECKPUNKTE HAFTUNGSMODELL Strafrechtsmodell Zurechnungslösung mit tw. Organisationsverschulden Anknüpfung an Tatbegehung von Entscheidungsträger/Mitarbeiter Weiter Verbands-, Entscheidungsträger- und Mitarbeiter-Begriff (Allgemeines) Zurechnungskriterium (§ 3 Abs 1 öVbVG)  Tatbegehung zu Gunsten des Verbandes oder Verletzung von Verbandspflichten (Spezieller) Zurechnungsgrund (§ 3 Abs 2 und Abs 3 öVbVG)  Tatbestandmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat von Entscheidungsträger oder  Tatbestandsmäßige, rechtswidrige und vorsätzliche/fahrlässige Tat von Mitarbeiter sowie Organisationsverschulden von Entscheidungsträger

II. STRUKTUR(PROBLEME) VERFAHREN Geltung der allgemeinen Vorschriften über das (Individual)Strafverfahren im Verfahren gegen belangten Verband, wenige Sonderregelungen (§ 14 Abs 1 öVbVG) Verband hat auch im Verfahren gegen Individualbeschuldigten die Rechte des Beschuldigten (§ 15 Abs 1 2. Satz öVbVG) IdR gemeinsame (gleichzeitige) Führung des Ermittlungs-, Haupt-und Rechtsmittelverfahrens gegen Individualbeschuldigten und belangten Verband (§ 15 Abs 1 öVbVG) – aber getrennte Schlussvorträge und Urteile (§ §§ 22 Abs 2, 3 öVbVG Nebeneinander von staatsanwaltlichen Legalitäts- und Opportunitäts- prinzip in einem Strafverfahren (§ 2 öStPO, §§ 13, 18 öVbVG) „Gedeckelte“ Geldbuße (max. € 1,8 Mio) und (neuerdings „entdeckte“) Verfallsregelung

INDIVIDUAL- VS VERBANDS- VERTEIDIGUNG Herausforderungen (nur) bei Ermittlungen? Verteidigung des Individualbeschuldigten und des belangten Verbandes in Grundtendenz nicht gegenläufig  Problem von Interessenkollisionen ähnlich wie in Strafverfahren gegen mehrere Beschuldigte  Aber: Spezielle gegenläufige Interessenkollisionen / Gleichklänge wegen verfahrensrechtlichen Sonderkonstellationen  Rechtsstellung/Aussageverweigerung von Beschuldigten/Verband/Verteidiger  Opportunitätsprinzip gegenüber belangten Verband  Nachtatverhalten: Compliance und Internal Investigations  Sonderkonstellation: Tätige Reue

INTERESSENSKOLLISIONEN UND VERFAHRENSKONFLIKTE Verfahren gg. mehrere (Individual-)Beschuldigte  Schuldfrage: Geständnis vs Bestreitung Tatvorwurf  Straf-Sanktionsfrage: Milderungsgründe, Diversion Verfahren gg. Individual- beschuldigte und Verband  Strukturell gleich gelagert, aber zusätzliche:  Interessenskohärenz bei Unrechts- /Schuldvorwurf  Interessensgegensätze wg. prozessrechtlicher Verbands(Besser)Stellung  Vergleichbar bei Milderungsgründen; Gravierendere Konflikt- situation bei Diversion

SOCKELVERTEIDIGUNG GEGEN UNRECHTS- UND SCHULDVORWURF IndividualbeschuldigterVerband EntscheidungsträgertatMitarbeitertat Allg. Zu- rechnung Ziel: Tatbegehung nicht zugunsten des Verbandes oder unter Verletzung von Verbandspflichten Unrechts- vorwurf Ziel: Handeln erfüllt nicht den gesetzlichen Unrechtstatbestand Schuld- vorwurf Ziel: Keine Individualschuld Ziel: Keine Entscheidungs- trägersorgfaltspflicht- verletzung

II.1. BESCHULDIGTENSTELLUNG, AUSSAGEVERWEIGERUNGSRECHT Entscheidungsträger (§ 17 Abs 1 öVbVG)  haben ex lege Beschuldigtenstellung (ohne Anfangsverdacht gegen Individuum), i.e. Schweigerecht Mitarbeiter (§ 17 Abs 1 öVbVG)  haben Beschuldigtenstellung nur bei Anfangsverdacht  haben Aussageverweigerungsrecht bei Selbstbelastungsgefahr Rechtsanwälte/Verteidiger (§ 157 Abs 1 Z 2, Abs 2 öStPO)  haben Aussageverweigerungsrecht „über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist“  = „autonomes Recht“ des Berufsgeheimnisträgers (dh auch bei Entbindung von Schweigepflicht)  nichtigkeitsbedrohtes Umgehungsverbot (geschützt jedoch nur Unterlagen in Gewahrsam des RA/Verteidigers)

