Verwirklichungschancen für Kinder und Jugendliche

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 Präsentation transkript:

Verwirklichungschancen für Kinder und Jugendliche Prof. Dr. Heiner Keupp Verwirklichungschancen für Kinder und Jugendliche Vortrag bei der Veranstaltung 4. Zukunftsraum von Kinder in die Mitte – Miteinander der Generationen „Chancen für Kinder und Jugendliche“ am 29. April 2011 in Feldkirch 1

Quelle: Der SPIEGEL vom 03.08.2009

Quelle: DIE ZEIT vom 30.07.2009 3

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Der Katastrophen-Guru: Dr. Michael Winterhoff 28.03.2017 6 6 6

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Was wollen wir unter gelungener Entwicklung verstehen? Wir stellen uns Heranwachsende vor, die sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickeln und ihren eigenen Weg finden konnten. Wir sehen Kinder und Jugendliche, die ihr Leben produktiv bewältigen können. Aber lässt sich die Frage nach gelingender Lebensbewältigung unab-hängig vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext beantworten? Wenn wir uns in der jungen Geschichte von Erziehungsberatung und psychol-ogischer Lebenshilfe umschauen, dann begegnen uns sich wandelnde Vorstellungen von gelingender Entwicklung oder gelingendem Leben und den dazu erforderlichen Ressourcen. Diese Vorstellungen sind Resul-tat eines historisch variablen Konstruktionsprozesses. 8

Kurze Einblicke in die Geschichte der Vor-stellungen gelingender Entwicklung 9

Bernhard Christoph Faust (1755 – 1842) 10 10

Einblicke in die Geschichte (1): Bedingung für ein seiner "Bestimmung gemäßes Lebens" sei "freye Selbstthätigkeit" und "beständige und leichte Uebungen des Körpers und der Sinne in Gesellschaft mit Kindern" (S. 24).   Wie soll man die Lebenskompetenz von Heranwachsenden fördern? "Dass man die Kinder in Gesellschaft mit Kindern und in freyer Luft froh und selbsthätig seyn, und Körper und Seele üben lasse" (S. 25).    Quelle: Faust, B.C. (1794). Gesundheits-Katechismus zum Gebrauch in den Schulen und beym häuslichen Unterrichte. Bückeburg: Johann Friedrich Althans. 11

Einblicke in die Geschichte (2): "Der Wille des Kindes muss ge-brochen werden, d.h. es muss lernen, nicht sich selbst, son-dern einem anderen zu folgen."   Quelle: "Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens" (1887). 12

Adolf Matthias (1847-1917) 13 13

Einblicke in die Geschichte (3): "Wer den rechten Gehorsam hat, hat eine treffliche Mitgift fürs Leben. Im Grunde ist auch Gehorsam ein Bedürfnis der Kindesnatur. Recht glücklich und zufrieden fühlt es sich erst dann, wenn diesem Bedürfnis Befriedigung ge-währt wird. Hast Du Deinen Benjamin erst an rechten und echten Gehorsam gewöhnt, hat Du diesen ihm zur anderen Natur gemacht, dann hast Du den besten und schwierigsten Teil der Erziehung hinter Dir. Du kannst ihn dann ruhig der Zukunft überlassen. Viel Sorge wird er Dir dann kaum noch machen."   Quelle: Adolf Matthias (1911). Wie erziehe ich meinen Sohn Bejamin? 14

Adele Schreiber (1872-1957) 15 15

Einblicke in die Geschichte (4): "Die neue Erziehung lehnt die alte Unter-würfigkeit ab und den alten Gehorsam, den das Kind verpflichtet war gedan-kenlos zu üben."   Quelle: Schreiber, Adele (Hg.): Das Reich des Kindes (1930). 16

