Familiengerichtliches Verfahren

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Familiengerichtliches Verfahren Vorlesung WS 2015/2016 Vorsitzende Richterin am OLG Gabriele Ey Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Übersicht Teil 1: Entstehungsgeschichte und Struktur des FamFG Teil 2: Aufbau der Familiengerichtsbarkeit Teil 3: Das Scheidungsverfahren Teil 4: Der Scheidungsverbund Teil 5: Familienstreitsachen Teil 6: FG-Familiensachen Teil 7: Die Beteiligten und die Organe des Verfahrens in FG-Familiensachen Teil 8: Die Rechtsstellung der Beteiligten in FG-Familiensachen Teil 9: Gang des Verfahrens in FG-Familiensachen Teil 10: Das Beweisverfahren in FG-Familiensachen Teil 11: Verfahrensbeendigung in FG-Familiensachen Teil 12: Rechtskraft und Abänderung rechtskräftiger Endentscheidungen Teil 13: Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen Teil 14: Der vorläufige Rechtsschutz in Familiensachen Teil 15: Kosten und Vollstreckung Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Literatur Gesamtes FamFG Bassenge/Roth, FamFG/RPflG: Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Rechtspflegergesetz. Kommentar, C.F. Müller, 12. Auflage 2009 Bork/Jacoby/Schwab, FamFG: Kommentar zum Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Gieseking, 2. Aufl. 2013 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, Beck, 11. Aufl. 2015 Haußleiter, FamFG, Beck, 2011 Horndasch/Viefhues, Kommentar zum Familienverfahrensrecht inkl. Betreuungs- und Unterbringungsrecht sowie Nachlass- und Teilungssachen, 3. Aufl., 2014, ZAP-Verlag Keidel, FamFG, Beck, 18. Aufl. 2014 Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, Handkommentar, Nomos, 3 Aufl. 2015 Kroiß/Sailer, FamFG, Kommentiertes Verfahrenshandbuch, Nomos, 3. Aufl. 2014 Prütting/Helms, FamFG: Praxiskommentar zum gesamten FamFG (Bücher 1 bis 9) und zum FamGKG, Otto Schmidt, 3. Aufl. 2013 Schulte-Bunert/Weinreich, Das neue FamFG, Luchterhand, 4. Aufl, 2014 Zimmermann, FamFG: Einführung in das familiengerichtliche Verfahren und die freiwillige Gerichtsbarkeit, Beck, 2. Aufl. 2011 Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Literatur nur Familienverfahrensrecht Fölsch, Das neue FamFG in Familiensachen, DeutscherAnwaltVerlag, 2. Aufl. 2009 Grandel/Stockmann, Stichwortkommentar Familienrecht, Nomos, 2. Aufl. 2014 Hoppenz, Familiensachen, Müller, 9. Aufl. 2009 Meysen/Balloff/Ernst, Praxiskommentar Familienverfahrensrecht – FamFG , BAnzV , 2. Aufl. 2014, Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 1. und 2. Buch FamFG, Verlag Franz Vahlen, 5. Auflage, 2015 FamGKG Schneider/Volpert/Fölsch, FamGKG, Nomos, 1. Aufl. 2014 Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Einführung: Entstehungsgeschichte und Struktur des FamFG Teil Einführung: Entstehungsgeschichte und Struktur des FamFG

A. Entstehungsgeschichte des FamFG I. Das FGG und das 6. Buch der ZPO als Vorläuferregelungen des FamFG Familiengerichtliche Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit: FGG Familiengerichtliche Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit: §§ 606 ff. ZPO a.F. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

