Deutsches und Europäisches Privatversicherungsrecht Besonderes Versicherungsvertragsrecht I/1 Grundzüge des Rechts der privaten Unfallversicherung Von.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Vorinfo: Die Anzahl der Wiederholungen sollen erreicht werden. Ist dies am Beginn nicht der Fall, dann so lange üben, bis diese erreicht werden. 3-4x/Woche.
Advertisements

Gesetzliche Bestimmungen zu
Schadensausgleich im Arbeitsverhältnis
Haftungsfragen bei Debit - Kartenzahlungsvorgängen
Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch nach ICD-10 und DSM-IV
Versicherungsschutz im Ehrenamt
Univ.-Prof. Dr. Armbrüster
Zwangseinweisung ?.
Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen
Tanken ohne Bezahlung NStZ 2009, 694 Jura 2010, A tankte am gegen 0:23 an einer Tankstelle Dieselkraftstoff im Wert von 102. Dann fuhr er – wie.
7 d Ursachen und Behandlung Angst - Sozialisation
Beteiligung § 220. Beteiligte des Hauptverfahrens sind neben der Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2) der Angeklagte (§ 48 Abs. 1 Z 2), der Haftungsbeteiligte.
Die Psychiatrie. Eine solide Wissenschaft? Oder das Gegenteil davon?
Ganzkörperübungen Partnerübungen Übungen mit einer Wasserflasche
Rechte & Pflichten
Mysterisches.
Begräbniskosten-versicherung
Rechtschutzversicherung. Wirtschaftliche Bedeutung für den Kunden Anwalts- honorare Gerichtskosten Zeugen- und Sachverständigen- gebühren Auslagen Hohe.
LIEBER ONKEL DOKTOR!!!.
Wortschatzübungen zu (Körperteilen) von Heba Salah.
Die Patientenverfügung
Epilepsie = Fallsucht Krampfleiden.
DER KÖRPER Weiter Der Arm Der Kopf Der Fuss Der Bauch Das Bein
Da ist was dran ! Michael war so eine Art Typ, der dich wirklich wahnsinnig machen konnte. Es war immer guter Laune und hatte immer was positives zu sagen.
Da ist was dran ! Michael war so eine Art Typ,
Geniesse das Leben, denn es ist das Einzige, das du hast !!!
Mein Name ist Robinson. Ich kam 1632 zur Welt. Meine Eltern waren
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Geniesse das Leben, denn es ist das Einzige, das du hast !!!
Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte!.
Umgang mit Konflikten Mag. Weber Adrian.
Die Leiden des jungen Werther Werthers letzte Stunden Veronika Fichtner 11b.
Entfalte dein Potenzial!
Kurzfall 1 K und Z sind Brüder und konkurrieren schon lange um die Gunst des Vaters V. Als V altersbedingt stirbt, geraten K und Z in einen Streit um das.
Psychosen By Kevin und Oliver.
Ćwiczenia Mateusz Mizera.
Schiesstaktik Schulung Waffenhandhabung
... von Freunden empfohlen!
Powerpoints bestellen ?? sende eine Mail an : Da ist was dran! Michael war so eine Art Typ, der Dich wirklich wahnsinnig.
Da ist was dran!.
Da ist was dran! „Wenn es mir besser gehen würde,
Da ist was dran! „Wenn es mir besser gehen würde,
„Die rechtliche Dimension des Gesundheitsbegriffs“
Crashkurs Zivilrecht Gruppe Prof Avenarius/Haferkamp
Rechtsanwalt Ulrich Amthauer Fachanwalt für Familienrecht Notar
„Hängen Gesundheit und Leistungs-fähigkeit unweigerlich zusammen?“
DAX 8.000? Kein Grund für Höhenangst! Hans-Jörg Naumer Global Head of Capital Markets & Thematic Research Mai 2013 Nur für Vertriebspartner und professionelle.
Lebensraum Ewigkeit - 2 Der Wert unseres Erdenlebens als Vorbereitung auf unser Leben danach Institut für Vereinigungsphilosophie Wien 1. Oktober 2008.
Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie auf Landesebene
Ein Bauer kaufte einen jungen Hahn, um den alten Hahn im Hühnerstall ersetzen. Sofort ging der junge Hahn zum alten und krähte: Großvater, du musst.
Alkoholtherapie Nüchtern werden – Nüchtern bleiben.
Rechte & Pflichten TEIL – Rechtliche Sicht.
Grundkurs Strafrecht II Prof. Dr
TANOS | VITALI | ZUPANCIC rechtsanwälte dr katrin tanos
Arbeitsfähigkeit und Wohnungslosigkeit BAWO Fachtagung 7. Mai 2009 Mag. Ulrike Oberauer, AK Salzburg.
Fachstelle für pflegende Angehörige im Landkreis Rhön-Grabfeld
Gesundheitliche Folgen von h ä uslicher Gewalt. Was interessiert wen? Beispiel ÄrztInnen  22% aller Frauen erleiden im Laufe ihres Lebens Gewalt in einer.
WuV-Kurs Sachenrecht II Professor Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard)
Übungsart: Seite: Bearbeitet von: Siegbert Rudolph Lesemotivationstraining Titel: Quelle: Nächste Seite 1 Übungsart: Titel: Textquelle: Intensiv lesen.
Grundlagen 4: Kausalitätsfragen im Personenschadensrecht.
DATUM Arbeitsunfall.
Sofortiger Versicherungsschutz für einen nicht ganz gesunden Skifahrer (VVG 01) Probleme des Falles: Zustandekommen eines Vertrages über vorläufige Deckung.
Stress im Straßenverkehr
Der Körper Die Körperteile.
Der trunkene Radfahrer
Sofortiger Versicherungsschutz für einen nicht ganz gesunden Skifahrer (VVG 01) Probleme des Falles: Zustandekommen eines Vertrages über vorläufige Deckung.
Stress im Straßenverkehr
Aufbau einer unfallversicherungsvertraglichen Klausur
 Präsentation transkript:

