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Institut für Afrika-Kunde

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Präsentation zum Thema: "Institut für Afrika-Kunde"—  Präsentation transkript:

1 Institut für Afrika-Kunde
Zur Renaissance afrikanischer Denkweisen das Beispiel des Magie- und Hexenglaubens in Afrika Dirk Kohnert Institut für Afrika-Kunde Hamburg (file: \magie-warburg.ppt, Stand: )

2 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 1: Die tradierten Methoden der Politik okkulter Glaubenssysteme werden zeitgemäß angepasst Aktuelle Beispiele: Politics of ritual murder in Nigeria der Ogwugwu cult, Okija, Anambra State die Ogboni-Geheimgesellschaft der Yoruba Taditional Shrines: the last vestiges of bad governance in Nigeria? (according to Anambra state government, cf. Guardian, ) Zur Parallel-Gerichtsbarkeit des Okija-cults, Anambra State, Nigeria Während einer Durchsuchung des über die Grenzen des Igbolandes hinaus berüchtigten Ogwugwu-shrines in Okija, Anambra State durch die Bundespolizei im August 2004 fand die Polizei unter Führung ihres Inspector-Generals (IG), Tafa Balogun, über 80 Leichen im „heiligen Wald“ des Schreins. Die Leichen waren zum Teil verstümmelt (Genitalien, Zunge, Herz etc. abgeschnitten), ca. 20 noch frisch, die meisten jedoch einbalsamiert; sie dienten offensichtlich der Machtdemonstration und Abschreckung der Klienten. Der Gouverneur von Anambra state, Dr. Chris Ngige, begleitet von mehreren Senatoren des Repräsentantenhauses, konsultierte den Okija shrine kurz vor den Gouverneurs- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2003, um seine Loyalität mit seinem politischen „Paten“, dem einflussreichen politischen Unternehmer, Chief Chris Uba, zu beschwören. Ngige selbst, gab an, zum Schwur vor dem Kult gezwungen worden zu sein, und er befürwortete die Veröffentlichung der Namen aller Klienten der politischen und wirtschaftlichen Elite, die regelmäßig den Kult konsultierten (Quelle: The Sun, ; ). Auch der Mehrheitsführer des Anambra State House of Assembly, Hon. Humphrey Nsofor, gab zu, dass er, sowie weitere 21 Parlamentarier, gezwungen worden seien vor dem 90-jährigen Priester des Okija-shrines dem „Paten“ Chief Chris Uba Loyalität zu schwören, andernfalls würde der Kult sie töten. Nsofor bestätigte außerdem, dass der Schwur vor dem Okija-shrine eine generationenlange Tradition habe mit der die Hintermänner (political godfathers) der politischen Führer des Landes die Macht des Kultes nutzten, um ihre politische Herrschaft im Staat abzusichern: „You can‘t have access to the grassroot, no matter how politically strong you are.“ (s. Edomaruse, Collins: Anambra Lawmakers – We swore at Okija Shrine. This Day Sunday, ). Auf die gleiche Weise habe man auch den den Vorgänger von Gouverneur Ngige, Gouverneur Chinwoke Mbadinuj und dessen Regierung in die Hand bekommen. Die Hauptnutznießer des Kultes zahlten dem Hauptpriester des Kultes angeblich bis zu 5 Mio. Naira oder 1 Mio. (€ 5.813) monatlich bis zu dem misslungenen Entführungsversuch von Ngige am Danach zahlten sie 500 Tsd. Naire monatlich, um für Ngige‘s Tod zu „beten“ (ibid.). Nach dem misslungenen Anschlag auf den Konvoi des Gouverneurs sagte ihnen der Hauptpriester des shrines, Ngige sei nur knapp entkommen und mit weitere „Gebete“ zu den Göttern des shrines würden sicherlich seinen Tod herbeiführen (ibid.). In den ca Namen umfassenden 13 Klientenregister des Kultes befanden sich u.a. die Namen eines respektierten Bischofs aus dem Rivers State, mehrerer Mitglieder der Länderparlamente des Anambra- und Rivers State, sowie diverser Unternehmer, Traditioneller Herrscher und bekannter Politiker aus allen Teilen Nigerias bis hin nach Lagos. (Quelle: The Sun, ). Der Okija-shrine