II. Reformüberlegungen und Gesetzesgeschichte Langjährige Vorarbeiten, Problemkatalog des BMJ v. 2.5.2002 Referentenentwürfe des BMJ v. Juni 2005, Februar 2006 und Juni 2006 Gesetzentwurf der BReg. v. 9.5.2007 Stellungnahme BRat v. 6.7.2007– BR-Drs. 309/07 (Beschluss) Einbringung des Gesetzwurfs mit Gegenäußerung der BReg. v. 7.9.2007 –BT-Drs. 16/6308 Erste Lesung am 11.10.2007 BT-Plenarprot.16/118, 12219-12228 Öffentliche Anhörung am 11./13.2.2008 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses v. 23.6.2008 – BT-Drs. 16/9733 Zweite und dritte Lesung am 27.6.2008 – BT-Plenarprot. 16/173, 18482 Zustimmung des Bundesrats am 19.9.2008 – BR-Plenarprot. Nr. 847, 271 Verkündung des Gesetz am 17.12.2008 Veröffentlichung im BGBl. am 22.12.2008 – BGBl. 2008 I, 2586 Inkrafttreten am 1.9.2009 Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

III. Das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz - FGG-RG) vom 17.12.2008 – BGBl. 2008 I, 2586 Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

1. Ziele des FGG-Reformgesetzes: Schaffung einer modernen einheitlichen Verfahrensordnung für Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) Schaffung eines einheitlichen Gerichtskostenrechts in Familiensachen (FamGKG) Einführung des Großen Familiengerichts und Wegfall der Vormundschaftsgerichte Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

2. Schwerpunkte des FGG-Reformgesetzes Art. 1 FGG-RG: Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) Art. 2 FGG-RG: Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) Art. 29 FGG-RG: Aufhebung des 6. und 9. Buches der ZPO Art. 62 FamFG: Änderung der HausratsVO Art.112 FGG-RG: Außerkrafttreten des FGG Art. 111 FGG-RG: Übergangsvorschriften Art. 3 bis 28, 30 bis 110 FGG-RGG: zahlreiche materielle und formelle Änderungen (z.B. BGB, HGB, LebenspartnerschaftsG, EGGVG, ZPO, EGZPO, RPflG, BerHG, ZVG, GBO, JGG, BNotO, BeurkG, GKG, JVEG, RVG) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

3. Schwerpunkte des FamFG (Art. 1 FGG-RG) (vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 164) Ausbau der bisherigen lückenhaften Regelungen zu einer zusammenhängenden Verfahrensordnung Rechtsstaatliche Ausgestaltung des Verfahrens Koordinierung mit anderen Verfahrensordnungen (Übersichtlichkeit, Rechtssicherheit) Anwenderfreundlicher Gesetzesaufbau, anwenderfreundliche Gesetzessprache Stärkung der konfliktvermeidenden und konfliktlösenden Elemente im familiengerichtlichen Verfahren durch Förderung der gerichtlichen und außergerichtlichen Streitschlichtung für Scheidungsfolgesachen Beschleunigung von Verfahren über das Umgangs- und Sorgerecht durch Einführung von Elementen des sog. Cochemer Modells, Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte betroffener Kinder durch Präzisierung der Funktion des Verfahrenspflegers (jetzt: Verfahrensbeistandes) Wirkungsvolle Durchsetzung von Entscheidungen und gerichtlich gebilligten Vergleichen über das Umgangsrecht und Entscheidungen zur Kindesherausgabe Einführung eines hauptsacheunabhängigen Rechtsschutzes Zuständigkeit des „Großen Familiengerichts“ insbesondere für alle Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung und Scheidung Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

IV. Änderungen und Ergänzungen des FGG-RG vor dessen Inkrafttreten Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs v. 03.04.2009 (BGBl. 2009 I, 700) Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts v. 06.07.2009 (BGBl. 2009 I, 1696) Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtstelle sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 30.07.2009 (BGBl. 2009 I, 2449): Erhöhung der Fallpauschale für den Verfahrensbeistand Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