Deutsches und Europäisches Privatversicherungsrecht Besonderes Versicherungsvertragsrecht I/1 Grundzüge des Rechts der privaten Unfallversicherung Von Prof. Dr. Roland Rixecker 1

Recht der privaten Unfallversicherung Absicherung (Ausgleich) der Folgen eines Unfalls im privaten Bereich Personenversicherung / Summenversicherung Versicherungsfall Unfall: Gesundheitsschädigung durch ein plötzlich von außen auf den Körper der vP – unfreiwillig – einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) Keine Unmittelbarkeit! Beweislast für Freiwilligkeit: VR! 2

Unfallereignis: Abgrenzung von äußeren körperlichen Einwirkungen und inneren körperlichen Vorgängen Tödliche Schokolade BGH IV ZR 98/12 – VersR 2013, 1570 Die mitversicherte K litt an einer angeborenen schweren Entwicklungsstörung (Trisomie 18) sowie an Asthma und an einer schweren Allergie gegen Nüsse. Am Heiligabend 2009 nahm K aus der Weihnachtsdekoration nusshaltige Schokolade und verzehrte sie. Sofort schwollen die Atemwege zu und K erlitt einen tödlichen Kreislaufzusammenbruch. VN verlangt die Todesfallleistung, VR beruft sich darauf, der Tod sei allein durch Vorgänge im Körperinnern ausgelöst worden. 3

Prüfungsreihenfolge (Ausnahmsweise zu prüfen: Inhaber eines möglichen Anspruchs)  Unterscheidungen: § 44, § 45 VVG! Versicherungsfall eingetreten? (Kontakt des Körpers mit der Außenwelt) Plötzlichkeit? Freiwilligkeit (Beweislast VR!) (Bezug: Unfallfolge nicht Unfallereignis!) 4

Keine Deckung von Gesundheitsschäden durch „Eigenbewegungen“! Die liebe böse Sonne OLG Saarbrücken – 5 U 343/12 – NJW-RR 2014, 101 VN befährt eine bewaldete Landstraße. Nach einer Kurve auf einer Lichtung blendet ihn plötzlich das Sonnenlicht; er wendet den Kopf ab, ein Lichtblitz zuckt vor seinen Augen, Kopfschmerzen treten auf. VN hat eine Dissektion der aorta carotis interna erlitten und ist invalide. 5 Abgrenzung zwischen der Einwirkung auf den Körper von außen (Deckung) und Geschehensabläufen im Innern des Körpers selbst (Keine Deckung)!

