Das menschliche Gehirn - eine Einführung in die Neuropsychologie

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 Präsentation transkript:

Das menschliche Gehirn - eine Einführung in die Neuropsychologie

Neurowissenschaften boomen! Neuron (grch). = der Nerv Beschäftigt sich mit Prozesen des Gehirns und des Nervensystems Interdisziplinärer Zugang Interesse: Gehirnprozesse (und mögliche Störungen) wirken sich auf Erleben und Verhalten eines Menschen aus

Neuropsychologie Untersucht Zusammenwirken von Nervensystem, Sinnesorganen und Hormonsystem Annahme: Persönlichkeitseigenschaften und psychische Phänomene haben bestimmte Lokalisation in Gehirn Beispiel: Depression

Schwerpunkte der Neuropsychologie Verhaltensauffälligkeiten bei Personen mit Störungen in Gehirnfunktionen (Beispiel: Aggressionen / Gewaltbereitschaft) Analyse kognitiver Prozesse: Aufmerksamkeit, Handlungssteuerung, Informationsaufnahme, - verarbeitung und -speicherung, Problemlösen etc.

Das Gedächtnis als eine der wichtigsten Gehirnfunktionen Bevor wir uns mit dem Gedächtnis beschäftigen, setzen wir uns mit dem Gehirn auseinander: dem Sitz des Gedächtnisses Gedächtnismoleküle (Eiweissstoffe im Gehirn): James McConnell brachte Plattwürmern bei, Licht zu meiden. Taten sie es, so zerkleinerte er sie in einem Mixer und verfütterte sie an Artgenossen, die dann angeblich auch das Licht mieden. Schlagzeile der New York Times: „Verspeisen Sie Ihren Professor“ Dieser Versuch ging als Irrtum in die Wissenschaftsgeschichte ein. Das Gehirn als Basis des Gedächtnisses: Alle geistigen Funktionen beruhen auf chemischen und elektrophysikalischen Vorgängen in verschiedenen, klar voneinander abgrenzbaren Bereichen des Gehirns. Netzwerk Gehirn: Das Speichermedium sind die Nervenzellen des Gehirns und ihre Verbindungen untereinander. Es gibt etwa 100 Milliarden dieser Zellen, und jede einzelne ist mit bis zu 10 000 anderen verbunden. Das Gehirn ist also ein gigantisches Kabelnetz mit mehreren 100 000 km Länge. Und wie in einem Stromkabel fliesst auch entlang der Nervenbahnen Strom. Wird eine Nervenzelle durch einen ankommenden Reiz stimuliert, dann verändert sie innerhalb kürzester Zeit ihren Zustand: entweder sie wird erregt (sie feuert) oder sie wird gehemmt. Was passiert nun, wenn wir uns erinnern, z.B. an unsere Grossmutter? Die derzeitige Antwort der Gedächtnisforscher: Ein spezielles Gesicht entspricht im Gehirn einer ganz bestimmten Kombination vieler Nervenzellen, die gemeinsam feuern. Durch die gemeinsame elektrische Aktivität entsteht ein Muster im Gehirn, das die Grossmutter repräsentiert. Für alles gibt es ein spezielles Muster von Nervenzellen, die gemeinsam aktiv sind. Vgl. Edelmann, Walter (2000) : Lernpsychologie. 6., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Kösel

Entstehung von Gedächtnisspuren? Unmittelbar nach Geburt bilden sich explosionsartig neue Kontaktstellen, sog. Synapsen (ca. 1.8 Mio Synapsen pro Sek) Basis für Lernen (durch Verbindung der Nervenzellen) Nur richtig und erfolgreich verknüpfte Nervenzellen bleiben bestehen Andere bilden sich wieder zurück

Entstehung von Gedächtnisspuren Entstehung von Gedächtnisspuren? Filmsequenz (BBC, Entwicklung des Bewusstseins) Beobachtungsauftrag (EA): Warum bleiben gewisse Synapsen und Gehirnbahnen erhalten, und andere bilden sich zurück? Wie kann diese Entwicklung in der Kindheit beeinflusst werden?

Praktisches Beispiel: Warum werden Informationen gespeichert oder vergessen?

Behalten und Vergessen Definition nach Hobmair (2003): Behalten bedeutet, dass man eine verarbeitete Information im Langzeitgedächtnis gespeichert hat und sie bei Bedarf abrufen kann. Vergessen heisst, dass eine gespeicherte Information nicht mehr aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann.

