Neurologische Universitätsklinik, Freiburg Akuter Rückenschmerz Neurologische Universitätsklinik, Freiburg
Lernziele: Akuter Rückenschmerz Kenntnisse in der Diagnostik und Verlauf von Wurzelkompressionssyndromen Kenntnisse in der angepassten Schmerztherapie Bedeutung der Physiotherapie Weichenstellung operativ/konservativ Erfassung von Risikoindikatoren für eine Chronifizierung
Wurzelsyndrome
Dermatome Periphere Nerven
Prolaps und Sequester
Medialer und posterolateraler Prolaps
Fehlhaltung, -belastung und pseudoradikuläre Schmerzen
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation
Lumboischialgie: CT oder kein CT? Planung der Operation Zweifel an der Ätiologie: V.a. Osteolyse V.a. Spondylitis/Diszitis V.a. tumoröse RF
Elektromyogramm (EMG) Abgrenzung Parese vs. Schmerzhemmung Prognostische Aussage bei Paresen: Spontanaktivität = axonale Schädigung keine Spontanaktivität = Neurapraxie = gute Prognose
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation
Medikamentöse Behandlung (vorwiegend) peripher wirksame Analgetika NSAR Paracetamol, Metamizol zentral wirksame Analgetika Flupirtin Opioide Muskelrelaxantien Trizyklische Antidepressiva
Non-steroidale Antirheumatika (NSAR) Substanzen ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Indometacin COX-II-Hemmer: Rofecoxib, Celecoxib Ceiling-Effekt für analgetische Wirkung gute orale Bioverfügbarkeit NW: Magenulcera, nephrotoxisch, Natrium- und Wasserretention, Coxibe auch kardiovaskulär Dauertherapie problematisch
Flupirtin (Katadolon (R) ) Öffnung von Kalium-Kanälen > Hyperpolarisation > verminderte glutamaterge Transmission muskelrelaxierender Effekt NW: Müdigkeit, Schwindel Kein Abhängigkeitspotential
Opioide: Der Patient wird Sie fragen ...
Wie entsteht psychische Abhängigkeit bei Schmerzpatienten? keine Erleichterung, da kontinuierliche Analgesie Schmerz Schmerzmittel-Einnahme Erleichterung Entkoppelung von Befinden und Medikamenteneinnahme Reiz Verhalten Belohnung
Therapie mit Opioiden Fünf Grundregeln Einnahme nach der Uhr Dosis individuell anpassen Prophylaxe von Nebenwirkungen Orale Applikation, wenn möglich Kombination mit peripheren Analgetika
Muskelrelaxantien
Antidepressiva Indikation: v.a. chronische Schmerzen kontrolliert geprüft: Clomipramin (Anafranil), Amitriptylin (Saroten), Doxepin (Aponal) Wirkungslatenz 1-2 Wochen NW: Müdigkeit, Mundtrockenheit, Obstipation Wichtig: Aufklärung Eigenständige analgetische Wirkung Nebenwirkungen sofort, analgetische Wirkung mit Verzögerung
Was wann? Konsensus-Konferenz der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (1992)
Physikalische Stufentherapie bei lumbalem Bandscheibenvorfall Akutphase: Schmerzen Schmerztherapie Subakute Phase: Bewegungseinschränkung Mobilisation Chronische Phase: Fehlverhalten Sekundärprophylaxe
Bettruhe: wie lange? n=203 Lumbago ohne radikuläres Defizit maximal seit 30 Tagen randomisiert 2 oder 7 Tage Bettruhe p < 0.01 Bettruhe: Deyo et al., New Eng J Med 1986; 315: 1064-1070
Epidurale Cortikosteroid-Injektionen Einschlußkriterien: BSV im CT radikuläre Symptomatik signifikante Behinderung Dauer 1-12 Monate Carette et al., New Eng J Med 1997; 336: 1634-40
Epidurale Cortikosteroid-Injektionen 12 randomisierte Studien gesamt 4 Studien Steroide vs. Placebo bzw. Lokalanästhesie allein 6 Studien Steroide vs. andere aktive Substanzen (Morphin, Clonidin) Conclusio: Convincing evidence is lacking on the effects of injection therapies for low back pain. There is a need for more, well designed explanatory trials in this field. Was ist gesichert ? Nelemans et al., Cochrane Library 1, 2002
Konservative Verfahren: Wirksamkeit Akut Chronisch
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation
Medianer Vorfall mit Duralsackkompression Spontanverlauf Medianer Vorfall mit Duralsackkompression Ausgangsbefund nach 6 Monaten Schumacher et al., Radiologe 1990; 30: 492-496
Dorsolateraler Vorfall mit Duralsackkompression Ausgangsbefund nach 6 Monaten Schumacher et al., Radiologe 1990; 30: 492-496
Welcher Vorfall hat die beste Prognose? Komori et al., Spine 1996; 21: 225-229
Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5 n=67: 2 Tage strenge Bettruhe normale körperliche Aktivitäten n=52: aktives Übungsprogramm normale körperliche Aktivitäten n=67: keine Therapie normale körperliche Aktivitäten
Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Akute LWS-Schmerzen Ergebnisse nach 3 Wochen: Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5
Bettruhe, Gymnastik oder gar nichts? Akute LWS-Schmerzen Ergebnisse nach 12 Wochen: Malmivaara et al., New Eng J Med 1995: 332: 351-5
Konservative Behandlung: Ergebnisse Einschlußkriterien: konservative Vorbehandlung radikuläre Symptome Lasègue gesamt: 165 operiert: 23 konservativ behandelt: 142 1 Jahr kein Kontroll-CT: 31 Kontroll-CT: 111 arbeitsfähig: 100 % Lasègue: 0 % teilweise oder komplett gebesserte Ausfälle: 95 % BSV unverändert: 40 (36 % von 111) BSV gebessert oder verschwunden: 71 (64 % von 111) Bush et al., Spine 1992: 17: 1205-1212
Konservative Behandlung: Ergebnisse Einschlußkriterium: NPP, aber nicht operiert wegen Ablehnung, OP-Risiko, Besserungstendenz gesamt: 78 1.7 Jahre operiert: 4 nicht erfaßt: 4 konservativ behandelt: 70 sehr zufrieden: 23 % zufrieden: 67 % nicht zufrieden: 10 % 2/3 NPP > 6 mm mediolateral Ausfälle gleich oder schlechter: 5/7 Scale und Zichner, Orthopäde 1994; 23: 236-242
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation
Psychosoziale Risikoindikatoren Schlechte Arbeitsbedingungen Schichtarbeit Desinteresse des Arbeitgebers Furcht vor mehr Schmerzen bei Wiederaufnahme der Arbeit Streß, Depression, Angst „Ich werde nicht mehr gebraucht“ Überzeugungen Verhaltensweisen Emotionen Verhalten der Familie Arbeitsplatz Überprotektion oder Ablehnung des Ehepartners Mangelnde Unterstützung bei Wiederaufnahme der Aktivitäten Lange Bettruhe, sozialer Rückzug, passives Verhalten Angabe extremer Schmerzintensitäten Forderndes Verhalten Ich kann erst wieder arbeiten, wenn ich völlig schmerzfrei bin („Alles oder nichts“). Es hilft ja doch nichts. Ich kann nichts ändern, der Doktor muss mich heilen.