Deckungserweiterung: Erhöhte Kraftanstrengung Ein unsportlicher Sportlehrer OLG Saarbrücken – 5 U 842/00 – VersR 2002, 1096 VN ist von Beruf Lehrer an einem Gymnasium und unterrichtet die Fächer Biologie und Sport. Am führt er während des Sportunterrichts Muskelanspannungs- und Kräftigungsübungen vor. Er will aus der Bauchlage – die Beine leicht gegrätscht und gestreckt gehalten, die Arme über Schulterbreite geöffnet und ebenfalls gestreckt – unter allgemeiner Muskelanspannung des Rumpfes und der Extremitäten den Körper vom Boden abheben und nur noch auf Händen und Füßen ruhen, ohne sich auf die Ellenbogen- und Kniegelenke zu stützen. Dabei kommt es zu einem Muskelfaserriss bzw. partiellen Sehnenriss des Musculus rectus femoris, eines der Oberschenkelmuskeln, rechts. 6 Streit um die Auslegung! (Intransparenz?) Maßstab: Normale körperliche Bewegung eines Menschen oder eines Sportlehrers?

Weitere Anspruchsvoraussetzungen (Anspruch auf Invaliditätsleistungen) [Eintritt von Invalidität innerhalb X Monaten] Ärztliche Feststellung der Invalidität innerhalb einer bestimmten Frist: „Ärztliche Feststellung“ = Feststellung durch einen Arzt! „Feststellung der Invalidität“ = Feststellung einer dauerhaften Beeinträchtigung „Feststellung“ = Niederlegung (schriftlich, Textform, sonstige Dokumentation) Ausnahmen: Missachtung des Belehrungserfordernisses des § 186 VVG! Treuwidrige Berufung auf die Fristversäumnis! 7

Ausnahmen von dem Erfordernis der fristgemäßen Feststellung von Invalidität Schlimme Folgen einer Quadfahrt OLG Naumburg – 4 W 6/13 – NJW-RR 2014, 104 Der versicherte Sohn des VN erlitt am einen Unfall mit einem Quad, der zu einer spastischen Querschnittslähmung führte. VN wie VN am darauf hin, dass eine Invalidität innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt werden müsse, berief sich auf den Ausschluss des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und erwähnte, sie werde ihre Leistungspflicht erneut prüfen, wenn sich herausstellte, dass dieser Einwand nicht greife. Im Rechtsstreit beruft sie sich auf das Fristversäumnis. 8

VVG § 186 und Versagung der Berufung auf Fehlen der ärztlichen Feststellung Frage: Was gilt, wenn VR VN nicht belehrt hat, aber im Rechtsstreit noch immer keine ärztliche Feststellung vorgelegt wird? [Streitig!] Im Übrigen: Wann ist die Berufung auf die Fristversäumnis treuwidrig?  Wenn VR VN davon abgehalten hat, die Frist zu beachten! Veranschaulichung: VR erklärt, selbst Gutachten einholen zu wollen! VR erlegt dem VN vor Fristablauf belastende ärztliche Untersuchungen auf! VR erkennt innerhalb der Frist, dass ein ihm vom VN vorgelegtes Gutachten keine ärztliche Feststellung enthält! 9

Deckungsausschlüsse Freiwilligkeit Psychische Reaktionen Eingriffe am Körper (Heilbehandlungen) Verursachung durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen (Hauptproblem: Alkoholische Beeinflussung) Versuch oder Vollendung einer vorsätzlichen Straftat 10