V. Weitere wichtige Änderungen des FamFG Gesetz v. 15.3.2012 (BGBl. II S. 178) betreffend das Abkommen v. 4.2.2010 zwischen Deutschland und Frankreich über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: §§ 261, 264, 269 FamFG Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung v. 21.7.2102 (BGBl. I S. 1577): §§ 23, 36 Abs. 5, 26a, 156 FamFG Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften v. 5.12.2012 (BGBl. I S. 2418); zahlreiche Vorschriften Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern v. 19.4.2013 (BGBl. I S. 795): § 155a FamFG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters v. 4.7.2013 (BGBl. I S. 2167): § 167a FamFG Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt v. 28.8.2013 (BGBl. I, 3458): § 168a Abs. 1 FamFG Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts v. 31.8.2013 (BGBl. I S. 3533): §§ 77, 168 FamFG Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786): §§ 14, 14a, 14b FamFG Gesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner v. 20.6.2014 (BGBl. I S. 786): § 188 Abs. 1 Nr. 1c FamFG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

B. Struktur des FamFG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

I. Anwendungsbereich des FamFG § 1 FamFG: Dieses Gesetz gilt für das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit sie durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen sind. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

1. Der Begriff der „Familiensache“ Legaldefinition in § 111 FamFG: Familiensachen sind Ehesachen (§ 121 FamFG) Kindschaftssachen (§ 151 FamFG) Abstammungssachen (169 FamFG) Adoptionssachen (§ 186 FamFG) Ehewohnungs- und Haushaltssachen (§ 200 FamFG) Gewaltschutzsachen (§ 210 FamFG) Versorgungsausgleichssachen (§ 217 FamFG) Unterhaltssachen (§ 231 FamFG) Güterrechtssachen (§ 261 FamFG) Sonstige Familiensachen (§ 266 FamFG) Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 FamFG) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

2. Der Begriff „freiwillige Gerichtsbarkeit“ Übersetzung aus dem römischen Recht: jurisdictio voluntaria (Digesten I 16, 2 pr.), betraf u.a. die Tätigkeit des Richters bei der Freilassung von Sklaven Kein materieller Begriff der „freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (am ehesten: Rechtsfürsorge, vorsorgende Rechtspflege) Formale Begriffsbestimmung in § 23a Abs. 2 GVG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Formale Begriffsbestimmung in § 23a Abs. 2 GVG Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind: Betreuungssachen (§§ 271 ff. FamFG) , Unterbringungssachen (§§ 312 ff. FamFG), betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen (§§ 340 f. FamFG) Nachlass- und Teilungssachen (§§ 342 ff. FamFG) Registersachen (§§ 374, 376 ff. FamFG) Unternehmensrechtliche Verfahren nach § 375 FamFG die weiteren Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 410 FamFG Verfahren in Freiheitsentziehungssachen nach § 415 FamFG Aufgebotsverfahren (§§ 447 ff. FamFG) Grundbuchsachen nach der GBO Verfahren … in Landwirtschaftssachen (§ 1 Nr. 1, 2-6 LwVG) Schiffsregistersachen nach der Schiffsregisterordnung Sonstige Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit sie durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen sind (z.B. Staatsangehörigkeitsgesetz, Bundespolizeigesetz, Infektionsschutzgesetz, vgl. die durch Art. 3 ff. FGG-RG geänderten Gesetze) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Angelegenheit muss den Gerichten zugewiesen sein Erläuterung zu § 23a Nr. 11 GVG (sonstige Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) Angelegenheit muss den Gerichten zugewiesen sein Bei Übertragung von Aufgaben an andere Organe der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt das FGG grundsätzlich nicht andere Organe der Freiwilligen Gerichtsbarkeit sind: Notare: Beurkundungswesen (BeurkG, BNotO) Konsuln: Konsulargesetz (z.B. Beurkundung von Erklärungen) Jugendamt (z.B. Errichtung einer Jugendamtsurkunde, § 59 Abs. 1 Nr. 1, 3 SGBVIII) Betreuungsbehörden (z.B. Beglaubigung von Betreuungsverfügungen, § 1901c BGB, § 6 Abs. 2 Betreuungsbehördengesetz) Standesämter (Personenstandsgesetz) Bürgermeister (Beurkundung von Nottestamenten, §§ 2249, 2266 BGB) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

2. durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen: auch wenn das Bundesgesetz die Länder ermächtigt, die Angelegenheit auf andere Behörden als die Gerichte zu übertragen (Art. 147 EGBGB für die Aufgaben des Betreuungsgerichts und des Nachlassgerichts - Ba-Wü: z.T. den Notariaten übertragen) auch die Unterbringung nach den Landesgesetzen (PsychKG, UnterbrG) ist durch Bundesgesetz (§ 312 Nr. 3 FamFG) den Familiengerichten zugewiesen Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

II. Der Aufbau des FamFG Buch 1: Allgemeiner Teil (§§ 1 – 110) Buch 2: Verfahren in Familiensachen (§§ 111 – 270) Buch 3: Verfahren in Betreuungs- und Unterbringungssachen (§§ 271 – 341) Buch 4: Verfahren in Nachlass- und Teilungssachen (§§ 342 – 373) Buch 5: Verfahren in Registersachen (§§ 374 – 409) Buch 6: Verfahren in weiteren Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 410 – 414) Buch 7: Verfahren in Freiheitsentziehungssachen (§§ 415 – 432) Buch 8: Verfahren in Aufgebotssachen (§§ 433 – 484) Buch 9: Schlussvorschriften Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

III. Das Familienverfahrensrecht Die Regelung findet sich in den ersten beiden Büchern des FamFG mit Verweisen in die ZPO. Die Gestaltung des Verfahrens ist abhängig vom Verfahrensgegenstand. Das Gesetz trifft in §§ 112, 113 FamG eine Grunddifferenzierung der Familiensachen in 1. Ehesachen 2. Familienstreitsachen 3. FG-Familiensachen Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Anwendbare Normen Ehe- und Familienstreitsachen: FG-Familiensachen: Grundsätzlicher Verweis auf die ZPO (§ 113 Abs. 1 – 3 FamFG) mit zahlreichen Ausnahmen und Besonderheiten für Ehesachen (§ 113 Abs. 4 FamFG) Bei Anwendung der ZPO andere Bezeichnungen (§ 113 Abs. 5 FamFG): Statt Prozess/Rechtsstreit : Verfahren Statt Klage: Antrag Statt Kläger/Beklagter: Antragsteller/Antragsgegner statt Partei: Beteiligter FG-Familiensachen: Geltung des 1. Buchs (Allgemeiner Teil), soweit in den einzelnen Abschnitten des 2. Buchs keine spezielleren Regelungen enthalten sind Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Aufbau der Familiengerichtsbarkeit Teil 2 Aufbau der Familiengerichtsbarkeit

A. Gerichtsbarkeiten Verfassungsgerichtsbarkeit Ordentliche Gerichtsbarkeit Besondere Gerichtsbarkeit , § 111. Zivilsachen Strafsachen Arbeitsgerichtsbarkeit Finanzgerichtsbarkeit Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten Familiensachen Freiwillige Gerichtsbarkeit. Sozialgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtsbarkeit Ehe-sachen Familienstreit-sachen Sonstige Familiensachen solche nach § 23a II GVG Weitere auf Grund von Verweisungen in anderen Gesetzen Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

B. Die Gerichtsverfassung Regelung für die ordentliche Gerichtsbarkeit im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), ferner im Deutschen Richtergesetz (DRiG), Rechtspflegergesetz (RPflG), Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sowie Einzelvorschriften Für die anderen Zweige der Gerichtsbarkeit gelten besondere Gesetze (mit Verweis auf GVG) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

C. Das GVG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

I. Einführung der Familiengerichte Einführung der Familiengerichte durch das EheRG zum 1.7.1977 Gründe: Beseitigung der Zersplitterung der verschiedenen Zuständigkeiten Schaffung des Scheidungsverbunds als Kompensation der Scheidungserleichterung durch Einführung des Zerrüttungsprinzips Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