Johanna Haarer (1900 – 1988) 17 17

Einblicke in die Geschichte (5): Johanna Haarers deutsche Erziehung:   „Vorüber sind die Zeiten, wo es erstes und oberstes Ziel aller Erzie-hung und Aufzucht war, nur die Eigenpersönlichkeit im Kind und Menschen zu vervollkommnen und zu fördern. Eins ist heute vor allem not, nämlich dass jeder junge Staatsbürger und Deutsche zum nützlichen Gliede der Volksgemeinschaft werde, dass er neben der höchst möglichen Entwicklung all seiner guten Anlagen und Fähig-keiten lerne, sich einzuordnen in eine Gemeinschaft und um ihret-willen eigene Wünsche und eigene Bestrebungen zurückzustellen." Quelle: Johanna Haarer: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind (1936). 18

Einblicke in die Geschichte (6) "Wie herrlich war es, Erziehungsberater sein zu dürfen, in einer Zeit, wo der Grundsatz galt: jedem Deutschen sein eigenes Erziehungsziel!"   "Mag auch die Fassung im Einzelfall verschieden sein und anders ausfallen, der Kern des Erziehungsziels ist immer der gleiche: Erziehung zur Volksgemeinschaft, Erziehung zum deutschen Menschen, der körperlich und seelisch ge-sund, geistig entwickelt, sittlich gefestigt, beruflich tüchtig, rassebewusst in Blut und Boden verwurzelt ist und sich Volk und Reich verbunden fühlt" (S. 20). Quelle: Otto Kersten (1941). Praxis der Erziehungsberatung. Ein Handbuch mit Bibliographie. 19

Einblicke in die Geschichte (7) "Das Hauptziel der Erziehungs-beratung liegt nicht in der Eliminierung der Spannungen und Konflikte, Gewissensre-gungen und Schuldgefühle, sondern in der Lebens- und Leidenskraft.“ Quelle: Heinz-Rolf Lückert (Hg.) (1964) Handbuch der Erziehungsberatung. 20

Das Aufwachsen in der Spätmoderne ist riskant geworden Kinder und Jugendliche wachsen in eine Gesellschaft hin-ein, die immer weniger als einbettende Kultur anzu-sehen ist, die Begleitschutz für das Erwachsenwerden bietet. Diese Gesellschaft ist hohem Maße in den Grund-fragen verunsichert, welche Lernerfahrungen und Kom-petenzen notwendig sind, um Lebenssouveränität zu erlangen. 21 21

Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe BT-Drucksache 16/12860 Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/128/1612860.pdf oder http://www.dji.de/ 22 22

Bezugspunkt: Ottawa Charta der WHO "Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaf-fen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entschei-dungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensum-stände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen." 23 23

Gesundheitsressourcen Gesundheitsrisiken Gesundheitsförderung Prävention Salutogenese Pathogenese Aktivitäten zur Verbesserung der Gesundheit 24

Aaron Antonovsky 1923 - 1994 25

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Der Kohärenzsinn beschreibt eine geistige Haltung: Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist. Der Kohärenzsinn beschreibt eine geistige Haltung: Meine Welt erscheint mir verständlich, stimmig, geordnet; auch Pro-bleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehbarkeit). Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Handhabbarkeit). Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Bedeutsamkeit). Kohärenzfördernd sind die Widerstandsressourcen: Individuelle, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Ressourcen. 27

Generalisierte Widerstandsressourcen Im Individuum: organisch-konstitutionelle Widerstandsressourcen, Intelli-genz, Bildung, Bewältigungsstrategien und Ich-Stärke, die nach Antonovsky eine der zentralen emotionalen Widerstandressourcen darstellt, als emotionale Sicherheit, als Selbstvertrauen und positives Selbstgefühl in Bezug auf die eigene Person. Im sozialen Nahraum: Zu den Widerstandsressourcen zählen aber auch wesentlich die sozialen Beziehungen zu anderen Menschen. Diese be-inhalten das Gefühl, sich zugehörig und „verortet“ zu fühlen, Ver-trauen und Anerkennung durch für einen selbst bedeutsame Andere zu erfahren und durch die Beteiligung an zivilgesellschaftlichem En-gagement sich als selbstwirksam erleben zu können. Hinzu kommt die Möglichkeit, sich Unterstützung und Hilfe von anderen Menschen zu holen und sich auf diese zu verlassen. 28 28