FAZIT 1 – INTERESSENSKONFLIKT Für Individualbeschuldigte:  Ambivalent  (+) Keine Verpflichtung des Entscheidungsträgers als Belastungszeuge auszusagen  (-) Gefahr des „Ausfalls“ des Entscheidungsträgers als Entlastungszeuge Für belangten Verband:  Vorteilhaft  (+) Kein Entscheidungsträger muss/wird als Zeuge gegen andere Entscheidungsträger und Mitarbeiter und damit dem Verband Nachteiliges aussagen  (+) Allgem. Schrankenfunktion schon im Ermittlungsverfahren

II.2. LEGALITÄT VS. OPPORTUNITÄT IM SELBEN ERMITTLUNGSVERFAHREN IndividualbeschuldigterBelangter Verband Diversion (Rücktritt von der Verfolgung) §§ 198 ff öStPO -Ausschlusskriterium schwere Schuld -Schadensgutmachung nicht zwingend § 19 öVbVG -Kein Ausschlusskriterium schwere Schuld -Zwingende Schadensgutmachung

KONSEQUENZ FÜR BEWEISLAGE- UND STRATEGIEKONFLIKTE „Vor“-Verfahren Ermittlungsverfahren Hauptverhandlung Internal Investigations Compliance Tätige Reue Prozessuale Besserstellung des Verbandes Nachtatverhalten

FAZIT 2 - INTERESSENSGEGENSATZ Für Individualbeschuldigte:  „Crime does not pay“ gilt in voller Härte  Kooperation des Verbandes mit StA im Zuge von Internal Investigations birgt Nachteilsgefahr Für belangten Verband:  Nachtatverhalten zahlt sich aus  Internal Investigations sind „gut verkäuflich“ für den belangten Verband, zu Lasten von Individualbeschuldigten  Compliance „post crimen“ als Kriterium für Ausübung des Verfolgungsermessens

II.3. TÄTIGE REUE BEI EIGENTUMS- UND VERMÖGENSDELIKTEN Tätige Reue bewirkt „Aufhebung der Strafbarkeit“ bei großem Katalog „reuefähiger (Eigentums- und Vermögens-)Delikte“ gemäß § 167 öStGB Dem Täter kommt tätige Reue zustatten, wenn er, bevor die Behörde von seinem Verschulden erfahren hat, wenngleich auf Andringen des Verletzten, so doch ohne hiezu gezwungen zu sein,  den ganzen aus seiner Tat entstandenen Schaden gutmacht oder  sich vertraglich verpflichtet, dem Verletzten binnen einer bestimmten Zeit solche Schadensgutmachung zu leisten. Tätige Reue auch bei Schadensgutmachung durch Dritten im Namen des Täter oder einen anderen an der Tat Mitwirkenden.

FAZIT 3 - INTERESSENSGLEICHKLANG Für Individualbeschuldigte:  Rechtzeitige Schadens- gutmachung durch Individualbeschuldigten oder Verband im „Vor“- Verfahren bewirkt grundsätzlich Straffreiheit Für belangten Verband:  Möglichkeit der Tätigen Reue unterstützt Kooperationswilligkeit des Individualbeschuldigten  Überzeugende Gründe sprechen für Straffreiheit auch des Verbandes bei rechtzeitiger Schadensgutmachung

III. RESÜMEE Die Verteidigung des Individualbeschuldigten scheint in Ö bei gleichzeitigen Ermittlungen gegenüber der Verteidigung des Verbandes benachteiligt zu sein. Diese „Herausforderung“ ist durch verfahrensrechtliche Besserstellungen des Verbandes strukturell bedingt. Die Erstreckung des Opportunitätsprinzips im (bzw. auf) Verfahren gegen Individualbeschuldigte könnte die gebotene Balance herstellen und ist daher rechtspolitisch zu erwägen.

JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße Linz, Österreich Institut für Strafrechtswissenschaften Abteilung für Unternehmensstrafrecht und Strafrechtspraxis RA Univ.- Prof. Dr. Richard Soyer BESTEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT!