Neurologische Universitätsklinik, Freiburg

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Anzahl der ausgefüllten und eingesandten Fragebögen: 211
Advertisements

Radiotherapie bei der plantaren Fibromatose (Morbus Ledderhose)
Evaluation der bewegungstherapeutischen Behandlung mit Hilfe des Dortmunder Fragebogens zur Bewegungstherapie DFBT Stuttgart Daniela Croissant.
Was gibt es Neues beim Schlaganfall? 2007
Mit Medikamenten individuell behandeln Prof. Dr. Johannes Kornhuber
Kompetenzfeld Tod und Trauer
Hauptgruppen der Klassifikation I
Chronische Schmerzen Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers
Definitionen von Leistungen an der Schnittstelle ambulant- stationär: Ergebnisse einer Umfrage in Hessen Dr. med. Martin Künneke Universitätsklinik der.
Prof. Dr. Bernhard Wasmayr
Gesundheitstraining „Koronare Herzkrankheit“
Gesundheitstraining „Koronare Herzkrankheit“
Patientenschulung Herzinsuffizienz
Chronische Pankreatitis
Studienverlauf im Ausländerstudium
Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
Klinische Bedeutung somatoformer Störungen
Osteosarkom häufigster primärer Knochenkrebs (2-3/Mio/a)
Prof. Dr. Bernhard Wasmayr VWL 2. Semester
Hypertone Kochsalzlösung
Akutes Koronarsyndrom: Optimierte Antiplättchentherapie
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit aus hausärztlicher Sicht Ein starke Partnerschaft Michael Fluri Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH Hausarztpraxis.
Persönliche Erfahrung mit Firazyr
Ein wunderbares Gefühl.”
DOKUMENTATION DER UMFRAGE
Spital Riggisberg EbM.
Wirksamkeit der NADA-Ohrakupunktur bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen im ambulanten Bereich Euro-NADA Konferenz 2013.
Leitlinien zum Einsatz von Coxiben
Dokumentation der Umfrage
Was ist das Besondere am chronischen Schmerz?
Auf dem Weg zum Schmerzfreien Krankenhaus
Möglichkeiten und Grenzen der orthopädischen Begutachtung
Beurteilung der Effektivität der postoperativen Schmerztherapie durch Patientenbefragung Irene Wöhry Interdisziplinäre Schmerzambulanz LKH Leoben EINLEITUNG.
Cluster 3 – Psychische Erkrankungen und Pension (inkl. Begutachtungen)
Ergebnisorientierte Orthopädie am Beispiel Hüfttotalprothese
Grippeimpfung im Alter Gibt es valide Daten?
Herzinsuffizienz die auch Herzleistungsschwäche genannt wird
PROCAM Score Alter (Jahre)
„Schmerzfreies Krankenhaus“
Die CT-gesteuerte Schmerztherapie der Wirbelsäule als multimodale Behandlungsstrategie: Ist eine Operation immer alternativlos? Dr. med. H.-H. Capelle.
zu Cinacalcet und CKD-MBD
Ertragsteuern, 5. Auflage Christiana Djanani, Gernot Brähler, Christian Lösel, Andreas Krenzin © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2012.
Neu München
Journal Club 9. Juni 2008 Dr. med. Hans Muster.
Innovation Onkologie Research & Consulting GmbH
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
MINDREADER Ein magisch - interaktives Erlebnis mit ENZO PAOLO
Sturzprävention im Pflegeheim
Plötzlicher Herztod – Definition (I)
Palliativmedizin Palliativmedizin – 1
HIV-Infektion in der Schwangerschaft
Folie Beispiel für eine Einzelauswertung der Gemeindedaten (fiktive Daten)
QUIPS 2011 Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie.
Gastroösophageale Refluxkrankheit
Die perioperative Therapie beginnt beim Hausarzt
Skala K. , Reichl L. ,Ilias W. , Likar R. , Grögl-Aringer G
Folie Einzelauswertung der Gemeindedaten
Fortbildung Krankenhaus Waldfriede Lena Fey
Analgetika.
Datum:17. Dezember 2014 Thema:IFRS Update zum Jahresende – die Neuerungen im Überblick Referent:Eberhard Grötzner, EMA ® Anlass:12. Arbeitskreis Internationale.
Welche Bedeutung hat das Ernährungsverhalten?
Durch dick und dünn - Neue Entdeckungen zum Fettstoffwechsel
PROCESS 24-Monats-Ergebnisse
Ahaus Borken Legden Vreden Christoph Jolk
Schmerz – eine Herausforderung für die Therapie Workshop Medikamentöse Schmerztherapie Evangelische Akademie Tutzing 3./4. März 2006 Eva Winter Krankenhaus.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
Der Arztbesuch Tipps zur Vorbereitung © Wolfhard D. Frost Januar 2007.
Veränderungen und Schmerzen an der Wirbelsäule
Orale Antikoagulation
Indikation zur Wirbelsäulenoperation – gibt’s die noch?
 Präsentation transkript:

Neurologische Universitätsklinik, Freiburg Akuter Rückenschmerz Neurologische Universitätsklinik, Freiburg

Lernziele: Akuter Rückenschmerz Kenntnisse in der Diagnostik und Verlauf von Wurzelkompressionssyndromen Kenntnisse in der angepassten Schmerztherapie Bedeutung der Physiotherapie Weichenstellung operativ/konservativ Erfassung von Risikoindikatoren für eine Chronifizierung

Wurzelsyndrome

Dermatome Periphere Nerven

Prolaps und Sequester

Medialer und posterolateraler Prolaps

Fehlhaltung, -belastung und pseudoradikuläre Schmerzen

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation

Lumboischialgie: CT oder kein CT? Planung der Operation Zweifel an der Ätiologie: V.a. Osteolyse V.a. Spondylitis/Diszitis V.a. tumoröse RF

Elektromyogramm (EMG) Abgrenzung Parese vs. Schmerzhemmung Prognostische Aussage bei Paresen: Spontanaktivität = axonale Schädigung keine Spontanaktivität = Neurapraxie = gute Prognose

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation

Medikamentöse Behandlung (vorwiegend) peripher wirksame Analgetika NSAR Paracetamol, Metamizol zentral wirksame Analgetika Flupirtin Opioide Muskelrelaxantien Trizyklische Antidepressiva

Non-steroidale Antirheumatika (NSAR) Substanzen ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Indometacin COX-II-Hemmer: Rofecoxib, Celecoxib Ceiling-Effekt für analgetische Wirkung gute orale Bioverfügbarkeit NW: Magenulcera, nephrotoxisch, Natrium- und Wasserretention, Coxibe auch kardiovaskulär Dauertherapie problematisch

Flupirtin (Katadolon (R) ) Öffnung von Kalium-Kanälen > Hyperpolarisation > verminderte glutamaterge Transmission muskelrelaxierender Effekt NW: Müdigkeit, Schwindel Kein Abhängigkeitspotential

Opioide: Der Patient wird Sie fragen ...

Wie entsteht psychische Abhängigkeit bei Schmerzpatienten? keine Erleichterung, da kontinuierliche Analgesie Schmerz Schmerzmittel-Einnahme Erleichterung Entkoppelung von Befinden und Medikamenteneinnahme Reiz Verhalten Belohnung

Therapie mit Opioiden Fünf Grundregeln Einnahme nach der Uhr Dosis individuell anpassen Prophylaxe von Nebenwirkungen Orale Applikation, wenn möglich Kombination mit peripheren Analgetika

Muskelrelaxantien

Antidepressiva Indikation: v.a. chronische Schmerzen kontrolliert geprüft: Clomipramin (Anafranil), Amitriptylin (Saroten), Doxepin (Aponal) Wirkungslatenz 1-2 Wochen NW: Müdigkeit, Mundtrockenheit, Obstipation Wichtig: Aufklärung Eigenständige analgetische Wirkung Nebenwirkungen sofort, analgetische Wirkung mit Verzögerung

Was wann? Konsensus-Konferenz der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (1992)