Generalisierte Widerstandsressourcen Auf gesellschaftlicher Ebene: Widerstandsressourcen entstehen durch die Erfahrung von Anerkennung über die Teilhabe an sinnvollen Formen von Tätigkeiten und ein bestimmtes Maß an Sicherheit, mit diesen seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können (Verfügbarkeit über Geld, Arbeit, Wohnung….). Auf der kulturellen Ebene: Widerstandsressourcen vermitteln auch der Zugang zu kulturellem Kapital im Sinne tragfähi-ger Wertorientierungen (bezogen aus philosophischen, poli-tischen, religiösen oder ästhetischen Quellen). 29 29

BegründerInnen des Befähigungs-(Capability)-Ansatzes: Amartya Sen und Martha C. Nussbaum

Verwirklichungschancen (capabilities) Unter Verwirklichungschancen (capabilities) versteht Amartya Sen die Möglichkeit von Menschen, „bestimmte Dinge zu tun und über die Freiheit zu verfügen, ein von ihnen mit Gründen für erstrebenswert gehaltenes Leben zu führen.“ Amartya Sen (2000). Ökonomie für den Menschen 31

Verwirklichungschancen Die basalen Capabilities umfassen die Ausbildung von spezifi-schen körperlichen Konstitutionen, sensorischen Fähigkeiten, Denkvermögen und grundlegende Kulturtechniken, die Ver-meidung von unnötigem Schmerz, die Gewährleistung von Ge-sundheit, Ernährung und Schutz, die Möglichkeit und Fähigkeit zur Geselligkeit bzw. zu Bindungen zu anderen Menschen, an-deren Spezies und zur Natur, zu Genuss, zu sexueller Befriedi-gung, zu Mobilität und schließlich zu praktischer Vernunft und zur Ausbildung von Autonomie und Subjektivität. Quelle: Martha C. Nussbaum (1999). Gerechtigkeit oder Das gute Leben 32

Positive Jugendentwicklung: „Gedeihen“ (Thriving) Die positive Entwicklung lässt sich allerdings nicht als ein naturge-steuertes Ablaufgeschehen begreifen, in dem sich eine innere Anlage entfaltet, sondern im Zentrum steht ein Modell von Entwicklung, das in einem transaktionalen Sinne als dynami-sches Austauschsystem zwischen den heranwachsenden Sub-jekten und den unterschiedlichen sozialen Systemen (wie Fami-lie, Schule, Peers, Nachbarschaft und Gesamtgesellschaft) ver-standen wird.   33

Quelle: Richard M. Lerner: Die 6 Cs der positiven Jugendentwicklung 34 34

Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen Unter 3-Jährige: Bindung und Autonomie 3- bis unter 6-Jährige: Sprechen, Bewegen und Achtsamkeit 6- bis unter 12-Jährige: Aneignen und Gestalten, Beziehungen eingehen und sich bewähren 12- bis unter 18-Jährige: Körper spüren, Grenzen suchen, Identität finden 18- bis 27-Jährige: Sich entscheiden, Intimität leben, Verantwortung übernehmen 28.03.2017 35 35

„Neue Morbidität“ Veränderung des Krankheitsspektrums: von akuten zu chronischen Erkrankungen und von somatischen zu psychischen Störungen Untermauert durch die aktuellen Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts. 36

Quelle: Robert-Koch-Institut: KiGGS Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme (Ausprägung „auffällig“) der 3- bis 17-Jährigen (Prävalenzen in %).   Quelle: Robert-Koch-Institut: KiGGS Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS 37

Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS   Quelle: Robert-Koch-Institut: KIGGS 38