Zwei Theorien zum Vergessen Spurenzerfall: Die Gedächtnisspur verblasst wie die Spuren im Sand. Interferenz: Aktuelle Eindrücke überlagern alte Gedächtnisspuren. Vergleichbar mit einem Frauenheld, der mit jeder neuen Freundin den Namen der früheren vergisst… Theorie des Spurenverfalls Die Gedächtnisspur verblaßt und verschwindet mit der Zeit. Wie dies genau erfolgt, ist jedoch noch nicht geklärt. Die Zeit stellt aber keine Ursache für ein Ereignis dar. Ein Stück Eisen rostet nicht, weil die Zeit daran nagt, sondern weil sich das Eisenmolekül mit Sauerstoff verbindet und zu Rost wird. Die Fussspuren im Sand verschwinden, weil Wind, Regen auf sie einwirken. Interferenztheorie Wir vergessen, indem neue oder aktuelle Eindrücke die alten Gedächtnisspuren überlagern und so den Zugriff auf die alten Erinnerungen erschweren. Dabei werden verschiedene Perspektiven auf das zu Erinnernde unterschieden: Die retroaktive Interferenz ist rückwärtsgerichtet, d.h., später Erlerntes stört früher Erlerntes. Je größer die Ähnlichkeit zwischen zwei Arten von Gedächtnismaterial ist, umso größer ist die Interferenz zwischen ihnen beim Lernen bzw. der Erinnerung.  Die Proaktive Interferenz ist vorwärtsgerichtet, früher Gelerntes stört später zu Lernendes. Misslingen des Abrufs: Die Information ist nicht mehr zu finden, wenn man den Kontext der Speicherung vergessen hat. "Etwas auf der Zunge haben" bedeutet, den Abrufreiz zumindest momentan nicht zugänglich haben. Motiviertes Vergessen: Die Information wird aus irgendeinem Grund vor dem Bewußtsein verborgen (z.B. Angst, Schuldgefühl, Abneigung oder Ablehnung einer Person bzw. Sache). Beispiel Playboy: Mit jeder neuen Freundin vergisst er den Namen der früheren.

Gründe für das Vergessen? Stress Alter Drogen, Medikamente und Alkohol Mangelernährung Depressionen bzw. andere psychische Störungen Nervosität und die Sorge um ein schlechtes Gedächtnis Das Vergessen ist ein normaler Vorgang. Es hängt eng mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammen. Unter einer langfristigen Perspektive betrachtet spricht man dann oft von Gedächtnisverlust. Es gibt viele verschiedene Ursachen dafür: Der häufigste, aber auch vermeidbare Grund ist Stress. Eine andere Ursache für das Vergessen kann man hingegen nicht beeinflussen. Es ist das Alter. Natürlicherweise wird nämlich ein Teil des Gedächtnisses im Alter schlechter. Neben diesen Hauptverursachern der Vergeßlichkeit können auch Drogen, Medikamente und Alkohol unsere Speicher- und Erinnerungsfähigkeiten angreifen. Wenn die Drogen keine Schäden im Gehirn angerichtet haben, etwa durch jahrelangen Mißbrauch, dann kann sich das Gedächtnis allerdings nach dem Absetzen der Drogen wieder verbessern. Wie allerdings kanadische Forscher nachgewiesen haben "löscht" Alkohol unmittelbar vorher Gelerntes (siehe blauer Kasten links). Wissenschaftler nehmen an, daß auch unsere Ernährungsgewohnheiten das Gedächtnis beeinflussen. Vor allem eine Mangelernährung kann das Gedächtnis verschlechtern, glauben sie. Sicher ist, daß sich Depressionen ebenfalls auf unser Gedächtnis auswirken. Man nimmt an, daß sie die Gedächtnisleistungen auf ähnliche Weise mindern wie Stress. Auch Nervosität und die Sorge um ein schlechtes Gedächtnis scheinen zum Vergessen zu führen.