Physikalische Stufentherapie bei lumbalem Bandscheibenvorfall Akutphase: Schmerzen Schmerztherapie Subakute Phase: Bewegungseinschränkung Mobilisation Chronische Phase: Fehlverhalten Sekundärprophylaxe

Bettruhe: wie lange? n=203 Lumbago ohne radikuläres Defizit maximal seit 30 Tagen randomisiert 2 oder 7 Tage Bettruhe p < 0.01 Bettruhe: Deyo et al., New Eng J Med 1986; 315: 1064-1070

Epidurale Cortikosteroid-Injektionen Einschlußkriterien: BSV im CT radikuläre Symptomatik signifikante Behinderung Dauer 1-12 Monate Carette et al., New Eng J Med 1997; 336: 1634-40

Epidurale Cortikosteroid-Injektionen 12 randomisierte Studien gesamt 4 Studien Steroide vs. Placebo bzw. Lokalanästhesie allein 6 Studien Steroide vs. andere aktive Substanzen (Morphin, Clonidin) Conclusio: Convincing evidence is lacking on the effects of injection therapies for low back pain. There is a need for more, well designed explanatory trials in this field. Was ist gesichert ? Nelemans et al., Cochrane Library 1, 2002

Konservative Verfahren: Wirksamkeit Akut Chronisch

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation

Medianer Vorfall mit Duralsackkompression Spontanverlauf Medianer Vorfall mit Duralsackkompression Ausgangsbefund nach 6 Monaten Schumacher et al., Radiologe 1990; 30: 492-496

Dorsolateraler Vorfall mit Duralsackkompression Ausgangsbefund nach 6 Monaten Schumacher et al., Radiologe 1990; 30: 492-496

Welcher Vorfall hat die beste Prognose? Komori et al., Spine 1996; 21: 225-229

Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5 n=67: 2 Tage strenge Bettruhe normale körperliche Aktivitäten n=52: aktives Übungsprogramm normale körperliche Aktivitäten n=67: keine Therapie normale körperliche Aktivitäten

Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Akute LWS-Schmerzen Ergebnisse nach 3 Wochen: Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5

Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Akute LWS-Schmerzen Ergebnisse nach 12 Wochen: Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5

Konservative Behandlung: Ergebnisse Einschlußkriterien: konservative Vorbehandlung radikuläre Symptome Lasègue gesamt: 165 operiert: 23 konservativ behandelt: 142 1 Jahr kein Kontroll-CT: 31 Kontroll-CT: 111 arbeitsfähig: 100 % Lasègue: 0 % teilweise oder komplett gebesserte Ausfälle: 95 % BSV unverändert: 40 (36 % von 111) BSV gebessert oder verschwunden: 71 (64 % von 111) Bush et al., Spine 1992: 17: 1205-1212

Konservative Behandlung: Ergebnisse Einschlußkriterium: NPP, aber nicht operiert wegen Ablehnung, OP-Risiko, Besserungstendenz gesamt: 78 1.7 Jahre operiert: 4 nicht erfaßt: 4 konservativ behandelt: 70 sehr zufrieden: 23 % zufrieden: 67 % nicht zufrieden: 10 % 2/3 NPP > 6 mm mediolateral Ausfälle gleich oder schlechter: 5/7 Scale und Zichner, Orthopäde 1994; 23: 236-242

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation

Psychosoziale Risikoindikatoren Schlechte Arbeitsbedingungen Schichtarbeit Desinteresse des Arbeitgebers Furcht vor mehr Schmerzen bei Wiederaufnahme der Arbeit Streß, Depression, Angst „Ich werde nicht mehr gebraucht“ Überzeugungen Verhaltensweisen Emotionen Verhalten der Familie Arbeitsplatz Überprotektion oder Ablehnung des Ehepartners Mangelnde Unterstützung bei Wiederaufnahme der Aktivitäten Lange Bettruhe, sozialer Rückzug, passives Verhalten Angabe extremer Schmerzintensitäten Forderndes Verhalten Ich kann erst wieder arbeiten, wenn ich völlig schmerzfrei bin („Alles oder nichts“). Es hilft ja doch nichts. Ich kann nichts ändern, der Doktor muss mich heilen.