(Quelle: KiGGS-Daten; nach Angaben der Eltern und der Jugendlichen) Heranwachsende aus sozial benachteiligten Familien bzw. mit Migra-tionshintergrund – auch sonst gesundheitlich benachteiligt: Sie sind motorisch weniger leistungsfähig sie ernähren sich ungesünder und bewegen sich weniger ihr Medienkonsum ist höher sie haben häufiger mehrere Gesundheitsprobleme und geringeres Wohlbefinden, sie verfügen über weniger persönliche, familiäre und soziale Ressourcen geschlechtsspezifische Differenzen ergeben sich verschärft sie zeigen häufiger Verhaltensauffälligkeiten (ADHS; v.a. Jungen), sie haben häufiger psychische Probleme und Essstörungen (v.a. Mädchen). (Quelle: KiGGS-Daten; nach Angaben der Eltern und der Jugendlichen) 39 39

Befähigungsgerechtigkeit Heranwachsende brauchen die Chance, Zugang zu den Ressourcen gewinnen, die sie zu einer souveränen Handlungsbefähigung benötigen. Die institutionellen Angebote des Bildungs-, Sozial- und Gesundheits- ystems müssen Heranwachsende in ihrer Handlungsbefähigung syste- matisch unterstützen. Es sind professionelle Empowerment-Strategien zu entwickeln, die auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Heranwachsende müssen über Partizipationsmöglichkeiten in ihren Selbstwirksamkeitserfahrungen gefördert werden. Solche Erfahrungen sind vor allem auch dann zu unterstützen, wenn die eigene Handlungsfähigkeit durch Behinderung eingeschränkt ist. 40 40

Besonderer Förderungsbedarf bei Aufwachsen in Armutslage Kindern und Jugendlichen mit Migrationshinter- grund Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Kindern von psychisch, sucht- und chronisch erkrankten Eltern Traumatisierten Kindern und Jugendlichen

Empfehlungen Gesundheitsförderung in der frühen Kindheit durch ein integriertes System früher Förderung Frühe Hilfen müssen als umfassendes Unterstützungsangebot für Eltern von der Schwan-gerschaft über die Geburt bis zu den ersten Lebensmonaten/-jahren organisiert werden. Familienhebammen sind hier ein mögliches Angebot, allerdings bedürfen sie einer sozialdiagnostischen Qualifizierung. Am besten geeignet scheinen Early-excellence-Projekte, Kinder-Tages-Zentren (KiTZ), „Haus für Familien“, Mütter- und Familienzentren und Mehr-Generationen-Häuser, die sozialraumbezogen ausgerichtet sind und ein komplexes Angebot machen können. Frühe Hilfen dürfen nicht unter einer Kontrollperspektive wahrgenommen werden, sondern als abrufbare Assistenz und als Orte, an denen sich Familien treffen und austauschen und damit auch selbst organisieren können. 42

Gesundheitsförderung im Schulalter Empfehlungen Gesundheitsförderung im Schulalter Die steigenden gesundheitlichen Belastungen (Ernährungsprobleme, Überge-wicht, chronische Erkrankungen wie Allergien und psychosoziale Probleme wie ADHS) dürfen nicht medikalisiert werden. Weil in der Schule alle Kinder erreicht werden können, bedarf es einer verbes-serten Kooperation von gesundheitsförderlichen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule durch den Ausbau der Schulsozialarbeit. Speziell in den Ganztagesangeboten ist die systematische Förderung von alters-spezifischen Gesundheitsthemen relevant. Förderung der Elternselbsthilfe (etwa durch Projekte wie Elterntalk) 43

Erwerb von Methylphenidat (z.B. Ritalin) durch Apotheken Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM 2008 44