2. Rechtsgrundlagen § 23a GVG: Abs. 1: Die Amtsgerichte sind ferner zuständig für Familiensachen; … Die Zuständigkeit nach Satz 1 Nummer 1 ist eine ausschließliche. § 23b GVG: Abs. 1: Bei den Amtsgerichten werden Abteilungen für Familiensachen (Familiengerichte) gebildet. Abs. 3: Die Abteilungen für Familiensachen werden mit Familienrichtern besetzt. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung Geschäfte des Familienrichters nicht wahrnehmen. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

§ 23 a GVG regelt also die ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte § 23 b GVG regelt die funktionale Zuständigkeit der Familienabteilung (Fall der gesetzlich geregelten Geschäftsverteilung) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

II. Änderung des GVG zum 1.9.2009 Änderung des § 12 GVG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

§ 12 [Ordentliche Gerichtsbarkeit] (gültig bis 31.08.2009) Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und durch den Bundesgerichtshof (den obersten Gerichtshof des Bundes für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit) ausgeübt. § 12 [Ordentliche Gerichtsbarkeit] (gültig ab 01.09.2009) Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und durch den Bundesgerichtshof (den obersten Gerichtshof des Bundes für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit) ausgeübt. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

§ 13 [Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte] (gültig bis 31.08.2009) Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. § 13 [Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte] (gültig ab 01.09.2009) Vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

III. Bedeutung der Änderung des GVG zum 1.9.2009 Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden jetzt als Zivilsachen eingeordnet Das GVG ist unmittelbare anwendbar, während dies vorher nur durch zahlreiche Verweisungen vom FGG ins GVG der Fall war Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

Was sind bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten? IV. Der Aufbau der Zivilgerichtsbarkeit in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Was sind bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten? Instanzenzug (§§ 23, 71, 119, 133 GVG) Besetzung der Gerichte Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

V. Der Aufbau der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1. Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 23a GVG: Abs. 1: Die Amtsgerichte sind ferner zuständig für … 2. Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit nicht durch gesetzliche Vorschriften eine anderweitige Zuständigkeit begründet ist. Abs. 2: Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind u.a.: Betreuungssachen, Unterbringungssachen sowie betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen, Verfahren in Freiheitsentziehungssachen nach § 415 FamFG (z.B. Asylverfahrensgesetz, Aufenthaltsgesetz, Bundeskriminalamtgesetz, Bundespolizeigesetz, Infektionsschutzgesetz, Zollfahndungsdienstgesetz) 2. Bildung von Betreuungsgerichten für Verfahren nach § 23a Abs. 2 Nr. 1 GVG gem. § 23c GVG 3. Rechtsmittel zum OLG mit Ausnahme der Freiheitsentziehungssachen und vom Betreuungsgericht entschiedenen Sachen, für die die LG zuständig sind (§§ 119 I 1Nr. 1 b, 72 I S. 2 GVG) 4. Rechtsbeschwerde zum BGH Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

V. Der Aufbau der Familiengerichtsbarkeit 1. Das Familiengericht § 23a GVG: Abs. 1: Die Amtsgerichte sind ferner zuständig für Familiensachen; … Die Zuständigkeit nach Satz 1 Nummer 1 ist eine ausschließliche. § 23b GVG: Abs. 1: Bei den Amtsgerichten werden Abteilungen für Familiensachen (Familiengerichte) gebildet. Abs. 3: Die Abteilungen für Familiensachen werden mit Familienrichtern besetzt. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung Geschäfte des Familienrichters nicht wahrnehmen. 2. OLG als Beschwerdeinstanz, § 119 GVG 3. BGH als Rechtsbeschwerdeinstanz, § 133 GVG Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2013/2014, Gabriele Ey