kam u.a. deswegen in Verruf, weil er usurpiert wurde von einer mafiösen Erpresser-Bande, die die okkulte Macht des shrines nutzte, um analog zum 419 scam, Gelder von Unternehmern und Politikern zu erpressen. (Quelle: The Guardian, ). Auch der Chef der „Bürgerwehr“ der Bakssi Boys arbeitete angeblich mit dem Okija-shrine zusammen. Zur Ogboni-Geheimgesellschaft: Mächtige informelle Judikative (Strafverfolgungs- und –Vollstreckungsorgan) unter den Yoruba (Oyo, Edo- und Benin) in vorkolonialer Zeit (zur Geschichte der Ogboni, Frobenius, 1913; Morton-Williams, P. 1960; Fadipe 1970; ) Eine wesentliche Funktion der traditonellen Ogboni-Gesellschaft besteht in der zwangs­weisen Einbindung aller Mitglieder in einen auf Konsens ausgerichteten Diskurs über (lokal-) politische Entscheidungen sowie in der religiös-magischen und richterlichen Funk­tion von Mandatsträgern. Letztere ist besonders gefragt, wenn menschliches Blut vergossen wird, d.h. bei Tötungsdelikten, inklusive "Tötung durch Hexerei". Den führenden Mitglie­dern der Gesellschaft wird besondere religiöse, okkulte Kenntnis und Macht zugeschrieben. Die Mitgliedschaft steht nicht jedem Nigerianer offen, sondern ist an besondere Qualifika­tionen und Leistungen gebunden; sowohl Frauen als auch Männer können einen hohen Rang in der Gesellschaft mit jeweils geschlechts-spezifischen Funktionen einnehmen. Kann in kontroversen politischen oder religiösen Fragen trotz aller Bemühungen aus­nahmsweise kein Konsens unter den Mitgliedern erzielt werden, so werden alle Mitglieder durch besondere Riten an die Mehrheitsentscheidung gebunden; dieser Bund wurde früher angeblich mit dem Blut eines Menschenopfers besiegelt. Wer dieses Votum brach, mußte mit der Todesstrafe (z.B. Vergiftung durch andere Mitglieder) rechnen (Morton-Williams 1960:370); ob dieser Brauch auch heute noch gilt, entzieht sich unserer Kenntnis; viele Ni­gerianer sind allerdings fest davon überzeugt. Sowohl weibliche als auch männliche Titelin­haber der traditionellen Ogboni werden von vielen Yoruba als traditionelle Richter (in sä­kularen, religiösen und okkulten Fragen) respektiert und wegen angeblich rigoroser Anwen­dung ihrer Macht (inklusive der Todesstrafe, Verhexung etc.) gefürchtet. Unterscheidung zwischen traditioneller und reformierter Ogboni-Gesellschaft (ROF); letzter ähnelt eher einer studentischen Verbindung in Europa; erstere ist heute noch im informellen Sektor politisch aktiv und droht mit effektiven Sanktionsmitteln bis hin zum Ritualmord. Bis heute sind hochrangige Politiker sowie Mitglieder der Wirtschafts- und die Ausbildungselite (besonders der Yoruba) Mitglied der Ogboni (angeblich war auch Obasanjo einst Mitglied). Unter der ersten Regierung Obasanjo ( ) war die die traditionelle Ogboni-Bruderschaft verboten, dieses staatliche Verbot blieb angeblich bis heute gültig. Asylanträge von Nigerianern wegen angeblicher erpresster Mitgliedschaft in der traditonellen Ogboni traten in den 1990 in Deutschland gehäuft auf. Zumindest in einigen Königreichen der Yoruba (z.B. Oyo) waren zumindest noch zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit (1960) die traditionellen Herrscher und Amtsinhaber bzw. titularen Beamten (Oyo Misi) per Amtsfunktion automatisch Mitglieder der Ogboni, und zwar in herausgehobener Funktion als Ologboni oder Alowo (d.h. "Eigner des Mysteriums bzw. der Geheimnisse der Ogboni", s. Morton-Williams 1960:365). Allerdings können die Ologboni keine titularen Funktionen innherhalb der Ogboni-Gesellschaft übernehmen, d.h. sie dürfen z.B. keine Novizen in die Riten und Geheimnisse der Gesellschaft einweisen und dürfen auch keine gerichtlichen Funktionen oder Nachforschungen für die Gesellschaft übernehmen. Weiterführende Literatur zum Ogboni-Kult: Dennett, Richard Edward (1916): The Ogboni and other secret societies in Nigeria. Africa Society, London (reprinted from the Journal of the Africa Society) Fadipe, Nathaniel (1970): The sociology of the Yoruba. Ibadan University Press Frobenius, Leo (1913): Und Afrika sprach. Wiss. erweiterte Auflage, Berlin, Deutsches Verlagshaus Kolawole, Komolafe (1995): African traditional Religion – Understanding Ogboni Fraternity. Ifa-Orunmila Organisation, Ife (?) Morton-Williams, Peter (1960): The Yoruba Ogboni cult in Oyo. Africa, 30 (1960) Pratten, David Thomas (2000): From secret societies to vigilantes : identity, development and justice among the Annang of south-eastern Nigeria. Ph.D. thesis, unpublished, University of London (UCL) Weisser, Gabriele (1992): Frauen in Männerbünden – Zur Bedeutung der Frauen in den Bünden der Yoruba. Breitenbach, Saarbrücken. Leichenfunde und Beschuldigte des Okija-shrines, Nigeria, August 2004 Quelle: The Sun, 05. & Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

3 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 2: Konflikte im Rahmen von Hexenanklagen werden in Afrika (wieder) zunehmend gewaltsam gelöst Zunahme gewaltsamer Hexenverfolgung in vielen afrikanischen Ländern (z.B. Kongo, Tansania, Südafrika) als Folge wachsender Konfliktpotentiale im Rahmen von Modernisierung und Globalisierung Beispiel Südafrika: In den verarmten Regionen der Limpopo (Northern)- und Eastern Cape Province wurden in den 1990er Jahren im Rahmen politisch instrumentalisierter Hexenanklagen Tausende angeblicher Hexen und Hexer getötet Beispiel Südafrika: Umbruchprozesse des Apartheid-Regimes bewirkten eine überraschende Neuorientierung der Konfliktbereiche in Südafrika, von globalen zu lokalen Dimensionen. Im Gegensatz zu frühen Phasen der Befreiungsbewegung, als die meisten Südafrikaner im Kampf gegen einen gemeinsamen äußeren Feind geeint waren, verstärkte sich in der Transitionsphase die Suche nach dem inneren Feind. Hauptkonfliktlinien der Apartheid (Rasse und Klasse) wurden im Umbruch durch Generationen- und Genderkonflikte überdeckt. Unter der gleichen äußeren Form von Hexenanklagen verbargen sich hinter der Hexenverfolgung in der Nord- und Ost-Cap-Provinz Südafrikas völlig verschiedene Gründe und Konfliktfelder. Enttäuschte Hoffnungen angesichts wachsender Armut und Ungleichheit führten zur Suche nach Schuldigen (Sündenböcken). Darunter hatten besonders die am stärksten benachteiligten Schichten unter den Afrikanern (Arme, Alte, Frauen) zu leiden. Der Feind innerhalb der eigenen Reihen galt als besonders böse und schwierig zu entdecken. Er war besonders der der Tarnung durch magische Kräfte verdächtigt. Hexenverfolgung in der Nord Provinz Südafrikas (Venda, Lebowa): Hexenanschuldigungen, wurden u. a. von ANC-Jugendorganisationen instrumentalisiert, um eine neue, gerechtere Weltordnung durchzusetzen und die traditionellen Herrscher als kompromittierte Agenten des Apartheidregimes zu entmachten. In Venda kam es 1990 zu einer Serie von Ritualmorden (muti murder) von politischen Opponenten. Hexenverfolgung in der Transkei (Eastern Cape): Hexenanklagen orientierten sich an Konflikten zwischen gewalttätigen Geheimbünden mit jeweils unterschiedlicher Legitimation und Außenbindung. Organisierte Viehdiebe terrorisierten jahrzehntelang die Bevölkerung in Tsolo und Qumbu, unter tatkräftiger Mithilfe traditioneller Autoritäten und Sicherheitskräfte. Eine lange Geschichte fehlgeschlagener Abwehrmaßnahmen resultierte 1993 im Aufbau einer illegalen Bürgerwehr (mafelandawonye) zum Kampf gegen das Böse, d.h. aus emischer Sicht gegen Viehdiebe und deren Kollaborateure, einschließlich Hexen. Mitte der 1990er Jahre weiteten sich die gewalttätigen Konflikte bis in die Bergbaugebiete Gautengs und in die Arbeitskräfte Reservoirs Kapstadts aus. Auch die mafelandawonye degenerierte zur mafiösen Bande, die Hexenverfolgung als Mittel zum Machterhalt einsetzte. Links und rechtsradikale Kräfte schürten die gewaltsamen Konflikte durch Waffenlieferungen und Drogenhandel. Begräbnis eines ANC-Aktivisten, Opfer eines muti-Mordes, Northern Province, Südafrika, 1990; s.. New African, Nov. 1991:25) Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

4 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 3: Der moderne Magie- und Hexenglaube in Afrika beinhaltet eine zunehmende Ambivalenz von Ursache und Wirkung Je nach Einbindung in unterschiedliche trans-nationale soziale Räume dient der Hexenglaube sowohl emanzipatorischen als auch repressiven Interessen. Die öffentliche Wahrnehmung der Problematik des Hexenglaubens hat seit den 1990er Jahren zugenommen. Die Wahrheitsfindung und Versöhnung aller von Hexenverfolgung Betroffenen ist oft nicht mehr von diesen allein zu bewältigen. Die Chancen der Konfliktlösung hängen weitgehend von der unterschiedlicher Einbettung in trans-nationale soziale Netzwerke ab. Beispiel Südafrika: Die öffentliche Wahrnehmung hat zugenommen: Nationale Konferenz über witchcraft violence in der Nordprovinz 1998 Offizielle Untersuchungen zur Hexenverfolgung in Lewoba, Venda und Transkei in den 1990er Jahren Gesetzentwurf zur Neufassung der Kolonialgesetzgebung gegen Hexerei (Regulation of Baloyi Practices Act) Detaillierte Berichterstattung über Hexenverfolgung in den Medien Öffentliche Selbstbezichtigungen „bekehrter Hexen“ auf Veranstaltungen der Pfingstkirchen (pentecostals). Road map for TRC in South Africa Titelblatt des Review, Zapiro TRC-1999 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

5 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 4: Die (westlich-dominierte) Sozialwissenschaft ist mitverantwortlich für inadäquate Lösungsversuche seit der Kolonialzeit Interpretationen afrikanischer Glaubenssysteme zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren geprägt von euro-zentrischen Vorurteilen, schwankend zwischen paternalistischer Huldigung primitiver Denkweisen der edlen Wilden, und deren moralischer Abwertung zwecks Legitimierung der Kolonialherrschaft. Hexenkulte wurden als Aberglaube abgetan und durch eine entsprechende, bis heute gültige sybillinische Kolonialgesetzgebung negiert. Protagonisten der „verstehenden“ Ethnologie: Lévy-Bruhl: L‘âme primitive“,1927 „La mentalité primitive“; 1922 Frobenius: „Und Afrika sprach“, 1912 Beispiele für die „verstehende“ Ethnologie/Soziologie oder die „objektive Hermeneutik“: Lucien Lévy-Bruhl „La mentalité primitive“, Paris, (1922): Gegenüberstellung der rational-logisch denkenden abendländischen Zivilisation, deren (wissenschaftliche) Erkenntnise auf exakter Beobachtung und logischer Schlussfolgerung beruhen, gegenüber den durch Emotion und Intuition geleiteten „Primitiven“, die auf magisch-religiöse Argumentation zurückgreifen und bei ihrer Wahrnehmung zwischen sich und der Außenwelt keine klaren Grenzen ziehen. Leo Frobenius: „Und Afrika sprach“ (1912), wohlmeinende-paternalistisch, eurozentrierte Völkerkunde; profunde Auswirkung auf die Theorie der Négritude. Einteilung europäischer Völker in Rationalisten und Mystiker. Während sich die (hamitischen) Kulturen Frankreichs, Englands oder der USA von Materialismus, Zweckrationalität, Subjekt-Objekt-Trennung, Ablehnung des Fremden und Willen zur Herrschaft auszeichneten, sei das deutsche Wesen durch Neigung zur Mystik, Irrationalität, Hingabe zum „Du“ geprägt, ordne das Eigene dem Anderen unter und suche seine Ideale im Jenseits. Diesbezüglich bestehe eine vollkommene Übereinstimmung mit entsprechenden afrikanischen Kulturen (Sudan, Mittelafrika), die man unter dem Oberbegriff der „äthiopischen Kultur“ zusammenfassen könne. Legitimiation der Kolonialherrschaft durch die „moralischen Erziehung“ der Wilden (Afrikaner). Eine Anschauung, die bis heute nachwirkt - selbst bei Entwicklungsexperten der EZ in Afrika. Die bis heute in vielen Ländern Afrikas gültigen anti-witchcraft acts der Kolonialregierung bestimmen, dass sowohl die Hexerei (falls sie denn existierte und vor Gericht nachgewiesen werden konnte) als auch die Beschuldigung der Ausübung von Hexerei unter Strafe gestellt wurden. Damit war der Behandlung von Hexenanschuldigungen vor den Gerichten des formellen Sektors ein effektiver Riegel vorgeschoben; sie wurden damit in den informellen Sektor des Justizwesens, z.B. die traditionellen customary-, native- oder (islamisch dominierten) area-courts (alkali-courts) der Lokalverwaltung ausgelagert. Gleiches gilt für die ehemaligen französischen Kolonien in Afrika. Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

6 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 5: Die afrikanische Ethnophilosophie (Négritude) grenzte sich erfolgreich gegen den Kolonialismus ab, sie ersetzte diesen aber nur durch die Komplizenschaft von afrikanischen Eliten und Ethnologen bei der Konsolidierung repressiver Herrschaftsstrukturen, auch im Bereich des Okkulten Afrikanische Philosophen und Staatsmänner wie Sédar Senghor, propagierten in Opposition zum Kolonialismus die Wiederbesinnung auf die eigenen Wurzeln: es bestehe ein fundamentaler Unterschied zwischen der kollektiven Identität aller Afrikaner („ich fühle, also bin ich“, Senghor 1967), in Abgrenzung zum Europäer („ich denke, also bin ich“). Kritische afrikanische Philosophen, wie Paulin Hountonddji, rufen zum Widerstand sowohl gegen die kulturelle Vereinnahmung im Rahmen der Globalisierung als auch gegen die afrikanische Ethno-Philosophie auf. Es gibt für die Afrikaner zwei Arten sich zu verlieren – durch Einmauerung im Partikularen, oder durch Auflösung im Universellen (Aimé Césaire, 1956) Politisches Ziel der Négritude war die Stärkung einer kollektiven Identität und Selbstbewusstseins der Schwarzen gegenüber den Kolonialherren. (1)  These Senghors (1967): - „Für den Europäer, den HOMO FABER, dreht es sich darum, die Natur zu erkennen, um sie zum Instrument seines Machtwillens zu machen: um sie zu benutzen. Er nagelt sie fest durch die Analyse, macht aus ihr etwas Totes, um sie zu sezieren. Aber wie vermag man aus etwas Totem etwas Lebendiges zu gestalten? Der Neger hingegen, ‚porös für jeden Lufthauch der Welt‘ (Césaire), entdeckt dank seiner Subjektivität das Objekt in seiner Wirklichkeit: den Rhythmus. ... Was soll das anderes heißen, als daß für den Neger Erkennen Leben heißt - das Leben des Anderen leben - indem er sich mit dem Objekt identifiziert? Er-kennen, das heißt: Sich im Anderen kennen, im Anderen wiedergeboren werden und sich selbst entsagen, das heißt, sich dem Anderen liebend hingeben, den anderen tanzen. ‚Ich fühle also, bin ich‘“. (Senghor, 1967:110; zitiert in: Dettmar, 1999:166). (2) Anti-These Paulin Hountondjis (1997): Die Ethnophilosophie hat die Welt nur unterschiedlich interpretiert, ohne sie auf der Basis einer polit-ökonomischen Strukturanalyse zu verändern. „Was wird aus der Kultur im Zusammenhang einer globalisierten Wirtschaft? Was wird aus der kulturellen Identität, der kollektiven Selbstbestätigung, dem Gefühl der Zugehörigkeit zu ein und derselben Geschichte und dem Willen, diese Geschichte gemeinsam zu gestalten? Was wird aus der Forderung nach Selbstbestimmung? In Afrika verlieren sich die eingespielten Reflexe. Forderungen, die sich, vor kaum vierzig Jahren, in den Augen der Unabhängigkeitskämpfer von selbst verstanden, müssen heute umständlich erklärt, gerechtfertigt, verteidigt werden. Wir existieren immer weniger als Kollektive, die von einer Tradition und von gemeinsamen Werten zusammengehalten werden. Im Gegenteil, wir akzeptieren es immer vorbehaltloser, uns im Weltmarkt aufzulösen Der Wunsch, wir selbst zu sein, ist abgelöst worden durch die unpersönliche Sorge um Effizienz und ökonomischen Erfolg.“ „Die Sprache des Marktes herrscht überall, mit ihrem Geruch eines vage definierten Globalismus, der die Nationen nur noch an der Elle ihrer relativen Bedeutung im internationalen Handel mißt. Die Idee der Souveränität selbst erscheint überholt. Sie hat kaum noch Gewicht angesichts der Vorschriften von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Die Entscheidungsträger auf nationaler Ebene werden zu bloßen Statisten, schlimmer, sie empfinden bei dieser Rolle offensichtlich weder Scham noch schlechtes Gewissen. Die wirklichen Entscheidungsträger sitzen anderswo: in Washington und in den großen westlichen Hauptstädten.“ „Noch vor sechzig Jahren mußten wir uns der entgegengesetzten Gefahr stellen: der eines krankhaften Rückzugs auf uns selbst; Césaire nannte dies mit einem starken Bild die "Einmauerung im Partikularen". Was uns dagegen heute bedroht, ist die "Auflösung im Universellen". ... „Nicht ohne Grund hat man Senghor vorgeworfen, uns in einer imaginären Négritude einschließen zu wollen. Was man heute hingegen fürchten muß, ist, daß wir als Afrikaner jedes Streben nach Eigenem, jeden kollektiven Anspruch aufgeben; daß wir schlichtweg zu existieren aufhören, um der Welt den Vorrang zu geben. Wenn wir nicht in diesem Zustand enden wollen, dann müssen wir eine andere Form der Globalisierung durchsetzen als die gegenwärtig dominierende; eine Globalisierung, die sich nicht reduziert auf ein einziges Zentrum, das sein Gesetz den vielfältigen Peripherien diktiert, sondern die eine Vielzahl von Entscheidungszentren in sich enthält, die untereinander, von gleich zu gleich, darüber verhandeln, was getan werden muß, um eine humanere Welt zu errichten.“ aus: Paulin J. Hountondji (1997), „Afrikanische Kulturen und Globalisierung: Ein Aufruf zum Widerstand“, E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit, Nr. 7, Juli 1997: S ) (s. a. Hountondjis Erfahrungen als Kultusminister in Benin; Paulin J. Hountondji 1997; 1994; s. Dettmer 1999: 172) Léopold Sédar Senghor (1906 – 2001) Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

7 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 6: Das descartsche Postulat der Trennung von Sein und Bewusstsein, von Gefühl und Verstand, bestimmt bis heute die wiss. Diskussion über Hexenglauben in Afrika; dies führt in die Sackgasse rationalistischer Lösungsversuche. Evans-Pritchard‘s (1937) Postulat der Kompatibilität wiss. Erklärungen von Ursache und Wirkung mit dem Magie- und Hexenglauben in Afrika dominiert bis heute den internationalen wissenschaftlichen Diskurs. Für an Magie glaubende Afrikaner ist Hexerei ebenso real wie ein Blitzeinschlag. Der Hexenglauben bietet eine Erklärung für das, was wir nur als Zufall oder Unglück ansehen. Er kann somit viele der „letzten Fragen“ beantworten, für die die westliche Wissenschaft keine Erklärung hat. Er besitzt daher eine große emotionale Überzeugungskraft. (3) Gegenthese von Evans-Pritchard (1937): Der Glaube an Magie und Hexerei steht nicht im Gegensatz zur (natur-)wissenschaftlichen Erklärung von Ursache und Wirkung. Auch dem an Hexerei glaubenden Afrikaner ist naturwissenschaftliche Beweisführung nicht fremd. Er hält sie nur für unvollständig, soweit sie nicht eingebettet ist in einen sozialen Zusammenhang, der z. B. auch einen unglücklichen Zufall zu erklären vermag. Das descartsche Postulat der Trennung von Sein und Bewußtsein, von Gefühl und