Quelle: DER SPIEGEL 34/2010, S. 132 45 45 45

Gesundheitsförderung im Jugendalter Empfehlungen Gesundheitsförderung im Jugendalter Dringend erforderlich ist eine stärkere fachliche (und politische) Aufmerksam-keit für die gesundheitlichen Herausforderungen und Risiken des Jugendalters (vor allem psychosoziale Probleme wie Sucht, Essstörungen, Depressionen). Notwendig ist die Unterstützung bei der Erarbeitung realistischer und erreich-barer Lebensziele und der identitären Grenzziehung. Diese sind Voraussetzung für Gewinnung von Lebenskohärenz. Unterstützung ist vor allem bei der Bewältigung von Übergängen (z.B. Schule – Beruf) relevant. Jugendliche in ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen zu Erziehung bedürfen einer genügend intensiven, aber an ihre Lebenswelt anschlussfähige, nicht ausgrenzende und mit dem Gesundheitssystem vernetzte Hilfen. 46

Verwirklichungschancen Urvertrauen zum Leben Dialektik von Bezogenheit und Autonomie Lebenskompetenz braucht einen Vorrat an Kohärenz Schöpfung sozialer Ressourcen durch Netzwerkbildung Materielles Kapital als Bedingung für Beziehungskapital Demokratische Alltagskultur durch Partizipation Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Engagement 47

Verwirklichungs-chancen in und durch Familien 48

Familie als Beziehungsgemeinschaft   „Eine gute Beziehung ist eine von Gleichberechtigten, in der jeder Partner gleiche Rechte und Pflichten hat. In einer Beziehung respektiert jeder den anderen und wünscht sein Bestes. Die Be-ziehung beruht auf Kommunikation, daher ist das Verständnis für den Standpunkt des anderen von wesentlicher Bedeutung. Gespräch und Dialog sind die Grundlagen ihres Funktionierens. Beziehungen funktionieren dann am besten, wenn die Partner offen aufeinander zugehen – gegenseitiges Vertrauen muss man sich erarbeiten; man kann es nicht einfach als gegeben annehmen. Und schließlich ist eine gute Beziehung frei von willkürlicher Machtausübung, Zwang und Gewalt.“ Quelle: A. Giddens: Entfesselte Welt. Wie die Globalisierung unser Leben verändert (2001)

„Demokratie der Gefühle“ in Familienbeziehungen Eine Demokratie der Gefühle erscheint mir für die Verbesserung unserer Lebensqualität ebenso wichtig wie die Existenz einer demokratischen Öffentlichkeit.“ Eltern-Kind-Beziehungen brauchen als Basis eine prinzipielle Gleichbe-rechtigung – was nicht im Widerspruch zur elterlichen Autorität steht. Disziplin und Respekt bedürfen der Grundlage einer vernünftigen Begründung. „Demokratie bedeutet ebenso die Anerkennung von Pflichten wie von gesetzlich verankerten Rechten. Der Schutz der Kinder muß die erste Aufgabe von Gesetzgebung und Politik sein.“ Quelle: A. Giddens: Entfesselte Welt. Wie die Globalisierung unser Leben verändert (2001)

Maßnahmen zur Herstellung von Befähigungsgerechtigkeit Gesundheitsförderung als fachlicher Standard in der Jugendwohlfahrt Ausrichtung der Fördermaßnahmen an den spezifischen Bedürfnissen Heranwachsender ausrichten (von der Anbieter zur Nutzerperspektive) Orientierung an lebenslaufspezifischen Entwicklungsthemen Frühe Förderung von Familien und Kindern nicht als soziale Kontrolle Hilfsangebote für Kinder chronisch und psychisch kranker Eltern verbessern Mehr Aufmerksamkeit für traumatisierte Kinder („Traumasensibilität“) Verbindliche Netzwerke für die Kooperation von Jugendwohlfahrt, Gesund-heitssystem und Behindertenhilfe Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Schule Gezielte Unterstützung junger schwangeren Frauen ohne stabile Partnerschaft Die Verringerung ungleicher Gesundheitschancen als politische Zielvorgabe