Behalten und Erinnern: Erkenntnisse Bedeutung / Vertrautheit: Je vertrauter das Material, desto besser das Erinnern Emotionale Lerninhalte Bildhafte Vorstellung Möglichst viele Sinne integrieren, vielseitige Abspeicherung Kontextabhängigkeit des Erinnerns: Der Abruf gleicht dem Erwerb Die Enkodierung der Gedächtnisinhalte erfolgt nach ihrer Bedeutung, d.h., je vertrauter das Material und je besser die Organisation, umso besser ist das Behalten und Erinnern. Man erinnert sich häufig eher an den Inhalt oder den Sinn eines gehörten Satzes als an den tatsächlichen Wortlaut - ein bei Prüflingen oft feststellbares Phänomen, wenn sie nicht den Sinn des gelernten Stoffes verstanden haben, sondern diesen repetitiv auswendig gelernt haben. Sie versuchen dann verzweifelt, den vollständigen Satz wiederzugeben, was unter der Prüfungssituation meist vergebliche Mühe bedeutet. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird demnach eher die Bedeutung oder der Inhalt von Sätzen gespeichert als deren genaue Struktur. Ein Satz, dessen Inhalt und Bedeutung wir nicht verstanden haben, läßt sich kaum zu einer erinnerbaren Informationseinheit organisieren und daher nur sehr schwer merken. Eine Reihe von Worten läßt sich leichter speichern, wenn diese zuerst in eine sinnvolle Struktur gebracht werden. Gedächtnisinhalte werden auch dann am besten gespeichert, wenn sie inhaltlich hoch emotional sind (Emotionen drücken Bedeutung und Bewertung aus). Verkettung und elaborierendes Wiederholen helfen bei der Vorbereitung von Material für das langfristige Speichern, weil sie es organisieren und mit mehr Bedeutung versehen. Bildhafte Vorstellung ist eine der effektivsten Formen der Enkodierung, vielleicht deshalb, weil sie sowohl für verbale als auch für visuelle Erinnerungen gleichzeitig Codes bereitstellt. Man erinnert sich an Wörter, indem man sie mit Vorstellungsbildern assoziiert - je lebhafter und deutlicher, desto besser. Enkodierspezifität bezeichnet den Umstand, daß Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis dann am leichtesten abgerufen werden können, wenn die Umstände des Abrufs denen des Erwerbs ähneln. Je besser die Abstimmung zwischen der Organisation der Enkodierung und den Hinweisen, die später beim Abrufen gegeben werden, umso besser wird die Erinnerungsleistung sein. Kontextabhängigkeit des Erinnerns: neues Material wird leichter gelernt, wenn man auch die Einzelheiten der Begleitumstände der Lernsituation (den Kontext der Enkodierung) einspeichert. Wenn man etwas verloren hat, geht man den Weg nochmals ab und findet plötzlich das Gesuchte. Der Abruf wird besser sein, wenn es keine großen Unterschiede im physischen oder psychischen Zustand beim Lernen und beim Abruf gibt. Wenn man im glücklichen Zustand etwas gelernt hat, wird es einem im traurigen Zustand schwerer fallen, sich daran zu erinnern, als wenn es einem gelingt, die glückliche Stimmung wieder herzustellen. (Alkoholiker etwa können Verhaltensweisen, die sie unter Alkohol gelernt haben (z.B. selbstbewusstes Verhalten, bestimmte sexuelle Aktivitäten, ein Gedicht usw.) besser wieder unter Alkohol aktivieren als nüchtern. Depressive können in ihrer traurigen Phase kaum die glücklichen Zeiten ihrer Ehe lebhaft erinnern, auch wenn diese nachweisbar gegeben waren. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (Vergewaltigung, Körperverletzung) erleben ihre traumatischen Erinnerungen deshalb so belastend, weil sie im Zustand großer Angst und Erregung gespeichert wurden und in diesem Zustand auch wieder in Erinnerung treten.

Zurück zu den jugendlichen Straftätern... Wie erklären Neuropsychologen aggressives Verhalten?

Neuropsychologischer Lösungsansatz: = Gezieltes Umbahnen der neurologischen Verbindungen (fehlende emotionale Stimulation) Vorschlag Prof. Herpertz: sich diesen Kindern in besonders hohem Maße emotional zuwenden Ziel: Kinder müssen alternatives Verhalten zur Konfliktbewältigung lernen

Grundannahmen der Neuropsychotherapie Erkenntnisse der Hirnforschung auf Therapie übertragen: Durch psychologische Techniken können neuronale Strukturen verändert werden Synapsen, die nicht gut gebahnt sind, können über möglichst lange Zeit immer wieder intensiv aktiviert werden Ziel: Aufarbeitung von Traumata oder anderen Störungen

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Quellen Grawe, Klaus (2004): Psychotherapie im Wandel - von der Konfession zur Profession. Hans Huber, Bern. Hobmair et al.: Psychologie (2008): Kap. 1.4.7 die Neuropsychologie / Kap. 13.2.6 Die Neuropsychotherapie, Bildungsverlag EINS, Troisdorf.