Bandscheiben-OP: Prädiktoren für die Chronifizierung nur BSV n = 83 BSV + weitere Pathologie n = 29 andere Pathologie, kein BSV n = 51 2 Jahre Vorhersage anhand: Medizinischer Anamnese Soziodemographischer Faktoren Psychodiagnostischer Befunde gut: 53 % mäßig 19 % schlecht: 28 % Korrekte Vorhersage: 75 % 86 % Junge et al., Spine 1996; 21: 1056-1064
Psychosoziale Risikoindikatoren: Fragen für die Anamnese Waren Sie schon einmal wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben? Was, meinen Sie, ist die Ursache der Rückenschmerzen? Was wird Ihnen helfen, nach Ihrer Meinung? Wie reagieren Ihr Ehepartner / Arbeitgeber / Ihre Kollegen auf Ihre Erkrankung? Was tun Sie, um mit den Schmerzen zurechtzukommen? Glauben Sie, Sie werden wieder arbeiten können? New Zealand Guidelines Group: Risk Factors for Long-Term Disability and Work Loss
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Diagnostik Therapieverfahren Verlauf unter konservativer Therapie Chronifizierung Operationsindikation
Operation: wann? Schwere Paresen oder Blasenstörungen (Caudasyndrom) Nein Schwere Paresen oder Blasenstörungen (Caudasyndrom) Ja 2-3 Wochen Konservative Therapie Operation Nein Verlaufskontrolle: klinische Besserung? EMG: Denervierungszeichen? Ja Rehabilitation
Evidence-based Medicine? Übungstherapie 39 Studien gesamt, wegen Heterogenität der Studien keine Metaanalyse durchgeführt Conclusio: Akute LWS-Schmerzen: aktive Übungstherapie ist keiner anderen aktiven oder passiven Therapie überlegen („strong evidence“) Chronische LWS-Schmerzen: Widersprüchliche Ergebnisse bei Vergleich mit passiven Behandlungsmethoden wirksamer als „übliche (hausärztliche) Behandlung“ gleich wirksam wie konventionelle Physiotherapie Evidence-based Medicine? van Tulder et al., Cochrane Library 1, 2002
Bettruhe vs. Weiterführung der Aktivität 9 Studien gesamt 5 Studien erfüllten die Qualitätskriterien Conclusio: geringe Unterschiede zwischen Bettruhe und Weiterführung der Aktivität, eher zu Ungunsten der Bettruhe Keine wesentlichen Unterschiede: 2-3 vs. 7 Tage, Übungsbehandlung vs. keine Übungsbehandlung Evidence-based Medicine ? Hagen et al., Cochrane Library 1, 2002
Konservative Therapie vs. Operation gesamt: 280 Einschlußkriterien: Lumboischialgie, positiver Lasègue, und/oder Paresen eindeutig keine OP-Indikation: 87 eindeutige OP-Indikation: 67 beides möglich: 126 randomisiert operiert: 60 nicht operiert: 66 weiter konservativ: 49 später operiert: 17 Weber H, Spine 1983; 8: 131-141
Konservative Therapie vs. Operation nach 1 Jahr nach 4 Jahren Weber H, Spine 1983; 8: 131-141
Operation vs. konservative Therapie Conclusio: Bandscheibenoperation für sorgfältig ausgewählte Patienten schafft schnellere Besserung bei akutem BSV als konservative Therapie. Die Auswirkungen auf den Langzeitverlauf sind unklar. Was ist gesichert ? Gibson et al., Cochrane Library 1, 2002
Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls Zusammenfassung
Differentialtherapie
Lumbaler Bandscheibenvorfall: Drei Kernsätze Der Spontanverlauf ist günstig, auch bei nachgewiesenem BSV im CT. Nicht alle konservativen Therapieverfahren sind gleich wirksam. Für die OP-Indikation ist die Klinik entscheidend.
Konservative Therapie: ein Standpunkt Angepaßte Schmerztherapie – keine Standardbehandlung Physiotherapie Weichenstellung operativ/konservativ Erfassung von Risikoindikatoren für eine Chronifizierung