Deckungsausschlüsse Das traurige Ende eines sadomasochistischen Nachmittags OLG Saarbrücken U 421/94 VersR 1997, 949 K klagt als Bezugsberechtigte eines von ihrem homosexuell veranlagten Ehemann (VN), einem Arzt, bei B abgeschlossenen Unfallzusatzversicherungsvertrag, auf Zahlung der Todesfallleistung. VN hatte während eines Urlaubs den ebenfalls homosexuell veranlagten X kennengelernt, der später ein von VN gemietetes Appartement in S bezog. Dort trafen sich VN und X, um unter dem Einfluss empfindungssteigernder Drogen sadomasochistische Praktiken auszuüben. VN (Masochist) forderte dabei X regelmäßig mit den Worten „kill me“ auf, ihn zu töten oder jedenfalls mit einem mitgeführten Messer zu schneiden. Am fanden sich VN und X in der angemieteten Wohnung (alkoholisch beeinflusst {0,54 o/oo} und drogenberauscht durch Ecstasy und LSD) ein und begannen sich nach Fesselung des VN sexuell zu betätigen. Im Verlauf des Geschehens – „kill me“ – stieß X das mitgeführte Messer mit äußerster Kraft in den Rücken des VN, dem es gelang, das Appartement und alsdann sein Leben zu verlassen. K hält einen Unfall für gegeben und Ausschlussgründe nicht für gegeben. 11

Gliederungsskizze 1.Vorliegen eines Unfallereignisses (Beweis: VN) 2.Freiwilligkeit (Beweis: VR // Bezugspunkt:Ereignisfolge) 3.Ausschluss für Eingriffe am Körper? (Medizinische und kosmetische Behandlungen im weitesten Sinne) 4.Ausschluss für Geistes- oder Bewusstseinsstörungen? (Alkohol? Präorgiastische Erregung) 5.Ausschluss für Vollendung oder Versuch einer vorsätzlichen Straftat (BtmG-Delikt? Risikozusammenhang) 12

Geistes- oder Bewusstseinsstörungen Straßenspaziergang eines Betrunkenen OLG Saarbrücken U 633/05 zfs 2006, 338 VN besuchte in der Nacht vom auf den eine Faschingsveranstaltung in S. Gegen Uhr wurde er mitten auf einer Landstraße zwischen Sch-H und S als Fußgänger von dem Kfz des X erfasst und erlag noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen. Eine entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,15 o/oo. 13 Wann liegt eine solche Störung vor? Was ist die Teleologie des Ausschlusses? Nachteilige Beeinflussung der Fähigkeiten, den Sicherheitsanforderungen der Umgebung der vP zu genügen!

Versuchte oder vollendete vorsätzliche Ausführung einer Straftat Ein bombiges Eishockeyspiel OLG Saarbrücken – 5 U 83/13 – juris VN erwarb von einem Arbeitskollegen zwei Kugelbomben, nämlich nicht zugelassene pyrotechnische Gegenstände. Im August 2008 reiste er zu einem BL-Eishockeyspiel nach Garmisch- Partenkirchen. Vor dem Stadion zündete er eine Kugelbombe an und warf sie von sich. Sie explodierte nicht. Daraufhin holte er sie zurück, zündete sie erneut an und beobachtete die Flamme bis zur Explosion. Dadurch wurden ihm beide Hände abgerissen. Er trägt vor: Des Verbotenseins der Verwendung der Kugelbomben sei er sich nicht bewusst gewesen. 14 Volle Implementation der strafrechtlichen Voraussetzungen in den versicherungsvertraglichen Tatbestand: Ungeachtet der zivilrechtlich unterschiedlichen Einordnung des Vorsatzproblems: Nur nach dem Strafrecht vorsätzliche Verhaltensweisen beeinträchtigen die Deckung!

Psychische Reaktionen 15 AUB Ausgeschlossene Gesundheitsschäden Kein Versicherungsschutz besteht außerdem für folgende Gesundheitsschäden Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden. Beispiele: - Posttraumatische Belastungsstörung nach Beinbruch durch einen Verkehrsunfall - Angstzustände des Opfers einer Straftat

Psychische Reaktionen Ein Polizist, ein Hund und ein Hörschaden BGH – IV ZR 233/03 – VersR 2004, 1449 VN verlangt eine Invaliditätsentschädigung. Am wollte er einem Polizisten zu Hilfe kommen, den ein Hund angefallen und gebissen hatte. Als er sich bückte, um den Hund wegzuziehen, erschoss der Polizist den Hund mit seiner Dienstwaffe. Durch den in seiner Nähe abgegebenen Schuss erlitt VN ein Knalltrauma, das nicht nur zu einer (vom VR entschädigten) Schwerhörigkeit führte, sondern auch durch fortdauernde Ohrgeräusche zu schweren Schlafstörungen und Depressionen. 16 Keine Deckung für: Einwirkungen über Schock, Schreck, Angst, psychische Fehlverarbeitung Deckung für psychische Folgen organischer Schädigungen!