Bandscheiben-OP: Prädiktoren für die Chronifizierung nur BSV n = 83 BSV + weitere Pathologie n = 29 andere Pathologie, kein BSV n = 51 2 Jahre Vorhersage anhand: Medizinischer Anamnese Soziodemographischer Faktoren Psychodiagnostischer Befunde gut: 53 % mäßig 19 % schlecht: 28 % Korrekte Vorhersage: 75 % 86 % Junge et al., Spine 1996; 21: 1056-1064

Psychosoziale Risikoindikatoren: Fragen für die Anamnese Waren Sie schon einmal wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben? Was, meinen Sie, ist die Ursache der Rückenschmerzen? Was wird Ihnen helfen, nach Ihrer Meinung? Wie reagieren Ihr Ehepartner / Arbeitgeber / Ihre Kollegen auf Ihre Erkrankung? Was tun Sie, um mit den Schmerzen zurechtzukommen? Glauben Sie, Sie werden wieder arbeiten können? New Zealand Guidelines Group: Risk Factors for Long-Term Disability and Work Loss

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation

Operation: wann? Schwere Paresen oder Blasenstörungen (Caudasyndrom) Nein Schwere Paresen oder Blasenstörungen (Caudasyndrom) Ja 2-3 Wochen Konservative Therapie Operation Nein Verlaufskontrolle: klinische Besserung? EMG: Denervierungszeichen? Ja Rehabilitation

Evidence-based Medicine? Übungstherapie 39 Studien gesamt, wegen Heterogenität der Studien keine Metaanalyse durchgeführt Conclusio: Akute LWS-Schmerzen: aktive Übungstherapie ist keiner anderen aktiven oder passiven Therapie überlegen („strong evidence“) Chronische LWS-Schmerzen: Widersprüchliche Ergebnisse bei Vergleich mit passiven Behandlungsmethoden wirksamer als „übliche (hausärztliche) Behandlung“ gleich wirksam wie konventionelle Physiotherapie Evidence-based Medicine? van Tulder et al., Cochrane Library 1, 2002

Bettruhe vs. Weiterführung der Aktivität 9 Studien gesamt 5 Studien erfüllten die Qualitätskriterien Conclusio: geringe Unterschiede zwischen Bettruhe und Weiterführung der Aktivität, eher zu Ungunsten der Bettruhe Keine wesentlichen Unterschiede: 2-3 vs. 7 Tage, Übungsbehandlung vs. keine Übungsbehandlung Evidence-based Medicine ? Hagen et al., Cochrane Library 1, 2002

Konservative Therapie vs. Operation gesamt: 280 Einschlußkriterien: Lumboischialgie, positiver Lasègue, und/oder Paresen eindeutig keine OP-Indikation: 87 eindeutige OP-Indikation: 67 beides möglich: 126 randomisiert operiert: 60 nicht operiert: 66 weiter konservativ: 49 später operiert: 17 Weber H, Spine 1983; 8: 131-141

Konservative Therapie vs. Operation nach 1 Jahr nach 4 Jahren Weber H, Spine 1983; 8: 131-141

Operation vs. konservative Therapie Conclusio: Bandscheibenoperation für sorgfältig ausgewählte Patienten schafft schnellere Besserung bei akutem BSV als konservative Therapie. Die Auswirkungen auf den Langzeitverlauf sind unklar. Was ist gesichert ? Gibson et al., Cochrane Library 1, 2002

Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Zusammenfassung

Differentialtherapie

Lumbaler Bandscheibenvorfall: Drei Kernsätze Der Spontanverlauf ist günstig, auch bei nachgewiesenem BSV im CT. Nicht alle konservativen Therapieverfahren sind gleich wirksam. Für die OP-Indikation ist die Klinik entscheidend.

Konservative Therapie: ein Standpunkt Angepaßte Schmerztherapie – keine Standardbehandlung Physiotherapie Weichenstellung operativ/konservativ Erfassung von Risikoindikatoren für eine Chronifizierung