Fall 1: Scheidungsantrag beim Zivilrichter Rechtanwalt R stellt für seinen Mandanten M Scheidungsantrag bei der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts A. Die Sache wird dem Zivilrichter Z vorgelegt. Was veranlasst dieser? Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Verweisungsnormen § 281 i.V.m. § 113 FamFG betrifft die örtliche und sachliche Zuständigkeit in Ehe- und Familienstreitsachen § 3 FamFG betrifft die örtliche und sachliche Zuständigkeit in FG-Familiensachen § 17a Abs. 2 GVG betrifft die Rechtswegezuständigkeit § 17a Abs. 6 GVG betrifft die funktionale Zuständigkeit im Verhältnis bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

§ 17a [Entscheidung über den Rechtsweg; Verweisung; sofortige Beschwerde] (gültig ab 01.09.2009) (1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden. (2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend. (3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. (4) Der Beschluss nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluss des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluss zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden. (5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. (6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend. Fußnoten § 17a Abs. 6: eingef. durch Art. 22 Nr. 3 G v. 17.12.2008 , BGBl. I S. 2586, m.W.v. 1.9.2009 Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

Lösung Fall 1: Z ist nicht zuständig. Nach § 23a Abs. 1 GVG ist das Familiengericht ausschließlich zuständig. R wird gemäß § 17a Abs. 6, Abs. 2 GVG nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen aussprechen, dass der beschrittene Rechtsweg, also die Einreichung des Antrags beim Zivilgericht unzulässig ist, und wird das Verfahren von Amts wegen an die zuständige Abteilung für Familiensachen verweisen. Gegen diesen Beschluss, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, ist die Beschwerde nach § 17a Abs. 4 GVG zulässig. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Verweisung bei örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit Bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten, Ehe- und Familienstreitsachen FG-Familiensachen § 281 ZPO (i.V.m. § 113 FamFG) Antrag einer Partei (Beteiligten) i.d.R. ohne mdl. Verhandlung (§ 128 IV ZPO) Nach Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerfG NJW 1982, 2367) Unzuständigkeitserklärung und Verweisung durch Beschluss Beschluss nicht anfechtbar, § 281 II 2 ZPO Beschluss für Gericht bindend, § 281 II 4 ZPO Durchbrechung der Bindungswirkung: Verletzung rechtlichen Gehörs Willkür § 3 FamFG Antrag nicht erforderlich i.d.R. ohne mdl. Verhandlung (§ 32 I 1 FamFG) Nach Anhörung der Beteiligten (§ 3 I 2 FamFG) Unzuständigkeitserklärung und Verweisung durch Beschluss Beschluss nicht anfechtbar, § 3 III 1 FamFG Beschluss für Gericht bindend, § 3 III 2 FamFG Durchbrechung der Bindungswirkung: Verletzung rechtlichen Gehörs Willkür Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – Xa ARZ 283/10 –, juris Leitsatz Die Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 17a GVG kommt auch dann nur bei "extremen Verstößen" in Betracht, wenn die Entscheidung von Gesetzes wegen keiner weiteren Prüfung unterliegt (Rn.15)(Rn.16). Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Verweisung bei fehlender Rechtswegezuständigkeit (17a I GVG) und bei fehlender funktionaler Zuständigkeit im Verhältnis der in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper ( § 17a VI GVG) Antrag nicht erforderlich i.d.R. ohne mdl. Verhandlung (§ 17a IV GVG) Nach Anhörung der Parteien (§ 17a II 1 GVG) Unzuständigkeitserklärung und Verweisung durch zu begründenden Beschluss, § 17a II, IV 2 GVG Beschluss mit sofortiger Beschwerde anfechtbar, § 17a IV GVG Beschluss für Gericht bindend, § 17a II 3 GVG Durchbrechung der Bindungswirkung? Verletzung rechtlichen Gehörs kann nur von den Parteien im Rahmen der sofortigen Beschwerde gerügt werden Willkür? Vom BGH offengelassen, wenn, dann nur in krassen Ausnahmefällen (BGH Beschl. v. 14.5.2013 – X ARZ 167/13, juris); BVerwG: „extreme Verstöße“, BAG: „krasse Rechtsverletzungen). Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