Psychische Begleitschäden OLG Celle U 199/14 (nicht rechtskräftig) VN erlitt im August 2006 einen schweren Motorradunfall, der zu lebensbedrohlichen, hoch schmerzhaften Verletzungen im Bauch- und Beckenraum führte. VN erlebte das alles bis zum Beginn des operativen Eingriffs mit. Er leidet unter einer PTBS. 17 OLG: Ausschlussklausel ist nicht immer schon dann einschlägig, wenn bestimmte Krankheitsbilder (PTBS) vorliegen. Organische Ursache eines psychischen Leidens muss nicht hirnorganisch sein. Knüpft im konkreten Fall die psychische Erkrankung (PTBS) an die organischen Unfallfolgen an (Schmerzhaftes Miterleben der eigenen schweren Verletzung), so liegt keine „Fehlverarbeitung“ vor, sondern eine verständliche und nachvollziehbare psychische Reaktion.

Ausschlussfrist: Geltendmachung von Invalidität Die vergessliche Ehefrau des Versicherungsnehmers OLG Frankfurt – 7 U 176/11 – VersR 2014, 1495 VN rutschte am bei der Arbeit in einem Tank aus und stürzte 1,2 Meter rückwärts mit Rücken und Kopf auf den Betonboden. Wegen eines Schädel-Hirn-Traumas und des Verdachts auf Wirbelbrüche befand er sich längere Zeit in ärztlicher Behandlung. Den Sturz zeigte dem VR am an, VR wies ihn am darauf hin, dass etwaige Dauerschäden innerhalb einer Frist von 18 Monaten geltend zu machen seien. Nach Auseinandersetzungen mit der BG verlangte VN eine Invaliditätsentschädigung und berief sich darauf, die seine Angelegenheiten regelnde Ehefrau habe aufgrund zahlreicher Termine und die Inanspruchnahme durch seine Erkrankung schlicht vergessen, eine Invaliditätsentschädigung früher zu verlangen. 18

Leistungsvoraussetzung: Invalidität Grundvoraussetzung: Dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit! Forensische Problematik: Was heißt „dauerhaft“ (auf unabsehbare Zeit? Auf 3 Jahre?) Was ist der Zeitpunkt der Prognoseerstellung: Unfallereignis? 1 Jahr nach dem Unfall? 3 Jahre nach dem Unfall? Bedeutung der „Gliedertaxe“: Abschließende und einer individuellen Korrektur nicht zugängliche, abstrakt und generell feste Invaliditätsgrade bei dem vollständigen oder dem teilweisen Verlust oder der Funktionsunfähigkeit bestimmter Organe und Glieder. Maßgeblichkeit des „Sitzprinzips“ Auslegungsprobleme „Hand im Handgelenk“ „outside gliedertaxe“? 19

20 Veranschaulichung: Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, die folgenden Invaliditätsgrade: Arm 70 % Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 % Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 % Hand 55 % Daumen 20 % Zeigefinger 10 % anderer Finger 5 % Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 % Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % Bein bis unterhalb des Knies 50 % Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % Fuß 40 % große Zehe 5 % andere Zehe 2 % Auge 50 % Gehör auf einem Ohr 30 % Geruchssinn 10 % Geschmackssinn 5 % Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

Erstbemessung und Neubemessung Streitig bei der Erstbemessung von Invalidität ist der Zeitpunkt, zu dem die Prognose zu erstellen ist! (Hintergrund: Veränderungen des gesundheitlichen Zustands) Neuere Rechtsprechung des BGH: Zeitpunkt, zu dem laut Vertrag die Anspruchsvoraussetzung „Eintritt von Invalidität“ gegeben ist! Ausnahme: VN wendet sich bereits zuvor gegen die Richtigkeit der Erstbemessung! (Zu lesen: BGH IV ZR 124/85) 21

