Rollen- und Interaktionstheorien

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 Präsentation transkript:

Rollen- und Interaktionstheorien Theoriegeschichtliche Rekonstruktion 1.1 George Herbert Mead 1.2 Talcott Parsons Rezeption der „klassischen“ Ansätze Weiter- und Neuentwicklungen Fruchtbarkeit der Rollentheorie 4.1 Wissenschaftstheoretische Klärung 4.2 Anregungen und Leistungen in der Sozialisationsforschung 4.3 Zur Entwicklung der Rollenübernahmefähigkeit

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Biographisches zu Mead (1863-1931) Geburt in South Hadley, Massachusetts, USA als Sohn von Hiram Mead, eines kongregationalistischen Geistlichen, und dessen Ehefrau Elizabeth Storr Billings Umsiedlung der Familie nach Ohio als der Vater zum Professor für Predigtwissenschaften an das Oberlin College berufen wird Aufnahme des Studiums am Oberlin College Beschäftigung mit der Evolutionstheorie Darwins Graduierung Kurze Tätigkeit als Lehrer, danach Arbeit als Vermessungsingenieur Aufnahme eines Studiums der Philosophie bei Royce, Palmer und Bowen an der Harvard University

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Biographisches zu Mead (1863-1931) Spezialisierung auf physiologische Psychologie 1888- Stipendium für den Besuch der Universität Leipzig (Wilhelm Wundt) Wechsel nach Berlin; dort Studium u.a. bei Dilthey und Ebbinghaus Berufung als Dozent für Psychologie, Philosophie und Evolutionstheorie an die University of Michigan; lernt dort Cooley und Dewey kennen Assistenzprofessor in der Abt. für Philosophie und Psychologie an der University of Chicago Vertreter der „Chicagoer School“

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Biographisches zu Mead (1863-1931) In der Chicagoer Zeit: Arbeiten zu einer Theorie der symbolvermittelten Kommunikation; Rollentheorie; Identitätstheorie Hauptwerke: „Mind, Self and Society“ (1934) „The Philosophy of the Act“ (1938) „The Philosophy of the Present“ (1932) „Movements of Thought in the Nineteenth Century“ (1936)

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Kommunikationstheoretische Grundlage Menschliche Kommunikation: Arbeit mit „signifikanten Symbolen“ Das eigene Verhalten ist an potentiellen Reaktionen von Partnern ausrichtbar Mead führt die Begriffe „Rolle“ und „Rollenübernahme“ ein Rolle: bezeichnet die Verhaltenserwartung an den Interaktionspartner Rollenübernahme („taking the role of the other“): die Antizipation des situationsspezifischen Verhaltens des Anderen

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Soziogenese des Ichs: „I“, „me“ und „self“ „I“: Spontaneität, Kreativität und Triebausstattung „M“: Meine Vorstellung von dem Bild, das der andere von mir hat bzw. meine Verinnerlichung seiner Erwartungen an mich „Self“: Synthetisierung der „me‘s“ zu einem einheitlichen Selbstbild

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: George Herbert Mead Theorie kindlicher Spielformen „Play“: Spielerische Interaktion mit einem imaginären Partner; Einnahme der Perspektive des Anderen „Game“: Teilnahme an Gruppenspielen; Orientierung am „generalisierten Anderen“ Die Entwicklung kommunikativer Leistungen wird auch zur Bedingung kognitiver Fortschritte

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: Talcott Parsons Interaktionsbegriff bei Parsons: Die wechselseitige Bezogenheit des Handelns zweier Akteure, von denen jeder den anderen zur Realisierung der eigenen Ziele und zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse benötigt. Gesellschaftliche Institutionalisierungen ermöglichen die Überschreitung eines Systems von nur zwei Interaktionspartnern. Idealiter fallen institutionalisierte Verhaltenserwartungen und die Bedürfnisdispositionen der Akteure zusammen - > Stabilität des sozialen Systems Rollenbegriff bei Parsons: - Organisierter Sektor der Handlungsorientierung eines Akteurs - Menge der Erwartungen von Interaktionspartnern - Für die Stabilität des Wertsystems funktionale spezifische Verhaltensanforderung

Theoriegeschichtliche Rekonstruktion: Talcott Parsons Rollenbegriff bei Parsons: Rollen haben Orientierungs- und Motivations-funktion für den einzelnen Handelnden sowie Integrationsfunktion für das soziale System.