Bindungswirkung der Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – X ARZ 167/13 –, juris Leitsatz: Die Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs ist hinsichtlich des Rechtswegs für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend und kann nur auf das Rechtsmittel einer Partei überprüft werden. Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist jedenfalls grundsätzlich kein Raum.(Rn.9) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Fall 2: Negativer Kompetenzkonflikt OLG Braunschweig, Beschl. v. 21.12.2011 – 1 W 47/11 – NJW-RR 2012, 586 Der Kläger begehrt vor dem LG Braunschweig von seiner rechtskräftig geschiedenen Ehefrau die Zustimmung zur Übertragung ihres ideellen Miteigentums an dem vormaligen Ehewohnhaus Zug um Zug gegen Zahlung von 7.000 € und Freistellung von Bankverbindlichkeiten. Das LG verweist an das Familiengericht Helmstedt. Das Amtsgericht erklärt sich ebenfalls für unzuständig, lehnt die Übernahme ab und gibt die Sache an das Landgericht zurück. Was macht das Landgericht nun? Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Negativer Kompetenzkonflikt (Analoge) Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten und (§ 113 FamFG) in Ehe- und Familienstreitsachen, auch bei Streit um Rechtswegezuständigkeit und funktionale Zuständigkeit (Analoge) Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG in FG-Familiensachen Bedürfnis für Anwendung von § 36 ZPO auch bei mangelnder Anfechtung durch die Parteien nach § 17a Abs. 4 S. 3 GVG: Wahrung funktionierender Rechtspflege und Rechtssicherheit Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

Lösung Fall 2: Antrag (entsprechend) § 36 I Nr. 6 ZPO auf Bestimmung des zuständigen Gerichts an das nächst höhere gemeinsame Gericht: LG Braunschweig OLG Braunschweig AG Helmstedt OLG Braunschweig Das LG wird also den Antrag nach § 36 I Nr. 6 an das OLG Braunschweig richten. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

Fortsetzung Fall 2: Frage: Wie wird das OLG Braunschweig entscheiden? AG Helmstedt und LG Braunschweig haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. AG Helmstedt ist zuständig, wenn der Verweisungsbeschluss des LG Braunschweig bindend ist. Beiderseitiges rechtliches Gehör gewährt Schriftlich begründet Verweisungsbeschluss nicht angefochten Kein krasser Rechtsverstoß – Auffassung des LG, dass es sich um eine sonstige Familienstreitsache i.S.d. § 266 I Nr. 3 FamFG handelt, trifft vielmehr zu. Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2012/2013, Gabriele Ey

Streit über Zuständigkeit der angerufenen Zivilkammer BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 – XII ZB 652/11 –, juris 1. Bei der Prüfung, ob eine sonstige Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegt, ist das Tatbestandsmerkmal "im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung" weit auszulegen.(Rn.26) 2. Streitigkeiten aus Mietverträgen (einschließlich gewerblicher Mietverträge), die die Eheleute untereinander geschlossen haben, können sonstige Familiensachen i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sein.(Rn.31) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

IV. Das große Familiengericht Ausweitung der bisherigen Zuständigkeiten in § 111 FamFG Wegfall des Vormundschaftsgerichts Übertragung sämtlicher Gewaltschutzsachen auch ohne Familienbezug Zuständigkeit für sonstige Familiensachen (Gesamtschuldnerausgleich, Innengesellschaft, Mitwirkung bei Einkommenssteuer pp.) Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

V. Das OLG als Beschwerdegericht Abweichung vom Instanzenzug gegenüber allgemeinen Zivilsachen Historische Begründung Besetzung der Senate für Familiensachen Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey

VI. Der Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff. FamFG Grundsatz: nur bei Zulassung Ausnahmen: Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen Keine Nichtzulassungsbeschwerde Familiengerichtliches Verfahren, Universität Bonn, WS 2015/2016, Gabriele Ey