Verstand, und das daraus folgende rational-logische Raisonnement („Ich denke, also bin ich“) ist durchaus kompatibel mit okkulten Glaubensystemen. Beide ergänzen sich vielmehr. Für den an Magie glaubenden Afrikaner kann Magie und Hexerei das erklären, was wir nur als Zufall oder Unglück ansehen. Allerdings beruht der Magie- Hexenglaube aus Sicht der Sozialwissenschaft auf einer unangemessen frühzeitigen Reduktion von Komplexität (Luhmann). Zum aktuellen Stand der internationalen erkenntnistheoretischen Diskussion: Auch die Objektivität der Sozialwissenschaften beschränkt sich nicht auf die Mittel der deduktiven Logik. Sozial-wissenschaftliche Nachweise sind keine Frage des „entweder - oder“, sondern des - auf der Grundlage konkurrierender Theorien - „mehr oder weniger“ Wahrscheinlichen bzw. Plausiblen. Kriterien der Objektivität der Sozialwissenschaften sind die intersubjektive Überprüfbarkeit, Falsifizierbarkeit und die Offenheit des internationalen wissenschaftlichen und interkulturellen Diskurses (Popper-Kriterien). Klassiker der Hexenforschung in Afrika: Evans-Pritchard: Witchcraft, oracles and magic among the Azande. 1937 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

8 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg
These 7: Rationales Handeln ohne tief empfundene Gefühle ist unmöglich. Zur Bewältigung des dem Hexenglauben immanenten Gewaltproblems ist eine stärkere Berücksichtigung der Emotionen der Gläubigen erforderlich Rationales Handeln ohne tiefempfundene Gefühle ist nach neueren neuro-biologischen Erkenntnissen unmöglich (s. Damasio, 1994). Die Gefühle, die menschliches Handeln leiten, sind von Geburt an tief verwurzelt im jeweiligen soziokulturellen Umfeld des Handelnden (Damasio, 1994:327, Edelman 1992), und daher nicht ohne weiteres austauschbar. Wissenschaft und Politik haben bisher keine effektive Lösung des Gewaltproblems des Hexenglaubens gefunden, weil sie sich einseitig auf rationalistische Lösungen (Aufklärung und Sanktionen) gestützt haben. Den Betroffenen würde ihre Überlebensfähigkeit abgesprochen, wollte man ihnen den Hexenglauben nehmen, ohne gleichwertigen emotionalen Ersatz zu bieten. Zur Hybris einer vermeintlich im westlichen Denken verkörperten Rationalität: Wenn verschiedene Weisen der Reduktion von Komplexität und nicht unterschiedliche Rationalitäten den Hauptunterschied zwischen Magie-Glauben in Afrika und westlich-rationaler Argumentationsführung ausmachen, so haben Generationen von Ethnologen seit Evans-Pritchard gegenüber Entwicklungsexperten und –politikern zunächst einmal Recht, wenn sie betonen, dass Afrikaner sich nicht mehr und nicht weniger rational verhalten wie Europäer. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Der Traum von der Vernunft ist höchst ambivalent, wie bereits Francisco Goya vor dreihundert Jahren illustrierte. Gegenüber jeglichen Formen der Inquisition und dogmatisch ideologischen Denkens erscheint er berechtigt und erstrebenswert. Verabsolutiert und verdinglicht erzeugt er selbst ungeheures Leid. Irrationales Verhalten auf Grund vorzeitiger Reduktion von Komplexität ist auch im globalisierten Kapitalismus häufig anzutreffen. Die nicht weiter hinterfragte Verdinglichung, Verabsolutierung und Kommerzialisierung von sozialen Verhältnissen ohne Rekurs auf ihre Entstehungsgeschichte (Privateigentum, Arbeitsverhältnisse, Demokratie, etc.) sind herausragende Beispiele (cf. Comaroff et al 1999). Die verdinglichte soziokulturelle Struktur der westlichen Industriegesellschaft ist jedoch ein vergessener Eckpfeiler der Abgrenzung von Objektivität und Rationalität im Westen, ganz so wie die Denunzierung abweichenden sozialen Verhaltens als Hexerei in Afrika. Beides wäre Magie bzw. Hexerei im Sinne der klassischen Interpretation