Neubemessung Verspätete Bemessungsverlangen OLG Hamm – 20 U 140/12 – r+s 2014, 38 VN stürzte am in seinem Haus eine Treppe hinunter und erlitt ein Schädelhirntrauma III. Grades, das zur Langzeitbeatmung und zu einem Multiorganversagen führte. VR stufte den Grad der Invalidität am aufgrund einer ärztlichen Feststellung auf 70% ein, ohne weitere Ausführungen zu einer möglichen Korrektur zu machen. Am verlangte der VN eine Neubemessung der Invalidität und gab an, er sei – schon aufgrund der ärztlichen Erkenntnisse, die der Erstbemessung vom zugrunde lagen – zu 90% beeinträchtigt. VR berief sich auf Verjährung und auf eine nicht rechtzeitige Geltendmachung des Neubemessungsanspruchs. 22

Neubemessung von Invalidität Recht des VN auf Neubemessung der Invalidität entsteht mit Verlangen (innerhalb der Frist von 3 Jahren) ! VR kann sich aufgrund der Verletzung seiner Belehrungspflicht nicht mehr auf eine Verspätung des Verlangens berufen ! Also keine Verjährung ! Jedoch: Eine Neubemessung der Invalidität kann allerdings nur aufgrund solcher (wenn der VN sie verlangt: verschlechternder) Umstände geltend gemacht werden, die noch nicht in die Erstbemessung eingeflossen sind! 23

Vorinvalidität und mitwirkende Vorerkrankungen Unterscheidung zwischen dem Deliktsrechts und dem Privatversicherungsrecht Abzug der Vorinvalidität Mitwirkung von Vorerkrankungen (am Unfall? an der Gesundheitsschädigung? an den gesundheitlichen Folgen?) Verhältnis der Berücksichtigung von Vorinvalidität und Vorerkrankungen! Beweislast! (VR muss das Mitwirken und den Grad des Mitwirkens beweisen, jedoch nach unterschiedlichen Maßstäben [§§ 286, 287 ZPO]) 24

Vorinvalidität Mitwirkende Vorerkrankungen AUB Der Invaliditätsgrad mindert sich nach dieser Vorinvalidität (vor dem Unfall vorliegende dauerhafte Beeinträchtigung (also der unfallgeschädigten Körperteile) Treffen Unfallfolge mit Krankheiten oder Gebrechen zusammen, gilt Folgendes: Entsprechend dem Umfang, in dem Krankheiten oder Gebrechen an der Gesundheitsschädigung oder ihren Folgen mitgewirkt haben (also nicht an dem Unfallereignis als solchem), mindert sich bei den Leistungsarten Invaliditätsleistung und Unfallrente der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, bei der Todesfallleistung und anderen Leistungsarten die Leistung selbst. (also auch an „Nebenleistungen“ wie Arztkosten) Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 % nehmen wir keine Minderung vor (also anders als bei anderer AVB-Formulierung Beweislast VN!) 25

Vorinvalidität und mitwirkende Vorerkrankungen Tod eines herzkranken Elektrikers BGH IV ZR 70/11 zfs 2012, 278 Der verstorbene VN, eine Elektromeister, unterhielt einen AUB-V. Danach galt: Wenn an dem Unfalltod Vorerkrankungen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, vermindert sich die Todesfallleistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung. Am erlitt der VN bei Elektroarbeiten einen Stromschlag. 11 Tage später verstarb er nach Myocardinfarkten an Herz-Kreislaufversagen bei Koronarinsuffizienz. Eine Obduktion ergab eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose. SV A: Mitwirkung ist offen. SV B: Teilursache, Anteile können nicht angegeben werden. SV C: Ein Gesunder wäre entweder sofort nach dem Stromschlag gestorben oder hätte ihn unbegrenzt überlebt. Medizinstatistische Wahrscheinlichkeit allein aufgrund des Stromschlags nach 11 Tagen zu versterben 0,5 %. Medizinstatistische Wahrscheinlich bei der konkreten Koronarkrankheit innerhalb von 11 Tagen zu versterben: 1 %. 26

Vorerkrankungen Krankheit: Regelwidriger Zustand, der der ärztlichen Behandlung bedarf! Gebrechen: Altersbedingte Schwächen und Dysfunktionalitäten sind nicht gemeint! Unkritische Normvarianten sind nicht gemeint! Was ist, wenn eine Abweichung vorliegt, die stumm geblieben ist? 27