Rezeption der „klassischen“ Ansätze Rezeption von Parsons: Empirische Untersuchungen zum „Rollenkonflikt“ Interrollenkonflikt: ein Konflikt in der Orientierung eines Individuums an zwei gleichzeitig gegebenen Rollen Wie kann man mit so einem Konflikt umgehen? - Entscheidung zwischen den beiden Rollen (davon ging die Parsons-Schule anfangs aus) - Differenzierung durch Merton: * Klare räumliche Trennung der von den Rollen geforderten Verhaltensweisen * Sequenzialisierung der einander ausschließenden Rollen

Rezeption der „klassischen“ Ansätze Intrarollenkonflikte: Besonderes Problem für die Parsons‘sche Theorie - > Unterstellung eines normativen Konsensus als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des sozialen Systems bedroht

Weiter- und Neuentwicklungen * Weiterentwicklung aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive – Ralph Turner (1955; 1962) Role-standpoint: kognitive Rollenübernahme bedeutet nicht Identifikation mit den Intentionen der beteiligten Handlungspartner Role-Making: aktive Selbstdefinition und Gestaltung sozialer Beziehungen * Erving Goffman (1961) Rollendistanz: (a) öffentlich signalisierte Abgrenzung von der innegehabten Rolle (b) in einer Rolle strukturell verankerte Möglichkeit der „souveränen“ Distanzierung von ihren Pflichten

Weiter- und Neuentwicklungen * Kritik von Alvin Gouldner (1960) * Thesen von Jürgen Habermas (1973) - Integrationstheorem vs. Repressionstheorem - Konformitätstheorem vs. Distanztheorem - Identitätstheorem vs. Diskrepanztheorem

Weiter- und Neuentwicklungen Diese drei Theoreme formulieren „drei Dimensionen möglicher Freiheitsgrade des Handelns. […] Die drei vernachlässigten Dimensionen können wir einführen, um Institutionen (Rollensysteme) nach dem Grad ihrer Repressivität, dem Grad ihrer Rigidität und der Art der von ihnen auferlegten Verhaltenskontrolle zu unterscheiden. Da wir den primären Sozialisationsvorgang als Erwerb der Grundqualifikationen des Rollenspiels verstehen, können dieselben Dimensionen auch dazu dienen, auf der Ebene der Persönlichkeitsstruktur solche Grundqualifikationen zu fassen, die sich dem üblichen Konzept des Rollenlernens entziehen“ (Habermas 1973, S. 127).

Fruchtbarkeit der Rollentheorie: Wissenschaftstheorie - Rollentheorie ist keine Theorie im Sinne eines systematischen Zusammenhangs von Hypothesen - Rollentheorie ist ein metatheoretisches Schema - > Aufgabe: Vorgabe eines begrifflichen Rahmens für die Formulierung empirisch zu untersuchender Gebiete Nochmals Definitorisches: - Rollen sind Bündel normativer Verhaltenserwar- tungen, die sich an das Verhalten von Posi- tionsinhabern richten (gängiges Verständnis)

Begriffliches Definitorisches: Jede Interaktion erfordert notwendigerweise „Rollenübernahmen“ im Sinne situationsspezifischer Verhaltensantizipation des Partners (fundamentaleres Verständnis; symbolischer Interaktionismus) Verbindung beider Auffassungen: Rolle ist die normative Erwartung eines situationsspezifisch sinnvollen Verhaltens. Was heißt: Rollen „bestimmen“ das Verhalten (mit)? „Some social psychologists have spoken of behavior as being ‚determined‘ by roles, as if the latter existed independently of human conduct and forced men into some mold. Roles, however, exist only in the behavior of men, and the patterns become discernible only in their regularized interaction. Roles are models of conduct which constitute the desired contribution of those participating in group activity. But even in stable societies men are not automatons, blindly acting out conventional roles. The very fact that deviation is possible indicates that such models do not ‚cause‘ behavior“ (Shibutani 1961).

Fruchtbarkeit der Rollentheorie in der Sozialisationsforschung Wo wird die Rollentheorie in der Sozialisationsfor-schung besonders fruchtbar? - Erwerb der fundamentalen Geschlechts- und Generationsrollen - die innere soziale Struktur grundlegender Sozialisationsinstanzen (Familie, Schulklasse) - Arbeiten zur sozialen Genese des Ich - Forschungen zur Entwicklung der Rollenüberna- hmefähigkeit

Fruchtbarkeit der Rollentheorie: Zur Entwicklung der Rollenübernahmefähigkeit Ausgangspunkt: Verbindung der Mead‘schen mit der Piaget‘schen Tradition - Pionierarbeiten von Flavell und Mitarbeitern (1975) - Arbeiten von Selman (1971; 1984) - Zentrale Rolle der realen Interaktionen der Kinder (und Abkehr vom Primat kognitiver Kompetenzen): Damon, Youniss