von Evans-Pritchard (s. o.), d.h. es beruht auf der nicht weiter hinterfragten gesellschaftlichen Anerkennung einer bestimmten Weltsicht von Ursache und Wirkung. Unsere Konzeption der menschlichen Natur und sozialwissenschaftlicher Objektivität darf nicht vom soziokulturellen Rahmen isoliert und verabsolutiert werden. Beides hängt vom Fortschritt unseres Wissens ab; der wiederum wird maßgeblich bestimmt von der Offenheit der Gesellschaft, den jeweils gültigen gesellschaftlichen Konventionen und Strukturen, die kritische Reflexion fördern oder behindern (s. Popper, K.R.: The open society and its enemies. 1972:112) . Letzteres ist entscheidend für die Abgrenzung zwischen legitimem wissenschaftlichen Diskurs und dogmatischer Verfolgung der „Feinde der Gesellschaft“ durch Hexenjagd auf Andersdenkende und fremde Kulturen. Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer. Francisco Goya (1793), Caprichos Nr. 43 Dirk Kohnert, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg

9 Weiterführende Literatur:
Comaroff, Jean (1999), "Occult economies and the violence of abstraction: Notes from the South African postcolony", American Ethnologist, : Damasio, Antonio (1994), "Descartes' Error. Emotion, reason and the human brain", New York (Dt. "Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn", dtv, Stuttgart, 1997) Dettmar, Erika (1999), “Wanderung zwischen den Welten. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen des Eigen- und Fremdverstehens am Beispiel der afrikanischen Philosophie”, Paideuma, : Edelman, Gerald M. (1992), "Bright air, brilliant fire - On the matter of the mind", New York Evans-Pritchard, E.E. (1937): Witchcraft, oracles and magic among the Azande. Oxford Frobenius, Leo (1912), “Und Afrika sprach, An der Schwelle des verehrungswürdigen Byzanz”, Berlin Geschiere, Peter (1997), "The modernity of witchcraft. Politics and the occult in postcolonial Africa", London Huntondji, Paulin J. (1997), “Afrikanische Kulturen und Globalisierung: Ein Aufruf zum Widerstand”, E+Z, Entwicklung und Zusammenarbeit, : Kohnert, Dirk. (2003): Witchcraft and transnational social spaces: witchcraft violence, reconciliation and development in South Africa’s transition process. Journal of Modern African Studies, vol. 41, Nr. 2, pp Lévy-Bruhl, Lucien (1922), “La mentalité primitive”, Paris Niehaus, Isac. A. (2001). Witchcraft, power and politics – Exploring the occult in the South African. London Senghor, Léopold Sédar (1967), “Négritude und Humanismus”, Düsseldorf, Diederichs Weiterführende Publikationen des Autors – Dirk Kohnert: (2004): Local Manifestations of Transnational Troubles: Different Strategies of Curbing Witchcraft Violence in Times of Transition in South Africa. In: Ossenbrügge, Jürgen / Reh, Mechthild (Eds.): Social Spaces of African Societies. Applications and Critique of Concepts of ‘Transnational Social Spaces’. Lit, Münster; 2004:151-54 (2003): Witchcraft and transnational social spaces: witchcraft violence, reconciliation and development in South Africa’s transition process. Journal of Modern African Studies, vol. 41, Nr. 2, pp (2002) -: Occult beliefs, Globalisation and the quest for development in African Societies: The example of South Africa“, in: Mitchell, Gordon / Eve Mullen (eds.) (2002), “Religion and the political imagination in a changing South Africa”, Waxmann, New York, pp (2001): Witchcraft and Democratization of South Africa. African Legal Studies, : (1997): Zum Einfluß des Okkulten auf staatliche Legitimität und Demokratisierungshilfe in Afrika. Sociologus, , pp (1996): Magic and witchcraft: Implications for Democratization and poverty-alleviating aid in Africa. World Development, , pp – 1355.


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